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  Piroska 1983
 

 

 

 

Maureen O'Kelly

PIROSKA

1983

Roman

© 2001 by Maureen O'Kelly

 

Alle Rechte der Verbreitung und Übersetzung auch durch Film, Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art sind vorbehalten.

 

 

 


Es war bitterkalt in der riesigen, zugigen Bahnhofshalle. Um diese nächtliche Stunde warteten nur noch wenige Reisende in dicken Mänteln und mit Schals vor den Gesichtern, um sich ein wenig zu wärmen, auf ihre Züge oder auf ankommende Freunde und Familienangehörige. Schwarz schimmerten die kahlen Bahnsteige und nur vereinzelt unterbrach eine Ansage aus dem Hallenlautsprecher hoch über den Köpfen der Menschen die Stille. Die Zeit schien still zu stehen in dieser Stunde nach Mitternacht am zweiten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1983. Jetzt kam mit leisem Zischen ein kleiner Elektrowagen auf den Bahnsteig gefahren, auf seinem Anhänger lagen einige dünne Postsäcke, dazu bestimmt, eine lange Reise Richtung Osten anzutreten. Und jetzt meldete auch die Stimme aus dem Lautsprecher die Ankunft des Zuges von Amsterdam über Frankfurt nach Wien mit Kurswagen nach Budapest.

 

Ein leichtes Zittern überkam mich, als der Zug in den Bahnhof einrollte. Hier stand ich nun, Anne Weber, gerade 20 Jahre alt, Jurastudentin, nicht schön, aber doch ganz annehmbar, auf dem Weg in mein großes Abenteuer. Ein Abenteuer, von dem ich nur so viel wußte, daß ich es wollte, ja direkt herbeigesehnt hatte, dessen Ausgang aber noch ungewiß war. Meine Eltern hatten mich hier her gebracht, trotz des Schockes, den ihnen die unverhoffte Ankündigung meiner Reise versetzt haben mußte. Zwar hatte ich mir die Fahrkarten schon lange vorher besorgt, sie aber an einem sicheren Platz aufbewahrt, damit ihnen nicht noch in letzter Sekunde etwas widerfahren würde, mit meinen Plänen war ich dann aber erst nach der gestrigen Weihnachtsbescherung herausgerückt. Jetzt standen wir also zu dritt auf dem Bahnsteig und suchten den Waggon, der nach Budapest bestimmt war. Als ich das Abteil betrat, saßen schon sieben andere Personen darin, alles Ungarn auf der Heimreise, vollgepackt mit Koffern, Taschen und Beuteln. Kaum konnte ich meinen Koffer und meine Reisetasche noch in das Gepäcknetz Knäueln, meine Handtasche behielt ich sowieso immer bei mir. Die Verabschiedung war kurz und wegen des Kraches vom Vortage nicht besonders herzlich, man konnte es meinen Eltern auch nur nachsehen, war ihre Tochter doch soeben im Begriff, dem von den Eltern vorgesehenen Leben adieu zu sagen, sich aus den Banden der Familie zu lösen und ihren eigenen Weg zu gehen. Ein kurzes Winken noch, ich hatte mir einen Fensterplatz reservieren lassen, dann fuhr der Zug in die Nacht hinein und begann seine lange Reise durch die verschneite Landschaft dreier Länder.

 

Ich war zu aufgeregt, um zu schlafen, konnte und wollte jedoch auch kein Gespräch mit den anderen Reisenden beginnen, die nach der kurzen Unterbrechung nun wieder in ihrer ungemütlichen Lage versuchten, ihren Schlaf fortzusetzen. Ich beherrschte zwar mehrere Sprachen fließend, doch gehörte Ungarisch nicht dazu - und doch wollte, oder zumindest hoffte ich, mein Leben in diesem Lande neu zu beginnen. Das Rasseln der Räder ließ auch mich in der Dunkelheit vor mich hin dämmern, einen Blick in die Zukunft wollte ich nicht wagen, aber meine Vergangenheit, vor allen Dingen die Erlebnisse der letzten paar Monate, erschien wieder vor meinem inneren Auge.

 

Wie war es eigentlich dazu gekommen, daß ich jetzt in diesem Zug saß, der mich in ein vollkommen unbekanntes Land bringen sollte, noch dazu hinter den "Eisernen Vorhang"? Dazu muß ich sehr weit zurückgehen in meinem Leben.

 

Ich bin in einer Familie auf die Welt gekommen - und vier Jahre später mein Bruder ebenso - in der beide Elternteile ihre erste Jugend schon hinter sich hatten. Mein Heim ist ein schönes, großes Haus mit Garten in einer kleinen Stadt, außer uns wohnt dort noch meine Großmutter mütterlicherseits, ihr Mann, mein Großvater, war kurz nach meiner Taufe verstorben. Mein Vater kennt nur seine Arbeit, meine Mutter hatte nach der Geburt meines Bruders aufgehört zu arbeiten und kennt nur die Familie, meine Oma betätigt sich im Haushalt und im Garten. Außer der Familie und der Schule oder Uni gibt es -  nichts! Keine Freunde, keine Verwandten, keine Spielkameradinnen oder Kameraden - nichts! Zum Glück hatte ich es erreicht, zu meinem 17. Geburtstag ein Pferd zu erhalten - gekauft von meinem hart verdienten Geld, weil ich bei einem Rechtsanwalt während der Ferien gejobbt habe, unterhalten im Reitstall von der großzügigen Unterstützung meiner Eltern. Aber sonst - nichts! Das zeigt vielleicht auch, warum ich jetzt, mit zwanzig, die erste Gelegenheit benutze, um aus diesem Trott - und der Angst davor, eine alte Jungfer zu werden - auszubrechen. Schuld daran hat - wenn auch indirekt - meine Mutter. Zumindest, was die Richtung meiner Reise angeht. Zum Abitur hatte ich nämlich einen Wunsch frei. Mein größter Wunsch war, einmal die Lipizzaner-Gestüte in Lipizza und in Piber zu besichtigen und die Spanische Hofreitschule in Wien zu besuchen. Daß es auch in Ungarn, in Szilvásvárad, Lipizzaner gibt, wußte ich damals noch nicht. Also brachen wir in den Herbstferien auf, meine Mutter, mein Bruder und ich. Zuerst nach Lipizza in Jugoslawien, besuchten das Gestüt, machten einen wunderbaren Ausritt in der Karstlandschaft, besuchten die berühmten Tropfsteinhöhlen von Postojna und Sankt Kanzian - und dann kam es meiner Mutter in den Sinn, daß sie einmal in ihrem Leben auf der Erzsébet-Brücke in Budapest stehen wolle. Gesagt, getan, wir besorgten uns ein Visum und fuhren vorläufig nach Ungarn, Österreich sollte dann auf dem Rückweg besucht werden. Stellen Sie es sich einmal vor, sie reisen ohne gute Karte, ohne Hotelbestellung und Reiseführer in ein fremdes Land, außerhalb der Saison! Noch dazu spricht keiner von uns ungarisch und wie sich herausstellte, die meisten Ungarn keine andere Sprache als die ihre. Nachdem wir am Balaton zweimal die Runde gemacht hatten und einsehen mußten, daß zu nächtlicher Zeit und im Oktober alles geschlossen ist, beschlossen wir, die Nacht im Auto am See zu verbringen, zum Glück hatten wir genügend Decken eingepackt, es wurde nämlich mächtig kalt. Am nächsten Morgen brachen wir dann nach Budapest auf, dem Wunsch meiner Mutter wurde Genüge getan. Jetzt hatten wir noch viel freie Zeit, wohin also noch fahren? Wir beschlossen, Richtung Osten zu fahren. Über Szolnok, wo wir noch einmal übernachteten, diesmal im Hotel, gelangten wir schließlich in die Puszta. Schon auf der Fahrt durch die große Tiefebene und als wir die Tisza überquerten, bewunderte ich diese herrliche Landschaft, die sich vor meinen Augen auftat. Natürlich waren die meisten Teile kultiviert mit Mais und Sonnenblumen, aber allein die herrliche, unverbaute Natur war ein Wunder für sich. Nur hier und da kleine Dörfer, einzelne, halb verfallene Gehöfte mitten in einem Meer von Sonnenblumen, Pferdewagen statt Traktoren, die Zeit und der Fortschritt, den unsere nur allzu schnellebige westliche Welt kennt, alles schien hier anders zu laufen, langsamer, gemütlicher, natürlicher. Aber das war erst der Anfang! Nachmittags machten wir auf dem Parkplatz in Hortobágy, im Herzen des Nationalparks, Rast. Und hier überwältigte mich mit einem Mal das Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein, hierher zu gehören, Teil dieser grandiosen Natur zu sein! Dummheit, dachte ich, mit meinem praktischen Sinn, ich hatte noch nicht einmal Bücher oder Filme über die Puszta gesehen, woher sollte ich sie also kennen, woher sollte das Gefühl - nein, das Wissen - kommen, dies alles schon zu kennen? Und doch war es so! Zweifel kamen an mir auf, sogar Gedanken an Reinkarnation: sollte ich schon einmal hier gelebt haben, hier glücklich gewesen sein? Oder war das alles nur Einbildung, hervorgerufen durch das Gefühl der Freiheit in dieser unendlichen Weite? Wie dem auch sei, noch heute, wenn ich von dem fernen Land, welches nun meine Heimat ist, wieder in die Puszta zurückkehre, beim jährlichen Urlaub, ergreift mich dieses Gefühl jedes Mal von Neuem, wenn ich über den westlichen Bewässerungskanal fahre und "meine" Puszta betrete. Heimat meines Herzens und meiner Seele, von Anfang an und bis in alle Ewigkeit!

 

Doch halt, so weit sind wir noch nicht. Kehren wir also zurück zu jenem denkwürdigen Tag, als ich das erste Mal meinen Fuß auf den staubigen Boden der Puszta setzte. Zu Fuß spazierten wir in der immensen Steppe umher, sahen Schafherden, deren Tiere schwarz oder weiß waren, mit langen Korkenzieher-Hörnern und lockigem Fell, sahen riesige, graue Rinder mit langen Hörnern, gebogen wie eine Lyra und sahen - Pferde. Ich bin schon seit meiner Geburt eine Pferdenärrin und bemüht, das Beste für mein Pferd zu tun, wenngleich der Wille oft stärker ist als die Möglichkeiten. Doch wenngleich mein Pferd in einer Reitschule in einer Box untergebracht ist, versuche ich doch, so oft wie möglich ins Gelände zu reiten, darf ihn manchmal auf die Koppel der Stallbesitzer lassen oder auf dem Reitplatz sich austoben lassen. Doch natürlich ist und war schon immer in mir der Traum von einem eigenen kleinen Hof, mit Winterausläufen und immensen Koppeln. Doch was ich hier sehe, verschlägt mir den Atem: einige dreißig Pferde pro Herde, säuberlich getrennt nach Junghengsten und Jungstuten, sowie einer Mutterstutenherde mit Fohlen bei Fuß - frei in der Puszta! Nur bewacht von dem berittenen Hirten, dem Csikós. Der Traum von einer heilen Pferdewelt! Wir nährten uns der Herde, die Tiere, in diesem Falle junge Stuten vom Jährling bis zur Dreijährigen, kommen zutraulich näher, beschnobern unsere Taschen und lassen sich kraulen. Schnell war ich umringt von warmen Pferdeleibern, doch es gab keine angelegten Ohren, keine Bisse oder Tritte. Die Rangfolge ist ja ausgemacht, jedes Tier hat seinen Platz in der Herde und so kamen sie auch zu mir. Bis plötzlich eine Peitsche knallte und die Pferde auseinanderstoben. Ein junger Hirte auf seinem feurigen Pferd nährte sich im Galopp und trieb die Herde in Richtung auf einen Ziehbrunnen davon. Erst, als der Knäuel aus braunen und schwarzen Tierleibern sich löste, bemerkte er, daß ich dort stand. Sofort kam er herbei und schwang sich von seinem Tier. Er redete schnell in seiner Sprache auf mich ein, doch konnte ich nur den Kopf schütteln, um ihm zu zeigen, daß ich nicht verstünde.

"Du sprechen deutsch?" war seine nächste Frage.

 "Ja, ich bin Deutsche!" nickte ich und begann, ihn mir näher anzusehen. Eine hohe, muskulöse Gestalt, dichtes, fast schwarzes Haar in natürlichen Wellen, ein offenes Gesicht, dazu die traditionelle Tracht der hiesigen Hirten, schwarzer Dreispitz mit Kranichfeder, ein blaues Leinenhemd mit weiten, plissierten Ärmeln, schwarze Weste mit kleinen, runden Kupferknöpfen, sehr weite, gefältelte, blaue Hosen, fast ein Hosenrock, und schwarze Lederreitstiefel. In der Hand die Hetzpeitsche, achtfach geflochtenes Leder an einem kurzen Holzgriff mit Intarsienarbeit. Ich war, kurz gesagt,  von der Rolle. Mein allzusehr behütetes Leben hatte mir noch nie Gelegenheit gebracht, mit jungen Männern meines Alters zusammen zu sein, doch in meinen Träumen war der Mann meines Herzens mir immer als ein gutaussehender Reiter und Pferdenarr erschienen - und nun das hier! Die überwältigende Natur, das Paradies der Pferde, ein hübscher, junger Mann, mein Herz war vergeben! Doch halt! Die Vernunft mahnte mich, doch ein klein wenig meinen Verstand zu gebrauchen! Vielleicht war der Hirte schon verlobt oder gar verheiratet? Und wo stand geschrieben, daß er, falls noch frei, sich gerade in mich verlieben würde, mich, die Fremde, die seiner Sprache nicht mächtig war, die Fremde aus dem kapitalistischen Westen, die unscheinbare Fremde, im Gegensatz zu den feurigen und schönen Ungarinnen, die mir auf der Fahrt begegnet waren? Und doch..... Ein kleiner Funken in mir glomm im Verborgenen, geschürt von dem Wunsch und dem Hoffen, doch endlich dem Mann meiner Träume zu begegnen, Liebe zu erfahren, Liebe geben zu dürfen und aus dem grauen Alltag meines Lebens hinter "Klostermauern" ausbrechen zu können! Dies alles zuckte in Sekundenbruchteilen durch mein Gehirn, während ich lächelnd die Hand nach den Nüstern seines Pferdes ausstreckte, um es zu streicheln.

"Du Achtung, es beißt!" rief erschreckt der junge Mann, doch meine Finger kraulten das edle Tier schon an der warmen, seidigen Nase, es schien ihm zu gefallen, denn es kam noch näher zu mir und schien mir auch seinen Kopf und Hals darzubieten. Zart streichelte ich es weiter. Der junge Mann stand kopfschüttelnd daneben und schien sein eigenes Pferd nicht wieder zu erkennen.

 "Sie sehen, es mag mich!" rief ich glücklich aus, wohl hoffend, daß sein Herr die gleichen Gefühle für mich hegen möge.

"Er dich lieb, er wissen, du Pferde lieb!"

"Ja, ich liebe Pferde, ich habe selbst auch eines, zuhause, in Deutschland." Der junge Mann musterte mich mit einem abschätzenden Blick.

"Du Deutschland-Ost?" meinte er zweifelnd.

"Nein, ich komme aus Westdeutschland, ich bin eigentlich nur zufällig hier auf der Durchreise, mit meiner Mutter und meinem Bruder." sagte ich und zeigte auf die beiden, die sich langsam näherten. Formvollendet begrüßte er meine Mutter in seinem holprigen Deutsch und freundlich schüttelte er die Hand meines Bruders, dann schien er nachzudenken.

"Du morgen noch hier?" fragte er. Ich schaute bittend auf meine Mutter.

"Ach ja, laß uns doch noch einen Tag bleiben, wir haben bestimmt noch nicht alles hier gesehen!" Auch der Hirte wand sich an Mama.

"Morgen um zwei Hirtenspiele hier, danach ich kochen Spezialität für euch, kommen alle, bitte!" Er schaute so treuherzig drein, daß meine Mutter ihm den Wunsch nicht abschlagen konnte, zumal nun auch mein Bruder zu meiner Unterstützung eilte.

"Also gut, morgen Nachmittag um zwei Uhr sind wir wieder hier." versprach sie, doch dann trieb sie uns zur Umkehr an, da es schon zu dunkeln begann und wir noch einen weiten Fußweg hatten. Wir fanden Unterkunft in einem sauberen Gasthof im Ort selbst, das Zimmer war groß und schön eingerichtet, überall hingen Bilder von einheimischen Künstlern mit Motiven aus der Gegend, bunt bestickte Tischläufer gaben dem Raum ebenso eine hübsche Note, wie die Vorhänge mit traditionellen Mustern. Das Frühstück im getäfelten Speisesaal war vorzüglich und überreichlich, der freundliche Kellner sprach ein wenig deutsch und bediente uns zu unserer vollsten Zufriedenheit. Wir besuchten das Hirtenmuseum gegenüber von der alten Csárda, dem Gast- und Rasthaus der Kutscher, bevor diese über die alte neunbogige Steinbrücke, die längste Ungarns, fuhren, auf der Salzstraße, dem uralten Handelsweg von den Steppen Innerasiens bis zu den westlichen Metropolen an der Nord- und Ostsee. Nach dem ausgiebigen Frühstück mit Omelett, Salat, Brot und gutem Kaffee hatten wir keinen Hunger auf Mittagessen und so begaben wir uns wieder, natürlich zu Fuß, in die Puszta. Vorerst besichtigten wir noch die Stallungen mit den Sportpferden im Reiterzentrum, sahen uns den riesigen Turnierplatz an, auf dem gerade einige Reiter ihre Pferde bewegten und beobachteten eine kleine Gruppe mit Touristen, die gerade in einem großen Planwagen Platz nahmen, der von zwei stämmigen Pferden gezogen wurde. Der Kutscher lud uns mit einer Handbewegung ein, doch auch Platz zu nehmen, doch wir lehnten dankend ab, nicht wissend, daß die Kutsche das gleiche Ziel wie wir hatte. So schlenderten wir wieder an den Herden der urtümlichen Schafe vorbei, hinaus zu dem großen Ziehbrunnen mit seinem eisernen Trog an jedem Ende, in der Nähe eines schilfgedeckten Offenstalles und eines kleinen, weiß getünchten und ebenfalls schilfgedeckten Häuschens, dessen Bedeutung mir noch unbekannt war. Kurz vor zwei Uhr erreichten wir den Platz und sahen zu unserem Erstaunen, daß auch die Kutsche eben dort eintraf. Drei Pferdehirten in ihrer traditionellen Tracht warteten darauf, daß die Touristen von der Kutsche stiegen, wir gesellten uns zu ihnen. Die Hirten ließen plötzlich, wie auf ein geheimes Signal hin, ihre Pferde sich niederlegen, dabei konnte ich sehen, daß der hier benutzte Sattel nur aus einem Stück Filz mit Lederbesatz und Steigbügeln bestand, ein Gurt, der ihn am Pferd befestigen könnte, fehlte. Als die Pferde lagen, setzten sich die Hirten auf sie und ließen im Takt ihre Hetzpeitschen knallen. Danach richteten sich die Pferde zum Sitzen auf, die Hirten stiegen auf die Schenkel der Tiere und knallten ebenso mit ihren Peitschen, deren Ende knapp vor dem Kopf der Pferde vorbeizischte, ohne daß die Tiere das geringste Anzeichen von Furcht gezeigt hätten. Dann warfen die Hirten ihre Sättel wieder auf die Rücken ihrer Reittiere, stiegen so schnell auf, daß ich nicht ausmachen konnte, wie das denn geht, ohne daß der Sattel herabfällt und preschten im Galopp davon. Nach kurzer Zeit hörten wir den Knall der Peitschen und die Herde kam in einem wahrhaft halsbrecherischen Tempo herangaloppiert. Der trockene Boden staubte nur so unter den vielen Hufen. In einem ganz engen Bogen, so daß die innersten Pferde fast die Kutsche berührten, wurden sie um den Wagen und die daneben stehenden Menschen getrieben. Wie durch ein Wunder bewegten sich die Kutschpferde um keinen Millimeter, als ob der Herdentrieb für sie ein Fremdwort wäre. Nach zwei Runden verschwand die Herde so schnell, wie sie gekommen war, um einige hundert Meter entfernt friedlich die Köpfe zum Grasen zu senken. Die Touristen bestiegen wieder die Kutsche, die sich auf den Heimweg machte, wir aber blieben, um der Einladung des jungen Hirten Folge zu leisten. Dieser kam auch nach kurzer Zeit mit einem seiner Kollegen wieder zurück, der dritte Mann ritt davon. Der Kollege war ein schon älterer Mann, der jedoch auch etwas deutsch sprach. Beide luden uns ein, zu dem kleinen Häuschen zu kommen, vor welchem ein hölzerner Tisch und zwei Bänke standen. Daneben gab es ein hufeisenförmiges Bauwerk aus hohem Schilf, dessen Bedeutung mir erst klar wurde, als der junge Mann mich aufforderte, ihm zu folgen.

"Hier Küche!" zeigte er stolz auf einen großen Topf aus Gußeisen, der über einem offenen Feuer hing. Da der Eingang der "Küche" auf der dem Wind abgewandten Seite lag, brannte das Feuer schön gleichmäßig unter dem Topf. In diesem wurde gerade Speck ausgelassen, dann Wasser dazugetan, dahinein kamen einige Kartoffeln und hausgemachte, in kleine Stücke gebrochene trockene Nudelplatten, dazu Salz. Das Ganze wurde zu einer Masse eingekocht, dann sehr oft gewendet, sowie der dem Feuer zugewandte Teil zu rösten begann. Im Endeffekt war dies eine traditionelle Hirtenspeise, mit einfachen Zutaten, aber sehr nahrhaft. Stolz servierte der Hirte uns seine Zubereitung, dazu gab es Wasser oder Bier, den uns angebotenen Freundschaftstrunk bestehend aus hausgemachtem Schnaps, lehnte meine Mutter in unserer aller Namen ab. Durften wir zuhause ja überhaupt keinen Alkohol trinken, außer einem halben Glas Fruchtschaumwein an Silvester. Wir ließen uns das ungewohnte Essen gut schmecken, dann stand der zweite Hirte auf, um nach seiner Herde zu sehen und verschwand in einer Staubwolke. Wir dankten den jungen Hirten für seine Gastfreundschaft.

"Kein Problem!" wehrte dieser ab, dann zeigte er auf sein Pferd.

"Du wollen reiten?" Nichts lieber als das, schon lange, zumindest seit gestern, brannte in mir der Wunsch, einmal ein feuriges Pusztapferd auszuprobieren. Daß der Sattel sehr instabil aussah und mir ungewohnt sein würde, machte mir nichts aus.

"Ja, gerne! Aber zeigen Sie mir bitte, wie man aufsteigt." Der junge Mann führte mich zu seinem Tier, einem schönen Dunkelbraunen mit einem kleinen weißen Stern auf der Stirn.

"Ich halten andere Seite, du aufsteigen, wie normal! Aber Achtung, Mucki sehr schnell!"

"Ich  gebe schon auf mich acht, und auch auf das Pferd, keine Angst!" beschwichtigte ich den Hirten, dann schwang ich mich in den Sattel. Was für ein Gefühl! Nicht nur, daß ich durch das dünne Filzkissen mit Lederbezug die Muskeln des edlen Tieres spüren konnte, im Gegensatz zu meinem Doppelpony mit seinem ewig breiten Rücken schien ich hier auf einer Rasierklinge zu sitzen. Langsam brachte ich das Tier in den Schritt, um mich an seine Reaktionen zu gewöhnen und auch das Gleichgewicht im Sattel zu behalten. Sehr schnell lernte ich, daß ich meine Beine weit nach vorne strecken mußte und immer im Sattel sitzen bleiben mußte, um oben zu bleiben, Leichttraben oder Jagdsitz waren hier unmöglich. Im Trab spürte ich schon das Feuer, das in dem Pferd war, doch der Galopp war ganz einfach atemberaubend. Dazu kam, daß diese Pferde selten getrabt werden, es ist einfach zu unkonfortabel für den Reiter. Schritt und Galopp sind die Grundgangarten. Zum Glück ist die Puszta eben und fast unbegrenzt, außerdem kannte das Tier hier, da es in der Herde aufgewachsen war, jeden Schritt und Tritt. Nach einem wilden, wenn auch nur kurzen Ritt, kam ich wieder am Ausgangspunkt an, wo der Hirte mich mit ebenso leuchtenden Augen ansah, wie ich ihn.

"Das war der herrlichste Moment meines Lebens!" hauchte ich, als ich vom Pferd sprang und ihm die Zügel übergab.

"Du reiten wie Csikós!" Dieses Kompliment ließ mich doch tatsächlich erröten, zum Glück konnte meine Mutter dies nicht sehen!

"Morgen ich besorgen zweite Pferd, wir reiten gemeinsam!" versprach der junge Mann, doch ich schüttelte nur traurig den Kopf.

"Morgen reisen wir ab, die Ferien gehen zu Ende und wir müssen nach Hause."

"Aber du wiederkommen?" fast bittend hörte sich die Stimme des jungen Mannes an und mein Herz begann zu klopfen.

"Ich weiß es nicht, das hängt von so vielen Dingen ab, aber komm doch heute Abend in den Fogadó, dort haben wir ein Zimmer und werden gegen sechs Uhr zu Abend essen." lud ich den jungen Mann ein.

"Ich dasein!" versprach er mit einem Lächeln, das mich schwach machte. Natürlich war meiner Mutter nicht entgangen, daß wir miteinander länger als nötig sprachen, aber als sie dann dem Hirten ein Trinkgeld dafür geben wollte, daß ich reiten durfte, da packte ich schnell ihre Hand und flüsterte:

"Lade ihn doch zum Abendessen ein, das ist doch besser, als so ein schnödes Trinkgeld."

"Wirklich?" erstaunte sich meine Mutter, dann ging sie aber auf den Hirten zu und lud ihm zum Abendessen ein, was ihm sichtlich Freude zu machen schien. Dann jedoch brachen wir fast überstürzt auf. Lange stand ich am Fenster des Hotelzimmers und schaute in den Abend hinaus. Überall auf den Hausdächern und Laternenmasten waren große Storchennester zu sehen, um diese Zeit natürlich schon verlassen von ihren Bewohnern, die sich vor dem herannahenden Winter in Richtung Süden aufgemacht hatten. Die Sonne verschwand hinter dem Horizont, es gab nichts, hinter dem sie sonst untergehen konnte, keine Berge oder Hügel, keine Dörfer oder Wälder. Die Zeit zum Abendessen nahte und ich fragte mich, ob der junge Mann, von dem ich ja noch nicht einmal den Namen kannte, wirklich auch kommen würde. Doch als wir uns in den Speisesaal begaben, war er schon da, in ein Gespräch mit dem Kellner vertieft. Als dieser uns bemerkte, führte er uns zu einem kleinen Ecktisch und schlug uns ein typisch ungarisches Gericht vor, Hühnerpaprikas mit Nockerln und saurer Sahne. Meine Mutter plazierte uns so, daß jeder an einer Seite des Tisches zu sitzen kam, der junge Mann mir gegenüber. Unser Gespräch bei Tisch war sehr sporadisch, der junge Mann schien sich nicht sehr wohl zu fühlen und auch meine Mutter strebte keine Unterhaltung an. Mein Bruder war in sein Essen vertieft, nur ich brachte kaum einen Bissen herunter. Doch auch ohne Worte schienen wir uns zu verstehen. Das Leuchten in den Augen des Hirten verhieß mir viel und auch ich bemühte mich darum, ihn meine Zuneigung spüren zu lassen. Nach dem Essen bedankte er sich höflich für die Einladung, doch als er gehen wollte, gab ich ihm einen kurzen Wink, doch draußen zu warten. Als meine Mutter die Treppe zu den Zimmer hinaufstieg, blieb ich zurück und rief ihr zu:

 "Geht nur schon ins Bett, ich komme gleich nach!" Zuerst schien sie mich gewaltsam nach oben befördern zu wollen, doch kamen zu meinem Glück gerade ein paar andere Gäste, so daß sie mir nur einen bitterbösen und für den nächsten Tag nichts Gutes verheißenden Blick zuwarf und dann ins Haus trat. Der junge Mann hatte im Schatten der Treppe auf mich gewartet.

"Endlich allein!" seufzte ich und setzte mich auf eine alte Kiste, die vor der Tür zu einem Lagerraum stand. Der Hirte tat es mir gleich und unsere Hände berührten sich zum allerersten Mal.

"Ich möchte mich erst einmal vorstellen!" sagte ich.

"Ich heiße Anne, Anne Weber und bin zwanzig Jahre alt - und du?" Jetzt hier im trauten Beisammensein benutzte auch ich das vertrauliche "DU", im Beisein meiner Mutter hätte ich es mir nie erlauben dürfen, einen wildfremden Menschen so persönlich anzureden.

"Ich heißen Molnár Lajos, bei uns zuerst Name, dann Vorname kommen." meinte er und begann, zart meine Hand zu streicheln.

"Wir haben nicht viel Zeit," flüsterte ich, "meine Mutter wird sonst sehr böse, aber ich habe hier ein Foto von meinem Pferd und mir, das schenke ich dir als Andenken und schreibe dir auch meine Adresse hinten drauf. Wenn du magst, dann schreibe mir bitte, sowie ich deinen Brief erhalte, werde ich dir antworten, das verspreche ich dir!" Ich gab ihm das Bild und schrieb meine Anschrift auf die Rückseite. er steckte es ein und sagte:

"Ich tragen auf meine Herzen, wenn du zuhause, ich gleich schreiben!" Dann gab es nicht mehr viel zu sagen, oder doch, nur nicht in Worten, doch wir verstanden uns auch so, obwohl er viele meiner Worte nicht genau verstand und ich aus seinem bruchstückhaften Deutsch auch nicht immer schlau wurde. Zum Abschied hauchte er mir einen zarten Kuß auf die Wange und drückte mich fest an sich, ich konnte seine kräftigen Muskeln unter dem dünnen Pullover fühlen, dann wollte auch ich ihm einen Kuß auf die Wange geben, doch irgendwie verfehlte ich mein Ziel, vielleicht wollte ich es auch und so gab und erhielt ich den ersten wahren Kuß meines Lebens, hier, unter den funkelnden Sternen eines fremden Landes, in einer noch recht warmen Oktobernacht, von einem vollkommen Fremden!

"Ich kann dein Benehmen wahrlich nicht gutheißen!" schimpfte meine Mutter am nächsten Morgen, als wir die Koffer gepackt hatten, unsere - erstaunlich niedrige - Rechnung beglichen hatten und im Auto auf dem Rückweg Richtung Wien saßen.

"Du kannst doch nicht mit einem wildfremden Mann, noch dazu in einem kommunistischen Land, herumtändeln! Was stellst du dir eigentlich vor? Wenn nicht diese Leute gekommen wären, dann hätte ich dich schon zur Vernunft gebracht! Das kannst du mir glauben! Du benimmst dich schlimmer als alle diese blöden Touristinnen, die sich damit brüsten, im Urlaub mit dem Negerboy oder sonst jemandem geschlafen zu haben!"

 "Aber Mama," wagte ich einzuwenden, "wir haben uns doch nur ein wenig unterhalten, der Lajos und ich. er wollte so vieles wissen über Deutschland und den Westen..."

"Du hast dich unmöglich benommen, und dabei bleibt es. Ich hoffe, daß du zuhause wieder zur Vernunft kommen wirst und dich weiterhin ausschließlich wie bisher deinem Studium und deinem zukünftigen Beruf widmen wirst."

"Ja, Mama!" mehr gab es darauf nicht zu sagen, wenn ich die ewige Litanei abkürzen wollte. Für mich gab es ja nur das: Studium, den Ferienjob beim Anwalt - und als Ausgleich zum Glück mein Pferd. Dem konnte ich alle meine Sorgen, Nöte und Wünsche anvertrauen, jemanden anderen gab es nicht. Oder doch, meine Oma, doch die konnte gegen die eigenartigen Erziehungsgrundsätze ihrer Tochter auch nichts ausrichten und mein Vater hielt sich aus allen Diskussionen heraus. Früher war es noch schlimmer gewesen: Ich hatte nie einen Kindergarten besucht: die Familie kann das alles besser, ist es ja schon nur notgedrungen, daß die Kinder in die Schule gehen müssen, wäre mehr Geld vorhanden gewesen, vielleicht hätten wir ja einen Privatlehrer gehabt, bloß damit die armen Kinder ja nicht mit dem Plebs der Welt in Berührung kommen. Ferien "in Familie", Wochenenden "in Familie", von der Mutter ausgesuchte und bestimmte Hobbys, sonst nichts! So gesehen war ich in vielen Dingen völlig unreif, trotz meiner zwanzig Jahre! Aber jetzt konnte, sollte sich vielleicht etwas ändern. Lange Zeit war ich nur ein mechanischer Christ gewesen, wie die ganze Familie, doch jetzt betete ich voller Inbrunst, daß mein Leben in neue Bahnen gelenkt werde. Die Tage waren angefüllt mit Warten und Hoffen. Bis eines Tages, ich wußte damals noch nicht, daß die Post mehrere Wochen benötigt, um von Ungarn nach Deutschland zu gelangen, meine Mutter mit einem Brief in der Hand ins Zimmer kam. Natürlich meine Mutter, denn ich hatte keinen Schlüssel zum Briefkasten, ebensowenig, wie ich ungehört telefonieren konnte oder ungesehen aus dem Haus gehen konnte.

"Ich habe hier einen Brief aus Ungarn, er ist an dich adressiert, kommt also wohl von diesem Kerl aus der Puszta! Ich will wissen, was darin steht, wenn du ihn gelesen hast."

"Schon gut, es werden schon keine Geheimnisse sein!" beruhigte ich sie und wartete darauf, daß sie das Zimmer verlassen würde. Zuerst machte sie keine Anstalten, doch als sie einsehen mußte, daß ich den Brief nicht in ihrer Gegenwart öffnen würde, ging sie wieder nach unten. Der Umschlag war ziemlich geknickt von der langen Reise und auch der Kleber hielt nicht mehr richtig, mir kam der Gedanke, daß meine Mutter eventuell schon wüßte, was der Brief beinhalten würde. Schnell hatte ich ihn geöffnet. Auf einem kleinen Zettel, der offenbar aus einem Schulheft herausgerissen war, stand in ausladender Schrift und in zusammengewürfeltem Deutsch, wohl aus einem Wörterbuch herausgesucht, folgender Text:

>Liebes Anne! Denken an dich, immer und immer! Du sagen, du schreiben, ich warten! Sehr viele warten! Szeretlek Lajos!< Das letzte Wort war ungarisch, ich beschloß, noch am selben Tag mir ein großes Wörterbuch zu besorgen und den Antwortbrief in ungarisch abzufassen. Gesagt, getan. Im Buchgeschäft war man zwar etwas erstaunt über meinen Wunsch, doch besorgten sie mir das zweibändige Wörterbuch innerhalb dreier Tage. Jetzt wußte ich auch, was das Wort am Ende des Briefes bedeutet: "Ich liebe dich!" Das konnte ich unmöglich meiner Mutter übersetzen! Aber mein Herz schlug noch einen Takt schneller und ich begann, Träumen nun Taten folgen zu lassen. Heimlich rief ich von der Uni aus das ungarische Konsulat in Köln an und erkundigte mich - vorsorglich - was denn alles zu tun sei, um nach Ungarn zu heiraten. Die Liste war lang, doch schien das Vorhaben wenigstens nicht ganz unmöglich zu sein. Meine Anfrage traf zwar auf Erstaunen - wieso wolle eine Westdeutsche ins kommunistische Ungarn heiraten, doch war die freundliche Angestellte sehr hilfsbereit. Jetzt konnte ich endlich an meinen Antwortbrief gehen. Zwar hatte ich außer dem Wörterbuch auch noch eine Grammatiklehre gekauft, die half mir aber auch nicht sehr viel weiter, so ganz ohne Vorkenntnisse. Doch auch so war mein Brief, zumindest für IHN verständlich.

>Lieber Lajos, vielen Dank für deinen Brief, der erst vorgestern bei mir angekommen ist. Du siehst, ich versuche, ihn in ungarisch zu schreiben, bitte verzeihe mir meine vielen Fehler! Ich würde dich gerne wiedersehen, weil auch ich immer nur an dich denke! Szeretlek, Anne!< Diesen Brief schickte ich per Eilpost ab, in der Hoffnung, daß er sein Ziel schnell erreichen würde. Was er auch tat, denn nur kurze Zeit später erhielt ich einen neuen Brief von Lajos. Diesmal hatte ihn mir meine Oma mit Verschwörermiene zugesteckt, da meine Mutter eben einkaufen war, als der Postbote klingelte. In meinem Zimmer öffnete ich mit zitternden Händen und rasendem Puls den Umschlag. Auch jetzt standen nur wenige Zeilen auf dem Papier, aber in Ungarisch. Schnell machte ich mich ans Entschlüsseln. Der Wortlaut ließ mich innerlich aufjauchzen!

>Liebste Anne, vielen Dank für Dein Schreiben, jetzt weiß ich, daß auch Du mich liebst und an mich denkst! Wenn Du willst und kannst, dann komme doch nach Weihnachten nach Ungarn, wir feiern Silvester in meiner Familie und fahren dann, wenn Du so lange Zeit hast, noch in die Puszta! Ich liebe Dich, Dein Lajos.<

Jetzt war es also soweit!

 

"Können Sie mir bitte die direkteste Verbindung nach Hortobágy sagen und auch, was eine Hin- und Rückfahrt zweiter Klasse kostet?" Am Schalter des Hauptbahnhofes saß ein junger Mann und schaute mich ungläubig an.

"Und wo liegt dieser unaussprechliche Ort?" Ich hatte ganz vergessen, daß der neue Mittelpunkt meines Lebens ein winziges Nest im Osten Ungarn ist, also diesem armen Beamten wohl völlig unbekannt ist.

"Oh, Entschuldigung! Der Ort liegt nicht weit von Debrecen entfernt im Osten Ungarns!"

"Das hilft mir schon viel weiter!" schmunzelte der Mann und begann, viele dicke Kursbücher zu wälzen, scheinbar waren die Verbindungen noch nicht in seinem Computer gespeichert. Atemlos schaute ich ihm bei seinem Treiben zu und hoffte nur, daß der Preis nicht zu hoch und der Weg nicht zu kompliziert sein würde. Endlich hob der Mann den Blick von seinen Büchern und wendete sich wieder mir zu.

"Also, mein Fräulein, ich kann ihnen den einfachsten Weg folgendermaßen empfehlen: Sie nehmen den Kurswagen Frankfurt - Wien, leider nur Sitzplätze, müssen dann aber in Wien nicht mit ihrem Gepäck umsteigen, sondern fahren durch bis Budapest-Keleti oder Ostbahnhof. Dort haben sie nach einer kurzen Wartezeit Anschluß auf den Zug Richtung Miskolc, den verlassen sie in Füzesábony und haben Anschluß auf den Zug Richtung Debrecen, der auch in Hortobágy hält. Das alles Hin und Zurück kostet so um die dreihundert Mark, mit Platzreservierung." Mir fiel ein Stein vom Herzen, der Preis war tragbar, außerdem würde Lajos mich in Budapest erwarten und mir mit meinem Gepäck helfen.

 

"Ich möchte dann also die Hinfahrt für den 25. Dezember buchen, die Rückfahrt am 10. Januar." Das ließ mir die Zeit, noch in aller Ruhe meinen Schein für die Uni zu schreiben und abzugeben. Mit der Karte in der Tasche, verließ ich den Bahnhof, jetzt war nur noch ein Hindernis zu beseitigen: der Widerstand meiner Mutter.

Die Fahrkarte deponierte ich im Büro - man weiß ja nie - jedenfalls bei mir zuhause, dann gab ich ein kurzes Telegramm auf:

>Ankomme 26.12. STOP Wiener Walzer STOP Budapest-Keleti STOP Szeretlek Anne STOP<

 

Dies war das allererste Mal, daß ich mein Leben selbst in die Hand nahm und ich kam mir fast vor wie ein Verbrecher, als ich nach Hause kam und so tat, als sei nichts gewesen. Das Weihnachtsfest nährte sich und langsam mußte ich Farbe bekennen. Doch erst am Heiligen Abend, nach der Bescherung fand ich die Kraft dazu.

"Hast du einen Moment Zeit für mich?" fragte ich meine Mutter, als wir uns nach dem Abendessen zurückziehen wollten.

"Was gibt es denn, Anne?"

"Ich muß dir mitteilen, daß ich morgen nach Ungarn fahren werde!" brach es aus mir heraus und ich erreichte mit meinen Worten das Unfaßbare: meine Mutter erstarrte sprachlos. Damit ihr keine Zeit blieb, um sich wieder zu fassen und mir eventuell die Rede abzuschneiden, sprudelten die nächsten Worte nur so aus mir heraus.

"Ich habe schon die Fahrkarten besorgt und auch alles andere, Lajos erwartet mich in Budapest und wir verbringen Silvester bei seiner Familie, danach fahren wir noch in die Puszta und am 10. komme ich dann wieder heim!" Jetzt mußte ich tief Luft holen, denn ich hatte das alles in einem Atem gesagt. Meine Mutter starrte mich noch immer wie ein Wesen von einem anderen Stern an. Scheinbar konnte sie es nicht fassen, daß ihre behütete Tochter, ihr in allen Dingen vorbehaltlos zustimmendes Geschöpf, sich mit einem Mal zu einem eigenständigen Erwachsenen gemausert hatte.

"Bist du dir ganz sicher, was du da tust?" außer ungläubigem Erstaunen meinte ich auch eine ganze Menge Abscheu aus ihren Worten herauszuhören.

"Ich bin fest entschlossen zu fahren, wenn nicht im Guten, so dann im Streit!" Dieses eine Mal durfte ich nicht weich werden, mich nicht von Vorhaltungen noch von eventuellen Gefühlsausbrüchen meiner Mutter umstimmen lassen. Ich war der festen Überzeugung, wenn ich mich jetzt wieder gegen meinen Willen würde einwickeln lassen, daß ich dann mein ganzes Leben nicht mehr von hier fortkommen würde. Und die Aussicht, für den Rest meines Lebens oder besser gesagt, ihres Lebens, unter der Fuchtel meiner Mutter stehen zu müssen, rief eindeutig Entsetzen in mir hervor. Auch meine Mutter schien die geänderte Lage zu spüren.

"Du willst also zu diesem Kerl, den du nur ein einziges Mal gesehen hast, in diese kommunistische Land - willst du etwa auch Bolschewist werden?" meinte sie mit beißendem Hohn. Als ich darauf keine Antwort gab, begnügte sie sich mit der Vorhaltung:

"Du weißt ja hoffentlich, auf was du dich da einläßt! Der Kerl will ja wohl mehr von dir, als nur ein paar Küsse. Da ich ja nicht damit rechnen konnte, daß du schon morgen abfährst, will ich dir nur raten, daß du zusiehst, daß er sich schützt, sonst habe ich auch noch ein Balg am Hals. - Wann geht der Zug?" Etwas aus der Fassung gebracht ob ihrer letzten Reflexion, stotterte ich fast.

"Um, um kurz nach Mitternacht vom Hauptbahnhof."

"Und wie willst du da hinkommen?"

"Mit einem Zug von hier aus, der Bahnhof ist ja fast vor der Haustür!" wagte ich zu bemerken.

"Ich sehe schon, du hast also damit gerechnet, daß ich deinem Plan, in dieses unterentwickelte Land abzuhauen, nicht billigen würde. Aber trotzdem werde ich dich morgen Nacht nach Frankfurt fahren, ich will ja nicht, daß dir hier schon was zustößt - später allerdings wirst du auf dich selbst aufpassen müssen!" Ich verbiß mir die Antwort, daß ich nun schon seit einigen Jahren auf die Gelegenheit gewartet habe, selbständig auf mich aufzupassen, denn das hätte die Diskussion nur noch auf andere Gebiete erweitert. So beschränkte sich meine Mutter auf einen letzten Seitenhieb.

"Wer kümmert sich während deiner Abwesenheit um dein Pferd? Natürlich wieder ich, wer denn sonst?" Eigentlich gab es da nichts zu "kümmern", denn es wurde im Mietstall vom Personal verpflegt und mein Bruder ritt in seiner freien Zeit ebenso gerne wie ich, aber hier ging es nicht um wahre Sachverhalte. Ich sollte, wie immer, in die Defensive gedrängt werden, mich schuldig fühlen, oder eben auch undankbar gegenüber all den Dingen die in meinem sogenannten Interesse getan, gesagt oder gespart wurden. So setzte ich meine starre Miene auf und schwieg. Mit einem kurzen:

"Na denn, gute Nacht!" verließ meine Mutter das Zimmer, welches erst seit einigen wenigen Jahren von dem meines Bruders getrennt war. Ich schlief trotz meiner Aufregung traumlos bis in den nächsten Morgen, packte dann eilig meine Sachen in einen großen Koffer und eine stabile Tasche, vergewisserte mich noch einmal, daß mein Paß mit dem ungarischen Visum und die Fahrkarte an ihrem Platz in meiner Handtasche waren, ebenso ein wenig Geld und sonstige Utensilien. Von meinem Bruder und meiner Großmutter verabschiedete ich mich schon am frühen Abend, wollte ich doch in den letzten Stunden vor der Abfahrt mit meinen Gedanken alleine sein. Und dann saß ich also in dem Zug, der mich meiner Sehnsucht entgegen führen sollte. Als der Morgen im Osten dämmerte, konnte ich aus dem Zugfenster die verschneite Voralpenlandschaft vorbeiziehen sehen. Bald würden wir die österreichische Grenze passieren. Meine Mitpassagiere waren auch schon munter und begannen, ihr in Tüten und Taschen mitgebrachtes Frühstück zu verzehren, wobei sie sich ständig unterhielten. Auch ich bekam langsam Hunger und begann mich schweigend meinem Essen zu widmen. Nach nicht allzu langer Zeit erschien zuerst der Schaffner, um unsere Fahrkarten zu kontrollieren, dann erschienen zwei Zollbeamte, verlangten unsere Pässe zu sehen und stempelten sie gewissenhaft ab, nur meinen eigenen Paß erhielt ich unbeschrieben zurück. Später kam noch ein älterer Mann in Begleitung eines jüngeren, der uns aufstehen hieß, die Sitzbänke aufhob und schaute, ob nicht etwa Schwarzfahrer oder ähnliches versteckt seien. Dann hatten wir bis zur Grenze unsere Ruhe, als der ganze Zirkus, jetzt nur mit österreichischer Beteiligung, von vorne anfing. Langsam begannen meine Beine steif zu werden, saß ich doch schon jetzt über sieben Stunden auf meinem engen Platz. Als ich ein wenig im Gang auf und ab lief, mein Abteil mit dem Koffern immer im Auge behaltend, mußte ich erkennen, daß ich fast die einzige Deutsche in diesem Waggon war. Erstaunte Blicke trafen mich allenthalben, doch wagte es niemand, das Wort an mich zu richten. Ich hatte mir zwar ein wenig Reiselektüre mitgenommen, doch fand ich es interessanter, die winterliche Landschaft zu beobachten, die an uns vorbeizog. Wir durchfuhren bald eine liebliche Hügellandschaft, die Tannen hatten weiße Schneehäubchen auf und vereinzelte Höfe sprenkelten die sanften Hänge. Im Sommer mußte hier sehr viel Vieh weiden, die Landschaft war geradezu ideal dafür. Dann kamen wir zwischen steileren Bergen hindurch und gelangten in die Ebene nach Wien. Dort würde mein Wagen an den Zug nach Budapest angekoppelt werden und seine Reise nach Osten fortsetzen. Interessiert beobachtete ich das geschäftige Treiben auf dem Wiener Hauptbahnhof, etwas durchgerüttelt, als der Wagen an eine Rangierlokomotive angehängt und dann am Budapester Zug abgehängt wurde. Es ging jetzt langsamer voran, doch hatten wir bald die ungarische Grenze erreicht. Hier stiegen die ungarischen Zöllner und Kontrolleure zu, erstaunlich war das große Aufgebot an schwer bewaffneten Soldaten, die auf den Bahnsteigen auf und ab patrouillierten. Zwar sahen die zumeist jungen Männer in ihren schneidigen Uniformen, mit den blitzenden dunklen Augen und schwarzen Schnurrbärten keineswegs furchteinflößend aus, doch zeigte ihre Präsenz, daß wir nun hinter den eisernen Vorhang gelangten. Ich hatte zwar schon festgestellt, daß Ungarn keineswegs so war, wie die anderen Staaten des Ostens, dies war wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß die Ungarn, obwohl sie die Österreicher während k. und k. Zeiten nicht gerade liebten, doch mehr als alle anderen Staaten eine gewisse Öffnung zum Westen beibehalten hatten. So brauchten Österreicher zum Beispiel nur den Personalausweis und kein Visum, um nach Ungarn einreisen zu dürfen. Mein Paß wurde nun gestempelt, meine Fahrkarte genau angeschaut und eine Seite meines Visums zurückbehalten. Dann wünschte man uns zweisprachig gute Reise und einen schönen Aufenthalt in Ungarn. Wir rollten nun durch die Gegend der kleinen Tiefebene Richtung Budapest. Auch hier bedeckte der Schnee die weiten Felder, auf denen im Sommer noch Mais und Sonnenblumen im Wind wogten. Bei Tatabánya wurde das Weiß durch Schmutziggrau abgelöst, der Ort war ein Zentrum des Steinkohleabbaues. Aus vielen Schloten stieg grauer Rauch zum Himmel auf, die Kohlepartikel sanken auf die Erde und überzogen alles mit einer grauen Schicht. Selbst im Zugabteil konnte man es riechen. Dann erschienen die hohen Plattenbauten der schnell wachsenden Vororte von Buda, des westlichen Stadtteils von Budapest. Wir verlangsamten jetzt das Tempo und rollten in den schönen Ostbahnhof von Budapest ein. Mein Herz begann schneller zu schlagen: Hier würde Lajos auf mich warten, damit wir den letzten Teil unserer Reise gemeinsam zurücklegen könnten. Schon vor der Einfahrt in den Bahnhof hatte ich mein Gepäck auf die Plattform vor der Tür gestellt und versuchte nun, aus dem kleinen Fenster zu spähen, das in die Tür eingelassen war. Noch konnte ich das eigentliche Bahnhofsgebäude nicht erkennen, doch kamen wir an einer Tafel mit der Aufschrift "Keleti-Pályaudvar" vorbei, die uns anzeigte, daß wir uns schon auf dem Bahnhofsgelände befanden. Auch meine Mitreisenden standen jetzt im Gang und schauten wohl auch nach Bekannten oder Verwandten aus. Langsam rollten wir zum Bahnsteig 1. Dann sah ich IHN und ein Gefühl von Schwäche schien mich zu überkommen. Stolz und groß unterschied er sich zwar weder in Kleidung noch in seiner Haltung von vielen anderen jungen Männern, die den Bahnsteig bevölkerten und doch war er für mich DER MANN! Auch er schien sehr zu warten, schaute nach rechts und links und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Griff seines Kofferkulis. Endlich hielt der Zug, meine Tür befand sich fast in seiner Höhe. Als sich die Türen endlich öffneten, packte ich schnell meine Siebensachen und stand im Nu auf dem Bahnsteig. Lajos hatte mich schon gesehen, sein Gesicht wurde von einem breiten Lächeln erhellt, als er dennoch gemessenen Schrittes auf mich zu kam. Ich ließ meinen Koffer fallen und schlang ihm meine Arme um den Nacken.

"Lajos, Liebster, endlich...!"

"Anne, Drágám, wie schön, daß du hier bist!" Unsere Lippen fanden sich zu einem langen Kuß, die geschäftige Welt des Großbahnhofes versank in Nichts. Doch schnell mußten wir wieder auf die Erde kommen, denn der Anschlußzug ging sogleich auf dem alleräußersten Bahnsteig ab. Lajos nahm meinen Koffer und die große Tasche, ich hängte mich bei ihm ein und so bestiegen wir den ungarischen Zug. Hier gab es keine Abteile, viele Menschen mit allen möglichen Gepäckstücken, oft mit lebendem Federvieh in geschlossenen Körben, oder Gemüse in offenen Taschen, saßen auf den Bänken der Großraumwagen. Lajos kannte sich gut aus, denn er suchte sich einen Wagen mit großem Perron aus, wo zwei separate Sitze vor dem eigentlichen Abteil angebracht waren. Dort war es angenehm kühl, wir waren allein und hatten genügend Platz für mein Gepäck. Auf der langen Fahrt, wobei wir noch einmal umsteigen mußten, diesmal auf einen kleinen Zug mit Diesellokomotive, sah ich fast nichts von der uns umgebenden Landschaft. Wir hatten uns so viel zu sagen, auch ohne Worte! Hand in Hand saßen wir auf unseren Sitzen, versunken in der Betrachtung des anderen, froh, die Wärme des geliebten Wesens zu spüren. Als der Schaffner unverhofft erschien, fuhren wir aus unserem Kuß auseinander wie zwei Schulkinder, die man bei irgendeiner Dummheit erwischt. es wurde langsam wieder dunkel, als wir auf dem kleinen Bahnhof in Hortobágy anlangten. Wir waren die einzigen Reisenden, die hier abstiegen.

"Wir werden in der Pension wohnen, bis wir zu meiner Familie fahren." meinte Lajos. " Und auch dann wieder, wenn wir zurückkommen. Ich habe schon alles bestellt - du mußt wissen, daß du dich hier anmelden mußt, der Kellner wird das für die Gäste erledigen, dann fallen auch die paar Tage bei meiner Familie in die Anmeldung." Hier begannen also schon kleinere administrative Probleme, zum Glück schon gelöst, durch die Voraussicht meines Freundes. Das Abendessen verlief sehr ruhig, außer uns waren nur noch ein deutsches Ehepaar und ein anderer Ausländer Gäste der Pension, lediglich im Schankraum herrschte noch lebhafter Betrieb unter den Einheimischen, die nach der Arbeit noch zu einem oder ein paar Glas Schnaps oder Bier hier einkehrten. Um acht Uhr war Sperrstunde, im Sommer, der Gäste wegen, um zehn Uhr.

"Möchtest du auch einen kleinen Schnaps?" fragte mich Lajos, der sich selbst einen bestellte, als ich ablehnte. Das letzte, was ich gebraucht hätte, war Alkohol. Wer weiß, wie ich, der Alkohol fast unbekannt war, vor allem, was Schnaps anging, reagiert hätte. So leerte Lajos sein Glas auf meine Gesundheit und unsere Liebe auf ex, ich sah es mit Schauern.

"Du gehst jetzt besser auf dein Zimmer, der Kellner gibt dir den Schlüssel, ich komme dann gleich nach." versprach Lajos und ich befolgte seinen Rat, wenn auch etwas befremdet. Augenzwinkernd gab der Kellner mir den Schlüssel zu dem Zimmer, in welchem ich auch schon mit meiner Mutter und meinem Bruder im Herbst gewohnt hatte. Ich machte es mir gemütlich und harrte aufgeregt der Dinge, die da nun endlich kommen sollten. Doch es dauerte noch eine ganze Weile, der Lärm in der Schankstube hatte sich mittlerweile gelegt, die große Tür war abgeschlossen worden, bis ich leise Tritte vor meiner Tür vernahm. Klopfenden Herzens öffnete ich und ließ Lajos ein. Er schien sich noch ein wenig Mut mit Alkohol gemacht zu haben, denn er hatte eine kleine Fahne, doch bemerkte ich das in meiner Aufregung nur so nebenbei.

 "Ich wollte dich nicht ins Gerede bringen." erklärte Lajos, "deshalb habe ich gewartet, bis alle Leute die Bar verlassen haben."

"Das ist lieb von dir, aber doch nicht nötig!" meinte ich. "Ich meine - was macht es schon aus, wenn die Leute hier wissen, daß du mein - Freund - bist?"

"Es ist eben nicht so üblich hier bei uns!" sagte Lajos, doch dann nahm er mich in seine starken Arme und seine Berührung ließ mich erbeben. Das war alles SEHR neu für mich, scheinbar auch für ihn, denn einiges schien nicht nach seinen Wünschen zu gehen. Ich verspannte mich mehr und mehr und brach schließlich in Tränen aus.

"Du mußt nicht weinen, ich liebe dich doch trotzdem, aber laß uns lieber schlafen!" meinte mein Freund und nahm mich fest und tröstend in seine Arme, dann war er auch schon eingeschlafen. Am Morgen wagte ich es kaum, ihm in die Augen zu sehen, so sehr schämte ich mich für mein Versagen. Doch er nahm mich nur in seine starken Arme und lehre mich beherrscht und zärtlich alles, was so fremd für mich war. Ich warf allen falschen Scham über Bord und gab mich ganz den neuen, schönen Gefühlen hin, die er in mir erweckte. Später saßen wir gemütlich beim Frühstück, dann brachen wir in die verschneite Puszta auf. Lajos stellte mich einigen seiner Kollegen vor, die gerade Dienst hatten und ich wurde neugierig beäugt. In einem winzigen Zimmer, das in die schmale Seite eines der langen Ställe eingebaut war, bewirtete uns der alte Kollege, den ich schon im Herbst kennengelernt hatte mit etwas zu trinken. Schnaps für meinen Freund und Wasser für mich, die ich höflich aber bestimmt den Alkohol ablehnte, sehr zu seinem Erstaunen. Doch Lajos schien ihm in seiner Sprache etwas zu erklären und der Mann nickte freundlich in meine Richtung, als er mir ein kleines Glas mit Wasser aus einem Krug reichte. Von nebenan kam das Geräusch von Pferdehufen und ab und zu ein kleines Wiehern zu uns in das Zimmerchen. An dessen Wänden befanden sich an Nägeln die Ausrüstung des Hirten aufgehängt: sein dicker Wintermantel, Peitsche, Sattel und Zaumzeug seines Reitpferdes. Eine nackte Glühbirne baumelte von der Decke, alles brauchte dringend einen neuen Anstrich, doch gab das Staatsgut, wie ich noch erfahren sollte, nichts für den Komfort seiner Arbeiter aus. Auch der riesige Konsum von starkem Alkohol war fremd für mich, begannen hier doch schon die Arbeiter mit ein, zwei "Halben" am frühen Morgen im Fogadó, bevor sie überhaupt mit der Arbeit begannen. Dann kreiste die Flasche während der Arbeit und am Ende des Tages traf  man sich wieder im Fogadó zu gemeinsamem Trinken. Wie oft sah ich in diesen Tagen Männer, aber auch Frauen, die in der Nacht auf unsicheren Beinen, manchmal auf einem unbeleuchteten Fahrrad, in Zickzacklinien ihren Weg nach Hause suchten - und dem Anschein nach auch fanden. Öfters erbarmte sich auch eine nicht ganz so betrunkene Seele ihrer und brachte sie sicher zu ihrer Behausung. Ich schickte mich darein, daß dies hier wohl so Brauch war, gemeinsam zu trinken, bemerkte aber auch, daß Lajos sich - zumindest in meiner Gegenwart - zurückhielt und mich auch nicht dazu bringen wollte, es den anderen gleich zu tun. Ebenso rauchte er nur sehr wenig, er wußte, daß ich aus einer Nichtraucherfamilie komme und der Rauch mich störte. Wir verbrachten nur kurze Zeit bei dem anderen Hirten, dann zeigte mir mein Freund die Herde, die sich friedlich und frei in dem riesigen Stall bewegte. Es waren junge Stuten von ein bis drei Jahren, die jetzt darauf warteten, unter Tage in den Auslauf gelassen zu werden. Nur bei sehr schönem Wetter ging es manchmal noch in die Weite der Puszta. Ich streichelte einige der schönen Tiere, die zutraulich zu mir kamen, Braune oder Rappen, die Farben der Noniusrasse und einige Füchse, Ergebnis der Kreuzung mit Vollblütern, um ein feuriges Warmblutpferd für den Springsport zu erzielen. Ich sollte noch erfahren, daß hier der Springsport und der Fahrsport privilegiert wurden, auf Dressur legte man keinen Wert, selbst nicht als Grundausbildung der Springpferde, was mich, die ich nach der deutschen Reitlehre erzogen wurde, sehr erstaunte. Vielleicht ist das mit einer der Gründe, daß man so wenig gute ungarische Reiter auf großen Turnieren sieht, einmal abgesehen von dem Geld, das solche Reisen kosten. Es gibt zwar einen guten ungarischen Dressurreiter, Dallos Gyúla, aber er war, zumindest damals, mit deutschen Pferden beritten, die ihre Ausbildung in Deutschland erhalten hatten. Die Springreiter holten sich ein Pferd mit drei Jahren im März oder April aus der Herde, stellten es in einen großen Pferch, der mit zwei Meter hohen Holzplanken umgeben war und jagten es mit der Peitsche über ein Hindernis von 1,50 Meter Höhe. Übersprang das Tier dieses Hindernis, wurde es in einem Schnellverfahren, das mich sehr an typisch amerikanisches Rodeo erinnerte, "eingebrochen", im Juni nahm es schon am internationalen Reitturnier teil - und nach einigen Jahren oder sogar nur Monaten war es sauer oder krank an den Sehnen und wurde als Leihpferd für Touristen ausgegeben - oder landete beim Schlachter! Ich war entsetzt über dieses Verfahren, habe aber nie etwas daran ändern können! Dabei waren die Ungarn einmal DIE Reiternation! Doch alle guten Reiter und Trainer sind vor den Ereignissen des Krieges und der Revolution von 1956 in andere Länder geflohen, was blieb, war nicht der Rede wert!

So verging der Tag. Am nächsten fuhren wir mit dem von einer Diesellok gezogenen Zug nach Debrecen. Lajos zeigte mir die Stadt, die auch "kalvinistisches Rom" genannt wurde und wir aßen in einem kleinen, gemütlichen Kellerrestaurant zu Mittag. Es gab Geschnetzeltes mit Nockerln und viel saurer Sahne, dazu saure Gurken als Salat. Später meinte ich, mein Freund müsse dafür einen großen Teil seines Gehaltes ausgegeben haben, das sich damals auf weniger als 3000 Forint belief. (Damals war eine DM 15 Forint wert - heute fast 130!). Aber wir waren glücklich, zusammen zu sein und wenn wir auch manchmal Schwierigkeiten mit der Verständigung hatten, so gingen wir mit einem Lachen darüber hinweg. Stolz promenierten wir dann über die Einkaufsstraße von Debrecen, bis es Zeit wurde, wieder zum Bahnhof zu gehen und den Rückweg anzutreten. So verging die Zeit wie im Fluge. Plötzlich waren wir wieder am Bahnhof, nur nahmen wir dieses Mal einen Zug in die entgegengesetzte Richtung! Weit und weiß lag die Pußta zu beiden Seiten der Bahnstrecke, kein Anzeichen von Leben war auszumachen. Die Menschen hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen, die Tiere waren in ihren Stallungen. Nur auf den Bäumen, welche die Bahnstrecke manchmal säumten, saßen Bussarde oder Krähen, auf Beute wartend. In Füzesabony mußten wir umsteigen und nahmen den Zug auf der elektrifizierten Strecke nach Miskolc. Lajos trug meine Tasche mit den Geschenken für seine Familie und half mir in die Straßenbahn, die uns zu einem Viertel führte, wo hohe Plattenbauten die Stadt verunzierten. Dort stiegen wir aus und erreichten bald das Gebäude, wo seine Schwester im achten Stock wohnte. Sie war eine große Frau, ihr Mann überragte sie noch um einen guten Kopf und die zwei Kinder versprachen, ebenfalls in die Höhe zu schießen. Wir wurden herzlich empfangen, obwohl hier die Sprachschwierigkeiten beiderseits schier unüberwindlich zu sein schienen. Die Wohnung bestand aus einem kleinen Wohnzimmer, ein schmaler Flur führte zu einer kleinen Küche, daneben ein winziges Bad und auf der anderen Seite zwei winzige Zimmerchen - Schlafzimmer und Kinderzimmer. Es schien ein Puppenhaus zu sein, bei diesen Riesen, die darin wohnten. Wir wurden natürlich wieder ausgiebig bewirtet, mein Magen begann langsam zu rebellieren. Zu ungewohnt war die schwere Kost, ausschließlich mit Schweineschmalz und Speck zubereitet - und in welchen Mengen! Auch hier ging zur Begrüßung das Glas herum, diesmal Wodka! Doch jetzt wurde ich gezwungen, wenigstens einen kleinen Schluck zu nehmen, Lajos erklärte mir, seine Familie sei sonst sehr gekränkt. Ich hielt also den Atem an und nippte an meinem Glas. Feurig brannte es mir den Hals hinunter und ich mußte husten. Das war zuviel für meinen gebeutelten Magen - zum Glück war die Toilette nicht weit entfernt! Doch schien die Familie einzusehen, daß ich den Alkohol nicht vertrug und sie ließen mich danach in Ruhe. Der nächste Tag war Silvester. Morgens kauften wir noch Sekt in rauhen Mengen und etwas für das kalte Büfett ein, die anderen Speisen waren schon vorbereitet. Am Abend erschien endlich auch die Mutter von Lajos mit ihrem neuen, dem dritten, Mann. Auch dieser schien, wie auch meine Schwiegermutter in spe, den harten Sachen nicht abgeneigt. Lajos' Vater lebte in Debrecen mit seiner um zwanzig Jahre jüngeren zweiten Frau und ihrem gemeinsamen, kleinen Mädchen. Diese Zustände war ich von zuhause nicht gewöhnt. Bei uns war es schon eine Schande, das Wort "Scheidung" auch nur in den Mund zu nehmen, obwohl wir evangelisch und auch keine besonders praktizierenden Christen waren. Aber dieses Wort bedeutete Schande und Versagen, zumal für eine Frau. Hier nun herrschten ganz andere Sitten, zumal zu dieser Zeit manche noch um ihre Karriere fürchten mußten, wenn sie öffentlich ihre Religion ausübten. Was bei uns Silvester fröhlich, ja manchmal frivol ist, bedeutete in Ungarn ein großes, festliches Ereignis. Feuerwerk gab es nur vom Staat organisiert, um so feierlicher wurde es in den Familien begangen. Warmes Essen am späten Abend, kaltes Büfett um Mitternacht und viel Gebäck danach, so sah mein erstes ungarisches Silvester aus. Dazu Musik im Fernsehen - und meine erste Nationalhymne, lauthals von allen Ungarn mitgesungen. Danach knallten die Korken und beim Zuprosten fragte plötzlich Lajos

"Anne, willst Du meine Frau werden?" Ich mußte erst einmal vor Überraschung schlucken, auch war meine Kehle noch wie zugeschnürt von der Feierlichkeit der wunderschönen Hymne. Mit Tränen in den Augen schaute ich zu ihm auf.

"Igen! - Ja, liebster Lajos, von ganzem Herzen!" Dann lagen wir uns in den Armen und die Familie wünschte uns erstaunt Glück, sie waren also genauso überrascht worden von dem Antrag, wie ich. Nach einigem Hin und Her, Dolmetschen und Suchen in meinem kleinen Wörterbuch, fanden wir wieder zu uns selbst. Mit etwas mehr Ruhe attackierten wir das kalte Büfett. Danach hatte ich plötzlich große Lust, für meinen zukünftigen Mann zu tanzen, so etwas war mir noch nie passiert! Eigentlich haßte ich ja das Ballett, das meine Mutter mich seit meinem dritten Lebensjahr gezwungen hatte, zu besuchen. Als ich fünfzehn Jahre alt wurde, starb meine Ballettlehrerin an einem Autounfall und ich konnte meine Mutter endlich überzeugen, daß ich nicht für den klassischen Tanz geschaffen war. Seither hatte ich jede auch noch so kleine Bewegung vermieden, die mich an das verhaßte Ballett erinnerte. Jetzt jedoch wollte ich vor Glück tanzen - meine eigene Choreographie, nicht diese strengen Schritte, die man mich gelehrt hatte. Ich holte also eine Platte mit klassischer aber fröhlicher Musik und zeigte auf den Plattenspieler. Lajos verstand und ein Leuchten zeigte sich in seinen dunklen Augen.

"Ich tanze für Dich!" rief ich glücklich und begann in dem kleinen Wohnzimmer mit einigen Schritten zum Aufwärmen. Dann ließ ich mich ganz von der Musik tragen und tanzte fast wie in Trance, einen Ausdruck des Glücks bis in die Fingerspitzen! Meine zukünftige Familie schaute erstaunt und ergriffen zu, meine Bewegungen mußten ihnen einen Eindruck geben, wie es in meinem Innern aussah! Nach langer, langer Zeit hielt ich außer Atem inne, die Platte war abgelaufen. Lajos nahm mich in seine Arme und küßte mich liebevoll. Ich genoß diesen Augenblick unermeßlichen Glücks, dann holte uns die Wirklichkeit wieder ein. In meinem pedantischen Juristenkopf jagten sich die Gedanken. Ich hatte zwar schon lange auf diesen Moment gehofft, aber Hoffen ist nicht die Realität - jetzt wußte ich, daß mein Leben einen neuen Gang nehmen würde. Viel war zu organisieren, Hindernisse müßten überwunden werden, das war mir schon jetzt klar und sollte sich später noch bewahrheiten! Im Augenblick jedoch war in mir eine übersprudelnde Energie und die Hoffnung auf ein glückliches Leben in diesem wunderbaren Land! Als wir uns spät am nächsten Vormittag zum Frühstück? Mittagessen? zusammenfanden, war das Glück auf unsere Gesichter geschrieben.

Zwei Wochen des Glücks, der Liebe und der - Ämter in Ungarn, dann wieder zurück nach Deutschland, ins Büro, um noch ein wenig Geld zu verdienen, pro forma ein wenig Vorlesungen noch auf der Uni - und Ämter. Übersetzungen mußten angefertigt werden, eine Heiratsbescheinigung ausgestellt werden, dazu wurden wieder viele Urkunden benötigt, die mußten wieder übersetzt werden, ich wußte manchmal nicht mehr, wo mir der Kopf stand - und das alles in größter Heimlichkeit. Meine Familie sollte vor vollendete Tatsachen gestellt werden. In mir war eine unterschwellige Angst, daß es meiner Mutter eventuell im letzten Moment gelingen könnte, meine Heirat zu verhindern, um mich, ihre Tochter, ihr nie aufbegehrendes Kind, nicht zu verlieren. Aber ich war entschlossen, mich mit allen Mitteln aus diesem Leben hinter Klostermauern loszureißen, meinen eigenen Weg zu gehen!

Briefe wurden in schneller Folge geschrieben, die Antworten kamen postwendend. Mein Chef ließ mich sogar manchmal ins Staatsgut telefonieren, wenn eine ganz eilige Sache zu unternehmen war. So vergingen die Monate. Es wurde Sommer, alle Papiere waren fertig und warteten nur darauf, mitgenommen zu werden. Ich beantragte ein neues Visum für Ungarn, dann kaufte ich mir die Fahrkarte für Ende Juni, Rückfahrdatum offen. Am ersten Wochenende im Juli sind die internationalen Reitertage von Hortobágy, zu diesem Zeitpunkt wollte ich dort ankommen. Mein Freund war voll mit den Vorbereitungen beschäftigt, konnte mich also nicht in Budapest abholen. Ich fragte mich, wie ich es schaffen solle, mein riesiges Gepäck zu dem Anschlußzug zu bringen, aber die Ungarn sind freundlich und hilfsbereit - ich hätte mir keine Sorgen machen müssen. Wohlverstaut ruhte bald alles in dem Gepäcknetz des Zuges, der mich nach Füzesabony brachte, dort hieß es noch einmal umsteigen, auch diesmal war Hilfe da, dann rollte der Zug langsam durch die große Tiefebene. Jetzt, im Sommer, war alles braun und trocken. Der Boden staubte unter den Hufen der Tiere und das Gras war von der Sonne verbrannt und braun. Überall sah ich Störche in ihren Nestern und die Landschaft war von unzähligen Herden belebt. Auf dem kleinen Bahnhof von Hortobágy wartete Lajos auf mich. Glücklich warf ich mich in seine Arme. Dieses Mal würde ich nicht im Hotel wohnen, sondern mit meinem zukünftigen Mann in der Puszta. Angemeldet war ich zwar im Fogadó, aber der freundliche Besitzer verstand mich augenzwinkernd. Mir viel Glück wünschend setzte er seinen Stempel auf mein Visum, dann nahm mich mein Freund mit auf sein kleines Zimmer, was das Staatsgut ihm als Junggesellen zur Verfügung gestellt hatte. Von Komfort konnte man wahrlich nicht sprechen: Vier kahle Wände, das ehemalige Weiß des Kalkes eher grau und an manchen Stellen fehlte der Verputz. Die Glühbirne war mir schon vertraut, Lampen gab es keine. Eine Gemeinschaftsdusche befand sich am Ende des Ganges, auch hier alles in einem renovierungsbedürftigen Zustand - aber die Liebe ist blind! Was machte es mir aus, was für Zustände hier herrschten! Für mich zählte nur das eine: Lajos war an meiner Seite und wir lebten Tage ungetrübten Glücks. Er mußte zwar arbeiten, aber ich durfte an seiner Seite sein. Ein Kollege lieh mir sein Pferd, so konnte ich meinen zukünftigen Mann immer begleiten, wenn er die Herde hüten mußte. Von Mittags bis Mittag des folgenden Tages war er im Dienst, dann folgten vierundzwanzig Stunden Ruhe. In der Puszta empfing uns wieder das kleine Häuschen, das ich schon bei meinem allerersten Besuch betreten hatte: Ein Raum mit zwei Eisenbetten, einem wackeligen Tisch und zwei noch wackeligeren Stühlen, dazu eine kleine Vorratskammer, das war alles. Als Toilette ein kleines Ding aus Holz hinter dem Stall. Aber mein Glück kannte keine Grenzen. Die herrliche Natur nahm mich ganz in ihren Bann! Morgens, beim ersten Licht des Tages wurde die Herde aus dem Stand getrieben, wo sie die Nacht verbracht hatte, um auf den unermeßlichen Weiden auf Futtersuche zu gehen. Der Hirte begleitete die Herde, wenn sie auf weit entfernten Gebieten weidete, war sie noch in der Nähe des Hauses, genügte es, Blickkontakt zu halten und nur im Falle eines Falles schnell auf sein Pferd zu springen und die Herde wieder zurückzubringen. Mittags und Abends wurde getränkt. Dazu mußte aus einem der Ziehbrunnen, die sich hier und da verstreut auf der Puszta befanden, viele Eimer voll Wasser heraufgeholt werden. Eine schwere Arbeit, die allerdings mit guter Technik nicht zu sehr auf die Muskeln ging. Der schwere Holzbottich hing an einem Eisenstab, der wieder mit dem riesigen Holzschwengel verbunden war. Wenn das ganze erst einmal in Betrieb war, dann half die Pendelbewegung des Holzschwengels mit und erleichterte die Arbeit. Aber trotzdem mußte für eine Herde von etwa 30 Pferden pro Tränke an heißen Tagen über einhundert Mal der Bottich herausgeholt werden. Als Lajos sah, daß er Vertrauen in meine Reitkünste, auch auf dem losen Hirtensattel, haben konnte, ließ er mich öfters auf seinem Pferd die Herde bewachen oder wieder heranholen, wenn sie sich zu weit von ihrem Weideplatz entfernt hatte. In der Zwischenzeit bereitete er das Mittagessen vor oder holte Wasser aus dem Brunnen. So wurde ich fast ein weiblicher Csikós. Das waren wunderbare Zeiten! Doch dann hatte uns sehr bald der Alltag wieder! Wir reisten nach Miskolc, um dort alles für die Hochzeit in die Wege zu leiten. Auf dem Amt legte ich alle meine Unterlagen dem Sachbearbeiter vor, doch dieser schüttelte den Kopf und redete sehr schnell in seiner Sprache auf uns ein. Mein Verlobter übersetzte, so gut er konnte.

"Der Beamte erkennt die beglaubigte Übersetzung des deutschen vereidigten Übersetzers nicht an, Anne! Er sagt, er nimmt nur Urkunden an, die von der deutschen Botschaft in Budapest übersetzt wurden!"

"Aber Lajos, da müssen wir so schnell wie möglich nach Budapest fahren, damit die Sache noch vor Ende der Dreimonatsfrist meines Visums erledigt werden kann!"

"Ich hoffe es, denn ich habe heute meinen Einberufungsbefehl erhalten, Liebste, er lautet auf den 26. August!" überraschte mich mein Verlobter mit dieser Schreckensnachricht. Ich schaute ihn verwundert an.

"Ja warst du denn noch nicht beim Militär?"

"Nein, es bestand ja keine Eile! Doch jetzt, wo ich eine Ausländerin und noch dazu eine aus dem Westen heiraten will, da meinten die Behörden, es sei besser, ich erledige meinen Wehrdienst jetzt! Hoffentlich kann ich noch zu den berittenen Grenzschützern!" Es wurde mir ganz heiß vor Angst. Drei Wochen mindestens für das Aufgebot, dann die Ungewißheit, wie lange die Übersetzung dauern würde - die Zeit wurde sehr knapp bis Ende August!

"Lajos, kannst du nicht morgen frei nehmen, damit wir so schnell wie möglich nach Budapest fahren können?" fragte ich hoffnungsvoll und Lajos versprach, bei seinem Chef anzufragen. Dieser hatte glücklicherweise Verständnis für die Bitte meines Verlobten und so bestiegen wir am nächsten Morgen sehr früh den Zug, der uns in stundenlanger Fahrt in die Hauptstadt brachte. Dort nahmen wir ein Taxi und fuhren ins Botschaftsviertel. Auf der deutschen Botschaft war man sehr zuvorkommend und versprach, natürlich gegen Aufpreis, die Übersetzungen so schnell wie möglich zu erledigen und uns umgehend zuzuschicken. Die Sache riß zwar ein großes Loch in mein Budget - aber was konnte ich dagegen tun! Wir warteten also gespannt jeden Tag auf die Post, bis eines Tages doch noch ein großer Umschlag mit dem Botschaftsstempel ankam. Noch am selben Abend fuhren wir nach Miskolc, um am nächsten Tag zur Öffnung des Standesamtes dort die Papiere abgeben zu können. Der Beamte nahm die Übersetzung dieses Mal an, fand jedoch wieder ein Haar in der Suppe.

"Auf der Bestätigung Ihres Wohnsitzes in Deutschland fehlt aber der Vermerk, daß Sie noch ledig sind!" bemerkte er mit sturer Miene. Ich wurde bleich, faßte mich aber sehr schnell wieder.

"Sie haben aber eine gesonderte Bestätigung, daß ich noch unverheiratet bin!" warf ich ein. "Der Vordruck der Wohnsitzbestätigung sieht keinen solchen Eintrag vor, warum auch!"

"In unserem Land gehört das aber dazu!" beharrte der Beamte. Ich war nahe daran, in Tränen der Wut auszubrechen, riß mich aber zum Glück noch einmal zusammen.

"In unserem Land aber nicht, deshalb habe ich ja die gesonderte Bestätigung, beglaubigt und übersetzt von der Botschaft!" Lajos übersetzte das alles und fügte am Ende noch hinzu:

"Ich muß Ende August zum Militär, bitte geben Sie uns doch die Chance, noch davor zu heiraten!" Der Beamte wollte seinen Einberufungsbefehl sehen, warf einen kurzen Blick auf uns und nickte dann leicht.

"Gut, ich nehme die Urkunden an und werde das Aufgebot ausstellen!" Wir atmeten erleichtert auf.

"Ach, noch etwas!" rief der Beamte. "Sie müssen mir noch von einem ungarischen Amtsarzt eine Bestätigung bringen, daß Sie aufgeklärt sind!"

"Das ich WAS bin???" So etwas war mir noch nicht vorgekommen. Wozu sollte dies gut sein? Aber es war nun einmal Vorschrift und so gingen wir gleich zum Amtsarzt, der jedoch nur am nächsten Tag Nachmittags Sprechstunde hatte. Also schnell den Chef von Lajos anrufen, daß wir erst später kommen, dann übernachteten wir bei meiner zukünftigen Schwägerin. Der Amtsarzt wollte erst nichts von uns wissen, da er nicht versichern könne, daß ich auch alles verstünde, doch ließ er sich endlich überzeugen, daß Lajos mir alles gut übersetzen könne. Die <Aufklärung> bestand darin, mich zu fragen, ob ich wisse, wie Kinder entstehen und was Verhütung sei. Daraufhin stellte er einen Schein aus, den wir sofort auf das Standesamt brachten. Nun war alles erledigt und wir fuhren wieder nach Hortobágy, wo Lajos wieder seine Arbeit aufnahm. Das Wetter war herrlich, heiß aber trocken. Und fast immer wehte ein leichter Wind, der die über dreißig Grad erträglich erscheinen ließ. Ich lebte ganz meiner Passion der Reiterei und dem freien Leben in der Puszta. Dann endlich erhielten wir ein Schreiben, daß die Hochzeit am 24. August stattfinden könne. Zwei Tage vor der Einberufung! Jetzt war es auch an der Zeit, meine Familie zu informieren. Der schnellste Weg war ein Telegramm mit einigen wenigen Worten:

Hochzeit 24.8. STOP Wenn ihr kommen wollt reicht Telegramm mit Datum STOP

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten:

Ankomme 20. STOP

 

In der Zwischenzeit wollten wir nach einem Hochzeitskleid schauen, das wir zu leihen wünschten und auch alle sonstigen Vorbereitungen tätigen. Die Feier sollte in engstem Familienkreis stattfinden, in einem kleinen Restaurant mit einem kleinen Orchester. Nach ungarischem Brauch benötigte ich auch noch ein rotes Kleid, für den Brauttanz nach Mitternacht. Inzwischen habe ich auch an anderen Hochzeiten in Ungarn teilgenommen, die oft mehr als dreihundert Personen für drei Tage versammelten. Die ganze Familie arbeitete, Schweine und Geflügel wurde geschlachtet, Unmengen von Gebäck und Torten bereitet, Kistenweise Alkohol herbeigeschafft. Ein Orchester, oft Zigeuner, spielten unentwegt zum Tanz auf, bis um Mitternacht die Braut sich umkleidete und jeder, der sie zu einem kurzen Tanz aufforderte, mußte anschließend seinen <Tribut> zahlen in Form von einigen Banknoten, zum Wohl des jungen Paares.

Einige Tage später kam die schwangere Frau eines Kollegen von Lajos mit ihrer Schwester im Auto zu uns in die Puszta heraus gefahren. Lajos schickte mich mit ihnen zurück, um im Dorf ein wenig einzukaufen, da unsere Vorräte zu Ende gingen. Auf der Rückfahrt sollte die Schwester, die gerade ihren Führerschein vorbereitete, ein wenig das Auto lenken. Ich nahm im Fond Platz, die schwangere Schwester auf dem Beifahrersitz. Vor uns lag die trockene Piste, viele Meter breit und die flache Grasebene, viele Kilometer breit. Nur links befand sich ein, um diese Zeit trockener, Bewässerungsgraben. Die Führerscheinanwärterin gab vorsichtig Gas und wir entfernten uns von der kleinen Hütte. Das Auto beschleunigte nun auf der guten Piste, meine Gedanken beschäftigten sich mit der Einkaufsliste. Wir waren schon fast am Ende des Weges, kurz bevor er in eine Asphaltstraße übergeht, als das Auto zu schlingern begann. Die Fahrerin geriet in Panik - statt auf die Bremse zu treten, gab sie noch mehr Gas. Ihre Schwester klammerte sich mit totenblassem Gesicht an den Türgriff. Ich war hinten festgeschnallt und konnte zu wenig ungarisch, als daß ich eine Warnung hätte rufen können. Mit immer größerer Geschwindigkeit nährte sich der kleine Wagen dem Graben, die Frauen vor mir schrien auf, dann gab es einen Krach und es wurde still. Ich befreite mich aus meinem Gurt und stieg mit zitternden Beinen aus dem Wagen, der mit dem Motor voran im Graben steckte. Die beiden Frauen schienen bewußtlos, auch hatte ich nicht die Kraft, sie aus dem Auto zu befreien, lief also so schnell ich konnte zu einem nahem Stall, wo der ältere Hirte eben seine Herde am Brunnen versammelte. Ich gestikulierte und rief um Hilfe. Er schien mich zu verstehen, denn er rief seinen Kollegen herbei, sie schwangen sich auf die Pferde und ritten zur Unfallstelle. Ich blieb allein im Stall zurück und fühlte nun auch, daß mich mein Bein schmerzte. Auf meinem Schenkel war ein riesiger Bluterguß im Entstehen. Ich fragte mich, woher er denn kommen könne, da fiel mir ein, daß der - Erste Hilfe Kasten! - auf der Hutablage gewesen war, er mußte beim Aufprall herabgeschleudert worden sein und mich am Bein getroffen haben. Ich beschloß, mich ein wenig zu bewegen, um nicht ganz steif zu werden. Warme Pferdenasen streckten sich mir entgegen, als ich mich unter die Pferde am Brunnen mischte. Daher sah ich auch nicht die zwei Reiter - Lajos und seinen Kollegen, den Mann der schwangeren Frau - in irrsinnigem Galopp zur Unglücksstelle reiten. Erst als die angstvolle Stimme meines Verlobten zu mir herüberklang, bemerkte ich seine Anwesenheit.

"Mir ist nichts geschehen! Lajos!" rief ich und befreite mich aus der Herde. Er fiel fast vom Pferd, so schnell war er aus dem Sattel und rannte auf mich zu. Die Angst um mich war ihm ins Gesicht geschrieben.

"Anne! Liebling!" Er umarmte mich fast brutal und küßte mich wild. "Drágám! Du bist unverletzt! Mein Gott, ich hatte solche Angst um dich, als Gábor mit der Nachricht von dem Unfall zu uns heraus kam!"

"Oh Lajos, es war schrecklich! Wenn ich nur vorne gesessen hätte! Ich hätte ihr den Fuß vom Gaspedal stoßen können. Aber die Schwester stand unter Schock, sie hat noch nicht einmal versucht, etwas zu unternehmen."

"Vergiß den Unfall! Komm, wir reiten wieder in die Puszta!" nahm mich Lajos in den Arm und setzte mich vor sich auf sein Pferd. Beschützt und gehalten von seinen starken Armen lehnte ich mich an seinen warmen Körper und ließ mich vom Schritt seines braven Pferdes einlullen. Bei der Hütte angekommen, hob mich mein Verlobter vom Pferd und trug mich ins Zimmer. Dort legte er mich sanft auf das Feldbett und bedeckte mich mit Küssen. Der Schock mußte doch tiefer gewesen sein, denn ich fiel fast sofort in einen kurzen, aber erholsamen Schlaf. Als ich wieder aufwachte, kam der alte Hirte zu uns und berichtete, was nach unserem Fortreiten geschehen war.

"Wir haben die beiden Frauen aus dem Auto geholt, es bestand ja immerhin die Gefahr, daß das Benzin sich in der Hitze entzündet, und haben sie in das kleine Zimmer im Stall gebracht. Mein Kollege ist zum Büro geritten und hat von dort den Krankenwagen bestellt. Der hat die beiden Frauen dann auch bald darauf abgeholt. Beide hatten Verletzungen im Gesicht - sie waren bei dem Aufprall an die Windschutzscheibe geknallt, natürlich hatten sie die Gurte nicht angelegt. Die Fahrerin schien eine Gehirnerschütterung zu haben, beide standen unter Schockeinwirkung. Die Schwangere wurde zur Beobachtung ins Krankenhaus eingeliefert, schon um des Kindes willen." schloß er seinen Bericht. Ich verheimlichte meinen Bluterguß, hatte ich doch Angst, daß man auch mich vorsorglich ins Krankenhaus brachte. Und zwei Tage später sollte meine Mutter ankommen! Ich biß also die Zähne zusammen und tat, als ob ich keine Schmerzen hätte. Nur Lajos entdeckte natürlich am Abend die Verletzung, ließ sich aber überzeugen, nichts zu unternehmen. Mit einer gewissen Furcht erwartete ich die Ankunft meiner Mutter. Wie hatte sie die Nachricht von meiner Hochzeit aufgenommen? Welche Vorwürfe würde sie mir machen?

Meine Ängste erwiesen sich als begründet: Meine Mutter kam frühmorgens vor dem Fogadó an, meinem zumindest auf dem Papier angegebenen, vorläufigen Aufenthaltsort. Ich hatte die Nacht in einem freien Zimmer des Hauses verbracht, um wenigstens den Schein zu wahren. Lajos war bei der Arbeit. Als es an meiner Zimmertür klopfte, war ich bereits angezogen und wartete mit bebendem Herzen auf die Konfrontation.

"Guten Tag, Anne!" grüßte mich meine Mutter mit kühler Miene. Skeptisch schaute sie sich in dem kleinen Gästezimmer um, als ob sie hoffte, meinen zukünftigen Mann dort zu überraschen.

"Hallo, Mutter! Hast du eine gute Fahrt gehabt?" fragte ich, nur um überhaupt etwas zu sagen und die angespannte Lage etwas zu verbessern.

"Ja, ich war in vierzehn Stunden hier, natürlich ohne außer zum Tanken und an den Grenzen anzuhalten." bemerkte meine Mutter.

"Willst du dich nicht bei mir entschuldigen?" fragte sie dann übergangslos und ließ mich sprachlos mitten in der Bewegung innehalten.

"Entschuldigen??" Die Überraschung mußte mir ins Gesicht geschrieben gewesen sein, denn meine Mutter ließ sich zu einer Erklärung herbei, was sonst nicht ihre Art war.

"Natürlich! Du stellst die Familie vor fast vollendete Tatsachen, läßt mir kaum Zeit, mir ein Visum zu besorgen, in der Tat mußte ich es an der Grenze beantragen und habe es dann im Schnellverfahren bekommen und hast dir die Schwere deines Entschlusses wohl noch nicht vor Augen gehalten! Was wird aus deinem Studium? Wie willst du hier leben und von was? Was kann dir der Kerl hier bieten, was wir dir nicht geben können?" Von der Flut der Fragen überrollt, beschränkte ich mich auf Schweigen. Was sollte das überhaupt, mir solche Fragen kurz vor meiner Hochzeit zu stellen? War denn nicht alles entschieden? Ich würde die Liebe finden, ein Leben, wie ich es mir immer vorgestellt hatte, mit Tieren und in unverfälschter Natur mit einem verständnisvollen Mann - war es das denn nicht wert, daß man dafür ein ungeliebtes Studium aufgab? Natürlich würde ich mir mit der Zeit eine Arbeit suchen müssen, doch das war vorläufig von untergeordneter Bedeutung. Aber die Überraschungen, die meine Mutter für mich parat hielt, waren noch nicht vorbei.

"Da du scheinbar keine Antworten auf meine Fragen hast, werde ich dir hier nur eine geben: Du begehst den Fehler deines Lebens! Du wirfst eine solide Ausbildung hin, um ein ungewisses Leben in diesem kommunistischen Land mit einem dreckigen Ausländer zu führen! Ich sehe es schon vor mir: Du wirst noch einmal vor meiner Tür Bitte-Bitte machen, damit wir dich wieder in die Familie aufnehmen! Denn eines sage ich dir schon jetzt: Diese Ehe wird höchstens ein paar Jahre dauern! Und dann kommst du heulend wieder nach Hause!" Die letzten Worte stieß sie mit einer diabolischen Befriedigung heraus, offensichtlich hatte sie noch Hoffnungen, daß die "verlorene Tochter" sich bald wieder unter ihrer Fuchtel befinden würde! Mir war zum Heulen zumute. Ein paar Tage vor der Hochzeit wird einem von der eigenen Mutter geweissagt, daß die Ehe nicht andauern wird - scheußlich! Aber es kam noch besser. Meine Mutter holte aus einem der beiden riesigen Koffer, die sie mitgebracht hatte, ihr eigenes Brautkleid hervor. Unter meinen staunenden Blicken warf sie es auf das Bett, dazu einen kurzen Schleier, weiße Handschuhe und eine kleine, weiße Tasche, alles von ihrer Hochzeit.

"Da ich mir gedacht habe, daß du nicht genügend Geld haben wirst, um dir ein Brautkleid leisten zu können, habe ich dir meines mitgebracht. Es wird dir schon passen und genügt wohl für den Tag."

"Aber Mutter, wir wollten uns ein Brautkleid leihen, wie es hier alle jungen Leute tun. Das kostet nicht so viel, wie du denkst. Ich hatte mir eigentlich vorgestellt, in einem langen Kleid mit Schleppe zu heiraten, dazu einen Blumenkranz im Haar und nicht in diesem kurzen Kleid, was vielleicht zu deiner Zeit in Mode war." Protestierte ich leise, doch meine Mutter ließ sich nicht beirren, wieder bekam ich eine Kostprobe ihres beherrschenden Charakters.

"Ich habe dir das Kleid hier extra mitgebracht, es vorher noch herrichten und reinigen lassen, es kommt gar nicht in Frage, daß du jetzt noch ein anderes Kleid leihst." Damit war die Sache für sie erledigt. Und für mich leider auch. Mein Traum von einer romantischen Hochzeit war sowieso schon geplatzt, würden wir doch in Miskolc heiraten und nicht in der Puszta, da mein zukünftiger Mann dort seinen ersten Wohnsitz hatte. Also keine Kutsche, kein langes Kleid - und natürlich auch keine kirchliche Trauung, davor hatte mein Verlobter Angst, denn obwohl katholisch getauft und einst Ministrant gewesen, versuchte er doch, dies zu verbergen, um nicht eventuell Restriktionen zu erleiden. Ich fügte mich also in mein Schicksal und versuchte die nächsten Tage sowenig wie möglich in der Nähe meiner Mutter zu sein. Leider war dies nicht immer möglich und so sollte ich noch ein gerütteltes Maß an Vorwürfen und düsteren Prophezeiungen über mich ergehen lassen müssen. Endlich war der Vorabend der Trauung angebrochen und wir fuhren alle nach Miskolc. Meine Mutter wohnte zum Glück bei meiner Schwiegermutter, so konnte ich mit Lajos noch einen ziemlich gemütlichen Abend verbringen. Morgens ging ich dann zum Friseur, während meine Mutter das Auto mit einem kleinen Blumengebinde schmücken ließ. Wir waren nur ein kleines Dutzend Menschen, alles Familienangehörige, die sich vor dem Bürgermeisteramt versammelten, um die Trauung zu vollziehen. Die kleine Feier war schnell beendet und nachdem wir uns in das Register eingeschrieben hatten, verließen wir das Amt, um in einem kleinen Restaurant zu feiern. Es gab zwar ein wenig Musik, doch tanzte kaum jemand und selbst mein Mann forderte mich nur zu ein paar wenigen Runden auf. Da die Feier noch vor Mitternacht zu Ende ging - hier war um zweiundzwanzig Uhr Sperrstunde, die auch eingehalten werden mußte, nicht, wie bei privaten Feiern in einem gemieteten Festzelt, wo bis in den frühen Morgen gefeiert werden konnte, waren wir schnell in dem ruhigen Hotel, wo wir ein Zimmer für die Hochzeitsnacht reserviert hatten. Dort sanken wir schnell in die weichen Kissen. Ich hatte mein schönstes und aufregendstes Nachthemd mit Negligé dabei, doch hatte ich keine Zeit dazu, es anzuziehen, mein Mann war zu stürmisch! Am Vormittag nahmen wir ein verspätetes Frühstück ein, dann mußte Lajos seine Koffer packen, am nächsten Morgen mußte er sich an der Sammelstelle für Rekruten einfinden. Es war ein trauriger Tag. Schon das Wetter schien unsere Stimmung widerzuspiegeln, es goß in Strömen! Ich begleitete meinen Mann bis vor die Tür der großen Turnhalle, wo schon einige Rekruten warteten.

"Ich schreibe dir meine Adresse!" versprach mein Mann, gab mir einen kurzen Abschiedskuß, dann war im Strom der anderen jungen Männer verschwunden. Ich heulte wie ein Schloßhund! Kaum verheiratet und schon durch viele Hundert Kilometer getrennt! Denn mein Zug ging am nächsten Tag. Die Fahrt über war ich apathisch und in Gedanken bei meinem Mann, aber auch bei der Organisation meines Lebens, bis der Wehrdienst abgelaufen war. Eineinhalb Jahre! Meinen Haushalt und mein Pferd mußte ich aber innerhalb eines Jahres nach der Hochzeit nach Ungarn bringen, sonst würde er unter die Zollpflicht fallen. Auch hier war ich entschlossen, zu kämpfen. Die nächsten Monate waren ein ständiges Hin und Her zwischen Deutschland und Ungarn. Mein Paß füllte sich mit Stempeln aller Art, die Fahrzeit erschien mir jedes Mal ein wenig kürzer. Mein Mann wurde natürlich nicht zu den berittenen Grenzschützern gelassen, eine westdeutsche Frau gab zu viel Anlaß zu Bedenken. Fluchtgefahr in den Westen und was so alles geredet wurde. Dabei hatte ich doch nur eines im Sinn: Meine Heimat war die Puszta, nicht der sogenannte kapitalistische Westen! Aber für die Behörden war ich ein Grenzfall, war ich doch die erste Frau aus dem Westen, die in einem sozialistischen Land leben wollte! Es gab sogar keine gesetzlichen Regelungen für meinen Fall! Zumal ich die ungarische Staatsbürgerschaft anstrebte. Zuerst einmal jedoch mußte ich eine Aufenthaltserlaubnis erlangen, dann kam nach einiger Zeit die Niederlassungserlaubnis und damit die Erlaubnis, zu arbeiten und dann eventuell die Staatsbürgerschaft. Aber bis dahin mußte noch viel Wasser die Donau und Tisza hinabfließen. Zuerst einmal beendete ich vorzeitig meine Studien, arbeitete weiter beim Rechtsanwalt, um mir ein wenig Geld zu verdienen und mußte mir die versteckten Vorwürfe meiner Familie anhören. Studium abgebrochen, zu den Kommunisten übersiedeln wollend, nein, ich war nicht die liebe, beeinflußbare Tochter mehr, ich war eine Frau, die ihr eigenes Leben lebte und eigene Entscheidungen traf!

Wieder zurück in Ungarn! Die ersten drei Monate der Grundausbildung durfte mein Mann keine Briefe schreiben, schon gar nicht in den Westen, aber auch nicht an seine Verwandten, aus Furcht, diese könnten mir seinen Aufenthaltsort verraten! Nach dieser Zeit kam endlich ein Schreiben meiner Schwiegermutter, Lajos sei in die Berge versetzt worden, nahe der tschechischen Grenze. Ich wohnte wieder bei meiner Schwägerin, dorthin kam auch mein Mann, als er seinen ersten Ausgang hatte. Schick sah er aus, in seiner graugrünen Uniform, die Haare kurz geschnitten, aber noch immer seinen großen Schnurrbart im Gesicht. Wortlos fielen wir uns in die Arme. Erst einige Zeit später, als wir gemütlich im Wohnzimmer auf der Couch beieinandersaßen, fanden wir Gelegenheit, uns auch ernsteren Themen zu widmen. Eng an meinen Mann gekuschelt brachte ich die Frage nach dem <wie geht es weiter> aufs Tapet.

"Lajos, deine Schwester hat mich sehr liebevoll in ihrer Familie aufgenommen, aber ich kann doch nicht ewig ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehmen." Mein Mann streichelte mir sanft über den Kopf.

"Keine Angst, mein Schatz! Meine Schwester und mein Schwager haben mir angeboten, dich so lange bei sich aufzunehmen, wie es dir bei ihnen gefällt, mach dir also mal keine Sorgen wegen ihnen. Du bist keine Last, eher eine glückliche Abwechslung. Und," fügte er schmunzeln hinzu, "du kannst dich ja auch ein wenig nützlich machen, zum Beispiel auf die Kinder aufpassen, wenn meine Schwester einmal ohne sie ausgehen will oder einkaufen, wenn sie keine Zeit dazu hat."

"Natürlich helfe ich deiner Schwester, so sehr es in meinen Kräften steht!" versicherte ich ihm nachdrücklich. "Und selbstverständlich müssen wir auch etwas in ihre Haushaltskasse beisteuern, obwohl sie mich immer wieder ausschimpft, wenn ich ihr etwas Geld geben will oder die Einkäufe bezahlen möchte."

"Dann tue das eben nicht!" wies mich Lajos an. "Du kränkst sie damit nur. Hier in Ungarn schreiben wir die Gastfreundschaft sehr groß und du bist ja viel mehr, als nur ein Gast, denn du gehörst zur Familie."

"Sicher, das verstehe ich schon, aber irgendwie muß ich mich doch bei ihr bedanken, für alles, was sie mir Gutes tut." warf ich, nicht sehr überzeugend, ein.

"Ein paar kleine, nützliche Geschenke kannst du ihr ja machen." schlug Lajos schließlich vor. "Das wird sie schon akzeptieren. Oder kaufe einfach etwas für die Kinder, das sie sich schon lange wünschen. Hiermit bereitest du sicher sehr viel Freude." Ich nickte und war glücklich, so schnell eine geeignete Lösung für mein Problem gefunden zu haben. Wir waren natürlich auch wieder bei der Mutter eingeladen, wo munter viel zu viel gegessen und getrunken wurde, aber ich protestierte vergebens, daß wir ja schon bei meiner Schwägerin zu Mittag gegessen hatten, wir wurden einfach noch einmal an den Mittagstisch verfrachtet! Am Abend wollte Lajos schnell noch ein paar Freunde aufsuchen, die ebenfalls beim Militär waren und Ausgang hatten.

"Bitte sei mir nicht böse, Anne, aber das ist eine reine Männergesellschaft, da kannst du nicht mitkommen." Bat mich mein Mann, als er sich wieder in seine Uniform zwängte. Zwar hätte ich ihn gerne gebeten, die zwei Tage ausschließlich mit mir zu verbringen, schimpfte mich aber innerlich gleich wieder wegen meines Egoismusses und wünschte ihm traurigen Herzens einen schönen Abend.

"Bitte komm nicht allzu spät zurück!" flehte ich ihn leise an. "Ich mußte sowieso schon so lange auf dich warten!"

"Ich habe dich auch sehr vermißt!" flüsterte mein Mann mir zu, dann gab er mir einen langen, verheißungsvollen Kuß und verschwand aus der Wohnung. Um die Zeit totzuschlagen, bat ich meine Schwägerin, mir doch einige Rezepte zu erklären, da sie schon wieder in der Küche stand und das Mittagessen für den nächsten Tag vorbereitete. Sie fand sich gerne dazu bereit und so nahm ich meinen ersten Kochkurs in ungarischen Spezialitäten. Als meine Schwägerin sah, daß ich mir eifrig Notizen machte, nickte sie lächelnd und verschwand im Wohnzimmer. Als sie nach einigen Minuten wieder auftauchte, hatte sie ein nagelneues Kochbuch in der Hand.

"Das habe ich für dich gekauft!" meinte sie, mehr mit Gesten, denn mit Worten. Unsere <Unterhaltung> bestand sowieso viel aus Lachen und Handbewegungen, denn wenn Lajos nicht den Übersetzer spielte, waren unsere beiderseitigen Sprachkenntnisse noch sehr kläglich. Hauptutensil war in dieser Zeit mein großes, zweibändiges Wörterbuch, aber selbst damit kam ich oft nicht weiter, wegen schlechter Aussprache und falscher Grammatik. Aber wir hatten viel Spaß und irgendwie konnten wir uns im Endeffekt immer verständigen. Der Abend zog sich in die Länge, wir hatten die Küche aufgeräumt und ein kaltes Abendbrot gegessen. Die Kinder waren gebadet und im Bett und mein Schwager war auch noch einmal ausgegangen. Meine Schwägerin wollte mir Gesellschaft leisten und so schauten wir uns mit dem alten schwarzweiß Fernseher der Familie einen Film an. Aber irgendwie war ich nicht bei der Sache, verstand ja auch kaum etwas von dem, was die Schauspieler von sich gaben und auch meine Schwägerin schien das Ganze nicht sonderlich interessant zu finden, denn nach etwa einer halben Stunde war sie in ihrem Sessel eingeschlafen. Ich schaltete den Fernseher aus und wartete auf meinen Mann. Viele Gedanken gingen mir durch den Kopf. Wie sollte ich Lajos empfangen wenn er denn heimkäme, bevor auch ich vor Übermüdung eingeschlafen war? Zum einen war ich richtig böse auf ihn, weil er seine sowieso knapp bemessene Zeit nicht ausschließlich mit mir, seiner Frau, verbrachte, andererseits aber konnte ich ihn auch verstehen, daß er nach so langer Zeit eben auch seine Freunde und Bekannten nicht vor den Kopf stoßen wollte. Aber trotzdem........ Es war weit nach Mitternacht und ich mußte auf dem Sofa eingenickt sein, denn ich fuhr erschreckt auf, als ich Schritte im Gang hörte und einen Schlüssel, der sich im Schloß drehte.  

"Wir sind da! Habt ihr auf uns gewartet?" dröhnten zwei unsichere Stimmen durch die kleine Wohnung. Lajos und sein Schwager kamen Arm in Arm durch die Tür getorkelt. Auch meine Schwägerin wachte jetzt auf.

"Oh nein!" entfuhr es ihr. "Mußtet ihr beide euch denn wieder einmal total besaufen?" Böse schaute sie auf ihren Mann, den sie wohl für den Verantwortlichen hielt. Lajos kam auf schwankenden Beinen auf mich zu und umarmte mich.

"S-sei nicht böse, kleine A-Anne!" stotterte er mit schwerer Stimme. "Ich war gerade auf dem Heimweg, da habe ich meinen Schwager getroffen und er hat mich noch zu einer Runde in der Kneipe um die Ecke eingeladen. Da konnte ich doch nicht nein sagen!" Ich war zwar unheimlich enttäuscht und böse, hielt aber an mich, um den Abend nicht noch mehr zu verderben.

"Ist schon gut, Lajos!" machte ich gute Miene zum bösen Spiel. "Komm, es ist schon sehr spät, wir wollen schlafen gehen."

"N-nur noch ei-einen Schlummertrunk!" beharrte Lajos und sein Schwager nickte dazu. Aber nun kam mir meine Schwägerin zu Hilfe. Sie packte ihren Mann am Ärmel und zog ihn trotz seiner Proteste in ihr Schlafzimmer und ich schob Lajos schnell in einen Sessel.

"Zieh dich schon aus, ich bereite nur schnell das Sofa vor." wies ich ihn an. Dann klappte ich eilig das Sofa auseinander und legte Bettuch, Kissen und Zudecke zurecht. Mein Mann hatte sich indessen mehr schlecht als recht seiner Uniform entledigt, ich knipste das Licht aus und kroch unter die Decken. Bald kam auch mein Mann hinzu, doch kaum hatte sein Kopf das weiche Kissen berührt, da schlief er auch schon und schnarchte fürchterlich. So hatte ich mir unsere erste gemeinsame Nacht nach so langer Zeit nicht vorgestellt!

Ich hatte beschlossen, mein Pferd so schnell wie möglich zu mir zu holen. Zuerst erkundigte ich mich bei der Bahn, unter welchen Bedingungen ein solcher Transport ablaufen würde. Der Beamte, bei dem ich vorsprach, war sehr hilfsbereit, schnell schlug er in einem dicken Wälzer die Bestimmungen für den Transport von lebenden Tieren auf.

"Zuerst einmal braucht das Tier eine Begleitperson," wies er mich an. Ich nickte.

"Natürlich, das ist mir klar. Ich werde im gegebenen Fall mein Pferd selbst begleiten. Doch sagen Sie mir bitte, von welchem Bahnhof aus könnte die Fahrt losgehen und wie lange dauert die Fahrzeit?" Der Beamte suchte wieder in einigen dicken Büchern nach der Antwort. Er notierte sich auf einem Zettel verschiedene Zahlen und Abkürzungen, schließlich wendete er sich mir wieder zu.

"Die Abfahrt an sich macht keine Schwierigkeiten, Sie können sogar an Ihrem Heimatbahnhof beladen." meinte er zögernd. "Aber die genaue Fahrtdauer kann ich Ihnen nicht sagen, da der Waggon ja an viele verschiedene Züge angehängt werden wird. Sollte es zufällig eine rasche Verbindung nach Ungarn geben, dann dauert es ungefähr eine Woche, aber nur bis Budapest. Von dort aus hängt die Sache dann bei den ungarischen Bahnen."

"Über eine Woche!" entfuhr es mir, "Das ist aber ziemlich lang. Wie sollen das mein Pferd und ich in einem ungeheizten Waggon aushalten?"

"Ja wollen Sie denn im Winter fahren?" erstaunte sich mein Gegenüber.

"Ja, Anfang März! Und da ist es im allgemeinen noch sehr kalt!" Der Beamte schüttelte den Kopf.

"Da kann ich Ihnen nur abraten. Zumal Sie nur ein einziges Mal während der Fahrt Gelegenheit haben werden, frisches Wasser zu erhalten - und aussteigen können Sie natürlich auch nicht!" Das war mir denn doch zu viel! Wie sollten wir eine solche Fahrt gesund und ohne Schaden überstehen? Ich gab meine Pläne bezüglich eines Bahntransportes schnell auf.

"Vielen Dank für Ihre freundlichen Bemühungen, aber ich denke, ich werde Ihren Rat befolgen und mich nach einer anderen Transportmöglichkeit umsehen." meinte ich, bevor ich das Büro verließ. Schon am nächsten Tag hatte ich in einer Reitsport-Zeitschrift eine Annonce entdeckt, die Pferdetransporte in ganz Europa versprach. Ich rief die angegebene Nummer an und hatte mich bald mit dem Verantwortlichen geeinigt. Jetzt galt es nur noch, den Papierkram zu regeln. Die Behörden gaben natürlich wie immer widersprüchliche Informationen. Außerdem war mein Fall sowieso neu. Zwar kamen Pferde aus dem Westen oft nach Ungarn, doch nur zu Turnieren und wurden dann wieder in ihre Heimatländer ausgeführt. Ein Pferd aus dem Westen, das in Ungarn bleiben sollte - so etwas war noch nie vorgekommen, dann schon eher ungarische Pferde, die in den Westen verkauft wurden! Mein Fall war also wieder einmal die Ausnahme! Vor den Toren von Miskolc gab es eine Reitschule, die versprach, mein Pferd in Pension zu nehmen. So weit, so gut. Für den Transit durch Österreich mit Übernachtung, dort fingen die Schwierigkeiten an. Eine Botschaft gab es in Deutschland nicht, nur ein Wirtschaftsbüro. Anruf dort.

"Welche Untersuchungen, Impfungen und Papiere benötige ich für einen Transit mit Übernachtung durch Österreich, mit Endziel Ungarn für ein Pferd?"

"Keine Ahnung, aber rufen Sie einmal die Landwirtschaftsbehörde in Wien an, Nummer....." war die Antwort. Ich wählte also die angegebene Nummer, eine Automatenstimme ließ sich vernehmen:
            "Dies ist eine Nummer, die nur vom Inland aus zu erreichen ist!" Punkt. Sollte ich extra nach Österreich fahren? Ich beschloß, den Grenztierarzt zu kontaktieren. Man teilte mir mit, es sei in meinem Fall am besten, mehrere Blutproben durchführen zu lassen, selbst für eine Seuche, die seit vielen, vielen Jahren in Europa nicht mehr vorkomme, ein von meinem Amtstierarzt beglaubigtes Impfzeugnis und eine amtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung zu besorgen und, wenn ich mit PKW samt Pferdeanhänger an die Grenze käme, den dortigen Tierarzt zu kontaktieren.

"Ich weiß aber nicht, wann wir mit dem Pferd an einem Samstag an die Grenze gelangen!" warf ich ein.

"Kein Problem, der Grenztierarzt wohnt nur zwei Kilometer entfernt, ein Anruf genügt, und er erscheint in wenigen Minuten!"

"Herzlichen Dank!" Das erste Problem war gelöst. Die Ungarn, Zoll und Tierarzt, hatten mir schon mitgeteilt, was sie gerne an Unterlagen sehen würden, ich konnte den Transport also in Angriff nehmen. Er war für den ersten Samstag im März geplant. Die Untersuchungsergebnisse waren endlich eingetroffen, also alles in Ordnung. Aber halt! Mein Wohnsitz unterstand einem anderen Amtstierarzt, als der Wohnsitz meines Transporteurs! Und die Abfahrt war für Samstag Morgen, fünf Uhr, geplant. Mein Amtstierarzt wollte aber das Pferd am Abfahrtstage untersuchen - nur, als Amtstierarzt arbeitete er nie am Wochenende und schon gar nicht außerhalb der Bürostunden, die um acht Uhr begannen! Was tun? Außerdem sollte der Anhänger am Tage des Transportes vor den Augen des Amtstierarztes desinfiziert werden, er sei aber nicht für den dortigen Bereich zuständig! HILFE!!!!! Im Endeffekt konnte ich MEINEN Amtstierarzt überzeugen, daß zwischen Freitag, kurz vor Dienstschluß und Samstag Morgen mein Pferd wohl kaum einer Ansteckung ausgesetzt wäre, schließlich stimmte der Mann mir zu und versprach, Freitag Abend vorbeizuschauen. Meinem Transporteur gelang es, SEINEN Amtstierarzt davon zu überzeugen, daß der desinfizierte Anhänger zwischen Freitag Abend und Samstag früh nicht mehr benutzt werden würde, die Sache war also auch erledigt! Was für ein vielversprechender Anfang!

Samstag Morgen also Tag X Stunde H! Mein Pferd schritt in den Anhänger, als ob er dies sein Lebtag getan hätte, dabei datierte der letzte Transport auf seine Ankunft bei mir vor vier Jahren! Die große Fahrt begann also. Die ersten paar Hundert Kilometer fiel nichts Erwähnenswertes vor. Als wir bei München einen Kaffee trinken wollten, schaute ich in den Anhänger: Mein Pferd stand auf drei Beinen, das eine Vorderbein im Heunetz gefangen und dick angelaufen! Es mußte schon eine ganze Weile so sein. Ich befreite sein Bein sofort aus den Maschen und holte kaltes Wasser, um die Schwellung zu kühlen. Dann ging es weiter. Kurz vor ein Uhr mittags erreichten wir die österreichische Grenze. Erster Schock:

"Mit dem Hänger da gehören Sie auf die LKW Spur!" wies uns ein Zollbeamter an.

"Ja, aber wir sind doch genau so ein Auto mit Anhänger, wie die vielen PKW da mit Wohnwagen!" wagte ich einzuwenden.

"Nix da! Sie gehören auf die LKW Spur - aber beeilen Sie sich, die macht um ein Uhr dicht!"

"WAS???? Ja da soll doch gleich.... Warum hat man mir das nicht gesagt, als ich Sie hier angerufen habe? Ich hatte doch ausdrücklich beschrieben, mit welchem Gefährt ich kommen werde und auch gesagt, daß ich nicht weiß, wann am Samstag! Wenn wir also irgendwo uns länger aufgehalten hätten...?"

"Dann hätten's erst am Montag Morgen weiterfah'r können!" beschied uns der gute Mann. Wir fuhren also schnell auf die LKW Spur. Ich rief den Tierarzt an, eine junge Frau, die auch sofort kam und nach einem kurzen Blick in den Anhänger ihr OK gab. Nicht so der Zollbeamte:

"Ja wenn's im Land übernachten, dann müssen's a Kaution hinterleg'n, Sie könnten das Pferdl ja austauschen wolln!" Wir fielen aus allen Wolken.

"Ja aber warum hat man das mir am Telefon nicht gesagt?"

"Vielleicht ham' ses vergessn! Aber bitte, die Kaution - die Hälfte des Schätzwertes vom Pferd - und in Schilling bitte!" meinte der Beamte. Er schaute sich mein Pferd an.

"Macht dann so zweitausend Mark in Schilling!" bemerkte er, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich wurde blaß.

"So viel?"

"Und keinen Pfennig weniger, aber beeilen's sich, die Wechselstube macht um ein Uhr auch zu!"

"Mein Gott!" Schnell also in die Wechselstube, zum Glück reichte mein Geld, daß ich eigentlich für den Transport vorgesehen hatte. Verlust von einigen Prozent natürlich beim Einwechseln, aber was sollte es.

Wir waren die Letzten, die an diesem Samstag die Grenze passierten! Wir durchquerten fast ganz Österreich, bevor wir kurz vor der Grenze Halt machten. Dort hatten wir Zimmer in einem Hotel bestellt, in dessen Nähe ein Reitstall lag, der meinem Pferd Unterkunft für die Nacht bot. Wir luden schnell aus, Futter und Wasser war vorhanden. Ich überzeugte mich, daß es meinem Tier in seiner Box gut ging, dann gingen auch wir zum Abendessen. Am nächsten Morgen der Schock: In der Nacht hatte ein Eisregen die Straßen in Schlittschuhbahnen verwandelt. Und doch mußten wir los, hatten wir doch einen genauen Zeitplan einzuhalten. Vorsichtig schlichen wir im Schrittempo bis zur Grenze. Dort war die Fahrbahn wie durch ein Wunder trocken und eisfrei. Der österreichische Zoll erstattete uns die Kaution wieder, noch einmal ein paar Prozent Verlust beim Zurückwechseln in deutsche Mark, na ja! Dann die ungarische Grenze. Wir wurden mit unserem Gefährt natürlich herausgewunken. In gebrochenem Ungarisch versuchte ich meinen Fall zu erklären und hielt dem Beamten die Papiere unter die Nase.

"Wohin mit dem Tier?" fragte er mich.

"In die Reitschule nach Miskolc!" war meine Antwort, "Man erwartet uns da schon." Der Mann schüttelte den Kopf.

"Es fehlt eine Erlaubnis des Amtstierarztes in Miskolc, daß das Pferd in der Reitschule für sechs Wochen in Quarantäne gehalten werden kann!" Ich erschrak wieder einmal.

"Ich habe hier und in Miskolc angerufen und mich über die Modalitäten der Einfuhr meines Pferdes erkundigt, niemals hat mir jemand von der Notwendigkeit einer solchen Bestätigung gesprochen!" warf ich ein. Der Beamte schüttelte den Kopf.

"Wenn Sie dieses Papier nicht haben, bleiben Sie an der Grenze oder müssen zurück!"

"Mein Gott!" das konnte doch nicht wahr sein! Da kam mir ein Gedanke, eine Hoffnung nur, zumal ich wußte, wie es um das Telefonnetz in Ungarn bestellt war. Und dann auch noch an einem Sonntag einen Amtstierarzt erreichen.... Aber es war meine letzte Chance.

"Können Sie denn nicht versuchen, den Tierarzt telefonisch zu erreichen?" Eine Banknote wechselte den Besitzer.

"Ich will es versuchen!" strahlte der junge Zollbeamte. Er verschwand in seinem Büro und kam nach einigen Minuten wieder zum Vorschein. Ich habe nie erfahren, ob er wirklich den Tierarzt angerufen hat, jedenfalls drückte er mir ein Papier in die Hand.

"Alles in Ordnung, gute Fahrt! Aber sorgen Sie dafür, daß der Amtstierarzt Montag Morgen das Pferd anschauen kommt!" Ich glaube, der Plumps, den der Stein machte, der mir vom Herzen fiel, mußte hörbar gewesen sein.

"Vielen Dank, ich werde mich darum kümmern!" versprach ich und wir setzten unsere Reise nun ungestört fort. Am Nachmittag kamen wir bei der Reitschule an, ich führte mein doch von der langen Reise erschöpftes Tier in seine Box und versorgte es, dann fuhren wir zu meiner Schwägerin, während der Transporteur ein vorher bestelltes Hotelzimmer bezog, bevor er am nächsten Tag wieder die lange Heimreise antrat. Der nächste Morgen sah mich im Bus, der mich zu meinem Pferd brachte. Es hatte die Nacht ruhig verbracht und begrüßte mich mit einem kleinen Wiehern. Ich rief den Amtstierarzt an, der auch bald darauf kam, das Pferd anschaute, ohne sich ihm zu sehr zu nähern und dann bemerkte:

"Die nächsten sechs Wochen nicht mit den anderen zusammen ausreiten, ich schicke die Bestätigung an den Zoll!" Damit hielt er die Hand auf, ließ sich bezahlen, natürlich ohne Rechnung, und verschwand. Eigentümlich eine Quarantäne, bei der das Tier Nase an Nase mit den anderen in einem Stall steht, aber nicht zusammen ausgeritten werden darf - na ja! Ich hatte sowie so vor, meine Ausritte ohne Begleitung anderer zu unternehmen. Bald jedoch zeigte es sich, daß meine Reitkünste anerkannt wurden und ich wurde sogar gebeten, auch andere, vor allem sehr junge und unerfahrene Pferde zu reiten. Was ich auch tat, denn bis auf die Besuche meines Mannes an jedem zweiten Wochenende hatte ich ja nichts sonst zu tun. Auch hatte sich das Klima in der Familie meiner Schwägerin verändert, sie schien große Probleme mit ihrem Mann zu haben und oft wurde ich Nachts Zeuge von wilden und tätlichen Auseinandersetzungen, wenn ich auf meinem Sofa im Wohnzimmer lag und von den Lauten im anderen Zimmer geweckt wurde. Meine Schwägerin mußte mit ihrem Bruder darüber gesprochen haben, denn eines Tages ließ er sich bei einem Spaziergang auf eine Bank nieder.

"Anne, ich habe eine Untermiete bei einer Kollegin meiner Schwester gefunden, es ist besser, wenn du bei ihr ausziehst!" Ich stimmte sofort zu, machte es mich doch auch langsam nervlich kaputt,  Zeuge der ständigen Auseinandersetzungen zu werden. Vor allem die Kinder der Familie taten mir leid, doch stand es mir nicht an, mich auch nur mit moralischer Unterstützung einzumischen. So bezog ich dann das winzige Zimmerchen. Ich machte mich so unauffällig wie möglich, kochte sehr früh mein Mittagessen, um den Tagesablauf der Familie mit zwei Kindern nicht zu stören, kam oft den ganzen Tag über nicht nach Hause, wenn ich bei meinem Pferd war. Ich fühlte mich sehr allein! Mein Mann kam nur jedes zweite Wochenende, und auch diese kurze Zeit war es uns nicht vergönnt, alleine zu sein. Da mußte die Familie besucht werden, unendliche Palaver wurden geführt, viel getrunken und noch mehr gegessen. Aber es gab auch schöne Augenblicke, wenn wir zusammen ausritten oder ein wenig in der Stadt flanierten. Nach ein paar Monaten hatte mein Mann eine Untermiete in einem Dorf gefunden, das nahe an seiner Kaserne lag, ich sollte demnächst dorthin umsiedeln, ebenso mein Pferd.

Und der große Tag kam! Lajos hatte einen Bekannten, der ein kleines Auto besaß, gebeten, mich und meine wenigen Habseligkeiten bis zu meiner neuen Bleibe zu bringen, er selbst ritt mein Pferdchen auf den fast einhundert Kilometern bis zum Ziel. Natürlich hatte ich vorher genügend Ausdauertraining mit dem Wallach geübt, er war bestens vorbereitet und doch dauerte es viele, viele Stunden, bis die beiden endlich ankamen, da es keine Wanderkarten von der zu durchquerenden Region gab und sich so den beiden viele Hindernisse in den Weg stellten, wie zum Beispiel tiefe Gräben, deren Überquerung nur auf einer Brücke erfolgen konnte, aber diese Brücke mußte man natürlich erst einmal finden! Ich war schon lange angekommen und hatte mein Zimmer schon ein wenig bewohnbar gemacht, als endlich der Klang nicht mehr ganz so flinker Hufe auf der Straße zu hören war. Schnell führte ich mein Pferdchen in seinen neuen Stall, rieb ihm die Beine mit kaltem Wasser ab und versorgte ihn ausgiebig mit frischem Heu, Stroh und Wasser.

"Ich bin froh, daß ihr beide wohlbehalten hier angekommen seid!" bemerkte ich zu Lajos und gab ihm einen zarten Kuß. "Vielen Dank, daß du ihn heil hierher gebracht hast!"

"Es war schwer genug und obwohl ich auch sonst Tage im Sattel verbringe, hat mich der Militärdienst doch ein wenig aus der Übung gebracht!" schmunzelte mein Mann und ging steifen Schrittes in das Zimmer, welches die Hausherrin für mich bestimmt hatte. Dort ließ er sich auf das schmale Bett fallen und schloß ermüdet die Augen.

"Weck' mich morgen früh um fünf, ich muß um sechs Uhr wieder in der Kaserne sein!" bat er mich noch, dann war er auch schon eingeschlafen. Für mich blieb nur ein schmales Plätzchen auf dem Bett, doch mir genügte es. Eng an meinen Mann gekuschelt fand auch ich bald den Schlaf, bis das Rasseln des Weckers mich frühmorgens auffahren ließ.

"Lajos, Liebster, wach auf, es ist Zeit!" rüttelte ich sanft meinen Mann wach. Zwar grummelte er noch ein paar Flüche in seinen Schnurrbart, doch dann stand er auf und zog sich schnell an. Glücklicherweise hatte er es nicht weit, zwar befand sich die Kaserne zwei Dörfer weiter in einiger Entfernung noch vom Ende des zweiten Dorfes, doch hatte mein Mann im Sommer die bequeme Aufgabe eines Schafhirten auf einem Übungsgelände nicht weit von meinem neuen Wohnsitz entfernt. Mit einem schnellen Kuß verabschiedete er sich von mir, dann war er zu Fuß zwischen den Weinbergen verschwunden. Auch ich konnte nun nicht mehr schlafen und beschloß, mich ein wenig um mein Pferdchen zu kümmern. Nachdem ich es versorgt hatte, begab ich mich wieder in mein Zimmerchen und schaute es mir nun erst einmal richtig an. Es befand sich in einem Nebengebäude des eigentlichen Wohnhauses, zwischen Sommerküche und Scheune. Die verwitwete Hausherrin, eine jeglicher Neuerung abgeneigte alte Bäuerin, bewohnte selbst hauptsächlich die Sommerküche, nur zum Schlafen begab sie sich in das sonst abgeschlossene Wohnhaus. Komfort gab es keinen, weder ein Badezimmer noch ein WC, ja sogar kein warmes Wasser. Einzige Wasserstelle war ein par Handrad angetriebener Brunnen im Hof, als Toilette diente ein "Häusl" im zweiten Hühnerhof. Mein kleines Zimmer war etwa fünf Meter lang und drei Meter breit, außer dem Bett an der einen Langseite gab es darin noch einen kleinen Tisch mit zwei alten Stühlen, einen Kleiderschrank und einen alten Herd mit Holzfeuerung, der im Winter gleichzeitig auch als Heizung dienen mußte! Später kauften wir noch einen kleinen Gasherd mit Gasflasche, um mir ein wenig das Kochen und Waschen zu erleichtern! Welch ein Unterschied zu dem Wohnkomfort meines Elternhauses! Aber komischerweise machte mir dieser Rückschritt ins letzte Jahrhundert nichts aus! Ich lerne schnell, mir am Brunnen mein Wasser zu holen, es auf dem Herd zu erhitzen und mich aus einer Schüssel zu waschen. Die meisten meiner Einkäufe erledigte ich - zu Pferd! Mein Wallach wurde bewegt und ich schaffte es sogar, Eier in einer Papiertüte heil nach Hause zu bekommen. Wahrscheinlich wäre mir auch hier die Zeit sehr lang geworden, hatte ich doch außer meinem Pferd sonst praktisch keinen Ansprechpartner, wenn nicht der Übungsplatz gewesen wäre, auf dem mein Mann seine Schafe hütete. Als er wieder einmal am Wochenende Ausgang hatte, kam er freudestrahlend zu mir.

"Hör zu, Anne! Ich bin jetzt lange genug da draußen mir der Herde, um über alles bestens informiert zu sein und ich habe jetzt auch einen netten Kollegen, der uns helfen wird!" sagte er übermütig und gab mir einen langen Kuß.

"Ich verstehe nicht, was das bedeuten soll?" fragte ich ihn, denn ich konnte mir nicht denken worauf er hinauswollte.

"Ganz einfach, Liebste! Du kommst mit deinem Pferd über einen versteckten Pfad, den ich dir gleich zeigen werde, zu mir auf den Übungsplatz und wir können den Tag gemeinsam verbringen - und wenn mein Kollege nachts zu seiner Freundin abhaut, dann kannst du sogar draußen bei mir schlafen!" Die Nachricht freute mich ungemein, doch hatte ich da so meine Bedenken.

"Gibt es denn bei euch keine unverhofften Kontrollen von euren Vorgesetzten?" wollte ich wissen, doch mein Mann winkte nur ab.

"Meine direkten Vorgesetzten machen es alle so wie ich, und wenn ein großer Chef kommt, dann nur im Auto und das hört und sieht man schon von weitem, du hättest dann genügend Zeit, mit deinem Pferd zu verschwinden. Wir könnten aber auch sagen, es wäre ausgerissen und du hättest es hier gefunden, oder etwas Ähnliches. Mach' dir neu keine Sorgen, ich habe an alles gedacht!" Das änderte natürlich vieles! Schon am nächsten Tag machten wir einen längeren Spaziergang und Lajos zeigte mir den Weg durch die Weinberge und ein kleines Wäldchen auf den - natürlich ungesicherten - Truppenübungsplatz. Ich konnte sogar das kleine Zimmerchen in einem der Wachtürme, welches meinem Mann und seinem netten Kollegen, den ich bei dieser Gelegenheit kennenlernte, zur Verfügung stand, besichtigen. Es folgten Tage ungetrübten Glücks! Schon morgens ritt ich auf den Übungsplatz, traf mich mit Lajos und verbrachte den Tag an seiner Seite. Mein Pferd konnte friedlich mit den Schafen weiden und wir schwelgten in Liebe oder süßem Nichtstun. Ich hatte es mir angewöhnt, einen kalten Imbiß in meinen Satteltaschen mitzunehmen, das Abendessen bereitete mein Mann oder sein Kollege in der winzigen Kochnische des Wachzimmers. Oft verschwand der junge Mann danach zu seiner Freundin im Dorf und wir konnten die Nacht gemeinsam verbringen. So verging die Zeit.

"Am nächsten Wochenende fahren wir nach Hortobágy!" begrüßte mich mein Mann an einem schönen Sommertag, als ich ihn und seine Schafherde auf einer kleinen Lichtung traf.

"Toll, endlich einmal eine kleine Abwechslung, was machen wir denn da?" fragte ich in freudiger Vorahnung auf einen schönen Ausflug.

"Es sind wieder Reiterspiele und obwohl ich beim Militär bin, hat man mich gebeten, wieder bei den Csikós-Rennen mitzumachen." erklärte Lajos voller Stolz. Und das nicht zu Unrecht. Besaß er doch ein sehr schnelles und wendiges Pferd, was ihm schon so manchen Sieg eingebracht hatte. Ich freute mich schon im Voraus auf die Rennen, denn ich wußte, daß ein Kollege meines Mannes sein Pferd in guter Kondition gehalten hatte!

"Wann geht es denn los?" wollte ich wissen, denn die Bahnfahrt bis nach Hortobágy war lang und umständlich.

"Wir können schon Freitag Nacht losfahren," meinte Lajos, "dann sind wir Samstag Vormittag in Hortobágy. Die Rennen sind am Nachmittag, ebenso am Sonntag. Nach dem entscheidenden Rennen nehmen wir den nächsten Zug und sind dann gegen Mitternacht wieder hier."

"Und was wird aus meinem Pferd? Du weißt genau, daß die Hausherrin Angst vor ihm hat, sie wird ihn weder füttern noch tränken!" fragte ich besorgt, denn ein Pferd bekommt sehr leicht eine tödliche Kolik, wenn es kein Wasser trinken kann.

"Ich habe mit meinem Kollegen Tibi gesprochen," meinte Lajos, "er wird sich um dein Tier kümmern. Da seine Eltern selbst Pferde besitzen, weiß er gut, wie er deinen Wallach zu verpflegen hat, wir müssen nur der Hausherrin Bescheid geben, damit sie ihn einläßt!"

"Dann ist ja alles geregelt!" seufzte ich zufrieden und ließ mich in das warme Gras zurücksinken. Plötzlich war von Ferne Motorenlärm zu hören. Ich setzte mich verwundert auf und auch Lajos war schon aufgesprungen, um besser hören zu können.

"Los, Anne, hol' dein Pferd und verschwinde, ich glaube es kommen Offiziere!" rief er mir leise zu. Ich pfiff meinem Wallach, der auch sofort brav heran getrabt kam, sattelte ihn geschwind und galoppierte mit ihm auf das Dickicht zu, wo unser verborgener Pfad endete. Kaum war ich außer Sicht, als auch schon ein schwerer Geländewagen auf die Lichtung einbog. Aufatmend ließ ich mein Pferd in Schritt fallen, jetzt konnte uns niemand mehr sehen! Wie sich später herausstellte, war es ein hoher Offizier der hiesigen Einheit, der mit einem gleichrangigen Besucher den Übungsplatz anschauen kam. Er fand Lajos friedlich bei seinen Schafen und Tibi im Wachstübchen, wie es sich gehörte! Hier schien sowieso alles einen etwas weniger geregelten Gang zu laufen. Es war ein offenes Geheimnis, daß sich die - im Dienst befindlichen - Offiziere in unserem Dorf in der einen Kneipe trafen und sich -naja- ziemlich voll laufen ließen, während die - im Dienst befindlichen - Mannschaften dasselbe in der am anderen Ende des Dorfes gelegenen Wirtschaft taten. Nur treffen durften sie sich nicht, sonst setzte es trotz allem Arrest! Bei uns war alles noch einmal gut gegangen und so konnten wir, wie geplant, am Freitag Abend den kleinen Bummelzug benutzen, der uns nach langsamer Fahrt nach Füzesabony brachte. Dort hatten wir viel Wartezeit, bis endlich am Morgen der Zug nach Debrecen losfuhr, der uns nach Hortobágy brachte. Dort wurde mein Mann mit großem Hallo begrüßt, er kümmerte sich aber fast sofort um sein Pferd, nachdem er mich bei einer befreundeten Familie abgesetzt hatte. Ich konnte es ihm nicht verübeln! Später schlenderte ich über den Markt, der an der neunbogigen Brücke stattfand und eine Vielfalt an heimischen Handwerksartikeln feilbot. Am Nachmittag nahm ich dann auf der kleinen Gegentribüne Platz, um meinen Mann und seine Kollegen bei den Vorrennen zu beobachten und anzufeuern. Außer dem eigentlichen Flachrennen - natürlich im Hirtensattel - gab es auch noch Geschicklichkeitswettbewerbe, zum Beispiel das Töpfeschlagen, wobei an einem Holzpfahl aufgehängte Krüge, drei pro Pfahl, mit der Peitsche aus vollem Galopp herabgeschlagen werden mußten. Trotzdem sein Reiter lange Zeit nicht mit ihm gearbeitet hatte, war das Pferd meines Mannes äußerst erfolgreich, was vielversprechend war für den Sonntag! Nach einer letzten Hirtenvorführung für das Publikum brachte mein Mann sein Tier in den Stall, dann brachte er mich zu seinen Kollegen, die schon einen großen Kessel voll Schafsgeschnetzeltem über dem offenen Feuer zubereiteten. Mit Essen und Trinken verging der Abend. Gegen Mitternacht gelangten wir endlich in einem der in den Pferdeställen befindlichen Wachzimmer ins Bett. Und dieses Mal war mein Mann noch sehr munter! Endlich fanden wir gegen Morgen ein wenig Ruhe! Doch schon bald weckte uns das Getrappel von Hufen, die Pferdepfleger begannen mit dem Füttern der neben unserem Zimmerchen untergebrachten Sportpferde, was nicht ohne lautes Gelächter, Eimerklappern und munteres Wiehern abging.

"Gut geschlafen, Schatz?" wollte Lajos von mir wissen, als er sich den Schlaf aus den Augen rieb.

"Vortrefflich, aber leider viel zu wenig!" lachte ich fröhlich, als ich sah, daß auch er ziemlich zerknittert aus der Wäsche schaute. "Was steht auf dem Programm?"

"Ich kümmere mich um mein Pferd, dann gehen wir etwas frühstücken. Später kannst du dir die Wettbewerbe anschauen, die ab zehn Uhr laufen, dann essen wir bei Gábor etwas zu Mittag und dann muß ich mich vorbereiten." meinte Lajos. "Nach der Vorführung müssen wir uns dann beeilen, damit wir den letzten Zug noch erreichen, halte dich also bereit!"

"Alles klar, Liebster! Das wird wieder ein schöner Tag werden." antwortete ich ihm.

"Am Vormittag will ich aber lieber ein wenig in der Puszta spazieren gehen, sie fehlt mir so sehr!" seufzte ich leise. Lajos lachte nur.

"Später einmal wird sie dir vielleicht zum Halse raushängen! Aber geh nur, ich verstehe dich schon ein wenig, denn mir fehlt das freie Leben hier draußen auch gewaltig!" So verging der Vormittag. Nach dem Frühstück schlenderte ich ein wenig über den staubigen Boden bis hinaus zu den ersten Herden, die sich des Anlasses wegen nah am eigentlichen Gestüt hielten. Während der internationalen Reitertage fahren keine Kutschen hinaus, so daß die Besucher die Herden nur zu Fuß besuchen können, diese sich also in einem erreichbaren Abstand befinden müssen. Wie immer war ich bezaubert von der Ausstrahlung dieser uralten Haustierrassen, die hier noch fast wie in früheren Zeiten uneingeschränkt leben dürfen. Die Hitze und die Uhr trieben mich wieder zurück ins Gestüt, wo Lajos mich schon zum Mittagessen erwartete.

"Na, hat dir dein Rundgang gefallen?" wollte er wissen, während er mir aus dem großen, gußeisernen Topf heute eine riesige Portion meines Leibgerichtes Slambuc servierte.

"Natürlich hat es mir gefallen, wenngleich es mir lieber ist, wenn sich die Herden weit draußen befinden," meinte ich, schon mit vollem Mund, denn diesem Gericht kann ich einfach nicht widerstehen!

"Vielfraß!" lachte mein Mann, doch er selbst häufte sich den Teller auch randvoll.

"Paß auf, dein armes Pferd kann mit so einem vollgegessenen Mann ja nicht gewinnen!" frotzelte ich, doch Lajos ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

"Er ist gut trainiert, er trägt auch ein Kilo mehr zum Sieg!" meinte mein Mann selbstbewußt.

"Das werden wir ja gleich sehen! In einer Stunde ist das erste Rennen angesetzt!" warnte ich ihn spaßeshalber. Als wir unser Mittagessen beendet hatten, begab ich mich an der Seite meines Mannes zu den Stallungen. Dort stand sein Reitpferd, gemütlich an einer Portion Heu kauend.

"Na siehst du, der ißt ja auch noch kurz vor dem Rennen!" meinte Lajos, dann suchte er nach dem Putzzeug. Als der Braune in der Sonne nur so glänzte, band ich ihm einen schmalen Seidenstreifen in die Mähne.

"Der soll euch Glück bringen!" erwiderte ich auf die fragenden Blicke meines Mannes, der, kopfschüttelnd zwar, aber am Ende doch diesen Schmuck akzeptierte. Dann wurden die Csikóse aufgerufen, sich für die Wettbewerbe bereitzuhalten. Ich hauchte einen Kuß auf die Wange meines Mannes, dann suchte ich mir einen Weg durch das Menschengetümmel. Heute wollte ich auf der Wiese, direkt an der Absperrung vor dem Ziel, mit meinem Mann mitfiebern! Endlich hatte ich mir einen Platz ergattert, als auch schon die Reiter ihren Einzug hielten. Zuerst gab es eine Runde in gestrecktem Galopp mit Peitschenknallen zum Aufwärmen, dann nahmen die Hirten Aufstellung. Acht tänzelnde Pferdeleiber, braun oder schwarz, denn nur diese Fellfarben sind bei den Noniussen zugelassen, standen zum Teil schon schweißbedeckt an der Startlinie. Jetzt fiel der Schuß: Die Leiber streckten sich, fielen in einen halsbrecherischen Galopp. Die erste Kurve des Reiterstadions ist noch ziemlich weit, die hintere verengt sich gefährlich, außerdem ist dort statt einer Hecke die Schranke für Ein- und Auslaß der Reiter und der Weg, der zum Abreiteplatz und den Stallungen führt! Auf den ersten Metern lag Lajos noch im Mittelfeld, dann aber arbeitete sich sein Pferd langsam nach vorne durch. Auf der Gegengeraden hatte er nur noch einen Reiter vor sich, der in geradezu irrsinnigem Tempo, vor allem wegen des unbefestigten Sattels, auf die enge, zweite Kurve zugaloppierte. Dort geschah es dann: Das Pferd fühlte, daß es niemals sicher um die Biegung kommen würde, so sauste es geradeaus auf die Schranke zu! An sich kein Problem, dieser knappe Meter, aber die Pferde der Hirten sind keine Springpferde! Und zum Öffnen der Schranke war weder Zeit, noch schien es angeraten, weil dahinter das Feld angaloppierte! Der Reiter hatte nur eine Wahl, er mußte sein Pferd zum Sprung hochreißen! Der gelang dann auch, aber beim Auffußen hinter der Schranke verlor er das Gleichgewicht und damit auch der Sattel seinen Halt. Ein Aufschrei ging durch die Zuschauermenge, als der Hirte mit voller Wucht zu Boden geschleudert wurde und sein Pferd in Panik geraten davonstürmte. Kaum jemand beachtete mehr den Ausgang des Rennens, den mein Mann für sich entscheiden konnte! Zum Glück war dem gestürzten Reiter nicht viel geschehen, er trug außer ein paar schmerzhaften Prellungen keine weiteren Verletzungen davon! Nachdem der stärkste Konkurrent ausgefallen war, holte sich nach einem zweiten Platz im Töpfeschlagen mein Mann den Gesamtgewinn! Stolz ritt er die Ehrenrunde und stolz zeigte er mir danach seinen Pokal und das Siegesband für sein Pferd. Die Gratulationen mußten wir leider schnell beenden, denn unser Zug ging in wenigen Minuten. Wir erreichten ihn mit Müh und Not. Endlich hatten wir uns auf dem Sitz niedergelassen, als mein Mann mich glückstrahlend in die Arme nahm und wie wild küßte.

"Dein Dingsda, das Band da, es hat mir wirklich Glück gebracht!" lächelte er mir zu.      

"Das muß ich mir merken, Liebling!" flüsterte er mir augenzwinkernd zu. So kamen wir, erschöpft zwar, aber glücklich wieder nach Hause. Mein Pferd begrüßte mich mit einem leisen Wiehern, als ich in der Nacht seinen Stall betrat, um mich von seinem Wohlergehen zu überzeugen, fand aber nichts an seiner Pflege auszusetzen. Danach ging alles wieder seinen gewohnten Gang. Wir verlebten herrliche Tage auf dem Übungsplatz und wurden nie wieder von einer Patrouille gestört. Inzwischen kannte mein Mann viele Menschen hier aus der Gegend und eines schönen Tages kam er mit einem Pferd an der Hand zu mir nach Hause.

"Schau' mal Anne! Die Stute hat mir ein Bekannter ganz billig abgegeben! Es ist eine Mischung aus Nonius und Lipizzaner, hat aber keine Papiere! Ich denke, wir können sie mal als Wagenpferd gebrauchen!" Ich war zwar etwas erstaunt darüber, daß mein Mann Geld zum Kauf eines Pferdes übrig hatte, freute mich aber über den Zuwachs.

"Sie ist sehr schön!" stimmte ich ihm zu. "Und sicher kräftig genug, um eine Kutsche zu ziehen!" Das stimmte. Die kastanienbraune Stute war stämmig gebaut hatte dabei aber einen ziemlich edlen Kopf und schien von gutmütigem Charakter zu sein.

"Komm, wir wollen sie meinem Pony einmal vorstellen. Ich bin gespannt was mein Wallach zu seiner neuen Gefährtin sagen wird." Gesagt, getan. Ich brachte mein Pferd an der Longe auf eine Wiese hinter dem Haus und Lajos führte die Stute langsam hinterher. Bald durften die beiden so unterschiedlichen Tiere sich beschnuppern. Zwar quietschte die Stute manchmal schrill, wenn ihr mein Wallach zu nahe an den Bauch kam, doch sonst schienen sie sich sehr gut zu verstehen. Zumindest versuchten sie sich nicht gegenseitig zu beißen oder zu schlagen!

"Ich glaube, wir können sie unbesorgt nebeneinander stellen." war meine Meinung, der auch mein Mann zustimmte. So brachten wir die beiden Tiere zusammen in den kleinen Stall, wo sie eng nebeneinander angebunden wurden. Ich gab schnell eine große Menge von angenehm duftenden Heu in die Futterkrippe - beide stürzten sich mit einem wahren Heißhunger darauf.

"Jetzt hast du etwas mehr Arbeit, als zuvor," bemerkte Lajos, doch ich schüttelte nur den Kopf.

"Das macht mir doch nichts aus, Liebster, du weißt doch, daß ich arbeiten kann. Und reiten werde ich die beiden eben abwechselnd, da kann sich keiner von ihnen beklagen."

"Na ich weiß nicht, bald ist Herbst und dann kommt der Winter und ich muß mit meinen Schafen in die Kaserne. Da hast du dann wirklich die ganze Arbeit alleine! Hoffentlich schaffst du das." Ich nahm ihn in die Arme und gab ihm einen dicken Kuß.

"Hab nur keine Angst, es wird schon alles gut gehen!" beschwichtigte ich ihn, damit war das Thema für lange Zeit erledigt. Die Stute zeigte sich anstellig und lieb unter dem Sattel, es war eine wahre Freude, mit ihr auszureiten. Doch eines Tages, es war natürlich wieder ein Wochenende, kam Lajos mit einem fremden Mann zusammen in dessen Lastwagen an.

"Guten Morgen, Anne! Schau her, das ist Herr Kovács, er besitzt eine schicke Gidran-Stute, die noch dazu tragend ist, ich habe sie gegen unsere Stute eingetauscht." Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Ja hatte mein Mann denn keine Sentimentalität für die Tiere? Mein Pferdchen, das wußte ich genau, würde bis zu seinem Tode bei mir bleiben, selbst wenn ich es später nicht mehr würde reiten können. Wie konnte man nur so herzlos sein und die Tiere als einfache Ware behandeln?

"Aber Lajos, ich habe mich gerade an die Stute gewöhnt, sie ist so lieb und brav - wie konntest du sie nur so einfach hergeben, noch dazu, ohne mich davon zu unterrichten?" Mein Mann zuckte nur mit den Achseln.

"Ein Pferd ist so gut wie das andere und wir machen ja noch einen guten Tausch, denn die Gidran-Stute ist tragend und hat Papiere! Da sie aber zu klein ist, um eine Kutsche zu ziehen, hat der Herr Kovács sich eben bereitgefunden, mit mir zu tauschen."

"Tut sie dir denn überhaupt nicht leid?" wollte ich wissen, doch sein Blick belehrte mich eines Besseren.

"Warum denn? DEIN Pferd kannst du ja behalten, mit MEINEN Tieren, mache ich, was ich will!" war die strikte Antwort. Dann band er die Stute los und brachte sie mit einigen Mühen dazu, von einer Erdrampe aus auf den Lastwagen zu steigen.

"Und wo ist die neue Stute?" wollte ich von ihm wissen.

"Die ist zu schade, um sie so zu transportieren, ich werde sie morgen hierher reiten, das ist sicherer." belehrte mich mein Mann. "Jetzt fahre ich auf dem Wagen mit, um zu sehen, daß die hier anständig ankommt, dann schlafe ich bei Kovács's und reite morgen früh ab. Gegen Mittag sollte ich hier eintreffen, wenn alles gut abläuft."

"Na, dann, gute Fahrt und guten Ritt!" wünschte ich ihm, dann mußte ich mich abwenden, damit er die Tränen in meinen Augen nicht sah, die ich nun nicht mehr länger zurückhalten konnte. Das hätte nur neuen Ärger verursacht, denn Lajos liebte solche Gefühlsausbrüche "wegen solchen Kleinigkeiten" wie er es zu nennen pflegte, nicht. Mit Gebrumm fuhr der Lastwagen fort und nahm das mir eben erst ans Herz gewachsene Pferd mit sich. Hoffnungsvoll erwartete ich am nächsten Tag die Ankunft der neuen Stute. Hoffentlich würde sie sich ebenso gut mit meinem Pferd vertragen, wie die andere! Ich richtete den Stall frisch her, striegelte mein Pferdchen, bis es glänzte und wartete. Mittag war schon lange vorbei, doch noch immer kein Zeichen von meinem Mann. Langsam wurde ich ungeduldig, konnte man doch nie wissen, ob nicht unterwegs etwas geschehen war. Es genügte ja schon, wenn das Pferd ein Eisen verlor und dann nur noch im Schritt, wenn überhaupt zu reiten war oder erst ein Schmied gesucht werden mußte. Spät am Nachmittag hörte ich dann Hufgetrappel auf der Straße. Ich rannte zum Tor und öffnete die beiden schweren Flügel weit.

"Oh, nein!!!!" entfuhr mir ein Aufschrei, denn was ich sah, konnte nur einem Alptraum entsprungen sein. Dieses Tier sollte der sogenannte "bessere" Ersatz für die kastanienbraune Stute sein? Lajos sprang aus dem Sattel und führte das Tier in den Hof.

"Na, was sagst du zu der Neuerwerbung?" fragte er mich stolz.

"Aber Lajos, das Tier ist ja nahe dem Hungertod? Wie konntest du es nur wagen, damit auf eine so lange Strecke zu gehen? - Und die Stute soll noch dazu tragend sein? Du lieber Himmel, die hat ja noch nicht einmal für sich selbst genug, wovon soll denn das Fohlen wachsen?" entsetzte ich mich.

"Naja, es stimmt schon, sie ist etwas unterernährt," meinte mein Mann, "aber," setzte her hinzu, "das kommt nur daher, weil der Vorbesitzer sie in einem Schweinestall gehalten hat, wo sie Wasser bekam, wenn sie hungrig war und Futter, wenn sie Durst hatte. Aber das wird sich je jetzt ändern, du wirst sie schon wieder aufpäppeln."

"Natürlich, aber wer kann garantieren, daß das Fohlen keinen Schaden genommen hat?"

"Es wird schon nichts passieren, die Tiere sind robuster, als man denkt!" wiegelte Lajos ab. "Doch schauen wir erst einmal, was dein Pferd zu ihr sagt." Ich holte meinen Wallach aus dem Stall, er schien ebenso das Stütchen zu bemitleiden, wie ich, denn er näherte sich ihr vorsichtig und begann, sie ganz zärtlich zu beschnuppern. Die Stute ließ sich dies auch brav gefallen, war vielleicht auch zu schwach für eine Abwehrreaktion. Wir brachten die Tiere in den Stall, wo sich die Stute sofort über das Futter hermachte. In wenigen Minuten war eine riesige Ration Heu verschwunden und die Stute legte sich ermüdet ins Stroh. Nach einigen Wochen aufopfernder Pflege begann sich ihr bis dahin eingefallener Leib zu runden und auch die Rippen standen nicht mehr so kraß hervor. Es wurde langsam Herbst. An einem schönen Vormittag war ich eben dabei, das Mittagessen für mich vorzubereiten, als mir urplötzlich sehr schlecht wurde. Ich fragte mich, was ich wohl Falsches gegessen haben könnte, mir fiel aber nichts ein. So ließ ich das Mittagessen ausfallen und legte mich ins Bett. Doch auch am Abend war der Brechreiz noch da, mir wurde etwas mulmig zumute. Außerdem lag die Toilette im zweiten Hühnerhof und die Hausherrin war immer sehr darauf bedacht, daß ich die beiden Gatter gut schloß, damit sich ihre beiden Hühnerstämme nicht vermischten! Auch die folgenden Tage brachten keine Besserung, so daß ich beschloß, am Ende der Woche ins Krankenhaus zu fahren. Ich nahm am frühen Morgen den Bus, der mich in die nächste größere Stadt brachte, wo es ein Krankenhaus gab. Auf der kurvenreichen Strecke mußte ich mich sehr zusammennehmen, damit mir nicht wieder schlecht wurde. Im Krankenhaus ließ man mich erst einmal lange Zeit warten, dann mußte ich eine Reihe von Tests über mich ergehen lassen. Am Ende kam ein Arzt mit den Ergebnissen zu mir.

"Gratuliere, Frau Molnár, sie sind schwanger!" lächelte er mir zu. Ich fiel aus allen Wolken. Natürlich wollten wir ein Kind, vor allem Lajos, der sich nichts sehnlichster wünschte, als einen kleinen Jungen, der dann in die Fußstapfen des Vaters treten würde und den Familiennamen fortführen könnte. Doch war die Gewißheit, nun schwanger zu sein doch ein kleiner Schock für mich. Ich rechnete schnell nach: Das Kind würde zwar nach Beendigung des Wehrdienstes auf die Welt kommen - aber wo? Zwar würde Lajos seine Position als Csikós wieder einnehmen können, aber das Zimmerchen, welches das Staatsgut ihm zur Verfügung stellen würde, war wohl kaum ausreichend für eine Familie mit Baby. Außerdem sollte wenigstens das Kind in einem gewissen Komfort leben. Dies alles ging mir in Windeseile im Kopf herum, trotzdem lächelte ich den Arzt freundlich an.

"Vielen Dank, für die Mitteilung, aber sagen Sie mir bitte auch, wie ich diese andauernde Übelkeit wegbekomme?"

"Die geht schon von alleine wieder weg." beschwichtigte mich der Arzt. "Bei manchen Frauen kommt das so um den dritten Monat herum vor, verschwindet dann aber genauso schnell wieder, wie sie gekommen ist. Trotzdem wollen wir Sie ein paar Tage zur Beobachtung im Krankenhaus lassen."

"Nein, das geht nicht!" rief ich voller Schrecken aus. "Ich habe weder etwas mitgenommen, noch kann ich meine Pferde alleine lassen - Sie müssen wissen,  mein Mann ist beim Militär und die Hauswirtin hat Angst vor meinen Tieren."

"Trotzdem werden Sie hierbleiben!" bestand der Arzt auf seiner Anweisung. "Geben Sie mir die Adresse Ihres Mannes, ich werde seinen Vorgesetzten die Sache erklären und diese bitten, daß er für ein paar Tage Sonderurlaub erhält. Sie gehen jetzt schön brav zur Aufnahme und ich werde Sie darüber informieren, wenn Ihr Mann seinen Urlaub erhält." Damit unterschrieb er ein Formular und drückte es mir in die Hand.

"Dritter Stock, Gang B!" Damit war ich verabschiedet. Schweren Herzens und mit noch immer rebellierendem Magen begab ich mich zur angegebenen Adresse. Dort händigte man mir ein Nachthemd aus, wies mir ein Zimmer an, wo schon sieben andere Frauen, alle mit dicken Bäuchen und wohl auf die Geburt wartend, lagen. Ich erhielt das erste Bett, was mir auch ganz lieb war, denn ich mußte laufend auf die ziemlich weit entfernte Toilette laufen. Später erschien noch einmal der Arzt und erklärte mir, daß alles zum Besten geregelt sei, mein Mann hätte drei Tage Ausgang erhalten. Am Abend brachte man uns allen etwas zu Essen, ich konnte natürlich keinen Bissen kosten, aber sonst geschah nichts! Am nächsten Morgen, nach einer schlechten Nacht, stellte man uns wieder nur das Frühstück vor die Nase, aber es gab weder eine Visite, noch Hilfe für meine Übelkeit. Eine der Frauen verschwand dann, ihre Wehen hatten eingesetzt. Endlich erschien eine Schwester mit einem Tropf.

"Sie erhalten eine Vitamin B Infusion, das müßte Ihre Übelkeit mindern." klärte sie mich auf. Sie stach mir die Nadel in die linke Armvene, schloß das Gerät an und verschwand wieder. Die kalte Flüssigkeit rann mir mit einer unglaublichen Geschwindigkeit durch den Körper, ich spürte förmlich, wie sie sich in mir verteilte. Neugierig schaute ich auf die Flasche, die sich schnell leerte. Als dann nur noch Luft vorhanden war, rann auch diese bis zu der Absperrung - und dann weiter auf meine Vene zu! So viel wußte ich schon, daß die Luft auf keinen Fall in meinen Körper gelangen durfte! Ich preßte also schnell mit der rechten Hand den dünnen Plastikschlauch zusammen - hatte dann aber keine Hand mehr frei, um an die Klingel zu gelangen, die sich in einem in die Wand eingelassenen Brett hinter meinem Kopf befand!

"Bitte, könnten Sie nicht die Schwester rufen, ich glaube, ich habe ein Problem!" bat ich eine meiner Zimmergenossinnen. Diese nickte und betätigte ihre Klingel. Nach einigen Minuten erschien die junge Schwester. Ein schneller Blick auf das Gerät, sie erbleichte merklich und zog mir schnell die Nadel aus dem Arm. Ohne ein Wort zu verlieren, brachte sie den Tropf aus dem Zimmer - und erschien nach einiger Zeit wieder, mit einem neuen Gerät. Dieses Mal tropfte die Flüssigkeit wirklich nur und auch die Luft blieb schön hinter der Absperrung zurück! Aber ich hatte kein Vertrauen mehr in das Krankenhaus! Und schlecht war mir natürlich immer noch! Dann lieber in Ruhe bei meinen Pferden sein, als hier in Lebensgefahr. Ich machte mich auf die Suche nach einem verantwortlichen Arzt.

"Bitte, ich möchte auf eigene Verantwortung entlassen werden." beschied ich den Oberarzt.

"Aber nein, Sie können doch nicht so einfach von hier verschwinden." versuchte er mich zu beruhigen. "Sehen Sie, wir machen noch einige Tests mit Ihnen, um sicher zu sein, daß Ihnen sonst nichts fehlt und wenn es Ihnen dann wieder besser geht, können Sie entlassen werden."

"Kommt nicht in Frage!" beharrte ich auf meinem Standpunkt. "Ich gehe, auch ohne Bescheinigung! Mir ist hier genauso schlecht, wie zuhause, aber zumindest bin ich dort nicht so genervt, wie hier. Mein Mann muß morgen wieder zurück in die Kaserne, meine Pferde sind ohne Betreuung - ich muß hier raus!" schrie ich ihn an. Er schien es dann doch für besser zu befinden, mir meinen Willen zu lassen, achselzuckend stellte er mir die Bescheinigung aus, daß ich auf eigenen Wunsch und Verantwortung das Krankenhaus verlassen würde. Er reichte mir das Papier mit seiner Unterschrift.

"Danke!" damit verschwand ich schleunigst aus dem Krankenhaus. Zum Glück ging bald danach ein Bus, der mich wieder nach Hause brachte.

"Anne, du bist wieder da?" begrüßte mich Lajos etwas erstaunt, denn man hatte ihm vom Krankenhaus aus gesagt, ich würde wahrscheinlich noch ein paar Tage dort verbringen müssen.

"Oh, Liebster, es war so schrecklich! Da habe ich das Krankenhaus auf eigene Verantwortung verlassen. Es gab sowieso nichts, was mir Besserung hätte verschaffen können."

"Aber was hast du denn nun?" fragte mein Mann, den der Arzt nicht über meinen Zustand aufgeklärt hatte.

"Aber Lajos, weißt du es denn nicht? Wir bekommen ein Baby!"

"Hoffentlich wird es ein Junge!" flüsterte Lajos, doch dann verbesserte er sich schnell. "Na, Hauptsache es ist gesund!" Er küßte mich - vielleicht nicht so freudig und stürmisch, wie ich erwartet hatte - dann verschwand er ins Dorf, um mit einigen Kumpels das Ereignis zu feiern. Erst spät in der Nacht und stockbetrunken kam er wieder zurück. Seufzend half ich ihm beim Ausziehen und mußte ihn am nächsten Morgen ziemlich kräftig wachrütteln, damit er pünktlich wieder in die Kaserne kam. Mit der Zeit verging meine Übelkeit, aber ich hatte mehr als zehn Kilogramm von meinem Gewicht verloren. Aber das sollte sich mit fortschreitender Schwangerschaft wieder regeln. Ich ritt auch weiterhin die beiden Pferde, schleppte schwere Einkaufstaschen, mistete den Stall aus und hackte Feuerholz für den nahenden Winter. Niemand klärte mich über die Gefahren eines solchen Tuns auf und alles ging gut. An einem der letzten Tage, an denen mein Mann mit seinen Schafen noch auf dem Übungsplatz war, hatte ich einen scharfen Wortwechsel mit meiner Hausherrin. Ich mußte zu einer Kontrolluntersuchung in die Stadt, war also den ganzen Tag abwesend. Am Morgen hatte ich die Pferde gefüttert und getränkt.

"Bitte geben Sie ihnen kein Heu, bis ich wiederkomme." bat ich die Hausherrin. "Da Sie den Tieren kein Wasser reichen wollen, kann dies gefährlich für die Gesundheit der Pferde sein, ich möchte nicht, daß sie eine Kolik bekommen. Sorgen sie sich nicht, die Tiere werden schon nicht verhungern, bis ich am Abend zurück komme."

"Schon gut, ich habe ja verstanden!" beruhigte mich die alte Frau. Ich fuhr also los. Als ich am Abend wieder heimkam, fand ich die Stute sich in Krämpfen windend vor. Schweißgebadet und mit rollenden Augen zerrte sie vergeblich an dem Stick, der sie an der Futterkrippe festband. Mein Wallach hatte sich ganz an die Wand gedrängt, um ihren schlagenden Hufen zu entgehen.

"Mein Gott, die hat ja eine schwere Kolik!" entfuhr es mir. Zum Glück hatte ich krampflösende Mittel zuhause. Das Problem war nur: Wie kam ich von hinten an die keilende Stute heran, um ihr die Spritze in den Halsmuskel zu geben? Und welche Dosierung war angemessen, half, ohne das Fohlen zu gefährden? Ich zog schnell eine dem Körpergewicht der Stute entsprechende Menge Flüssigkeit auf die Spritze und näherte mich dem Tier. Fünf Sekunden Keilen, zehn Sekunden Ruhe, ich zählte mehrere Male, bis ich sicher war, daß die Abstände so ungefähr gleichblieben. Als das Tier wieder einmal erschöpft mit dem Schlagen innehielt, schlängelte ich mich schnell zwischen die beiden Pferdeleiber, stach ihr die Nadel in den Hals und leerte schnell die Spritze. Dann löste ich den Panikhaken am Strick meines Pferdchens und sprang rasch zurück, denn die Stute hatte wider angefangen, nach hinten auszukeilen. An die Gefahr und meinen Zustand dachte ich in diesem Augenblick nicht, mir ging es nur um das Leben von Stute und Fohlen! Mein Wallach wartete ab, bis die Stute wieder ruhte, dann schlängelte auch er sich schnell rückwärts aus dem Gefahrenbereich. Glücklicherweise war er unverletzt. Jetzt hieß es Warten. Würde das Mittel Wirkung zeigen, würde ich die Dosierung erhöhen müssen? Würden Stute und Fohlen überhaupt am Leben bleiben? Und wie war es zu der Kolik gekommen? Mir kam ein fürchterlicher Verdacht: Ich hatte die Hausherrin noch nicht gesehen, obwohl sie der Lärm, den das Pferd verursachte, doch wohl alarmiert haben müßte. Ich band meinen Wallach en einen Baum und ging auf die Suche nach der alten Frau. Ich fand sie in der Sommerküche, gemütlich zu Abend essend.

"Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß im Stall ein riesiger Lärm ist?" fuhr ich sie an.

"Meine Stute hat eine schwere Kolik! Vielleicht überlebt sie es nicht! Woher kann das wohl kommen?" Ich blickte ihr starr und anklagend in die Augen, bis sie diese zu Boden schlug.

"Die armen Viecher taten mir so leid, da habe ich ihnen Mittags und Abends mit der Heugabel zwei Ballen Heu zwischen die Beine geschoben - sie hatten auch Hunger, denn sie haben alles aufgefressen." gestand sie schließlich.

"Ja, das haben sie! Aber ohne Wasser können sie das trockene Zeug nicht verdauen. Zum Glück hat mein Pony einen robusteren Magen, als die Stute, aber die kann Ihr sogenanntes Mitleid ums Leben bringen!" fauchte ich die Frau an.

"Warum lassen Sie denn die Tiere auch alleine?"

"Sie wissen ganz genau, daß ich schwanger bin und die Kontrolluntersuchungen nur im Krankenhaus vorgenommen werden. Und da die Busse hier nur selten fahren, nimmt das eben einschließlich der Warterei im Krankenhaus einen ganzen Tag in Anspruch!"

"Dann suchen Sie eben einen anderen Platz für die Gäule, wenn es Ihnen bei mir nicht paßt!" keifte die Frau mich an. "Ich habe sowieso die Nase voll von dem Misthaufen auf meinem Grundstück und dem Heu und Stroh in meiner Scheune. Und mit dem neumodischen Gasherd werden Sie mir noch einmal das ganze Haus in die Luft jagen!" setzte sie hinzu. "Passen Sie nur auf, sonst können Sie sich für den Winter eine neue Bleibe suchen - Sie und die beiden Biester!"

"Das werden wir ja sehen!" schrie ich zurück. "Immerhin zahle ich Ihnen einen mehr als anständigen Preis für den wenigen Komfort!" Dann rannte ich wieder ins Freie und begann, eimerweise Wasser zu meinem Pferdchen zu schleppen, welches gierig mehr als fünfzig Liter trank. Auch die Stute bekam dann ihren Teil, zumal die Spritze zu wirken begann und sie sich langsam beruhigte. Ich aber war so aufgeregt, daß ich meinen Wallach sattelte und in die Nacht hinausritt. Wir fanden den versteckten Pfad auch im Dunkeln, zumal uns der Vollmond leuchtete. Die Huftritte wurden vom weichen Sandboden gedämpft, so daß niemand uns hören konnte. Am Wachturm angekommen, stieg ich ab und klopfte an die Tür. Ich hörte Bewegungen im Innern, dann ging ein kleines Licht an. Plötzlich eine erschreckte Stimme:

"Hilfe, ein Bär!" Dann das Lachen meines Mannes.

"Aber Tibi, du Angsthase! Hier gibt es keine Bären! Das ist nur das Pony meiner Frau. Stimmt schon, mit seinem Winterpelz sieht es im Gegenlicht fast aus wie ein Bär - aber trotzdem!" Lajos öffnete mir die Tür und ließ mich ein.

"Aber Anne, was machst du denn in der Nacht zu Pferd hier draußen und noch dazu in deinem Zustand?" Ich berichtete ihm von der Kolik der Stute und dem Streit mit der Hausherrin.

"Nur immer mit der Ruhe!" beschwichtigte er mich. "Es wird nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Übermorgen habe ich frei, dann rede ich einmal mit der Alten! Jetzt mußt du aber trotzdem wieder zurück. Schau nach der Stute und rege dich nicht auf, das schadet nur dem Baby!" wies er mich an. So machte ich mich auf den Rückweg. Glücklicherweise ging es der Stute wieder gut, so konnte ich meinen Wallach wieder in den Stall führen. Noch einmal Wasser für beide, dann fand auch ich endlich erholsamen Schlaf. Lajos regelte wirklich das Problem mit der Hausherrin, dann aber mußte er mit der Herde ins Winterquartier in die Kaserne und ich sah ihn wieder nur an den Wochenenden, wenn überhaupt. Es brach eine schwierige Zeit für mich an. Die Temperaturen fielen in diesem Winter schnell auf unter 20°C und es gab viel Schnee. Ich konnte die Pferde jetzt nur noch auf einem Acker hinter dem Haus longieren, reiten war in meinem Zustand zu gefährlich und eine Koppel stand uns nicht zur Verfügung. Der alte Herd war meine einzige Heizquelle und oft gelang es mir nicht, das Feuer die ganze Nacht über in Gang zu halten. So schlief ich angezogen, mit mehreren dicken Bettdecken über mir und einem dicken Kater an meinen Füßen. Der war mir als kleine Katze zugelaufen und ich hatte ihn aufgezogen, was er mir mit großer Anhänglichkeit und seinen Diensten als lebende Wärmflasche dankte. Gegen Morgen waren die Wände meines Zimmerchens oft mit Eisblumen überzogen und ich benötigte lange, bis ich heißes Wasser zum Waschen und Kochen hatte, zumal der Brunnen, oder besser, das Handrad oft über Nacht mit einer festen Eisschicht bedeckt war, die ich erst mühsam abkratzen mußte. Aber nie sehnte ich mich nach dem Komfort zurück, den ich in meinem Elternhaus hinter mir gelassen hatte. Es gab da zu viele negative Seiten, welche die guten keineswegs aufwogen! Eines Abends klopfte es an das Hoftor. Da die Hausherrin schon zu Bett gegangen war, öffnete ich das Tor. Tibi stand im schwachen Licht der Laterne auf dem Fußweg.

"Hallo, Tibi, was treibst du denn so spät hier draußen? Hat dich deine Freundin versetzt?" witzelte ich, denn das Mädchen, zu dem er immer ging, schien mir etwas leichtlebig zu sein. Doch der junge Mann schüttelte nur den Kopf.

"Kann ich mal reinkommen? Hier spricht es sich so schlecht." bat er mich. Von einer dumpfen Vorahnung gepackt, hieß ich ihn eintreten und führte ihn in mein Zimmerchen.

"Na los, heraus mit der Sprache, wo drückt dich der Schuh?"

"Leider drückt er nicht mich, sondern deinen Mann." stieß er hervor. "Lajos ist gestern Nacht mit noch ein paar anderen Kameraden über den Kasernenzaun geklettert und es hat eine feuchtfröhliche Runde im Dorf gegeben. Aber auf dem Heimweg waren einige so stockbetrunken, daß sie Randale gemacht haben, so hat sie eine Patrouille entdeckt."

"Und was ist nun?" fragte ich heiser vor Angst.

"Alle acht sitzen für zwei Monate in Strafhaft und bekommen bis zum Abschied keinen Urlaub mehr."

"Oh, Mist!" entfuhr es mir. "Gerade jetzt wollten wir uns nach einem Haus umsehen, da meine Eltern mir einen Teil meiner Erbschaft schon jetzt ausbezahlen wollen. Und Weihnachten steht auch vor der Tür!" Der junge Mann schüttelte mitfühlend den Kopf.

"Tja, da hat es den ganzen Sommer über geklappt - und gerade jetzt muß er sich erwischen lassen! Aber da hilft nun kein Jammern und Klagen, ihr beide werdet es schon überstehen." setzte er aufmunternd hinzu. "Und wenn du Probleme hast, mit den Pferden oder so, dann helfe ich dir auch, wenn ich kann." Ich mußte schlucken, denn ich schwankte zwischen Selbstmitleid und Dankbarkeit dem jungen Mann gegenüber, der mir hier so selbstlos seine Hilfe anbot.

"Vielen Dank, Tibi, das ist sehr, sehr nett von dir. Und bitte richte dem Lajos aus, daß ich nicht böse bin, nur traurig, daß wir uns jetzt so lange nicht mehr sehen können. Aber halt!" mir fiel da gerade etwas ein. "Hast du mir nicht einmal gesagt, daß ich als Ausländerin zwar nicht in die Kaserne dürfte, es aber vor der Schranke so einen kleinen Raum gäbe, der in solchen Fällen benutzt werden kann?"

"Das stimmt schon!" nickte Tibi, "aber solange Lajos in Haft ist, kannst du auch so nicht mit ihm sprechen. Wenn er aber wieder frei ist, dann kannst du es ja einmal versuchen. So, jetzt muß ich aber los, sonst wird meine Freundin noch eifersüchtig!"

"Na, dann! Gute Nacht! Und danke für alles!"

"Nicht der Rede wert. Für einen guten Freund tue ich doch alles!" Dann war er auch schon verschwunden. Ich verschloß das Tor hinter ihm und warf mich auf mein Bett und heulte mir erst einmal allen Kummer und Ärger von der Seele! Wie sollte ich jetzt alleine mit all den Dingen fertig werden, die wir uns vorgenommen hatten, gemeinsam zu erledigen! Erschöpft fiel ich in einen unruhigen Schlaf und auch das Baby tat das Seine, um mich am Ausruhen zu hindern: es trat mich die ganze Nacht hindurch kräftig! Am nächsten Morgen wachte ich müde auf und mußte doch meine täglichen Arbeiten verrichten. Zwischendurch überlegte ich mir, wie es weitergehen sollte. Glücklicherweise kannte ich die Adresse von Lajos' Vater, ich schrieb ihm einen erklärenden Brief und bat ihn, sich doch einmal in Hortobágy nach einem kleinen Haus mit Hof und Garten für uns umzusehen. Die Antwort kam eine Woche später, mein Schwiegervater hatte drei Häuser, die in der von mir beschriebenen Preisklasse lagen, zur Auswahl. Er bat mich, ihm per Telegramm mitzuteilen, wann ich zur Besichtigung der Anwesen kommen könnte. Ich fragte Tibis Freundin, ob sie wisse, wann er Urlaub habe und sie meinte, es sei am Wochenende. Also schickte ich ein Telegramm ab, daß ich Samstag vormittag in Hortobágy eintreffen würde. Freitag Abend besprach ich mit Tibi die Pflege der Pferde, da ich nicht sicher war, am selben Abend noch nach Hause zu kommen. Samstag früh um vier Uhr machte ich mich zu Fuß durch dicken Schnee und eisigen Wind auf zum fünf Kilometer entfernten Bahnhof. Die meiste Strecke lag im Dunkeln, da außerhalb des Dorfes keine Lampen mehr angebracht waren. Angst hatte ich zwar nicht, aber immerhin ein ungutes Gefühl, als ich so schnellen Schrittes vor mich hinstapfte. Endlich kam der Bummelzug, der mich nach Füzesabony brachte. Dort mußte ich in einem überheizten Wartesaal Platz nehmen, bis der Zug nach Debrecen über Hortobágy einlief. Es wurde langsam hell und ich freute mich an der schneebedeckten Puszta, durch die wir fuhren. Am Bahnhof stand schon mein Schwiegervater und begrüßte mich freundlich.

"Geht es dir gut? Und was macht das Baby?" wollte er wissen, dann fragte er nach "diesem Dummkopf von Lajos."

"Na ja, er war es ja nur indirekt, nach dem, was mir Tibi erzählt hat," meinte ich. "Er ist zwar genauso ausgerissen, wie die anderen, aber nur dadurch, daß einige randaliert haben, wurden sie entdeckt. Und da hieß es natürlich: mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen!"

"Ich hätte ihm eigentlich mehr Verantwortungsbewußtsein zugetraut!" empörte sich sein Vater. "Er wußte doch ganz genau, was er riskiert und daß du es dann sehr schwer haben wirst!"

"Sicher, aber das Leben in der Kaserne ist hart für einen jungen Mann, der das freie Leben der Puszta gewohnt ist!" versuchte ich ihn zu verteidigen, obwohl auch ich etwas enttäuscht vom Leichtsinn meines Mannes war.

"Na, Schwamm drüber! Es ist ja sowieso nicht mehr zu ändern! Komm, ich zeige dir die drei Häuser. Ich habe mit den Besitzern vereinbart, daß du erst deinem Mann über deine Eindrücke berichten kannst und dann noch einmal hierher kommst, die endgültige Entscheidung zu treffen." Er führte mich zuerst zu einem kleinen Häuschen, das versteckt zwischen Hecken lag, aber keine Nebengebäude besaß. Ich winkte ab.

"Wir brauchen sofort Stallungen, da wir Ende Februar einziehen wollen und es keine Gelegenheit mehr gibt, so schnell welche zu bauen."

"Na schön, hier ist das nächste Haus!" meinte mein Schwiegervater und deutete auf ein ziemlich baufälliges Gemäuer, das schon lange Zeit leer stehen mußte. "Es hat zwei Zimmer, Küche, Bad und Nebengebäude, muß nur später wieder etwas hergerichtet werden." Ich schüttelte leicht den Kopf.

"Mal sehen, was der dritte Vorschlag zu bieten hat." Wir wanderten jetzt bis fast zum anderen Ende des Dorfes und kamen vor dem großen Bürogebäude des Staatsgutes vorbei. Gleich dahinter befand sich in einer ruhigen Straße ein großes Eckgrundstück., an dessen einer Langseite sich eine kleine Grünanlage befand, auf der anderen Langseite das Nachbargrundstück, vorne ein Gehweg und hinten am Hof führte die Straße vorbei.

"Das sieht ja schon ganz annehmbar aus." entfuhr mir, als wir um das Grundstück herumgingen, um zum Vordereingang zu gelangen. Auf unser Klingeln öffnete uns der Hausherr und bat uns, einzutreten. Wir gingen durch den kleinen Vorgarten ins Haus.

"Ich zeige Ihnen gleich die Zimmer, natürlich können Sie die Einrichtung auch verändern." meinte der Hausbesitzer. Ich nickte beifällig. Wir kamen zuerst in einen Vorraum, der als geschlossene Veranda zu verstehen war, dann ins eigentliche Haus. Den Mittelteil bildete ein großer, quadratischer Raum, der fast völlig leer war, nur ein kleiner Kühlschrank und ein Wandbord befanden sich an der einen Seite. Von diesem Vorzimmer aus öffneten sich die eigentlichen Zimmer und Nebenräume. Da gab es ein kleines Wohnzimmer, eine große Küche, ein Schlafzimmer und ein winziges Bad, daneben eine Speisekammer. Da das Haus aus luftgetrockneten Ziegeln gebaut war, konnte der Dachstuhl nicht ausgebaut werden, dafür gab es aber in dem Nebengebäude eine kleine, sogenannte Sommerküche, zwei kleine Stallungen für die Hühner, einen Holzlagerraum und eine Garage, in einem weiteren Nebengebäude war der Schweinekoben untergebracht, darüber ein Heustadel.

"Der Preis scheint mir korrekt zu sein," flüsterte ich meinem Schwiegervater zu und dieser bestätigte es mir.

"Wenn es dir gefällt, dann können wir ja einen provisorischen Vorvertrag unterschreiben, du berichtest Lajos davon und dann vereinbaren wir einen Termin beim Notar. In diesem Fall müssen ihn seine Vorgesetzten auf jeden Fall beurlauben."

"Hoffentlich!" seufzte ich, dann begaben wir uns wieder in das Haus und vereinbarten eine Frist, bis zu der wir beim Notar gewesen sein mußten, um den Kauf abzuschließen, denn ich war mir sicher, daß auch mein Mann nichts an dem Haus auszusetzen haben würde. Wir verabschiedeten uns dann von dem Hausherrn und mein Schwiegervater lud mich noch zu einem Mittagessen in den Fogadó ein, bevor er mich an den Bahnhof begleitete. Spätabends gelangte ich erschöpft aber voller Zuversicht zuhause an. Schon am nächsten Morgen versuchte ich von der Post aus, die Kaserne telefonisch zu erreichen, man hängte aber dort einfach ab. So machte ich mich zu Fuß auf den Weg, da weder Bahn noch Bus fuhren. Nach Stunden kam ich vor der Kaserne an.

"Was wollen Sie?" herrschte mich der Wachposten an.

"Ich muß eine wichtige Nachricht an meinen Mann, Lajos Molnár, weitergeben, die den Kauf eines Hauses betrifft. Bitte, wer kann ihm diese Botschaft überbringen?" fragte ich den Wachposten und zeigte ihm den Brief, den ich vorsorglich schon vorbereitet hatte.

"Keine Ahnung wer da zuständig ist, darf auch meinen Posten nicht verlassen," brummelte der junge Soldat, dann schien er sich aber doch meiner zu erbarmen. "Gehen Sie mal hier in das Vorzimmer, da ist auch ein Wachhabender, der kann Sie vielleicht telefonisch mit dem Vorgesetzten Ihres Mannes verbinden." meinte er und wies auf eine dicke Holztür, gleich neben seinem Wachhäuschen. Ich trat ein und wurde sofort von einer barschen Stimme angeschnauzt.

"Wer sind Sie - was wollen Sie?" Die Stimme gehörte einem älteren Offizier, der es sich hinter einer Glasscheibe in einem winzigen Stübchen bequem gemacht hatte.

"Ich bin Anne Molnár und habe eine dringende und wichtige Mitteilung an meinen Mann, Lajos Molnár zu machen, die den Kauf eines Hauses betrifft."

"Hmmmm...." überlegte der Offizier.

"Der Lajos ist ja in Haft und hat dann Ausgangssperre bis zum Ende seiner Wehrpflicht.... aber es gibt da so eine Vorschrift, im Falle wichtiger Verträge, zu denen seine Unterschrift notwendig ist...... - warten Sie mal einen Moment." Damit griff er zum Telefon und sprach eine ganze Zeit lang auf jemanden am anderen Ende der Leitung ein. Ich setzte mich inzwischen auf einen der harten und unbequemen Holzstühle, die vereinzelt hier herumstanden, hatte ich doch noch einen langen Rückweg vor mir. Aufmerksam beobachtete ich den Offizier. Manchmal nickte er, manchmal schüttelte er den Kopf, ich konnte seine leisen Worte hinter der Scheibe aber nicht entschlüsseln und wartete ungeduldig auf den Ausgang des Gespräches. Endlich legte der Offizier den Hörer wieder auf die Gabel.

"Sie da!" rief er mich zu sich, "ich habe mit dem Vorgesetzten Ihres Mannes gesprochen. Während der Haftzeit darf der nicht weg, aber danach kann er ein oder zwei Tage Ausgang erhalten, wenn der Notar vorher eine Bescheinigung schickt, daß an dem bestimmten Tag der Kaufvertrag bei ihm unterzeichnet wird." Mir fiel ein Stein vom Herzen! Wenigstens würden wir ein Dach über dem Kopf haben, wenn der Militärdienst meines Mannes vorüber war und das Baby würde in geordneten Verhältnissen aufwachsen.

"Haben Sie herzlichen Dank!" lächelte ich dem Offizier zu, dann machte ich mich auf den langen Fußweg nach Hause. Auf halber Strecke begann ein Schneesturm, der lediglich den einen Vorteil hatte, daß er mir in den Rücken blies. Es wurde immer dunkler und war schwarze Nacht, bis ich endlich das bekannte Hoftor vor mir hatte. Doch war mein Tag damit nicht zu Ende: ich mußte noch die Pferde versorgen, ein frisches Feuer in dem kleinen Herd anzünden und Wasser zum Waschen auf dem Gasherd erhitzen. Jetzt sehnte ich die Badewanne unseres zukünftigen Hauses herbei! Doch noch war der Vertrag nicht abgeschlossen, noch hatte mein Mann einige Wochen in der Kaserne zu verbringen - und mußte ich mich um den späteren Umzug kümmern! Der Hauskauf konnte bald glücklich abgeschlossen werden, mit einem Wermutstropfen: als Ausländerin konnte ich keinen Grundbesitz erwerben, obwohl die Finanzierung ausschließlich von meinen Eltern stammte. Doch hatte ich mich ja entschlossen, so bald wie nur irgend möglich die ungarische Staatsbürgerschaft anzunehmen, dann konnte auch das Eigentumsrecht auf mich übergehen. Wir kosteten die beiden Tage bis zur Neige aus, würde es doch lange Zeit dauern, bis ich wieder mit meinem Mann in Kontakt gelangen konnte! Als er wieder Besuch in der Kaserne empfangen durfte, natürlich außerhalb des eigentlichen Geländes, beschloß ich, mir einen kleinen Motorroller zu kaufen, denn die Strapazen des langen Fußweges konnte ich nicht mehr ertragen. So überraschte ich Lajos damit, daß ich am ersten Besuchstag motorisiert vor der Kaserne ankam. Die kurze Stunde war bald vorüber, zu persönlichen Gesprächen war kaum Gelegenheit, denn der Raum war überfüllt mit Soldaten und deren Angehörigen.

"Paß gut auf dich auf, Anne und auch auf das Baby!" warnte mich mein Mann, "auf den schneebedeckten, schlechten Straßen kannst du leicht ausrutschen!"

"Mir passiert schon nichts!" beschwichtigte ich ihn, bevor wir uns mit einem langen Kuß bis zum nächsten Wochenende verabschiedeten. Bis dahin ging ich meinen täglichen Arbeiten nach, longierte die Pferde, bereitete das Holz für den nächsten Tag vor, ging einkaufen oder machte Pläne für die Zukunft. Die Temperatur fiel auf -38°C, der Schnee lag fast einen halben Meter hoch im Garten. Selbst das Rad des Brunnens ließ mich nun manchmal im Stich, das Wasser mußte ich dann aus einem Hydranten an der Straßenecke holen. So verging die Zeit schnell. Am folgenden Wochenende fuhr ich wieder zur Besuchszeit vor der Kaserne vor. Als ich meinen Motorroller gerade anketten wollte, kam der mir bekannte Wachposten aus seinem Häuschen.

"Passen Sie auf, wir haben einen neuen Chef, der mag keine Ausländer!" flüsterte er mir mit Verschwörermiene zu.

"Ich komme doch nur meinen Mann besuchen!" flüsterte ich ebenso leise zurück.

"Trotzdem!" war die schnelle Antwort, dann verzog er sich wieder auf seinen Posten. Ich ging in den Raum und ließ über den dort wachhabenden Offizier meinen Mann suchen. Doch welch ein Schreck: statt Lajos stand ein mir fremder Mensch in der Tür, mit allen Anzeichen von Autorität und von hohem Range, soviel ich ausmachen konnte.

"Frau Molnár, Sie haben hier nichts verloren!" brüllte er mich an und machte eine unmißverständliche Armbewegung zur Tür hin.

"Westliche Ausländer sind hier unerwünscht, die wollen doch nur spionieren!" Zuerst wollte ich mich ärgern, seine letzten Worte ließen mich aber beinahe laut lachen. Ich nahm alle Kraft zusammen und blickte ihm starr in die Augen.

"Mein Herr! Ich komme nur, um meinen Mann zu besuchen, die Spione für den Westen, die sitzen wahrscheinlich schon lange in Ihren eigenen Reihen und sind besser informiert in militärischen Dingen, als ich es je sein werde! Zudem wurde der Raum hier ja genau deshalb eingerichtet: damit in der Kaserne nicht zugelassene Angehörige trotzdem die Soldaten sprechen können!" wagte ich zu erwidern, doch der Offizier blieb hart.

"Sie verschwinden sofort von hier und werden auch in Zukunft sich nicht mehr als auf fünfhundert Meter der Kaserne nähern!" schnauzte er mich an. Das konnte ich mir doch nicht gefallen lassen!

"Mein Herr, dann darf ich also auch nicht mehr die Straße benutzen, die nur drei Meter vor der Kaserne vorbei führt? Und wann oder wo kann ich mit meinem Mann sprechen?"

"Reden Sie keinen Quatsch," wies mich der Mann zurecht, "solange Sie nur vorbeifahren, so sei es! Und Ihr Mann hätte sich entweder eine Ungarin zur Frau nehmen sollen, oder aber die Regeln der Kaserne respektieren sollen, dann hätte er noch Ausgang - so und jetzt raus!" Er kam drohend auf mich zu, ließ sich auch von meinem Zustand nicht erweichen und so mußte ich wohl oder übel den Raum verlassen, sonst hätte er mich womöglich noch mit Gewalt hinaus befördert. Selbst der wachhabende Offizier schüttelte nur den Kopf, als er die Szene mit ansehen mußte. Nun blieben für die letzten Wochen also nur noch Briefe als einziges Mittel der Kommunikation. Lajos riet mir, bei einem seiner Kollegen in Hortobágy anzufragen, ob das Staatsgut ihm einen Lastkraftwagen zum Umzug zur Verfügung stellen würde, viel hatten wir ja nicht, die zwei Pferde und die anderen, wenigen Habseligkeiten würden noch nicht einmal den ganzen Platz beanspruchen. Die Zeit verging, der Tag des Umzugs nahte. Ich mußte schon am Tag zuvor nach Hortobágy, da meine Möbel aus Deutschland dann dort eintreffen würden, Lajos würde am nächsten Tag mit dem Laster kommen.

Es war kalt und Schnee lag in der Luft, als ich aus dem Zug stieg. Die Schlüssel des Hauses hatte ich bei mir, normalerweise hatten die Vorbesitzer es eine Woche vor unserem Einzug geräumt. Als ich in die kleine Straße einbog, sah ich schon von weitem den großen Berg Gerümpel, der im Hof des Hauses lag.

"Oh nein!" entfuhr es mir, "Jetzt kann ich auch erst noch aufräumen, bis der Möbelwagen in den Hof einfahren kann." Zum Glück halfen mir die neuen Nachbarn, sonst hätte ich das in meinem Zustand kaum geschafft. Und wie sah es sonst aus! Im Hühnerstall lag dick der Mist von mehreren Jahren, im Schweinekoben ebenso. Die Garage war vollgepackt mit Abfällen jeder Art und das Haus.....

Zwar waren alle früheren Einrichtungsgegenstände aus den Zimmern verschwunden, aber alles war schmutzig. In der Badewanne lag eine dicke Schicht einer gelben Ablagerung, die Wände waren dort, wo vorher Möbel gestanden hatten, von anderer Farbe, als der Rest der Wand, der Holzboiler für warmes Wasser im Bad war halb aus seiner Verankerung gerissen und überall standen dicke Nägel aus den Wänden. Als ich einen herausziehen wollte, wurde mir sofort klar, warum man die Nägel in der Wand gelassen hatte: Die halbe Wand kam mir entgegen! Diese Luftziegel, eine Mischung aus Lehm und Stroh, in der Sonne getrocknet, sind zwar eine gute Isolierung, aber sehr anfällig. Für jede Befestigung in der Wand benötigt man dicke Dübel und auch sonst kommt einem manchmal ein Stück entgegen, wenn man zum Beispiel mit einer Schrankecke ankratzt. Der Tag verging mit Saubermachen. Gegen Mittag rief der Möbelspediteur an, ich könne jetzt die Zollbeamten im 30 Kilometer entfernten Debrecen benachrichtigen, in einer halben Stunde käme der Transporter bei mir an. Ich mußte als wieder bis zum öffentlichen Telefon bei der Post laufen, um das Zollamt anzurufen. Dort versprach man mir auch, daß zwei Beamte sofort losfahren würden, gegen ein Uhr Nachmittag seien sie dann bei mir. Na schön! Der Möbelwagen kam genau nach fünfunddreißig Minuten vorgefahren, von den Beamten noch keine Spur. Dabei wurden sie benötigt, um die Plomben zu öffnen, mit denen der Wagen an der ungarischen Grenze versehen wurde. Dann mußten wir noch ausladen, der Chauffeur hatte Order, am nächsten Morgen in aller Frühe wieder zurückzufahren! Es wurde spät und immer später, es wurde langsam wieder dunkel, denn im Osten Ungarns geht die Sonne eine Stunde früher auf und unter, als in Deutschland. Ich mußte noch einmal zum Telefon laufen, dort sagte man mir, die Beamten seien schon um halb ein Uhr abgefahren, ein Unfall sei auch nicht gemeldet worden. Und jetzt war es halb fünf! Unverrichteter Dinge lief ich zurück und kam eben vor dem Tor an, als die beiden Beamten vorfuhren. Leicht schwankenden Schrittes verließen sie das Auto.

"Das ist der Möbelwagen?" staunte der eine, als er den großen Laster im Hof sah. "Was ist denn da alles drin?"

"Die Listen haben Sie ja von mir zugeschickt bekommen," erwiderte ich scharf.

"Aber falls Sie sie nicht bei sich haben, bitte, hier ist eine Kopie davon!" Ich reichte dem einen die engbeschriebenen Blätter.

"Oh je, oh je!" Das schaffen wir ja heute nie!" seufzte der eine. "Da brauchen wir ja viel länger Zeit dazu - wir kommen morgen früh noch einmal wieder, für heute sieht man je sowieso nichts mehr!" Er wollte sich eben abwenden, als ich mich vor ihn stellte.

"Hören Sie! Ich habe eine halbe Stunde vor Ankunft des Lasters bei Ihrer Dienststelle um Zollabnahme gebeten - das war vor halb eins heute Mittag. Man sagte mir auch, daß Sie sofort losfahren würden, um die Zollabnahme vorzunehmen. Der Wagen muß morgen in aller Frühe die Rückfahrt antreten, es kann keine Rede davon sein, daß er erst morgen geöffnet und ausgeladen wird. Im Notfall wende ich mich an Ihre Vorgesetzten!" drohte ich nun voller Wut. Die Beamten schienen zu überlegen.

"Haben Sie was zu Trinken hier?" fragte mich der Ältere dann völlig überraschend.

"Sie meinen - Alkohol?" fragte ich verblüfft. Die beiden nickten. Ich wendete mich ab, um eine Flasche aus dem Haus zu holen.

"Aprikosenschnaps!" schnalzte der eine mit der Zunge, als er das Etikett sah. "Sehr gut!" Damit öffnete er die halbe Liter Flasche und nahm einen guten Zug, bevor er die Flasche an seinen Kollegen weiterreichte. "Na dann wollen wir mal den Wagen öffnen - haben Sie eine Zange?" fragte er mich, doch ich zuckte nur die Schultern.

"Im Wagen, sicher, hier aber nicht!" So mußte ich erst von den Nachbarn eine Zange leihen, damit die beiden Beamten den Wagen öffnen konnten. Aber die Mienen der beiden, als sich die Türen öffneten und der Wagen vom Boden bis zum Dach vollgepackt mit Möbeln, Kisten und Kasten vor ihnen stand.

"Du lieber Gott, was haben Sie denn da alles mitgebracht!" staunte der eine. "Das können wir unmöglich alles genau inspizieren - packen Sie mal den einen Kasten da aus!" forderte er mich auf und deutete auf eine große Kiste, auf deren Deckel zu lesen war: Vasen.

"Da sind Vasen drin!" meinte ich und öffnete den Deckel. Natürlich waren die zerbrechlichen Vasen noch in Packpapier und Seidenpapier eingewickelt, am sah also nicht gleich den Inhalt der Kiste.

"Au weia! Ist bei Ihnen alles so verpackt!" staunten die Beamten.

"Natürlich, sonst wäre ja die Hälfte bei der Fahrt kaputtgegangen!"

"OK! Wir haben hier die Liste, Sie unterschreiben, daß das alles ist, dann können wir wieder gehen." Sagte der jüngere der Männer, doch der Älter hatte noch einen Seitenhieb parat.

"Ich sehe, Sie haben hier auch einige Kisten mit Büchern aufgelistet, aber die Titel stehen nicht darauf - bis morgen reichen Sie uns eine Liste nach, auf der von jedem Buch Titel, Autor, Verlag und Erscheinungsjahr vermerkt sind - sonst erhalten Sie keine Zollfrei-Bestätigung von uns." Damit verschwanden die beiden in der Nacht - und mit ihnen die Flasche Schnaps! Tolle Sitten! Nachdem wir mit vielen freiwilligen Helfern endlich alles im Haus verstaut, aber natürlich nicht aufgebaut und eingeräumt hatten, verabschiedete sich der Fahrer von mir, er hatte im Fogadó ein Zimmer reservieren lassen. Und ich schrieb die ganze Nacht über an der Bücherliste! Am nächsten Morgen brachte ich sie auf die Post - und erhielt am darauffolgenden Tag meine Bescheinigung! Es hat wohl nie jemand auch nur einen Blick auf die Liste geworfen, das war wohl nur als kleines Zeichen seiner Macht seitens des Zollbeamten zu verstehen gewesen.

Die nächsten Tage vergingen mit Auspacken und Einrichten, dazu kamen die Tiere. Lajos hatte den Laster mit den Pferden und unserem wenigen Hab und Gut nach Hause gefahren. Doch als er in den Hof einfuhr, war ich enttäuscht: Keine Pferde zu sehen!

"Lajos, wo sind die Pferde?" fragte ich meinen Mann, doch der winkte nur ab.

"Die habe ich natürlich gleich in der Puszta gelassen," meinte er, ohne mit der Wimper zu zucken. "Du kannst ja sowieso jetzt nicht reiten und hier haben sie ja auch noch keinen Platz, außerdem sind sie bei mir draußen in der Herde besser aufgehoben. - Aber jetzt packe lieber mit an, ich muß den Wagen noch heute zurückgeben!" Ich wischte die Tränen der Enttäuschung, die mir in den Augen brannten, heimlich weg und half meinem Mann beim Abladen. In einem Korb entdeckte ich einen Hahn und drei Hennen.

"Ja wo kommen die denn her?" fragte ich erstaunt.

"Ach, die alte Witwe wollte dir ein Abschiedsgeschenk machen und hat mir deshalb die Hühner und den Gockel für dich mitgegeben, und ich habe sie angenommen, weil wir sowieso eine Menge Geflügel halten werden, da kamen die mir ganz recht. Hoffentlich hast du den Hühnerstall vorbereitet?" wollte er mit stechendem Blick aus seinen dunklen Augen von mir wissen. Ich nickte nur, hatte ich doch schwer geschuftet - und das in meinem Zustand - um den Mist von wahrscheinlich einigen Jahren und einigen Dutzend Hühnern aus dem engen Gelaß zu entfernen, welches als Hühnerstall dienen sollte.

"Morgen werde ich mich nach ein paar Ferkeln umsehen, denn wir werden zweimal jährlich schlachten, damit immer genug Fleisch, Speck und Fett im Hause sind." rief mir Lajos über die Schulter zu, als er den Herd ins Haus trug. Ich wollte ihm gerade folgen, als ich ein leises Winseln hörte. Zuerst dachte ich, es sei der Nachbarshund, doch dann schien es mir so, als ob der klagende Ton aus der Fahrerkabine des Lastwagens kommen würde. Ich öffnete schnell die Tür an der Beifahrerseite - und sah ein wollig-weißes Bündel, eine Kuvasz-Hündin, aber so verhungert, daß sie noch nicht einmal die Kraft hatte, ihren schönen, jetzt aber nur aus Haut und Knochen bestehenden Kopf zu heben.

"Lajos!" entfuhr es mir, "was um Gottes Willen hat das zu bedeuten? Wo hast du diesen Hund her, der vor Hunger fast schon tot ist?" Ich streichelte den weichen Pelz der Hündin und sprach leise und zärtlich auf sie ein.

"Schon gut, meine Kleine, ich werde dich schon wieder aufpäppeln! Hab keine Angst, hier hast du es viel besser, als dort, wo du herkommst!" Das Tier schien mich zu verstehen und versuchte, den Kopf ein wenig in meine Richtung zu drehen, als das aber nicht gelingen wollte, fuhr sie mir sanft mit der Zunge über den Handrücken. Mir standen die Tränen in den Augen. Was für ein Mensch mußte ihr Vorbesitzer sein, ein Tier in einen solch schrecklichen Zustand gelangen zu lassen! Endlich erschien auch mein Mann wieder im Hof. Ich schaute kaum auf, als er an meine Seite kam, sondern streichelte weiter das verängstigte Tier.

"Lajos, was ist mit dem Hund los? Und wo hast du ihn her?"

"Von dort, wo ich auch die Stute geholt habe." meinte achselzuckend mein Mann. "Als ich den Hund dort sah, er war damals noch nicht so dünn, da fragte ich meinen Freund, ob er mir nicht einen solchen Wachhund besorgen könne - daraufhin schlug er mir vor, ich solle doch seinen nehmen, er brauche ihn sowieso nicht. Da mir aber klar war, daß deine Hauswirtin nicht auch noch einen Hund bei sich dulden würde, habe ich mit einem Freund ausgemacht, daß er das Tier so lange bei sich behält, bis wir umziehen."

"Aber seither hat er wohl nichts mehr zu Fressen bekommen!" stellte ich tonlos fest. Lajos nickte zustimmend.

"Sicher, der Vorbesitzer hat sich nicht mehr um sie gekümmert, ich war in der Kaserne und hatte bei all dem vergessen, dich über die Hündin zu unterrichten - außerdem hättest du sowieso nicht jeden Tag die dreißig Kilometer zurücklegen können, um sich um sie zu kümmern." meinte er trocken. Jetzt wurde es mir aber zu bunt. Ich drehte mich abrupt um und sah meinem Mann direkt ins Gesicht.

"Lajos! Wenn du mir gesagt hättest, daß du für ein Tier verantwortlich bist, hätte ich natürlich alles in Bewegung gesetzt, damit es ordentlich versorgt wird. Ich hätte zumindest dem Vorbesitzer etwas Geld geben können, damit er es wenigstens so lange, bis wir umziehen, richtig füttert." Doch das schien meinen Mann nicht zu beeindrucken.

"Jetzt kannst du dich ja um sie kümmern!" meinte er und ging wieder ins Haus. Ich hob also die Hündin vorsichtig aus der Fahrerkabine, was in meinem Zustand nicht ganz ungefährlich war, und trug sie ins Haus. Dort bereitete ich ihr aus alten Decken, die als Verpackungsmaterial beim Umzug gedient hatten, einen weichen Platz am Ofen und suchte nach etwas Eßbarem, was ihr angeschlagener Magen vertragen würde. Endlich fand ich ein paar Haferflocken und etwas verdünnte Milch, ich verrührte das Ganze zu einem nicht zu dickflüssigen Brei und wärmte es ein wenig an. Da die Hündin zu schwach war, um aufzustehen, setzte ich mich neben sie, stellte die Futterschale vor ihre Schnauze und hob ihren Kopf ein wenig an. Nach wenigen Augenblicken schien sie begriffen zu haben, daß der Brei in der Schüssel für sie bestimmt war und sie begann erst vorsichtig, dann immer eifriger, zu essen. Aber schon nach kurzer Zeit sank ihr Kopf ermüdet zurück. Ich streichelte sie zärtlich und versprach ihr, sie gut zu pflegen. Ein dankbarer Blick traf mich aus ihren tiefbraunen Augen, dann schlief sie ein. Ich war noch immer in Gedanken bei der Bestie Mensch, die sie fast in den Tod geschickt hätte, als mich die Stimme meines Mannes auffahren ließ.

"He, Anne! Laß mal den Köter in Ruhe und mach etwas zu Essen! Ich habe großen Hunger!" Der Alltag hatte mich wieder eingeholt. Nach einem schnellen Mittagessen ging es weiter ans Auspacken. Die zur Küche umfunktionierte Speisekammer mußte erst von den dort noch verbliebenen Regalen befreit werden, bevor die Möbel dort untergebracht werden konnten. Erster Schreck beim Abrücken der Regale von der Wand: Scharen von Ungeziefer wimmelten vor meinen Augen! Hier konnte nur die chemische Keule schnelle Hilfe bringen! Ich ekelte mich so, daß mir ganz übel wurde und Lajos die ganze Arbeit übernehmen mußte. Alles wurde gründlichst gesäubert, die Ritzen verstopft und die Wände gekalkt. Von der Decke hing noch eine an kurzen Drähten befestigte Stahlröhre, dort hatte man die geräucherten Würste aufgehängt. Als ich die Röhre aus den Drahtschlingen ziehen wollte, bekam ich einen gelinden Stromschlag. Mit einem Aufschrei ließ ich das Rohr fallen.

"Anne, was ist denn los!" erkundigte sich mein Mann aus dem anderen Zimmer, welches den Vorbesitzern als Küche gedient hatte, von uns aber nun zum Schlafzimmer umfunktioniert wurde, wo er gerade dabei war, den Warmwasserboiler abzuschrauben.

"Ich habe einen Stromschlag bekommen, als ich die Röhre abnehmen wollte - wie kann denn so etwas sein?" Mein Mann erschien darauf in der Türöffnung und schaute sich die Sache genau an.

"Schalte mal den ganzen Strom ab!" wies er mich an. Als ich dies getan hatte, stieg er wieder auf die Leiter und zog kräftig an den Haltedrähten. Diese kamen alsbald mitsamt den Nägeln, mit denen sie in der Decke befestigt gewesen waren - und einem großen Teil des Deckenputzes - heraus.

"Ich glaube, ich habe die Ursache gefunden!" rief Lajos, als er die Decke begutachtete. "Schau her, die Nägel sind unheimlich lang und dick, sie müssen ein in der Decke verlegtes Stromkabel geritzt haben!"

"Wie gut, daß sie es nur geritzt haben!" entfuhr mir ein Stoßseufzer. "Sonst wärst du jetzt schon Witwer!"

"Hör doch auf mit so einem blöden Gerede!" fuhr Lajos auf. "Ich mag es nicht, wenn man vom Tod redet! Außerdem ist ja zum Glück nichts passiert!" Da war ich mit ihm einer Meinung. Von jetzt an würde ich sehr, sehr vorsichtig sein, was diverse Arbeiten am und im Haus betraf! Und derer gab es noch so viele! Alle Zimmer mußten neu hergerichtet werden, die Ölöfen durch eine Gasheizung ersetzt werden und auch die Außenarbeiten mußten mit dem Frühling in Angriff genommen werden. Auf meinen Mann brauchte ich da nicht viel zu zählen, seine Arbeit, so hatte er mir schon früh klargemacht, ginge vor und seine Kumpels ebenso. Ich richtete mich in den folgenden Wochen so gut es ging, ein und versuchte mein Leben neu zu gestalten. So wie Lajos arbeitete - vierundzwanzig Stunden bei den Pferden und das von Mittag bis Mittag und dann vierundzwanzig Stunden zuhause - fiel mir oft die Fütterung der Tiere zu, dazu die regelmäßige Überwachung der Ölöfen und die Holzfeuerung für den Wasserboiler. Inzwischen hatte ich so viel Erfahrung, daß es mir fast jeden Tag gelang, warmes Wasser zu erzeugen, doch leider reichte das nur für eine ausgiebige Dusche oder eine halbvolle Badewanne, vom Abwaschen in der Küche ganz zu schweigen. So erhitzte ich mein Spülwasser meist auf dem Gasherd. Doch dessen Gasflasche war sehr schnell leer und ich mußte mit dem Fahrrad eine neue holen, nur selten ließ sich mein Mann dazu herab, solche Einkäufe für mich zu erledigen. Oft brachte er überraschend Freunde oder Kollegen mit nach Hause, ich mußte dann sehr schnell improvisieren, damit genügend Essen für alle vorhanden war und auch die Alkoholvorräte mußten stets erneuert werden. Eines Mittags brachte er gleich vier Freunde mit, von denen ich nur dreie kannte, der vierte war ein junger Mann, den er mir als Springreiter Miklós vorstellte. Wie die anderen auch begrüßte ich den jungen Mann mit zwei Wangenküßchen, wie es in Ungarn üblich ist, dann bat ich die Männer, Platz zu nehmen.

"Ich bringe gleich etwas zu Trinken, das Mittagessen ist in zehn Minuten fertig." Wies ich sie an, um dann Richtung Küche zu verschwinden. Im Hinausgehen traf mich ein Blick meines Mannes, der nichts Gutes zu verheißen schien, allerdings konnte ich mir keinen Grund für seine sichtbar schlechte Laune denken. So holte ich schnell eine Flasche Kirschwasser und brachte sie ins Wohnzimmer. Als ich dem jungen Mann zuerst einschenkte, weil er mir am nächsten saß, traf mich wieder ein wildes Blitzen aus Lajos' Augen, die er vor Zorn eng zusammenkniff.

"Entschuldige bitte, aber die Gäste kommen zuerst." flüsterte ich ihm zu, als ich ihm als Letztem sein Glas einschenkte.

"Darüber reden wir später!" zischte er mich an, bevor er sich wieder voller Charme seinen Gästen zuwendete. Das Mittagessen verlief in gelöster Stimmung, doch jedesmal, wenn Miklós mich ansprach und ich ihm antwortete, spürte ich die brennenden Blicke meines Mannes auf mir ruhen. Als sich die Gäste am späten Nachmittag dann endlich auf den Heimweg begeben hatten, kam Lajos ins Schlafzimmer, in das ich mich ermüdet zurückgezogen hatte. Ohne ein Wort zu verlieren, packte er mich mit einem schmerzhaften Griff an den Oberarmen und zog mich auf die Füße.

"Au, Lajos, was ist denn in dich gefahren?" protestierte ich und versuchte mich aus seinem Griff zu lösen, doch vergeblich! Der Alkoholgenuß schien ihm in den Kopf gestiegen zu sein, obwohl er nicht betrunken war.

"Jetzt reden wir über dein unschickliches Verhalten!" fuhr er mich an. Ich war perplex. Was meinte er denn damit? Ich sollte es schon bald erfahren.

"Sag die Wahrheit!" fauchte er mich an. "Du kennst den Miklós schon von früher her? War er dein Geliebter?" Da mußte ich trotz meiner Situation laut lachen, was meinen Mann noch mehr in Wut brachte.

"Lach nicht! Ich meine es ernst! War er dein Geliebter - oder nicht?" An seinem Gesichtsausdruck sah ich, daß ihm nicht zum Spaßen zumute war und so wurde auch ich wieder ernst.

"Ich schwöre dir, Lajos, außer dir hat mich nie ein Mann berührt und wird mich auch keiner berühren!" Scheinbar begriff er die Wahrheit meiner Antwort, denn er ließ mich endlich aus seinem Griff frei und ich sank auf das Bett zurück.

"Warum hast du ihn dann aber so begrüßt, als ob ihr euch schon jahrelang kennt?" wollte er argwöhnisch wissen. Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Hatten wir doch schon einmal, vor langer, langer Zeit, als wir noch nicht verheiratet gewesen waren, aus ähnlichem Anlaß einen Streit gehabt. Damals hatte ich für einen jungen Kollegen von Lajos einen Brief an eine deutsche Augenblicksbekanntschaft übersetzt, was mir einen Dankeskuß seitens des jungen Mannes eingebracht hatte, woraufhin Lajos in seiner Eifersucht einen Streit vom Zaune gebrochen hatte, den ich nur schwer besänftigen konnte! Mein Mann war krankhaft eifersüchtig!

"Ich habe nicht daran gedacht, daß er mir unbekannt ist, sondern daran, daß er dein Bekannter ist und wollte vor den anderen keine Ausnahme machen." Besänftigte ich meinen Mann. "Aber wenn du willst, dann werde ich jeden mir Unbekannten mit großer Zurückhaltung empfangen." Meine Worte schienen Lajos zu beruhigen.

"Dieses Mal will ich dir glauben," meinte er. "Aber halte dich demnächst an die hiesigen Regeln, sonst lernst du mich kennen! Ich will nicht, daß man meine Frau als Hure bezeichnet, die sich jedem an den Hals wirft!" Das war stark! Wie konnte mein Mann so von mir reden!

"Lajos, nimm sofort dieses Wort zurück!" fuhr ich auf. "Du weißt ganz genau, daß ich dir nie Anlaß zur Eifersucht gegeben habe und dies auch nicht tun werde! Außerdem trage ich dein Kind unter dem Herzen!"

"Das Wort stammt nicht von mir, sondern von anderen, also werde ich mich auch nicht dafür entschuldigen! Gib ihnen keinen Anlaß, so von dir zu reden, dann will ich es auch nicht tun!" versprach er, doch das besänftigte mich nur halb.

"Wer sind denn die anderen, die so von mir reden?" wollte ich wissen, doch hier schwieg mein Mann sich aus.

"Ich komme erst spät zurück!" sagte er, schon im Hinausgehen begriffen, dann war er verschwunden. Ich ließ mich dagegen in die Kissen sinken und betrachtete meine Ehe von einem neuen Gesichtspunkt aus. Wie konnte man nur so eifersüchtig sein und dann noch auf die  Verleumdungen sogenannter Freunde hören? Ich hatte grenzenloses Vertrauen in die Treue meines Mannes und wußte ganz genau, daß ich mich niemals einem anderen Mann hingeben würde. Sex um des Sexes willen, nein danke! Für mich bildeten Ehe und Sex eine unzertrennbare Einheit, war das Sakrament der Ehe unantastbar, wenngleich unsere Ehe nur zivilrechtlich geschlossen war! So lag ich lange Zeit wach, den Blick auf die Decke gerichtet, aber in mein Innerstes hineinhorchend, bis mich die Pflicht wieder rief. Schwerfällig fütterte ich die Schweine, das Geflügel, die Katze und den Hund, denn die kleinste Bewegung strengte mich jetzt schon ziemlich an. Bald war Ostern, die Familie von Lajos hatte sich angesagt, zuerst die Schwester, am zweiten Tag dann die Mutter und am Dienstag der Vater, alle jeweils mit Familie. Dazu kam der ungarische Brauch des Wasserspritzens. Am Ostermontag hatten die Frauen mit einem Berg von Essen und Trinken zuhause zu warten, daß die Männer ihrer Bekanntschaft vorbeischauten. Diese brachten billiges Parfüm mit, um es der Hausfrau und den Mädchen der Familie über den Kopf zu schütten, wofür sie dann mit Speise und Trank belohnt wurden. Am Abend stanken dann die weiblichen Familienmitglieder von den verschiedenen billigen Düften, die Männer waren blau, da sie den ganzen Tag auf Achse waren und überall mit Schnaps bewirtet wurden. Dienstag war dann der Tag der Frauen, doch sah man dann eigentlich nur unverheiratete Mädchen auf der Suche nach Opfern, denn oft bekamen die jungen Männer statt des Parfüms ganze Wasserkübel übergegossen. Trotz meiner vorangeschrittenen Schwangerschaft mußte ich diese Tortour über mich ergehen lassen, doch vorher hieß es Hausputz, backen, kochen und Alkoholvorräte anlegen. Karfreitag mußte ich noch zum Arzt, eine erste und letzte Ultraschalluntersuchung sollte im Krankenhaus vorgenommen werden. Ein Bekannter meines Mannes brachte mich in seinem Wagen in die Stadt. Im Krankenhaus mußte ich stundenlang warten, dann endlich befaßte sich eine Hebamme mit mir.

"Sie sind heute zum ersten Mal hier?" wollte sie wissen.

"Ja, denn wir sind erst vor kurzem umgezogen." antwortete ich höflich.

"Welchen Arzt haben Sie denn <gekauft>" fragte die Hebamme, die damit sagen wollte: welchem Arzt haben Sie ein großes Trinkgeld gegeben, damit er sich bei der Geburt des Kindes ausreichend um Sie kümmert? Ich zuckte die Schultern.

"Ich kenne hier natürlich niemanden, also auch keinen Arzt. Aber ich habe immer gedacht, die ärztliche Versorgung wäre gewährleistet."

"Das ist sie auch, mein Kind, das ist sie auch!" beschwichtigte mich die Hebamme. "Aber schauen Sie, jetzt ist bald Ostern und in der gleichen Woche noch der dreitägige Nationalfeiertag. Da sind die meisten Ärzte in Ferien. Wenn Sie aber einen <gekauft> hätten, dann müßte er auch aus seinem Urlaub erscheinen, um die Geburt zu leiten!" Ich seufzte laut auf.

"Ich sehe, was Sie meinen, aber leider kann man daran wohl nichts mehr ändern!" meinte ich niedergeschlagen und die Frau nickte verständnisvoll.

"Tja, damit müssen Sie alleine fertig werden, obwohl es ja noch genau nicht feststeht, wann der Kleine kommen wird."

"Ich weiß noch nicht einmal, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist! Aber Hauptsache, es kommt gesund zur Welt!" meinte ich, bevor ich in das Untersuchungszimmer gerufen wurde. Der Frauenarzt schaute sich die Papiere an, die ich von meinem vorherigen Arzt mitgebracht hatte, dann wies er mich an, auf einer Liege Platz zu nehmen und begann mit der Ultraschalluntersuchung. Das dauerte nur kurze Zeit, dann hieß er mich aufzustehen und mich wieder anzuziehen.

"Die Geburt ist nicht vor Ende nächster Woche." meinte er knapp angebunden. "Ich werde Sie am Mittwoch noch einmal untersuchen."

"Um welche Uhrzeit, bitte. Ich muß ein Auto mit Chauffeur organisieren, welcher mich bringt, auf mich wartet und wieder nach Hause fährt." Der Arzt schaute mich erstaunt an.

"Wieso benötigen Sie ein Auto, wenn alle anderen Frauen mit der Bahn oder dem Bus kommen?" wollte er wissen. "Auf so Extrawürste nehmen wir keine Rücksicht. Hier gibt es keine Termine. Sie kommen morgens, stellen sich in die Warteschlange und kommen dann an die Reihe, wie alle anderen auch. Auf Wiedersehen!" Damit war ich entlassen und um eine Erfahrung reicher. Auf dem Rückweg profitierte ich davon, ein Auto als Transportmittel zur Verfügung zu haben und tätigte noch einige Einkäufe für die Feiertage. Lajos würde erst am Samstagmittag nach Haus kommen, genug Zeit also, um mit den Vorbereitungen für den Ostersonntag zu beginnen. Samstagmorgen klingelte mein Wecker schon um fünf Uhr früh. Ich zog mich nach einer kurzen Dusche schnell an und fütterte die Tiere, dann stellte ich mich in die Küche und begann mit den Torten. Zum ersten Mal in meinem Leben mußte ich einen Blätterteig herstellen, der traditionsgemäß mit einer Masse aus Nüssen, Rosinen und anderen schweren Zutaten gefüllt wurde. Dann kam eine Schokoladenkremtorte an die Reihe mit Zuckerguß und Sahneverzierungen. Der kalte Schinken mußte in hauchdünne Scheiben geschnitten werden und weitere Beilagen gerichtet werden. Gegen Mittag wurden meine Beine immer schwerer und das ständige Ziehen in meinem Bauch stärker und anhaltender. Zwar hatte mir nie jemand etwas über Geburtsvorgänge verraten, selbst die Hebamme hatte nur gesagt, ich werde das schon merken, doch war mir nun so, als ob, entgegen der Prognose des Arztes, mein Kind jetzt sehr bald auf die Welt käme. Es war weit über Mittag, von Lajos noch keine Spur und die Schmerzen wurden stark und immer stärker, ich mußte mich schließlich hinlegen, um sie ertragen zu können. Am frühen Nachmittag hörte ich endlich die Eingangstür sich öffnen und die schweren Schritte meines Mannes im Flur.

"He, Anne! Wo bist du? Warum ist das Essen nicht auf dem Tisch?" Aus dem Klang seiner Stimme konnte ich entnehmen, daß er schon wieder in der Kneipe gesessen hatte und mit seinen Kollegen ein paar Schnäpse genossen hatte. Aber das war mir heute egal.

"Ich bin im Schlafzimmer!" rief ich mit schwacher Stimme. "Komm her, ich glaube ich muß ins Krankenhaus!" Dieses Wort schien ihn ernüchtert zu haben. Er stieß die Tür auf und betrachtete mich von oben bis unten.

"Ich glaube, du hast recht, die Stuten, die kurz vor dem Abfohlen stehen, haben den gleichen Gesichtsausdruck, wie du! Ich werde ein Auto organisieren!" Damit war er wieder verschwunden. Ich überlegte mir, ob es schmeichelhaft war, mit einer Stute verglichen zu werden und kam zu dem Schluß, daß dies in meinem Fall wohl so wäre. Wir beide liebten die Pferde und so war es nur natürlich, daß sich auch in unsere Gespräche Worte und Vergleiche aus der Pferdewelt einschlichen. Die Zeit verging und Lajos kam und kam nicht zurück! Die Wehen kamen jetzt schon in kürzesten Abständen! Sollte man nicht lieber einen Krankenwagen rufen? Aber das nächste Telefon war weit und der Krankenwagen mußte auch erst die dreißig Kilometer zurücklegen, bis zu unserem Haus. Endlich hörte ich Stimmen im Garten und betete, daß Lajos ein Auto gefunden haben möge. Endlich stand er im Zimmer!

"Ich habe eine Bekannte aus Deutschland getroffen, die wird uns ins Krankenhaus fahren. Hast du alle Sachen beisammen?"

"Natürlich, Lajos, die hatte ich doch schon vor einer Woche in den Koffer gepackt. Er steht im Schrank rechts unten." Mein Mann holte den Koffer und half mir den Weg bis zum Auto zurückzulegen. Ich begrüßte die Frau am Steuer freundlich, dann legte ich mich auf die hintere Sitzbank und versuchte, mich nicht alle Augenblicke vor Schmerzen zu krümmen, wenn wir wieder einmal in ein Schlagloch gerieten. Doch auch diese Fahrt ging einmal zu Ende und wir gelangten vor das Krankenhaus. Dort der erste Schock: Die Schranke der Einfahrt war heruntergelassen, der Pförtner kam erst auf mehrmaliges Klingeln aus seinem Häuschen.

"Hier können Sie nicht reinfahren!" wies er uns schroff ab. "Es ist eine Grippeepidemie ausgebrochen, von außen darf hier niemand rein!"

"Aber meine Frau bekommt ihr Kind!" schrie im Lajos ins Gesicht. Doch der Mann zuckte die Achseln.

"Ihre Frau darf zu Fuß eintreten, aber sonst niemand!"

"Und wer bringt den schweren Koffer in ihr Zimmer?"

"Da wird sich schon jemand finden!" meinte lakonisch der Pförtner. Um das Gespräch abzukürzen, stieg ich auf wackeligen Beinen aus dem Auto aus.

"Vielen Dank, für Ihre Hilfe!" wendete ich mich an die Fahrerin, dann gab ich meinem Mann einen Kuß.

"Sorge dich nicht um mich, es wird schon alles gutgehen!" flüsterte ich mit Mühe.

"Denke daran, daß der Junge nach dem Vater benannt wird, wenn sie dich fragen!" meinte Lajos ziemlich barsch, dann umarmte er mich kurz.

"Mach's gut und versuch' mich anzurufen, ich bin im Fogadó!" sagte er noch, dann stieg er wieder in das Auto und sie fuhren weg. Ich schleppte mich zur Eingangstür, dort kam mir dann eine Schwester zur Hilfe und brachte mich auf die Geburtsstation. Nach den vorbereitenden Maßnahmen legte man mich in einen überheizten Kreißsaal, wo schon eine etwas ältere Frau lag und an einen Wehenmesser angeschlossen war. Vom Arzt oder Personal keine Spur. Natürlich, fiel mir ein, es war ja der Abend vor Ostersonntag! Hier tat heute nur noch das Notpersonal Dienst.

"Legen Sie sich ruhig hin und atmen Sie tief und langsam durch!" wies mich die Schwester an, dann verschwand auch sie. Die Frau auf dem Nebenbett stöhnte leise, schien aber von ihrer Umwelt nicht viel wahrzunehmen oder wahrnehmen zu wollen. Jetzt begann mein Leidensweg! Mein Mund war ausgetrocknet, ich schwitzte und der Schmerz schien meinen Körper zerreißen zu wollen. Anfangs hielt mich mein Stolz am Stöhnen zurück, doch bald gab ich es auf und verschaffte mir eine geringe Erleichterung, indem ich ebenso stöhnte, wie meine Nachbarin. Von Zeit zu Zeit kam ein Arzt vorbei, wohl der von der Frau <gekaufte>, denn er sah nur nach ihr, für mich hatte er keinen Blick übrig.

"Wasser!" stöhnte ich leise. "Ich habe Durst! Mir ist heiß!" Doch er reagierte nicht. Vielleicht dachte er auch, ein Kollege sei für mich verantwortlich. Wer weiß? Die Schmerzen wurden immer unerträglicher, zumal ich im Ungewissen darüber war, was mich noch alles erwarten würde. Die Stunden vergingen sehr langsam. Bald würde ein neuer Tag anbrechen. Doch da durchfuhr mich ein elender, stechender Schmerz, ich schrie auf - und nun kam endlich der Arzt herbei.

"Guter Gott, der Kopf ist ja schon draußen!" hörte ich ihn wie durch einen dichten Watteschleier, dann schien ich für einige Zeit das Bewußtsein verloren zu haben, denn als ich wieder klar denken konnte, hielt man mir das blutverschmierte und schreiende Baby vor das Gesicht.

"Gratuliere, eine schöne Tochter und vollständig gesund!" meinte der Arzt, ehe er das Baby einer Hebamme übergab. "Und jetzt zu Ihnen: Wir müssen Sie nur ein bißchen zusammenstoppeln." witzelte er. Dieses <bißchen> zog sich fast eine halbe Stunde lang hin, dann wurde ich in einen Rollstuhl verfrachtet und auf mein Zimmer gebracht. Es war natürlich kein Einzelzimmer, sondern ich mußte es mit sieben anderen Frauen teilen, aber das war mir völlig egal.

"Wo ist hier ein Telefon?" fragte ich die Schwester, die mich den Gang entlang schob.

"Ein Telefon?" meinte sie erstaunt. "Das ist nur in der Halle unten, aber da dürfen Sie nicht hin, wegen der Grippeepidemie! Ihr Mann kann ja ab und zu versuchen, ob er durchkommt, dann wird ihm die Oberschwester ausrichten, daß er eine Tochter hat und Mutter und Kind wohlauf sind!"

"Mein Mann arbeitet in der Pußta, dort ist kein Telefon!" fuhr ich auf. "Und wenn er in der Nähe eines Telefons ist, kann er nicht laufend versuchen, ob er durchkommt, weil das Krankenhaus hier nur eine einzige Nummer besitzt!"

"Damit müssen Sie schon leben!" herrschte mich die Schwester jetzt weitaus weniger freundlich an. "Sie sind doch die verwöhnte Deutsche, Ihrem Akzent nach zu urteilen? Warum sind Sie denn hierher gekommen? Sie hätten ja auch in Deutschland das Kind zur Welt bringen können!" Das war die Höhe! Mußte ich mich denn auch noch beschimpfen lassen? Nur weil ich aus dem <kapitalistischen> Westen kam und der Liebe wegen in dieses schöne Land gezogen war? Aber ich schwieg, war zu schwach, mich jetzt auf eine Diskussion einzulassen. Außerdem suchte ich bereits nach einer Möglichkeit, um doch noch an das Telefon zu gelangen. Kaum lag ich in meinem Bett und war die Schwester verschwunden, krabbelte ich langsam und vorsichtig aus den Laken, um die anderen Frauen nicht zu wecken. Mit zitterigen Knien ging ich in die Halle und versuchte, mich im Schatten zu halten, um von der Kabine der Nachtschwester aus nicht gesehen zu werden. Unbemerkt gelangte ich an die Tür, die zur Treppe führte. Glücklicherweise war sie aus einem mir nicht bekannten Grund unverschlossen, so daß ich ins Treppenhaus gelangen konnte. Von dort aus war es ein langer Weg bis in die Halle im Erdgeschoß, doch gelangte ich ungestört bis zu dem einzigen öffentlichen Fernsprecher. Meine wenigen Münzen reichten nicht für ein Ferngespräch, so zog ich es vor, meinem Schwiegervater in der Stadt Meldung zu machen, er konnte dann ja versuchen, Lajos zu erreichen. Nach einigen Klingelzeichen nahm mein Schwiegervater endlich den Hörer ab.

"Hallo?"

"Hallo, ich bin es, Anne! Es ist ein Mädchen und wir sind beide wohlauf! Versuche Lajos im Fogadó oder über seinen Chef draußen zu erreichen!" bat ich ihn.

"Willst du....." TÜT, TÜT, TÜT. Mein Geld war alle, aber ich hatte wenigstens ein beruhigendes Lebenszeichen geben können. Der Weg nach oben schien mir unendlich lang, nun, da ich erreicht hatte, was ich wollte, ließen meine Kräfte schlagartig nach. Kaum hatte ich mein Bett erreicht, als ich auch schon in einen tiefen Erschöpfungsschlaf fiel. Doch um fünf Uhr früh wurde ich unsanft daraus geweckt. Eine kleine, giftige Krankenschwester schüttelte mich unsanft.

"Heda, aufwachen, Fiebermessen ist angesagt! Wer wird sich denn so gehenlassen? Kinderkriegen ist ja keine Krankheit!" Noch völlig benommen richtete ich mich auf und bekam ein Fieberthermometer in die Achselhöhle geklemmt. Auch die anderen Frauen erlitten die gleiche unsanfte Behandlung, dann verließ uns die Schwester wieder mit den Worten:

"Komme in zehn Minuten zurück und hole die Thermometer ab!" Dies geschah auch wirklich so, doch mit ihr kam eine weitere Person, die sich barsch an uns alle wendete.

"Los, aufstehen, Duschen gehen!" Wenn sie das in allen Zimmern zur gleichen Zeit ankündigte, war ich sehr gespannt, was für eine Warteschlange vor den drei, ja, richtig: 3! Duschkabinen der Gynäkologischen Abteilung sein würde. Trotzdem erhob ich mich vorsichtig und mit watteweichen Knien von meinem Bett. Unter Aufbietung meiner ganzen Willenskraft gelangte ich bis zu den Duschen, dort fand ich glücklicherweise fast sofort eine freie Kabine. Als ich auf das Zimmer zurückkam, herrschte die Schwester gerade eine junge Frau an, die erst vor ganz kurzer Zeit aus dem Kreißsaal auf das Zimmer gekommen war und die offensichtlich noch nicht in der Lage war, sich zu erheben.

"Jetzt machen Sie es aber mal halblang! Wie kann man sich nur so gehenlassen! Noch dazu, wo der Mann doch Krankenpfleger ist! Da müßten Sie ja allen hier ein Vorbild sein!" Doch die junge Mutter schüttelte nur den Kopf.

"Mir wird sofort schwindlig, wenn ich mich nur aufsetzen will! Bitte lassen Sie mich doch noch ein wenig ruhen!" flehte sie mit schwacher Stimme, doch die Schwester war unerbittlich.

"Hier werden keine Extrawürste gebacken! Jetzt gehen Sie unter die Dusche, damit man Ihr Bett herrichten kann und damit basta!" Mit diesen Worten zog sie die junge Mutter aus dem Bett. Dieser gelang es auch, sich am Bett festhaltend, aufzustellen, doch schon beim ersten Schritt stöhnte sie auf und sank ohnmächtig auf dem Boden  zusammen.

"So eine Bescherung! Kann denn niemand helfen, diesen Schwächling hier bis zu den Duschen zu schleppen?" rief die Schwester, die sich bemühte, den Körper der jungen Frau wieder auf das Bett zu ziehen. Doch waren wir alle selbst viel zu schwach und sahen auch nicht ein, warum wir die junge Frau einer solchen Tortour aussetzen sollten, wenn sie doch offensichtlich noch nicht in der Lage war, sich alleine aufrecht zu halten. Schließlich lag sie doch wieder in ihrem Bett und die Schwester wendete sich wie angeekelt an uns.

"Die ist die Schande der Station! Noch dazu mit einem Ehemann, der hier arbeitet! Sie sollte sich was schämen!" Dann knallte sie die Tür hinter sich zu. Auch in der nächsten Zeit sollten wir die Schikanen des überlasteten  Pflegepersonals nur zu Genüge kennenlernen. Frühstück gab es an Gemeinschaftstischen für sechs Personen, dazu jedoch nur eine Kanne lauwarmen Getränks, Tee, Kaffee, Milch, Kakao oder Milch mit Karamell, gerade ausreichend, damit jeder eine kleine Tasse trinken konnte. Wer wegen der Visite oder der Wartezeit beim Duschen zu spät kam, der mußte oftmals feststellen, daß sich jemand eine zweite Tasse genehmigt hatte und für ihn nichts mehr übrig blieb. Auch das Essen war mehr diätisch, denn für junge Mütter zubereitet. Und zusätzliches Essen konnte nicht besorgt werden, denn wir durften nicht aus der Station heraus, um uns im Pavillon im Park etwas zu kaufen und erhielten der Grippe-Epidemie wegen auch keinen Besuch, der uns etwas hätte mitbringen können. Die Babies sahen wir nie, außer zu den festgesetzten Zeiten, wenn sie auf einem "Servierwagen" zu uns ins Zimmer geschoben wurden, damit wir sie stillen konnten. Oftmals waren sie jedoch schon vorher hungrig gewesen, hatten geweint und man hatte sie mit Tee beruhigt. Jetzt wollten sie also nicht mehr saugen und schliefen uns an der Brust ein. Dann schimpfte die Kinderschwester mit uns, wir wären ja nicht einmal in der Lage, unsere Babys richtig zu stillen. Aber trotz allem gediehen die Kinder und ich konnte mit Marika nach zehn Tagen das Krankenhaus verlassen. Zum Abschied meinte die Oberschwester noch:

"Sie sind doch die Deutsche – haben Sie nicht ein wenig Geld für mich?" Doch ich schüttelte nur den Kopf und sie mußte sich mit einer Packung Pralinen begnügen. Zum einen besaß ich kein deutsches Geld mehr, zum anderen wußte ich sehr genau, daß manchmal Spitzel auf die ausländischen Besucher angesetzt wurden, um sie dann wegen eines Devisenvergehens bestrafen zu können. Das konnten sie bei mir lange versuchen! Als ich mit dem Baby im Arm aus der Tür trat, sah ich nur meinen Schwiegervater neben einem mir unbekannten Auto stehen. Mir wurde ganz übel: warum war mein Mann nicht hier, um endlich seine Frau und Tochter in den Arm nehmen zu können?

"Hallo, Anne! Wie geht es dir und der Kleinen?" begrüßte mich mein Schwiegervater und beugte sich über das Baby.

"Ein sehr hübsches Kind!" stellte er dann anerkennend fest und küßte mich auf die Wangen.

"Vielen Dank für die herzliche Begrüßung!" stotterte ich leise. "Wo ist Lajos?" Mein Schwiegervater zeigte auf das Auto.

"Komm, setzt dich in den Wagen, ich bringe euch nach Hause. Dann erkläre ich dir auch alles weitere." Gehorsam nahm ich im Fond Platz und mein Schwiegervater setzte sich ans Steuer. Als wir aus der Stadt kamen, brach mein Schwiegervater dann sein bisheriges Schweigen, welches ich ihm nicht übelnahm, denn ich wußte, daß er kein sehr geübter Fahrer war und sich im Verkehr der Stadt ausschließlich auf den Wagen konzentrieren mußte.

"Anne, Lajos grüßt dich herzlich, aber er konnte heute nicht frei bekommen! Er bat mich, dich und das Kind abzuholen und nach Hause zu bringen, er kommt dann morgen Mittag zu euch!"

"Warum hat er denn nicht frei bekommen?" fragte ich leise, denn es mußte etwas vorgefallen sein, damit sein Chef ihm nicht erlaubte, seine Frau und sein Baby abzuholen.

"Nun ja, er hat ein wenig zu viel gefeiert, als ich ihm die Nachricht von der Geburt seiner Tochter übermittelt habe und ist drei Tage nicht zum Dienst erschienen. Die muß er nun abarbeiten." Das hatte ich mir fast gedacht! Aber daß ich mit dem Baby in ein Haus kommen sollte, welches nicht geheizt war und dann gleich alle Hausarbeit aufgebürdet bekam, das war mir doch fast zu viel! Zwar hatte ich die Geburt gut überstanden, aber man hatte mir dringlichst geraten, mich zu schonen, vor allen Dingen nicht gleich wieder im Mist zu wühlen und schwere Dinge – wie zum Beispiel die Futter- und Wassereimer – zu heben. Doch genau das wartete jetzt auf mich! Doch diese Aussichten waren fast gar nichts im Vergleich mit dem Empfang, den mir mein Mann bereitete, als er am nächsten Tag nach Hause kam.

"Hallo, Anne!" rief er schon im Flur. "Na, wo ist denn das Balg?" Ich hatte die Kleine im Schlafzimmer gerade an die Brust gelegt und antwortete deshalb leise, obwohl mir seine Worte einen Stich im Herzen versetzten.

"Lajos, wir sind im Schlafzimmer! Bitte mach die Tür vorsichtig auf!" Doch mein Mann scherte sich keinen Deut um meine Bitte. Er riß die Tür mit einem lauten Krach auf, so daß das Baby erschreckt zusammenfuhr und zu weinen anfing.

"Das ist ja eine tolle Begrüßung!" murrte mein Mann. "Erst das Kind und dann ich? oder wie?" Ich konnte mir sein Verhalten nicht erklären, es sei denn, er war eifersüchtig darauf, daß das Baby nun Vorrang genoß.

"Aber Lajos, freust du dich denn nicht, daß wir gesund wieder hier zu Hause sind?" entfuhr es mir. "Schau nur, wie süß Marika ist!" Doch er warf nur einen kurzen Blick auf das Baby mit den blauen Augen und den kurzen, braunen Haaren, nickte wortlos, dann schaute er mich von oben bis unten mit einem durchdringenden Blick an.

"Wann hast du wieder Zeit für mich?" Ich verstand erst nicht, was er meinte, doch sein Blick auf unser Ehebett zeigte mir deutlich den Gang seiner Gedanken. Ich zuckte die Schultern.

"In zwei Wochen muß ich zur Nachuntersuchung, dann werde ich den Arzt auch darüber befragen." wies ich ihn an. "Außerdem hat man mir gesagt, ich solle mich noch sehr schonen, keine schweren Sachen heben und nicht mit Erde und Mist oder Ähnlichem in Berührung kommen." fügte ich dann hinzu, um seine Reaktion zu sehen. Die konnte ich dann auch gleich in vollen Zügen auskosten.

"Waaas?" schrie er mich an, "dich schonen? Ja wer hat denn so etwas gehört. Früher haben die Frauen auf dem Feld ihre Kinder bekommen und dann gleich weiter gearbeitet! Du warst eine Ewigkeit im Krankenhaus und hattest genug Zeit, zu faulenzen! Jetzt zeige, daß du eine gesunde und kräftige Frau bist und kein verzogenes und zartes Gewächs!" Das war also ein verständnisvoller Ehemann und Vater!

"Ich bin kein verzärteltes Geschöpf!" wies ich ihn zurecht. "Das habe ich schon mehr als genug bewiesen, meine ich! Aber in deinem Beispiel fehlen Angaben darüber, wieviel Frauen danach im Kindbett oder durch sonstige Dinge gestorben sind und wie viele Kinder eine solche Behandlung nicht überlebt haben! ICH möchte schon ganz gerne am Leben bleiben und auch mein Kind gesund groß werden sehen!"

"DEIN Kind!" Lajos blies die Wangen auf. "Du hast ganz recht, es ist dein Kind, ich werde mich ganz bestimmt nicht viel darum kümmern! Aber eines sage ich dir: Du hast deine Aufgaben und Pflichten wie bisher zu erfüllen!" Damit verließ er das Zimmer, eilte schweren Schrittes aus dem Haus und war für den Rest des Tages verschwunden. Ich mußte also wohl oder übel mich um alles kümmern, einkaufen, kochen, putzen, die Tiere versorgen – und das alles neben den vielen Aufgaben, die mir Marika stellte. Doch irgendwie schaffte ich es, ohne krank zu werden und – so schien es wenigstens – zur Zufriedenheit meines Mannes, der sich wieder von seiner freundlicheren Seite zeigte. Nur mit dem Baby konnte er nichts anfangen, vielleicht auch, so sagte ich mir, weil das Kind so zerbrechlich schien im Gegensatz zu seinen riesigen Händen und einem starken Körperbau. So vertraute ich auf die Zukunft!

Es war ein schöner Sommertag und ich beschloß, daß es nun an der Zeit wäre, mit dem Kind einen Ausflug in die Puszta zu unternehmen. Was für eine Überraschung für Lajos, wenn ich plötzlich mit dem Kinderwagen bei der Herde draußen auftauchen würde! Ich bereitete alles vor, das Milchfläschchen und Windeln für das Baby, ein paar Flaschen Bier für Lajos und seine zwei Kollegen, die sich sicher wie immer zu einem gemeinsamen Mittagessen einfinden würden. Vorsorglich nahm ich einige Scheiben Brot und Wurst mit, falls es für mich nicht reichen sollte. Marika deckte ich mit einer leichten Decke im Kinderwagen zu und zog den feinmaschigen Vorhangstoff über die Öffnung, damit keine Mücken hereinkommen könnten. Dann ging es los. Ich wählte den kürzeren Weg an der Bahnlinie entlang, dann am Friedhof vorbei und hinaus in die Puszta. Ein angenehmer Wind kam mir entgegen und ließ die Hitze nicht so groß erscheinen. Ich genoß diesen Spaziergang von gut sechs Kilometern enorm und auch Marika schien er gut zu gefallen. Vom leichten Schaukeln des Kinderwagens war sie bald eingeschlafen. Als erstes gelangten wir zur Herde der Mutterstuten, die sich in der Nähe des ersten Brunnens aufhielten. Neugierig kamen sie heran, solch ein Gefährt hatten sie wohl noch nie gesehen! Als sich ihre weichen Mäuler über den Wagen beugten und Marika im Schatten lag, wachte sie auf. Mit erstaunten Augen sah sie auf die riesigen Köpfe mit den schönen, dunklen Augen und streckte ihnen ihre kleinen Händchen entgegen, ohne das geringste Anzeichen von Angst oder Zurückhaltung.

"Das ist das Erbteil deiner Eltern, die Liebe zu den Pferden!" flüsterte ich ihr zu und entfernte langsam den Vorhangstoff. Nun konnten die Stuten das Kind beschnuppern und meine kleine Tochter lachte dazu aus vollem Halse. Sie ließ ihre Händchen über die weichen Mäuler streichen und konnte nicht genug bekommen. Doch war unser Weg noch weit - und eine neue Herde würde uns erwarten! So stupste ich die Stuten zart zur Seite, ließ den Stoff wieder über den Wagen fallen und schritt frohen Mutes aus. Die Stuten folgten mir noch ein wenig, blieben dann zurück und schienen erst jetzt zu bemerken, daß sie ihre Fohlen über dem Menschenkind ganz vergessen hatten. Der staubige Weg schlängelte sich zwischen schon fast verdorrtem Gras dahin, denn die Hitze und Trockenheit war in diesem Jahr schon sehr zeitig eingetreten. In der Ferne sah ich eine Reihe von Planwagen lange Staubfahnen aufwirbeln, sie kamen gerade von der Csikósvorführung und brachten die neugierigen Touristen jetzt zu den Graurindern hinaus. Lajos hatte jetzt also schon Zeit, mit dem Kochen zu beginnen und auch seine beiden Kollegen würden bei ihm sein, denn eine solche Vorführung fand stets zu dritt statt, es sei denn, eine der Herden würde plötzlich auf und davon ziehen und der verantwortliche Hirte müßte auf seinem schnellen Pferd die Herde wieder einfangen und auf die ihr zugewiesenen Weideplätze bringen. Langsam näherten wir uns der kleinen Hütte. Die Jungstutenherde, die unter Lajos' Aufsicht stand, hatte sich am Ziehbrunnen versammelt und trank in langen Zügen das kühle Naß, welches er in einem an dem langen Hebelarm befindlichen Holzeimer aus der Tiefe herausholte und in die eisernen Tränkewannen goß.

"Hallo, Lajos! Na, ist die Überraschung gelungen?" fragte ich ihn freudig, als ich sein verdutztes Gesicht sah.

"Aber.... Anne! Ja wie kommst du denn daher? Und die Kleine hast du auch mitgebracht? Was hast du dir wohl dabei nur gedacht?" Seine Stimme klang eher verärgert, denn freudig überrascht und so zog ich einen Schmollmund.

"Ich dachte es freut dich, wenn wir dich hier einmal besuchen kommen. Warum soll ich das Kind denn immer nur im Dorf spazierenfahren? Hier draußen ist es doch viel schöner und es lernt eine Menge neuer Eindrücke kennen.

"Das hier ist mein Arbeitsplatz und kein Kinderspielplatz!" grummelte Lajos in seinen Schnurrbart. "Aber wenn du schon einmal hier bist, kannst du dich auch um das Mittagessen kümmern. Meine beiden Kollegen sind schnell zu Gábor geritten, kommen aber gleich wieder. Dann sollte das Essen fertig sein." Kein Begrüßungskuß, kein Blick auf seine wieder eingeschlafene Tochter. Ich war enttäuscht. Wie viel schöner hatte ich mir doch alles in meinen Tagträumen ausgemalt! Aber das Leben ist eben nicht jeden Tag rosarot! Ich stellte den Kinderwagen im Schatten vor dem Häuschen ab und machte mich an die Zubereitung des Essens. Zum Glück brannte bereits ein Feuer, so konnte ich das Wasser in dem eisernen Topf sogleich erhitzen. Schnell war das einfache Mahl zubereitet und dann kamen auch schon die beiden Kollegen zurück.

"Hallo, Anne, was für eine Überraschung!" grüßte mich der Ältere. "Und die Tochter hast du auch mitgebracht! Laß einmal sehen, wie sie wächst und gedeiht." Auch der Jüngere begrüßte mich herzlich - zumindest herzlicher, als mein eigener Mann - dann wendete er sich dem Feuer zu.

"Zeig ihm nur die kleine Marika, ich passe schon auf, daß nichts anbrennt." meinte er freundlich.

"Danke schön." Damit ging ich zu dem Kinderwagen und hob sachte den Schleier an.

"Die ist ja süß!" rief der ältere Kollege meines Mannes begeistert aus. "Und was sagt sie zu den Pferden? Oder hat sie etwa den ganzen Weg verschlafen?" erkundigte er sich.       "Oh nein! Bei den Mutterstuten war sie hellwach und hatte keine Angst, als die Leitstute ihren Kopf in den Wagen gesteckt hat. Sie lachte und streckte ihre Ärmchen nach dem Pferd aus. Sicher wird sie einmal so eine Pferdenärrin wie wir." Der ältere Mann nickte lächelnd.

"Paßt nur gut auf sie auf, dann wird sie euch noch viel Freude bereiten." meinte er wohlwollend. Mir wurde warm ums Herz. Wenigstens gab es einen Menschen hier, der sich für uns interessierte, der wissen wollte, wie es dem Kind und mir ging. Mein Mann ließ sich noch immer nicht blicken, obgleich er mit dem Tränken der Herde fertig war. Wahrscheinlich war er in dem großen Offenstall, wo unsere Pferde untergebracht waren. Ich beschloß, nun auch selbst nach unseren Pferden zusehen, die ich schon viel zu lange Zeit nicht mehr besucht hatte. Als der Hirte meine suchenden Blicke sah, kam er mir hilfreich entgegen.

"Geh nur in den Stall, ich passe schon auf die Kleine auf." meinte er augenzwinkernd zu mir. "Ich passe auch öfters auf meine beiden Enkelchen auf, mußt du wissen."

"Sie wissen, daß ich Ihnen vertraue - und vielen Dank!" rief ich ihm zu, als ich mich über die Umzäunung schwang und die wenigen Meter auf den großen, schilfgedeckten Stall zuging. Ich öffnete das große Holztor und wurde von kühlem Schatten umfangen.

"Lajos?"

"Ich bin hier hinten!" rief er mir zu. "Paß auf, daß du nicht in eines der großen Löcher im Boden trittst, ich will eine Abfohlbox für unsere Stute bauen und habe Löcher für die Pfähle ausgehoben!" So vorgewarnt suchte ich mir vorsichtig meinen Weg im Halbdunkeln. Auf der rechten Seite waren drei dunkle Verschläge, dort standen außer Lajos' Dienstpferd auch unsere beiden eigenen Pferde. Ich rief mein Pferdchen beim Namen, es wieherte freudig auf und kam sofort zu mir, um sich von mir streicheln zu lassen.

"Mein Kleiner! Wie lange habe ich dich nicht mehr gesehen, vom Reiten ganz zu schweigen! Aber schon bald werden wir wieder schöne Ausflüge zusammen unternehmen!" flüsterte ich ihm in die aufmerksam gespitzten Ohren.

"Da glaub lieber nicht so fest daran!" ließ mich eine Stimme hinter mir herumfahren. Lajos stand einige Schritte von mir entfernt, doch schien er mein Gespräch mitbekommen zu haben.

"Und warum nicht?" fragte ich patzig, denn er hatte mir meine ganze Freude verdorben.

"Weil du neben all deinen Verpflichtungen im Haushalt und mit dem Kind keine Zeit haben wirst zu Reiten, deshalb!" War seine kurze Antwort.

"Ich kann mir meine Aufgaben so einrichten, daß mir immer ein wenig Zeit übrig bleibt, um zu reiten. Schließlich bin ich nicht dazu verdammt, nur zuhause zu sitzen und mich um nichts anderes zu kümmern, als um die Familie. Du kommst nach Hause, wann immer du willst, hockst mit Freunden zusammen oder fährst mit dem einen oder anderen einmal wohin! Wo bleibt mein Privatleben? Wo sind meine Freunde? Meine Hobbys?" schleuderte ich ihm wütend entgegen. "Das ist mein Pferd und ich werde es reiten. Nicht jeden Tag, das ist mir schon klar, aber wann immer es mir meine Zeit erlaubt!" Damit wendete ich mich brüsk um und begann, mein Pferd zu streicheln. Plötzlich wurde ich brutal herumgerissen und eine schwere Hand klatschte mit vollem Schwung auf meine Wange.

"Der Herr im Haus bin immer noch ich!" schrie Lajos mit vor Wut verzerrtem Gesicht an. "Und wenn ich dir etwas verbiete, dann hast du zu gehorchen!" Damit ließ er mich los und stapfte aus dem Stall. Ich sank auf einen Ballen Stroh nieder und konnte es nicht fassen, daß mich mein Mann geschlagen hatte! Jetzt nur nicht die Fassung verlieren und anfangen, zu heulen, sonst wäre es um meine Selbstachtung geschehen!

"Anne, Anne, wie konnte es nur so weit kommen?" fragte ich mich halblaut, doch nur das Schnauben der Pferde antwortete mir. Ich verbarg mein Gesicht in der weichen Mähne meines Pferdes und versuchte, mein inneres Gleichgewicht wiederzuerlangen. Bald würde ich aus dem Schatten des Stalles ins helle Tageslicht zurückgehen müssen, so tun, als ob nichts gewesen sei und dann..... Ich wußte einfach nicht, was dann geschehen würde. Ich sagte meinem Pferd auf Wiedersehen und streichelte auch die hochtragende Stute ein wenig, bevor ich all meinen Mut zusammennahm und das schwere Tor öffnete. Die gleißende Sonne brannte mir in den Augen und ich ließ ihnen Zeit, sich wieder an das Licht zu gewöhnen. Dann ging ich festen Schrittes auf das kleine Wachhäuschen zu. Die Männer saßen schon am Tisch und bedienten sich, keiner blickte zu mir hin, als ich die Bierflaschen aus der hinten am Kinderwagen befestigten Tasche nahm und vor sie auf den Tisch stellte.

"Das hatte ich fast vergessen," meinte ich mit gespielter Zerknirschung. "Hier ist mein Beitrag zum Mittagessen."

"Komm, iß doch mit uns!" lud mich der ältere der Hirten ein, doch ich winkte ab.

"Nein danke, das ist sehr freundlich, aber ich muß leider wieder nach Hause! Die Arbeit wartet auf mich." Damit eilte ich an den Kinderwagen, in der Hoffnung, Marika würde nicht noch zu guter Letzt aufwachen und nach der Flasche schreien und ich wäre dazu gezwungen, mich doch an den Tisch zu setzen, um sie zu füttern. Aber meine Tochter ließ mich nicht im Stich, sie schlief weiter und nach einem kurzen Winken in die Richtung der drei Männer machte ich mich auf den Rückweg. Wie anders war meine Stimmung auf dem Hinweg gewesen! Auf halber Strecke begann die Kleine plötzlich zu greinen und ich wußte sofort, sie hatte großen Hunger und würde nicht warten, bis wir zu Hause eintreffen würden. Also beschleunigte ich meine Schritte bis zum nächsten Brunnen und ließ mich dort in dessen Schatten nieder. Marika lag still in meinen Armen und trank friedlich aus dem Fläschchen. Ich ließ meine Gedanken schweifen. Morgen Mittag würde Lajos nach Hause kommen - in was für einer Gemütsverfassung? Würde er Reue über seine Brutalität zeigen oder wäre er überzeugt von der Richtigkeit seines Verhaltens? Ich hatte zwar schon Zornausbrüche von ihm erlebt, die meisten gegen seine Pferde oder einen Hund gerichtet, einige, verbale, auch gegen mich, aber noch nie hatte er mich geschlagen oder auch nur mit Schlägen gedroht. Doch jetzt war es geschehen.

"Mein Gott, wie soll ich mich ihm gegenüber verhalten?" fragte ich mich, aber eine gute Lösung meiner Probleme kam mir nicht in den Sinn. Marika hatte aufgehört zu trinken und lag nun wohlig an mich gekuschelt da. Wohl wissend, daß man mich auf Kilometer hinweg sah und so auch die Kollegen meines Mannes sich davon überzeugen konnten, daß ich es keineswegs so eilig mit dem Heimkommen hatte, wie es meine schnelle Verabschiedung hatte scheinen lassen, blieb ich dennoch sitzen und genoß die Stille der Natur. Später legte ich die Kleine wieder in den Wagen und machte mich langsam auf den Rückweg. Zuhause angekommen schaute ich zuerst einmal in den Spiegel. Oh Schreck! Auf meiner linken Wange zeichneten sich deutlich dunkle Striemen, die Fingerabdrücke meines Mannes, ab. Wahrscheinlich hatten auch seine beiden Kollegen diese Male gesehen und waren deshalb so still gewesen! Glücklicherweise war ich im Dorf niemandem begegnet! Schnell legte ich kühle Tücher auf meine Wange und versuchte, nicht an morgen zu denken. Der nächste Vormittag brachte außer der gewöhnlichen Arbeit auch einen Brief meiner Mutter, die sich für den nächsten Monat ankündigte. Auch das noch! Die erste echte Ehekrise und dann noch die Mutter, was zuviel ist, ist einfach zuviel! Aber ich konnte nichts dagegen unternehmen. So bereitete ich ein gutes Mittagessen vor und wartete auf meinen Mann. Der kam dann auch, wenn natürlich mit einigen Stunden Verspätung und nicht mehr ganz nüchtern.

"Hallo Anne!" Er tat so, als ob nichts gewesen wäre und setzte sich an den Tisch.

"Hallo, Lajos!" mehr wagte ich nicht zu sagen. Ich brachte gerade die Suppe herein, als Marika im Kinderzimmer zu weinen anfing.

"Stell doch den Schreihals ab! Das ist ja widerlich!" fauchte mein Mann, der <liebende> Vater. "Nie hat man seine Ruhe vor dem Gebrüll!" Ich verschwand im Kinderzimmer und gab dem Baby die Flasche. Das fing ja gut an! Zwar hatte sich Lajos nie viel um seine Tochter gekümmert, seit wir aus dem Krankenhaus gekommen waren, aber zuerst hatte ich das einer gewissen Nervosität des neugebackenen Vaters zugeschrieben, der Angst hatte, das Neugeborene in seine - zugegeben - sehr starken Hände zu nehmen. Doch auch mit fortschreitender Zeit hatte sich das Verhältnis des Vaters zu seiner kleinen Tochter nicht gebessert und mit Schrecken mußte ich erkennen, daß er fest auf einen Sohn gehofft hatte, der bald in seine Fußstapfen treten würde und nicht auf eine Tochter, mit der er nichts anzufangen wußte.

"Bist du bald fertig da drin?" schallte es aus dem Eßzimmer. "Kannst du dich denn nicht einmal auch um mich kümmern?"

"Du hast mir ja gesagt, ich soll das Schreien abstellen, das geht nur mit der Flasche, also mußt du warten! Aber du kannst dich gerne selbst bedienen, mußt nicht auf mich warten, ich kann ja später essen!" wollte ich ihn beruhigen.

"Nichts da! Wir essen gemeinsam! Aber ich habe Hunger und habe keine Lust, immer auf dich zu warten!" Das war ja fein! Wer wartete denn immer mit dem Essen auf den Herrn der Schöpfung, bis dieser sich bequemte, aus der Kneipe heimzukehren? Ich hatte natürlich auf ihn zu warten, aber er nicht auf mich! Lächerlich! Ich beschloß, so zu tun, als ob die Kleine noch nicht satt sei.

"Lajos, bediene dich doch, das kann hier noch längere Zeit dauern!" rief ich zurück, aber mein Mann beharrte darauf, daß ich ihm sein Essen servieren würde. Notgedrungen legte ich das Baby wieder in sein Bettchen, gab ihm den Schnuller und ging ins Eßzimmer.

"Na endlich!" murmelte Lajos, dann ließ er sich mit dem Gesichtsausdruck eines wohlgefälligen Paschas das Essen vorsetzen. Als wir beim Nachtisch angelangt waren eröffnete ich ihm, daß meine Mutter die Absicht hatte, uns zu besuchen.

"Und wann soll das sein?" wollte mein Mann wissen.

"Anfang nächsten Monats kommt sie für zwei Wochen." antwortete ich ihm bedachtsam und fürchtete eine heftige Reaktion seinerseits, die jedoch ausblieb.

"Wo soll sie schlafen?" fragte er beiläufig. Doch darauf hatte ich die Antwort schon parat.

"Auf der Couch im Wohnzimmer."

"OK!" Welch banale Unterhaltung! Dabei hatte ich einerseits Furcht davor, daß er über seine gestrige Ohrfeige sprechen würde, andererseits aber wünschte ich mir eine Aussprache herbei. Wenn er aber nicht davon anfangen würde, müßte ich die Sache beginnen, was ich nie über mich bringen könnte. So wurde die Sache bis zum Abend erst einmal totgeschwiegen. Kurz vor dem Beginn der Fütterung verschwand Lajos auf seinem, nein, meinem! Motorrad und kehrte erst spät in der Nacht betrunken zurück. Scheinbar hatte er seine eigene Art gefunden, einen Konflikt zu beenden, denn er rüttelte mich unsanft wach, um sich dann stundenlang an - nicht mit - mir zu vergnügen. Vor diesen Dingen graute es mir am meisten, aber Vergewaltigung in der Ehe war ein Tabuthema und ich konnte mich niemandem anvertrauen. Den Morgen verschlief mein Mann wie gewöhnlich, wenn er ihn nicht gerade im Fogadó verbrachte, während ich alle Arbeit zu verrichten hatte. Dann schlang er schnell das Mittagessen in sich hinein und war auch schon auf und davon. So verging die Zeit und eines Vormittags erschien meine Mutter an der Haustür.

"Hallo, Anne! Wie schön dich zu sehen! Und gut siehst du aus, so schlank! Ich hätte nicht gedacht, daß du nach der Geburt so schnell wieder abnimmst!"

"Guten Morgen, Mutter! Hast du eine gute Reise gehabt?" Brachte ich ihre Redeflut zum Versiegen, nein, sie begann schon von neuem.

"Die Fahrt ist gut verlaufen, ich war schon um fünf Uhr hier, habe mich aber auf den Parkplatz bei der Csárda gestellt, um euch nicht zu wecken!" Typisch meine Mutter! Seit Menschengedenken bildet sie sich ein, alles nur zum Besten ihrer Kinder zu tun. Bloß keinen Einfluß von außerhalb! Alles nur in der Familie! Deshalb war ich ja auf und davon gegangen! Aber noch immer meint sie, mit ihrer Affenliebe nur das Beste für mich zu wollen. Sie wußte ganz genau, daß ich meistens schon um fünf Uhr aufstehe, aber lieber hat sie auf dem Parkplatz gewartet, bis es zehn Uhr wurde! Schwamm drüber!

"Lajos ist bei der Arbeit, er kommt erst morgen Mittag wieder." meinte ich fröhlich. "Aber dafür kann ich dir in aller Ruhe das Haus zeigen - und natürlich auch dein Enkeltöchterchen!"

"Ach ja, wo ist denn die Kleine?" wollte meine Mutter wissen. Ich zeigte auf das Kinderzimmer.

"Normalerweise schläft sie um diese Zeit, aber du kannst ja mal einen kurzen Blick hineinwerfen." Damit öffnete ich die Tür einen Spalt breit. Doch meine Mutter drängte sich durch die Öffnung und war schon am Kinderbettchen, bevor ich sie zurückhalten konnte. Dort hob sie das ruhig schlafende Baby aus dem Bett und fühlte ihm in die Windeln.

"Anne, das Kind ist ja ganz naß! Du mußt es öfter wickeln!" fuhr sie mich an. Durch den strengen Ton und die ungewohnte Behandlung aufgeschreckt, fing Marika an zu weinen. Darin sah meine Mutter nur eine Bestätigung ihrer Theorie.

"Anne, hol sofort neue Windeln her, ich lege das Kind trocken." Ich schluckte eine scharfe Bemerkung hinunter. Meine Mutter war gerade erst angekommen, da konnte ich nicht schon mit ihr streiten! Aber lange würde es so sicher nicht dauern, bis wir aneinandergeraten würden. Ich holte also Windeln, Cremetücher und Puder aus einer Kommode und gab dies meiner Mutter, die sich sogleich daranmachte, das Baby zu wickeln. Später durfte ich der Kleinen dann die Flasche geben und als sie wieder eingeschlafen war, zeigte ich meiner Mutter Haus und Hof. Was mich mit Freude erfüllte, denn es war hauptsächlich meiner Hände Arbeit, fand bei meiner Mutter nur ein vages Kopfschütteln.

"So viel Viehzeug, wozu das alles? Das macht doch nur Dreck und Arbeit. Und ein Gemüsegarten? Na so was! Das kannst du doch alles im Laden kaufen!" Doch da mußte ich ihr widersprechen.

"Liebe Mutter, das kann ich eben nicht! Erstens leben wir von Lajos' Gehalt mehr schlecht als recht und zweitens hat hier im Dorf jeder seine Tiere und den Garten, im Laden gibt es fast nur solche Dinge zu kaufen, die hier niemand hat. Aber keine Hühnchen, fast keine Eier und nur das Gemüse und Obst, was die Leute hier zu viel haben und in den Laden bringen. Also ist es sicherer, alles selbst anzupflanzen. Und mir macht das Leben so Spaß, mit dem Garten und den Tieren!" Aber das konnte meine Mutter nicht verstehen. Sie kannte nur den Supermarkt und die kleinen Läden, der Garten war nur zum Ansehen und Tiere mochte sie sowieso keine, zuviel Dreck und Arbeit! Mir fehlte natürlich mein Pferd, ich hätte es gerne im Stall auf dem Hof gehalten, aber das war ein Problem zwischen mir und meinem Mann und das wollte ich ihr nicht auf die Nase binden. Allerdings.... Jetzt, wo meine Mutter das Kind hüten konnte, war ich fest entschlossen, jeden Tag mit meinem Pferd auszureiten, komme, was wolle! Und für später hatte ich schon einmal mit meiner Nachbarin gesprochen, die sich gerne bereiterklärt hatte, Samstag oder Sonntag für einige Stunden auf Marika aufzupassen, wenn ich einen Ausritt unternehmen wollte. Als wir wieder im Haus waren, begann ich das Mittagessen vorzubereiten.

"Was machst du denn da?" fragte mich meine Mutter, argwöhnisch in die Kochtöpfe schauend.

"Hühnergeschnetzeltes mit Paprika und Sauerrahmsoße, dazu Nockerl und Gurkensalat." antwortete ich stolz, denn meine Kochkünste datierten aus jüngster Zeit, zuhause hatte ich es nie lernen dürfen, dort hatte die Oma immer für uns alle gekocht.

"Ich habe heute früh schon ein Mittagessen im Fogadó für mich bestellt." verdarb mir meine Mutter die gute Stimmung. "Ich wollte euch nicht zur Last fallen und wußte auch nicht, ob du genügend zu Essen haben wirst!" Jetzt wurde ich aber ernstlich böse.

"Du willst nicht auch noch im Fogadó schlafen?" fauchte ich sie an. "Warum bist du überhaupt gekommen? Wenn du uns nicht zur Last fallen willst? Sollten wir einmal zu euch kommen, werden wir auch in einem Hotel übernachten und essen - wie würde dir das gefallen?" Meine Mutter schien zu überlegen, doch wollte sich keine Einsicht bei ihr einstellen.

"Das ist etwas anderes - ich bin die Mutter und in Deutschland ist dein Zuhause."

"Oh Gott!" stöhnte ich auf. "Deutschland ist nicht mehr mein Zuhause, sondern Ungarn und wenn du nicht sofort das Essen im Fogadó abbestellst, dann kannst du wieder heimfahren!"

"Nun rege dich nicht gleich so künstlich auf!" beschwichtigte mich meine Mutter. "Ich lade dich zum Mittagessen ein, dann kommst du wenigstens einmal unter die Leute mit deinem Kind. Und das heutige Essen kannst du morgen deinem Mann servieren!" Oh, meine praktisch denkende Mutter! Wenn sie nur auch einmal <normal> denken würde und nicht immer um fünfundzwanzig Ecken! Notgedrungen willigte ich ein - und dann fuhr meine Mutter das Kind spazieren, hatte es im Restaurant auf dem Schoß, damit ich ja nur in Ruhe essen konnte, bezahlte selbstverständlich für uns beide und schob dann wieder stolz den Kinderwagen heimwärts. Abends wollte ich gerade die Couch im Wohnzimmer richten, als meine Mutter zur Tür hereinschaute.

"Laß das nur, Anne! Ich habe im Auto mein eigenes Bettzeug mitgebracht, da brauchst du deines nicht zu benutzen und hast dir eine Wäsche und die ganze Bügelei erspart."

"Aber Mutter, das hättest du doch nicht auch noch mitnehmen müssen! Du weißt doch, das wir hier alles doppelt und dreifach haben."

"Ja, ja! Schon gut, aber ich habe es jetzt eben mitgebracht und da werde ich es auch benutzen!" beharrte meine Mutter auf ihrem Standpunkt. Und ich beugte mich - wie schon so oft in meinem Leben - ihrem Willen. Nachdem ich meine Tiere versorgt hatte und Marika gebadet und gefüttert eingeschlafen war, bereitete ich das Abendessen. Doch hatte ich auch hier die Rechnung ohne meine Mutter gemacht. Sie holte aus ihrer Gefriertasche eine Menge Butter, Salami, Käse und Aufschnitt hervor und verteilte es auf dem Tisch.

"Das habe ich heute früh im Laden besorgt." meinte sie stolz. "Sogar an Brot habe ich gedacht." sagte sie und holte ein rundes Riesending von 5 Kilogramm aus ihrer Tasche. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Sicher, wir hatten nicht viel Geld, aber zur Bewirtung meiner Mutter hätte es allemal gereicht und hatten wir nicht oft sehr viel mehr Gäste mit Essen und vor allem Trinken zu versorgen? Aber ich mußte mich wenigstens vorläufig in mein Los fügen. Eine kleine Revanche hatte ich aber doch: Auch ich packte meine Vorräte gut verteilt auf den Tisch - und nahm dann nur von meinem Eingekauften! Als Lajos dann am nächsten Mittag kam, ziemlich pünktlich und nüchtern, da ließ sich meine Mutter sogar herbei, ihn freundlich zu begrüßen, obwohl sie ihn noch immer als <den Ausländer, der mir meine Tochter gestohlen hat> ansah. Ich war überrascht und erfreut zu sehen, daß Lajos sich von seiner besten und charmantesten Seite zeigte, ja er lud uns sogar für den übernächsten Mittag, wenn er in der Puszta kochen würde ein, zu ihm hinaus zu kommen und dort einen Slambuc zu genießen. Erstaunlicherweise willigte meine Mutter ein, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Nacht verlief ruhig. Lajos legte sich früh schlafen, nachdem er die Tiere gefüttert hatte und auch ich ging zeitig zu Bett. Am nächsten Morgen saßen wir beim Frühstück, als ich nicht mehr länger an mich halten konnte.

"Lajos, bitte nimm mich heute auf dem Motorrad mit, wenn du zur Arbeit fährst, ich will ein wenig ausreiten." Mein Mann schaute mich erstaunt an, hob ein wenig die dichten Brauen und - schwieg.

"Meine Mutter paßt für die kurze Zeit auf die Kleine auf und ich komme zu Fuß zurück!" erklärte ich meinen Plan, an dem ich selbst nichts auszusetzen fand. Und in Gegenwart meiner Mutter beherrschte sich mein Mann, begnügte sich mit einem: "OK" und aß weiter. Zittrig vor Aufregung brachte ich den Vormittag hinter mich, zog nach dem Mittagessen schnell meine Reitkleidung an und wartete schon im Hof auf Lajos, das Motorrad neben mir, als er aus dem Haus trat. Während der kurzen Fahrt verlor er kein Wort über die Sache und auch als er mich vor dem Stall absetzte meinte er nur:

"Erwarte nicht, daß ich dich begleite, ich arbeite."

"Natürlich, das ist mir schon klar," erwiderte ich schnell, "ich kann schon alleine auf mich aufpassen, das mußte ich in Deutschland auch immer!" Dann sattelte ich mein Pferd und begann einen wunderschönen, streßfreien Ausritt. Ich hatte alle Zeit der Welt, mußte lediglich zur Abendfütterung wieder zuhause sein. Wie sehr genoß ich diese stillen Stunden auf dem Rücken meines treuen Kameraden! Um uns herum nur weites Land, unberührte Natur und lebendige Stille. Viel zu schnell verging der Nachmittag und ich kehrte zum Stall zurück. Dort fand ich Lajos, der sich um unsere Stute kümmerte. Sie würde noch in der Nacht ihr Fohlen bekommen und litt sehr.

"Soll ich hierbleiben oder zumindest wiederkommen und dir helfen?" fragte ich meinen Mann. "Mit dem Motorrad bin ich in einer Stunde zuhause, habe gefüttert und komme wieder zurück." Doch mein Mann winkte nur ab.

"Hier regiert das harte Gesetz der Puszta! Wenn sie es nicht schafft, dann war sie nicht stark genug, wenn das Fohlen stirbt, dann war es nicht lebensfähig. Hier hast du nichts zu suchen. Geh heim und kümmere dich um das Kind und deine Mutter. Morgen sehen wir uns dann am Mittag hier draußen." Damit war ich verabschiedet. Als ich jedoch mit hängendem Kopf aus dem Stall ging, rief mir Lajos hinterher:

"Mach dir keine Sorgen um das Tier, sie wird es schon schaffen und das Fohlen auch!" Das hoffte ich von ganzem Herzen. Auf dem Heimweg dachte ich nur an die kleine Stute und betete, daß ihr und dem Fohlen nichts geschehen möge. Meine Mutter empfing mich mit einem vorwurfsvollen Blick, ihrer Meinung nach hatte ich meine freie Zeit weidlich überzogen! Nach einem kurzen Abendessen brachte ich Marika zu Bett und schaute mir dann noch einen alten Spielfilm im Fernsehen an. Gegen Mitternacht weckte mich das Geschrei meiner kleinen Tochter. Was war geschehen? Sie schlief doch sonst immer ruhig durch? Verschlafen suchte ich nach meinen Pantoffeln und sah dann, daß Licht durch die Türspalte des Kinderzimmers fiel. War mir meine Mutter etwa schon zuvorgekommen? Als ich in das Kinderzimmer trat, empfing mich meine Mutter, die eben dabei war, Marika neu zu wickeln, mit einem bösen Gesichtsausdruck.

"Anne! Wie kannst du das Kind nur die ganze Nacht über in ein und derselben Windel liegen lassen! Ich wollte dich schon gestern fragen, warum du die Kleine nicht auch in der Nacht trockenlegst. Heute wurde es mir zuviel und ich habe selbst nach dem rechten gesehen!" Ich starrte sie entgeistert an.

"Mutter! Hast DU etwa Marika aufgeweckt, nur weil du schauen wolltest, ob die Windel naß ist?"

"Sicher, so wie du sie wickelst, muß sie ja aufwachen, wenn man nachsehen will, ob sie noch trocken liegt!" warf mir meine Mutter streng vor. "Ich weiß nicht, was du für eine Mutter bist, vom Vater der Kleinen ganz zu schweigen! Aber du kannst weder ein Kind richtig wickeln, noch weißt du die Verantwortung dafür zu tragen! Ich weiß wirklich nicht, wie du dich so entwickeln konntest! ICH habe doch immer alles für dich getan, da kannst du dich nicht beklagen!" Ich war entsetzt über die Wut mit der mir meine Mutter die Worte entgegenschleuderte. Inzwischen hatte sich das Weinen Marikas zu einem wahren Gebrüll verstärkt.

"Mutter, mein Kind kann ich wickeln, wie ich will. Außerdem ist sie noch nie nachts aufgewacht, selbst wenn einmal die Windel naß war. Und einen entzündeten Popo hat sie auch noch nie gehabt! Wieso soll ich also mein Kind mitten in der Nacht aus dem Schlaf reißen, nur um zu sehen, ob sie naß ist? Wenn es ihr unangenehm wäre, würde sie ja sowieso aufwachen und weinen! Und jetzt haben wir die Bescherung! Jetzt wird es sicher eine ganze Weile dauern, bis sie sich beruhigt hat - aber diesmal wirst DU sie beruhigen, denn du hast sie ja auch aufgeweckt!" Damit drehte ich mich um und ging aufgeregt wieder ins Schlafzimmer zurück. Mochte meine Mutter sehen, wie sie damit fertig wurde.

"So einer Rabenmutter sollte man das Kind entziehen!" hörte ich meine Mutter noch laut mir nachrufen, dann schloß ich die Tür und versuchte, wieder Schlaf zu finden. Doch das Kind weinte noch eine ganze Stunde lang, ehe es sich wieder beruhigte. Und diese ganze Stunde lang hörte ich das Gemurmel meiner Mutter, die dem Kind erzählte, was für gemeine Eltern es hätte, die sich nicht genug um es kümmern würden! Schließlich wurde es wieder ruhig im Haus und auch ich konnte wieder einschlafen. Am nächsten Morgen ging ein Gewitterguß über uns nieder, als ich, wie immer, aus dem Haus trat, um meine Tiere zu füttern. Marika schlief wie immer um diese Zeit noch friedlich - es war mir noch nie passiert, daß ich sie nach den zehn Minuten, die das Füttern in Anspruch nahm, wach oder weinend in ihrem Bettchen gefunden hatte. Aber als ich wieder, naß bis auf die Haut und mit zerzausten Haaren, ins Haus trat, kam mir meine Mutter mit dem weinenden Kind auf dem Arm entgegen.

"Anne! Das ist ja nun wirklich die Höhe! Wie kannst du das Kind ganz allein in seinem Bett lassen und aus dem Haus gehen? Hast du denn kein Bißchen Verantwortungsgefühl für das Baby? Weißt du nicht, was alles passieren kann, während du irgendwo da draußen bist?" fuhr sie mich an. Ich mußte mich sehr zusammennehmen, um nicht sofort loszuschreien, aber ich kochte innerlich vor Wut.

"Mutter! Ich bitte dich darum, daß du dich aus meinem Leben heraushältst! Das Kind ist noch nie um diese Zeit wach gewesen...." Ich brach ab, denn es kam mir ein ganz unglaublicher Gedanke. "Hast DU es etwa aufgeweckt?" Meine Mutter nickte eifrig.

"Natürlich. Das arme Wurm hat mir so leid getan, daß sich niemand um es kümmert, da wollte ich es ein wenig bemuttern!"

"Oh Gott!" entfuhr es mir. "Kannst du dich denn nicht ein wenig zurückhalten? Marika schläft um diese Zeit immer und wacht erst lange danach auf, wenn ich wieder im Haus bin und das Frühstück zubereite! Außerdem kannst du mir bitte erklären, wie ich füttern soll, mit einem Baby auf dem Arm, im strömenden Regen?"

"DU warst nie alleine!" warf meine Mutter mir vor.

"Natürlich nicht! Zuhause gab es außer Omas Katze ja keine Tiere, und um die hast du dich ja nicht kümmern müssen und Oma war immer da, um auf mich aufzupassen. Hier aber ist alles anders. Ich habe mir mein Leben hier so aufgebaut und eingeteilt, wie ich es für richtig halte - und da hast du gar nichts hineinzureden!"

"So! Das denkst aber auch nur du!" schrie meine Mutter zurück. "Wenn du meinst, mit deinem Leben so klarzukommen - na bitte! Aber rechne nicht mehr mit meiner Hilfe und Unterstützung!" Damit drückte sie mir das Kind in den Arm, rannte sie ins Wohnzimmer, packte eilig ihre Siebensachen in ihren Koffer, schnappte sich ihre Handtasche und verschwand im Eilschritt in den Hof, wo sie ihr Auto geparkt hatte. Als ich ihr, noch ganz starr vor Staunen, nachfolgte, hatte sie das große Hoftor schon geöffnet und den Motor angelassen.

"Ich fahre zurück nach Deutschland!" rief sie mir zu, als ob ich das nicht selbst sehen konnte. "Sieh zu, wie du mit deinem Leben und diesem Idioten von Ehemann, der völlig unter deinem Niveau ist, fertig wirst, aber bitte mich nicht mehr um Hilfe! Du hast mich schwer enttäuscht - nach all dem, was ich für dich getan habe...." fügte sie noch, wie immer, dazu, dann fuhr sie los. Zwar konnte ich mir ihre heftige Reaktion nicht ganz erklären, doch war ich fast erleichtert, als sie endlich hinter der Straßenbiegung verschwand. Zumindest würde sie sich nicht mehr in meine Ehe und die Kindererziehung einmischen! Erst als ich wieder ins Haus zurückkehrte, fiel mir ein, daß wie ja eigentlich heute Mittag draußen in der Puszta mit Lajos verabredet gewesen waren! Da würde ich sicherlich einige Erklärungen abzugeben haben. Na ja! Schnell bereitete ich alles Nötige vor und ging dann mit der Kleinen im Kinderwagen auf meinen Weg. Der noch feuchte Boden erschwerte zwar die ganze Sache ein wenig, doch war ich entschlossen, bis Mittag an der kleinen Hütte zu sein. Als wir dort anlangten, streckte Lajos gerade seinen Kopf aus dem die Feuerstelle umgebenden Windfang aus Schilf. Auf seinem Gesicht spiegelte sich sein Erstaunen wider, als er sah, daß meine Mutter nicht mitgekommen war.

"Hallo, Anne, wo hast du deine Mutter gelassen?" war dann auch seine erste Frage an mich.

"Meine Mutter ist abgereist." erwiderte ich, nicht ohne eine gewisse Genugtuung in der Stimme mitschwingen zu lassen.

"Wieso denn abgereist?" wollte mein Mann wissen, als er sich wieder seinem Kochkessel zuwendete.

"Nun ja, es hat heute früh einen heftigen Streit in Sachen Kindererziehung und Ähnliches gegeben," meinte ich. "Daraufhin hat meine Mutter mir Undankbarkeit und totales Unvermögen in Sachen Familie vorgeworfen und ist beleidigt abgerauscht. Und ich muß sagen, ich bin darüber nicht allzu traurig." fügte ich noch hinzu. Lajos kam wieder aus der Kochstelle ins Freie und stellte den dampfenden Topf vor mich hin.

"Wenn ich gewußt hätte, daß deine Mutter nicht kommt, hätte ich auch dich gebeten, zuhause zu bleiben." sagte er lakonisch zu mir.

"Wie bitte?" fuhr ich aus meinen Gedanken auf, denn ich hatte mich die ganze Zeit über gefragt, was denn mit der Stute und ihrem Fohlen los war und wann ich endlich erfahren würde, was in der Nacht geschehen war.

"Ich sagte, du hättest auch mit der Kleinen zuhause bleiben können, anstatt ohne deine Mutter hier anzukommen. Nur ihretwegen habe ich die ganze Kocherei heute auf mich genommen, sonst wäre ich rübergeritten, um mit Gábor zu essen, der einen Schafspaprikás vorbereitet hat." Ich war zutiefst gekränkt. Ja freute er sich denn überhaupt nicht, daß wenigstens ich angekommen war, anstatt ihn ohne Nachricht bei seinem Essen sitzen zu lassen? Aber so sind wohl die Männer. Man kann es ihnen nie recht machen!

"Wenigstens hast du jemanden, der Slambuc mag, so daß du nicht den ganzen Kessel alleine aufessen mußt!" versuchte ich, die ganze Sache auf die leichte Schulter zu nehmen. "Und jetzt sage mir bitte, wie es der Stute und dem Fohlen geht."

"Gut" war die ganze Antwort, dann verteilte mein Mann das Essen auf die Teller.

"Ich schaue mal kurz nach ihnen," meinte ich und lief zum Stall hinüber. Im angenehmen Halbdunkel begab ich mich erst zu meinem Pferdchen und begrüßte es, bevor ich mich den Verschlag betrat, wo die Stute untergebracht war. Auf mein leises Rufen hin antwortete sie mit einem ebenso leisen Schnauben und machte mir etwas Platz, als ich mich zur hinteren Wand drängte, wo ein kleines, weiches Fellbündel lag und schlief. Ich beugte mich hinunter, um es zu begutachten und fuhr mit einem leichten Aufschrei zurück. Das Stutfohlen war nicht nur winzig, sondern auch sichtbar unterentwickelt! Die Mutterstute war schon tragend in ihrem verhungerten Zustand zu uns gekommen, selbst meine aufopfernde Pflege und das ausgewogene und reichliche Futter, das ich ihr gab, hatten nicht verhindern können, daß das Fohlen an Mangelerscheinungen litt. Ich würde zwar alles versuchen, um es dennoch in einen einigermaßen gesunden Zustand zu bekommen, doch dazu mußte ich es zuhause pflegen können und nicht hier draußen seinem Wohl und Wehe in der Herde überlassen müssen. Die Mutter war zum Glück stabil genug und hatte die schwere Geburt - ihre erste - ohne Schaden überstanden, wenngleich sie noch ein wenig erschöpft schien. Ich streichelte sie ein wenig, dann begab ich mich wieder zu meinem Mann zurück.

"Lajos, ich würde das Fohlen wenigstens die erste Zeit gerne zuhause pflegen, es braucht viele Vitamine und bald auch kräftiges Futter, wie Luzerne und nicht das ausgedörrte Pusztagras." meinte ich, als ich mich wieder zu ihm an den Tisch setzte. Doch mein Mann winkte ab.

"Ich habe keine Lust, für das Futter der beiden Pferde aufzukommen, wo sie hier draußen umsonst fressen können." wies er mich an. "Wenn es überlebt, dann gut, wenn nicht, auch nicht so schlimm. Hier gibt es keinen Platz für Krüppel." fügte er brutal hinzu.

"Und jetzt eile dich mit dem Essen, ich will hier weg, sowie meine Ablösung kommt." forderte er mich auf. Ich gehorchte seinem Wunsch oder Befehl, ganz wie man es nimmt und schlang das heiße und schwere Essen in mich hinein. Marika schlief zum Glück die ganze Zeit über und wachte auch nicht auf, als mein Mann sich auf sein Motorrad schwang und davonbrauste, sowie sein Kollege eingetroffen war. Ich besorgte noch den Abwasch, was zum Glück nicht lange dauerte, dann machte auch ich mich auf den Heimweg. Als ich zuhause anlangte, gab es natürlich keine Spur von meinem Mann, der hockte sicherlich wieder mit einigen Freunden und Bekannten im Fogadó! So machte ich einen kurzen Besuch bei meiner Nachbarin, die mich freundlich empfing und sich bereiterklärte, am nächsten Tag und auch sonst, wenn es ihre Zeit zulassen würde, für einige Stunden auf Marika aufzupassen, solange ich in der Pußta reiten würde. Frohen Herzens kehrte ich heim und begann, meinen täglichen Arbeiten nachzugehen. Ich sagte Lajos nichts von meiner Absicht, am folgenden Nachmittag auszureiten, konnte es auch nicht, denn bis zum späten Abend war er noch nicht eingetroffen und danach legte ich mich erschöpft Schlafen. In der Nacht jedoch wurde ich unsanft aufgeweckt, mein wieder einmal ziemlich betrunkener Mann forderte seine ehelichen Rechte bei mir ein!

"Bitte Lajos, laß mich doch schlafen, ich bin hundemüde, habe lange auf dich gewartet und einen emotionell schweren Tag hinter mir." bat ich ihn, doch stieß ich, wie schon so oft, auf taube Ohren.

"Du bist meine Frau, du hast mir gegenüber Pflichten im Bett, die du erfüllen mußt, wenn ich es mag!" herrschte er mich, trotz des übermäßigen Alkoholgenusses erstaunlich klar, an.

"Ich mag dir gegenüber Pflichten haben," meinte ich seufzend, "aber du könntest zur Abwechslung auch einmal mir gegenüber etwas Nachsicht üben."

"Nachsicht! Ha, daß ich nicht lache! Ich bin schon sowieso viel zu nachsichtig mit dir!" rief er erzürnt aus. "Sogar deine Mutter hat mich vor dir gewarnt und gesagt, ich solle mich vor deinem sturen Charakter in acht nehmen!" Das war ja fein! Wie konnte meine Mutter es wagen, sich in meine Ehe einzumischen und mich vor meinem Mann schlecht zu machen? Aber natürlich hatte sie sich ja bei mir auch über ihn beschwert. Er trinke zuviel, rauche zuviel, sei nie zuhause und würde sich einen Dreck um seine Familie scheren. In gewissem Sinne hatte sie sogar recht, aber schließlich hatte ich gewählt und mich mit meinem Leben hier angefreundet. Gerade weil es so anders war, als in Deutschland. Gerade weil das Land und die Leute hier mein wahres Zuhause bildeten und ich mich in der Puszta so unsäglich wohlfühlte! Und von wegen sturem Charakter! Nein, ich war nicht stur, nur bestimmt und hatte Ziele vor Augen, um deren Verwirklichung ich auch kämpfen würde, sollte es denn nötig sein.

"Lajos, ich bitte dich! Du hast meine Mutter sicher nur falsch verstanden." meinte ich beschwichtigend. "Und jetzt laß mich bitte schlafen, ich bin sehr müde." Doch alles Bitten und Betteln half nichts, er drehte mich mit einer brüsken Handbewegung zu sich um und drückte mich tief in die Kissen.

"Ich will dich jetzt, und da hast du bereit zu sein, sonst setzt es was!" drohte er mir mit starrer Miene, dann nahm er mich mit Gewalt. Nach langer Zeit ließ er mich endlich in Ruhe und ich kuschelte mich wie ein geschlagener Hund in die Bettdecke und versuchte, wieder einzuschlafen. Doch lange lag ich noch wach und konnte mich eines Gefühls des Ekels nicht erwehren. Welch verschiedene Gesichter konnte doch die körperliche Lust haben, auf der einen Seite liebevolles Kosen und gemeinsame Befriedigung und auf der anderen Seite Kampf und Gewalt am schwächeren Partner. Dennoch brachte ich am nächsten Nachmittag, als mein Mann zur Arbeit abgefahren war, Marika zur Nachbarin und machte mich dann mit dem alten und klapperigen Fahrrad auf den Weg in die Puszta. Zum Glück war mein Mann bei der Herde, die weit entfernt vom Stall friedlich im gleißenden Sonnenlicht graste. Schnell schob ich mein Fahrrad in den Stall und nach einem kurzen Blick auf die Stute und das Fohlen, die beide wohlauf schienen, sattelte und zäumte ich mein Pferdchen. Nachdem ich es ins Freie geführt und die große Stalltür wieder fest verschlossen hatte, schwang ich mich in den Sattel und - nahm den der Herde entgegengesetzten Weg! Mir war schon klar, daß mein Mann oder ein anderer der Hirten mich sehen konnte, doch versuchte ich anfangs, im Sichtschutz des Stalles zu bleiben und dann verdeckte mich der Schilfgürtel am Ufer des Flusses. An der Schwemme überquerte ich den Fluß, der wie immer im Sommer nur sehr wenig Wasser führte, dann ging es im Galopp in die unendliche Weite! Da ich wußte, daß diese Woche die andere Herde an der Reihe war, bei der Csikósvorführung um die Kutschen getrieben zu werden, hatte ich genügend Zeit für meinen Ritt. Auf dem Rückweg ließ ich mein Pferdchen Schritt gehen, damit es nicht geschwitzt im Stall anlangte. Schnell hatte ich abgesattelt, es wieder in seinen Verschlag gestellt und war davongeradelt. Lajos hatte ich zum Glück nicht zu Gesicht bekommen, er war wohl noch zu einem Schwätzchen bei den anderen Hirten geblieben. Natürlich konnte ich nicht hoffen, daß es immer so gut abgehen würde, eines Tages würde mein Mann sicher erfahren, daß ich zum Reiten gegangen war, aber bis dahin wollte ich mein Glück weidlich ausnutzen. So verging die Zeit. Eines Tages, ich war gerade wieder einmal auf dem Weg zum Reiten, sah ich einen großen, offenen Lastwagen, der mit mehreren Pferden beladen war und eben aus der Zufahrtsstraße vom Gestüt auf die Hauptstraße einbog. Eine unerklärliche Ahnung ließ mich genauer hinschauen - und ich hielt wie versteinert inne! Die beiden letzten Pferde in der Reihe waren unsere Stute und ihr mickeriges Fohlen! Noch bevor ich mich bemerkbar machen konnte, war der LKW abgebogen und mit immer schnellerer Fahrt verschwunden. Mein Herz klopfte zum Zerspringen und ich zitterte vor Aufregung, als ich in einer Höllengeschwindigkeit in die Pußta radelte. Mir war es jetzt egal, was mein Mann dazu sagen würde, daß ich herausgefahren kam. Der eigentliche Grund meines Kommens, der Ausritt, war total vergessen, als ich endlich das Fahrrad vor dem Stall in den Staub schmiß.

"Lajos!" brüllte ich mit aller Kraft meiner überanstrengten Lungen, doch nichts regte sich. Ich öffnete schließlich den Stall und sah zu meinem Erstaunen nicht nur meinen Wallach und Lajos' Hirtenpferd, sondern auch noch eine schneeweiße Lipizzanerstute, die friedlich ihr Stroh kaute.

"Ja da soll doch gleich...." entfuhr es mir leise. "Hat er etwa ein neues Pferd gekauft? Oder schon wieder einmal getauscht? Und warum arbeitet er nicht?" Verwundert ging ich wieder ins Freie und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Warum hatte er mich nicht davon unterrichtet, daß er die Stute mitsamt dem Fohlen verkaufen oder tauschen wollte? Und wo war er jetzt? Ich radelte also wieder Richtung Dorf, als Lajos mir auf dem Motorrad entgegenkam. Ich konnte die Verblüffung auf seinem Gesicht lesen, als er wahrnahm, wer da auf dem Rad saß.

"Anne! Was machst du denn hier? Und wo hast du die Kleine gelassen?" herrschte er mich an. Ich fiel gleich mit der Tür ins Haus.

"Wo ist die kleine Stute mit dem Fohlen und warum steht eine Schimmelstute auf ihrem Platz?" Der eiskalte Blick meines Mannes schien mich zu durchbohren.

"Du warst also draußen im Stall?" fragte er gefährlich ruhig. "Dann bist du auch aller Wahrscheinlichkeit nach dem Pferdetransporter noch begegnet!"

"Genau!" rief ich wutentbrannt. "Ich habe gesehen, wie die armen Tiere, ich weiß nicht wohin, abtransportiert wurden! Und dann die Schimmelstute an der Seite meines Wallachs! Ist das deine Neuerrungenschaft? Warum hast du mir nichts davon gesagt?" Lajos stieg langsam vom Motorrad und kam auf mich zu.

"Hör mir mal zu, kleine Spitzelin! Die Stute hatte ich organisiert, ich habe also auch das Recht, mit ihr zu machen, was ich will! Da brauche ich dich nicht erst um Rat zu fragen! Und was die neue Stute betrifft, so laß dir gesagt sein, daß sie dich genausowenig etwas angeht, wie die andere, die übrigens morgen schon in der Wurst sein wird, wenn du es denn so genau wissen willst!" fügte er hämisch grinsend hinzu. Ich war wie vom Blitz getroffen. Wie konnte er nur so roh und unbeteiligt von dem armen Tier sprechen, dem weiter nichts gefehlt hatte, als ein bißchen Zuwendung und gutes Futter.

"Und da du das Kind so gut untergebracht zu haben scheinst, wolltest du sicherlich auf deinem fetten Vieh einen kleinen Ausritt unternehmen, stimmt's?" meinte er argwöhnisch. Ich hatte keinen Grund, es zu leugnen.

"Ja, ich wollte ausreiten, auf meinem eigenen Pferd! Und da hast du mir nicht dreinzureden, Lajos! Auch ich habe Rechte, nicht nur Pflichten!" wies ich ihn zurecht. Doch das schien ihm nicht zu gefallen. Er packte meinen Arm mit einem schmerzhaften Griff, so daß mir ein kleiner Schmerzensschrei entfuhr, und schaute mich starr an.

"Du hast das Recht, bei deinem Kind zu sein und die Hausarbeit zu verrichten! Sei froh, daß du noch nicht arbeiten mußt, wie all die anderen Frauen und Mütter! Wie wolltest du da noch Zeit finden, für solch lächerliche Dinge, wie Reiten! Ich verbiete dir ein für alle Mal hier draußen in der Puszta zu erscheinen! Keine andere Hirtenfrau wird hier je herkommen - nur du! Die ausländische Extrawurst!"

"Aber ich habe mein Pferd hier, die anderen Frauen nicht!" wagte ich einzuwerfen.

"Nicht mehr lange!" zischte Lajos. "Ich werde es zu den anderen Pferden in die Herde stecken und dort bleibt es, bis es verreckt!"

"Nein!" schrie ich ihm entgegen. "Das kannst du nicht tun! Es ist mein Pferd und ich werde dafür sorgen, daß es nach Hause kommt. In der Garage ist mehr als genug Platz, denn ein Auto werden wir wohl nie haben, dazu reicht das Geld nicht! Und für sein Futter werde ich selbst aufkommen! Und reiten werde ich, wann ich will!"

"Und das wirst du nicht!"

"Und das werde ich doch!"

"Du hast hier überhaupt keine Rechte! Du bist Ausländerin, arbeitest nicht und gehörst nicht zum Staatsgut - du bist ein Nichts!" brüllte mein Mann mich an, dann hob er die Hand, wie zum Schlag, ließ sie aber wieder sinken, trat wütend gegen sein Motorrad und fuhr dann mit aufheulendem Motor davon. Dies war der Moment, ab welchem ich begann, mich ernsthaft um die ungarische Staatsbürgerschaft zu bemühen. Die Jahreszeiten kamen und gingen und es wurde wieder Frühling. Da erreichte mich eines Tages ein Telegramm, daß meine Großmutter gestorben sei und Anfang der nächsten Woche beerdigt werden sollte. Ich rief sofort meine Eltern an, daß ich, sofern möglich, mit dem nach Deutschland fahren würde, Ankunftstag und Zeit würde ich noch durchgeben, damit mich jemand vom Bahnhof abholen könne. So weit, so gut. Jetzt mußte ich mir nur noch eine Fahrkarte besorgen. Am Schalter unseres kleinen Bahnhofs grüßte mich der Beamte freundlich.

"Na, Frau Molnár, wo soll es denn hingehen?"

"Nach Deutschland und zurück und zwar die Hinfahrt so schnell wie möglich, spätestens aber am Freitag." war meine Antwort.

"Das macht 300 deutsche Mark." wies mich der junge Mann an. Mir verschlug es die Sprache.

"Wieso denn deutsche Mark? Die besitze ich ja gar nicht! Seit ich die ungarische Niederlassungsgenehmigung habe, ist es mir doch verboten, ausländisches Geld zu haben!"

"Sie haben aber noch einen deutschen Paß und deshalb müssen Sie in Mark bezahlen." war die lakonische Antwort. Mir wurde ganz heiß.

"Schauen Sie, meine Großmutter ist gestorben und ich muß dringend zu ihrer Beerdigung - gibt es denn keine Lösung für mein Problem?" Der Beamte zuckte die Schultern.

"Da müßten Sie schon nach Debrecen auf die Hauptstelle der Bahn und vielleicht auch mit der ungarischen Nationalbank reden, vielleicht machen die dort eine Ausnahme. Ihr Fall ist ja sowieso kein Gewöhnlicher!" lächelte er mich an. Ich rannte also wieder nach Hause und brachte Marika bei Bekannten unter. Dann schrieb ich ein paar Zeilen für Lajos und nahm den nächsten Zug nach Debrecen. Viel Zeit blieb mir ja nicht mehr, wenn ich Freitag fahren wollte und jetzt war schon Mittwoch! Auf dem Büro der ungarischen Staatsbahnen hörte man sich höflich meine Erklärungen an, dann schüttelte die Dame den Kopf.

"Meine liebe Frau, Sie sind ein ganz ungewöhnlicher Fall. Ich verstehe, daß Sie als hier lebende Ausländerin keine westlichen Devisen besitzen dürfen, wir jedoch dürfen uns nur nach dem Paß richten und der Ihre ist deutsch, also müssen Sie in deutschem Geld bezahlen!" meinte sie achselzuckend. Als sie das Unverständnis in meiner Miene sah, setzte sie tröstend hinzu. "Sie versuchen es vielleicht einmal bei der Staatsbank hier gegenüber, eventuell können die Ihnen weiterhelfen."

"Vielen Dank!" meinte ich, vielleicht ein wenig sarkastisch und beeilte mich, die Bank aufzusuchen. Dort schickte man mich zuerst von einem Schalter zum anderen, bis sich endlich eine ältere Dame meiner erbarmte und in die Chefetage telefonierte.

"Der Verantwortliche Abteilungsleiter ist jetzt für Sie zu sprechen," wies sie mich an, "Zimmer 315, dritter Stock, zweite Tür rechts."

"Haben Sie recht herzlich Dank!" rief ich ihr zu, dann verschwand ich Richtung Treppe, einen Aufzug gab es hier nicht. In dem genannten Zimmer empfing mich ein jüngerer Mann, der sich in aller Ruhe meinen schwierigen Fall erläutern ließ. Als ich geendet hatte, schüttelte er traurig den Kopf.

"So leid es mir tut und so gut ich Ihren Fall verstehen kann, ich kann hier nichts für Sie tun. Da müßten Sie schon nach Budapest auf die Hauptgeschäftsstelle fahren! Vielleicht können die Ihnen eine Sondergenehmigung ausstellen."

"Und wann könnte ich dort vorsprechen?" fragte ich eilig, denn ich kannte nur zu gut die raren Öffnungszeiten der staatlichen Einrichtungen.

"Freitags von 14 bis 17 Uhr und Montags von 10 bis 12 Uhr ist die Hauptstelle für private Kunden geöffnet." teilte mir der Mann mit.

"Aber ich muß spätestens am Freitag Mittag den Zug nach Deutschland nehmen!" fuhr ich ärgerlich auf. Hatte der Mann denn gar nichts verstanden?

"Das tut mir leid, aber das wird wohl nicht gehen, auf Wiedersehen!" Damit wies er auf die Tür und ich mußte zähneknirschend klein beigeben. Als ich wütend aus der Bank schritt, kam mir eine Idee. Ein kleiner Hoffnungsfunke zwar, aber immerhin. Ich ging wieder zur Bahn. Zum Glück war die Frau von vorhin noch da und der Schalter eben frei. Sie schaute mich erstaunt an, als ich mich über den Tisch beugte und zu flüstern begann.

"Würden Sie gegebenenfalls einen Herkunftsbeweis der Devisen verlangen?" fragte ich leise. Die Frau schüttelte den Kopf.

"In Ihrem Falle genügt es mir, wenn Sie die Fahrkarte mit deutschem Geld bezahlen, ich werde nicht fragen, woher das Geld stammt!" flüsterte sie ebenso leise zurück. Ich atmete tief durch.

"Herzlichen Dank, ich komme morgen früh wieder, sind Sie dann im Dienst?"

"Ja, ab acht Uhr bis Mittags."

"Dann also bis morgen!" verabschiedete ich mich und rannte weiter zum Bahnhof, wo ich gerade noch einen Bummelzug nach Hortobágy erwischte. Zuhause suchte ich eine befreundete Familie auf, von der ich wußte, daß sie sich die im Sommer vermieteten Fremdenzimmer mit ausländischer Währung bezahlen ließ. Als ich dort meinen Fall erklärte und ihnen versprach, von Deutschland den geliehenen Betrag in Mark wieder mitzubringen, händigte mir die Frau das Geld ohne weiteres aus. Auf Treu und Glauben. So war das nun einmal in Ungarn! Jetzt mußte ich nur noch mit Lajos reden, Marika irgendwo für eine Woche unterbringen und dann konnte es losgehen! Mein Mann war schon zuhause, als ich mit der Tochter dort eintraf. Er empfing mich ziemlich griesgrämig, denn ich hatte keine Zeit gehabt, etwas zu Essen vorzubereiten und meine kurze Nachricht hatte ihn auch nicht sehr erfreut.

"Na, was ist? Fährst du zur Beerdigung? Und was wird aus dem Kind?"

"Ich werde Freitag früh aufbrechen, dann Mittags von Budapest aus nach Deutschland fahren und dort am Montag an der Beisetzung teilnehmen. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch fahre ich dann wieder zurück und bin spätestens Mittwoch Nacht wieder zuhause. Inzwischen will sich die Nachbarin um das Kind kümmern, aber du müßtest dich organisieren, damit die Tiere hier gefüttert werden." meinte ich in seine Richtung. Lajos überlegte kurz, dann zuckte er mit den Achseln.

"Ich glaube, es ist besser, wenn ich die Kleine meiner Schwester in Obhut gebe, die ist eben in Urlaub und kann sich um Marika kümmern. Ich habe ja morgen Nachmittag frei, da fahre ich mir ihr im Zug nach Miskolc und komme Freitag morgen wieder hier an, bis dahin kannst du ja die Tiere versorgen. Später werde ich dann die Fütterungen morgens und abends irgendwie hinbekommen oder frage einen Kollegen, daß er mir hilft."

"Na gut!" stimmte ich zu. "Das ist deine Sache. Ich werde aber lieber schon alles vorbereiten, damit du morgen alle Sachen für das Kind hast!"

"Das ist mir recht!" meinte mein Mann, dann widmete er sich seinem kalten Abendbrot, das ich inzwischen zubereitet hatte. In der Nacht war er seit langem wieder einmal sehr zärtlich zu mir.

"Paß gut auf dich auf!" flüsterte er mir ins Ohr. "Und komm so bald wie möglich wieder nach Hause!"

"Mach dir nur keine Sorgen, es wird schon alles gut gehen!" beruhigte ich ihn. "Die paar Tage werden wir schon hinter uns bringen!" Am nächsten Tag war ich schon mit dem Frühzug in Debrecen und besorgte mir meine Fahrkarte für den nächsten Tag. Die freundliche Dame zwinkerte mir zu und wünschte mir eine gute Reise, auch wenn der Anlaß ein trauriger sei. Mittags verabschiedete ich mich dann von meiner kleinen Tochter und Lajos. Marika schien erfreut zu sein, einmal mit Papa zu ihrer Tante zu fahren und ich war beruhigt, daß sie es so leicht nahm und mir keine Abschiedsszene bereitete.

"Ich hole Marika Mittwoch früh ab, dann sind wir wieder zuhause, bis du eintriffst!" versprach mir Lajos, als er mir einen kleinen Abschiedskuß auf die Wange hauchte.

"Macht's gut ihr beiden und seid schön brav!" meinte ich lächelnd, als die beiden sich zum Bahnhof auf den Weg machten. Dann packte ich auch meine Sachen und ging früh schlafen, denn der nächste Tag begann schon sehr zeitig für mich und würde lange und anstrengend sein. Doch die Reise ging glatt vonstatten und auch die Trauerfeier, die sowieso nur in der Familie abgehalten wurde, brachte ich gut hinter mich. Der Zug brachte mich dann wieder sicher Richtung Heimat. Spät in der Nacht erreichte ich Hortobágy und freute mich schon auf das Wiedersehen mit Lajos und Marika, obwohl ich sehr müde war und mich nach meinem weichen und warmen Bett sehnte, denn das Zugabteil war alles andere als gemütlich und geheizt gewesen! Zu meinem Erstaunen sah ich kein Licht aus den Fenstern schimmern, als ich, meinen schweren Koffer kaum noch tragen könnend, in unsere Straße einbog.

"Komisch, sind sie etwa schon zu Bett gegangen?" flüsterte ich vor mich hin, als ich am verschlossenen Hoftor stand. Unsere Kuvasz-Hündin kam schwanzwedelnd auf mich zu und leckte mir die Hand, als ich sie zur Begrüßung streichelte, die Schweine grunzten aufgeregt und die Hühner saßen zwar im Stall, aber die Tür war nicht verschlossen, wie sonst immer zur Nacht. Was war hier los? Mit einem mulmigen Vorgefühl ging ich zur Haustür, die verschlossen war! Was sollte das bedeuten? Wieso war hier niemand? Lajos hatte mir doch versprochen, Marika noch am Vormittag bei seiner Schwester abzuholen und selbst, wenn er einen späteren Zug genommen hatte, hätte er längst zuhause sein müssen! Es war doch nichts passiert? Mühselig kramte ich meine Hausschlüssel aus meiner Handtasche und öffnete die Tür.

"Igitt!" entfuhr es mir laut, als ich die Tür aufstieß und mir ein ekliger Geruch entgegenkam. Was war das denn? Ich stellte meinen Koffer im Flur ab und machte Licht.

"OH NEIN!" Ich schrie es hinaus und machte so meiner Enttäuschung, Wut, Ekel Verblüffung oder was sonst noch alles sich in diesen wenigen Sekunden in mir an Gefühlen ansammelte und herauswollte, Luft. Wie sah denn nur die Wohnung aus! Entsetzt ging ich von einem Zimmer ins andere und entdeckte immer neue Schreckensbilder! In der Küche stapelte sich das ungewaschene Geschirr und Essensreste lagen überall herum, die zum Teil schon mit einer dicken Schimmelschicht überzogen waren! Im Schlafzimmer herrschte noch so halbwegs Ordnung, wenn man einmal von dem total verwüsteten Bett und den überall herumliegenden Klamotten absah. Das Badezimmer war ebenfalls unaufgeräumt, schmutzige Wäsche hing aus der Waschmaschine und Handtücher lagen zusammengeknüllt in jedem Winkel. Im Kinderzimmer herrschte leidliche Sauberkeit, wenngleich auch dort Sachen verstreut lagen, die eigentlich nicht dorthin gehörten! Aber den eigentlichen Schock versetzte mir der Zustand des Wohn- und Eßzimmers! Was hatte es hier nur gegeben? Ein wüstes Gelage? So schien es jedenfalls. Auf dem Tisch standen noch halbvolle und leere Bier- und Schnapsflaschen, einige Gläser meines teuren Services waren zerbrochen, der Boden mit Scherben besät. Einer der Stühle, die zwei Weltkriege und viele Umzüge heil überstanden hatten, lag zerbrochen in einer Ecke, bei einem anderen war ein Teil der Lehne abgebrochen. Und die Wände....... Ja, was war das nur an den Wänden? Es waren dort überall Spuren einer heruntergelaufenen Flüssigkeit zu sehen, die ich nicht zu identifizieren vermochte. Himmel, was war hier in den wenigen Tagen während meiner Abwesenheit geschehen? Und wo waren Lajos und die Kleine? Zitternd vor Wut und Übermüdung legte ich mich ins Bett und horchte mit klopfendem Herzen auf jeden Laut, der mir die Ankunft meiner Familie angekündigt hätte. Aber nichts geschah und schließlich mußte ich doch eingeschlafen sein, denn der laute Schrei meines Hahnes weckte mich am anderen Morgen. Ich kämpfte mich aus dem Bett, fütterte die hungrigen Tiere, die wohl zumindest am Vorabend keine Nahrung erhalten hatten und machte mich schweren Herzens ans Aufräumen. Wie anders hatte ich mir meine Ankunft zuhause vorgestellt! Der Vormittag war schon weit fortgeschritten, als ich endlich Schritte und die zarte Stimme Marikas im Hof hörte.

"Papa, ist die Mama jetzt wieder da?" fragte sie aufgeregt und mein Mann antwortete kurz angebunden:

"Sicher und hoffentlich hat sie auch schon aufgeräumt!" Toll! Darum war er wohl nicht früher nach Hause gekommen! Ich beschloß, ihn trotz allem zur Rede zu stellen. Als die Tür endlich aufging, stürzte meine kleine Tochter auf mich zu und umarmte mich stürmisch.

"Mama, Mama! Wie schön, daß du wieder da bist! Du hast mir sooooo gefehlt!" Ich nahm sie sanft in die Arme und küßte sie gerührt.

"Du hast mir auch sehr gefehlt, süßer Schatz!" flüsterte ich ihr ins Ohr. "Schau, ich habe dir auch etwas mitgebracht!" Damit zeigte ich auf das in Geschenkpapier eingewickelte Stofftier, welches ich ihr aus Deutschland mitgebracht hatte. Schnell hatte sie das Papier aufgerissen und ein "Oh, wie schön!" der Überraschung entfuhr ihr. Mit dem kuscheligen Pferdchen im Arm rannte sie zu mir und drückte mir einen dicken Kuß auf die Wange.

"Vielen, vielen Dank, Mama, das ist ein schönes Geschenk!" Damit verschwand sie in ihrem Zimmer, um das Pferd den anderen Stofftieren vorzustellen. So war ich allein mit meinem Mann.

"Hallo, Lajos!" begrüßte ich ihn kalt. "Das war eine schöne Überraschung gestern Abend!"

"Stört es dich, daß ich noch eine Nacht bei meiner Schwester verbracht habe? Meine Mutter hatte uns eingeladen, da konnte ich nicht gut absagen!" fuhr er mich an.

"Ja, es stört mich!" schrie ich zurück. "Nicht, daß ich dir verbiete, deine Mutter oder Schwester zu sehen, aber du hattest mir versprochen, mit Marika am Nachmittag wieder hier zu sein! Was glaubst du, was das für ein Gefühl war, hier in ein leeres Haus zu kommen? Da es ja hier keine Möglichkeit gibt, zu telefonieren, konnte ich mich auch nicht überzeugen, daß euch nichts zugestoßen war! Und dann der Zustand der Wohnung!!!!! Lajos, was ist hier geschehen?" Er ließ sich jedoch durch meinen aufgeregten Ton nicht aus der Ruhe bringen.

"Wenn die Katze aus dem Haus ist....." begann er, doch ich fuhr ihm in die Rede.

"Das Sprichwort kenn' ich zu Genüge! Ich will wissen, was genau hier los war!"

"Ich habe ein kleines Fest organisiert!" meinte Lajos frohgemut. "Dabei hat es leider etwas Bruch gegeben, aber das ist nur halb so schlimm!" wollte er mich beschwichtigen. Ich war sprachlos. Wie konnte er diesen Zustand des Hauses als "halb so schlimm" abtun!

"Lajos! Der halbe Hausrat ist kaputt, die andere Hälfte verschimmelt, die Wände in einem schrecklichen Zustand - was ist das eigentlich?" unterbrach ich meine Rede argwöhnisch.

"Oh, das sind nur ein paar rohe Eier!" lachte mein Mann auf. "Wir haben Fangen gespielt, aber einige von uns waren wohl nicht mehr in der Verfassung, die Eier aufzufangen, da sind sie eben an die Wände geknallt - es war sehr lustig!"

"Deinen Sinn für Humor möchte ich einmal haben!" fauchte ich ihn an. "Und wer bringt das alles wieder in Ordnung? Natürlich ich, die Frau!"

"Wer denn sonst?"

"Na toll, ich frage mich, warum ich überhaupt wiedergekommen bin?" fuhr mir heraus, so wütend war ich.

"Du hättest wirklich in Deutschland bei deiner verrückten Mutter bleiben können, wenn du die Sache so tragisch siehst!" fauchte mein Mann zurück.

"Schöne Aussichten! Tolle Begrüßung!" murrte ich beleidigt. "Ich scheine ja nur noch als Haushälterin einen Wert zu haben, aber da irrst du dich gewaltig!" beendete ich den Streit und verschwand in der Küche. Mein Mann murmelte etwas vor sich hin, dann hörte ich die Haustür zuschlagen und er war verschwunden. Wahrscheinlich tröstete er sich jetzt mit ein paar Saufkumpanen über das Unverständnis seiner Frau für seine derben "Späße". Der Tag, an dem ich die ungarische Staatsbürgerschaft in einer schlichten Zeremonie vor dem Bürgermeister überreicht bekam, war wie eine Erlösung für mich. Endlich konnte ich mich nach einer Arbeit umsehen, hatte die gleichen Rechte und Pflichten, wie all die anderen Frauen auch. So konnte ich Marika in den Kindergarten geben, der täglich von morgens sechs Uhr bis abends sechs Uhr geöffnet war, sollte ich eine Arbeit finden. Und die Gelegenheit kam schnell. Eines Tages sprach ich im Staatsgut vor und zeigte dem Personalchef mein brandneues Arbeitsbuch.

"Ich suche Arbeit hier im Staatsgut, vielleicht haben Sie gerade einen Platz frei?" Der Mann überlegte nicht lange.

"Mit Ihren Sprachkenntnissen können Sie schon morgen als Fremdenführerin in der Puszta anfangen!"

"Montag wäre mir lieber, ich muß erst noch Marika im Kindergarten anmelden und meinen Haushalt auf die neue Situation umstellen!" meinte ich fröhlich. Was mein Mann dazu sagen würde, wagte ich nicht auszudenken, würde ich doch mehr oder weniger seine Vorgesetzte sein!

"Hier ist schon der Formularvertrag, Sie können Ihn heute schon unterzeichnen." Damit schob der Personalchef mir einen Bogen gelbbraunen Papiers zu, auf dem einige wenige Klauseln standen. Ich las sie schnell durch, wußte, daß es sowieso keine andere Möglichkeit gab, wenn ich arbeiten wollte - und unterzeichnete. Der Personalchef schüttelte mir die Hand.

"Willkommen beim Staatsgut!"

"Vielen Dank! Und bis Montag also!" Das war geschafft, jetzt kam der etwas schwierigere Teil des Ganzen, ich mußte Lajos vor vollendete Tatsachen stellen! Zuerst meldete ich Marika im Kindergarten an, das ging ohne große Schwierigkeiten, denn laut geltendem Recht war jeder Ungar, Mann und Frau, gezwungen, zu arbeiten, lediglich die Frauen erhielten für jedes Kind drei Jahre bezahlten Erziehungsurlaub, ohne ihren Arbeitsplatz zu verlieren, also mußten die Kindergärten und Schulen dem Rechnung tragen. Nur für das Mittagessen und das Schulbrot am Nachmittag mußten wir, dem Einkommen entsprechend, einen Beitrag zahlen. Als mein Mann am nächsten Mittag nach Hause kam, hatte ich seine Lieblingsspeise gekocht und sogar noch einen Nachtisch vorbereitet. Argwöhnisch schaute Lajos mich an.

"Was gibt es denn zu feiern?" Ich setzte mich erst einmal auf meinen Stuhl, füllte dann Wein in unsere Gläser und schaute meinen Mann fest an.

"Lajos, wir feiern heute meine Anstellung im Staatsgut, Montag ist mein erster Arbeitstag!" lächelte ich ihn strahlend an, doch die gute Laune sollte schnell verfliegen. Lajos sprang von seinem Stuhl auf und schleuderte sein Glas auf den Boden, wo es in tausend Scherben zerbrach und der Wein in alle Richtungen spritzte.

"Das ist doch nur ein Witz, was? Das wirst du nicht wagen! Ohne meine Einwilligung beim Staatsgut um Arbeit zu betteln!" Er redete sich richtig in Rage und brüllte nun fast. "Was hast du dir dabei gedacht?" Ich war schon bei seiner ersten Reaktion zusammengezuckt, doch nun mußte ich ihm Rede und Antwort stehen, komme, was wolle.

"Lajos, ich bin eine erwachsene Frau, ungarische Staatsbürgerin und deshalb gehalten, mir eine Arbeit zu suchen. Ich habe heute den Vertrag unterschrieben und werde am Montag meine Arbeit beginnen!"

"Das wirst du nicht!"

"Das werde ich doch!"

"Das erlaube ich nicht!"

"Da kannst du nichts mehr dagegen unternehmen, es ist alles vertraglich geregelt!"

"Das werden wir ja sehen!" Schrie er mir entgegen. Dann schien ihm ein Gedanke zu kommen.

"Als was willst du denn arbeiten?" fragte er gefährlich ruhig. Jetzt mußte ich die Katze aus dem Sack lassen.

"Als Fremdenführerin!" war meine knappe Antwort, doch er hatte auch so verstanden.

"Kommt nicht in Frage!" zischte er mich an. "Ich lasse es nicht zu, daß du so eine Art Vorgesetzte wirst für mich! Da würde ich ja zum Ziel allen Spottes meiner Kollegen! Stelle sich das mal einer vor: meine Frau will mir befehlen!"

"Ich will dir nicht befehlen, ich führe die Touristen auf den Kutschen in der Puszta herum und da werden wir uns eben manchmal zu den Vorführungen treffen. Aber ich rede weder in deine Arbeit, noch "befehle" ich dir irgendwas."

"Darauf läuft es aber hinaus!" beharrte mein Mann auf seiner Meinung. "Du stehst in der Hierarchie über mir, meldest Programme und Vorführungen an – und überwachst mich!" Ich schüttelte den Kopf und wollte versuchen, ihn zu überzeugen, daß das wohl kaum der Fall sein würde – und was nannte er überhaupt "Überwachung" und warum wollte er dies nicht, als er auf mich zukam und mich plötzlich mit einem schmerzhaften Griff am Oberarm packte.

"Wir gehen jetzt gemeinsam zum obersten Chef im Staatsgut und da machst du deinen Vertrag rückgängig! Ich finde es schon nicht gut, daß du überhaupt arbeiten willst, denn dann leidet deine Hausarbeit und das Kind....." jetzt schien ihm überhaupt erst einzufallen, daß ja auch Marika irgendwie versorgt werden mußte. "Was ist überhaupt mit dem Kind, wenn du arbeiten gehst?" wollte er wissen. Ich wand mich unter seinem harten Griff und stammelte:

"Das habe ich alles schon geregelt! Sie geht ab Montag in den Kindergarten!"

"So! Und von welchem Geld, wenn ich bitten darf?" höhnte mein Mann.

"Von meinem, Lajos, von meinem! Man hat mir gesagt, daß ich erst am Anfang des nächsten Monats für den abgelaufenen Monat bezahlen müsse, da habe ich aber schon mein Gehalt in der Tasche! Es ist also alles geregelt." versuchte ich ihn zu beschwichtigen, aber das ließ er nicht gelten.

"Ich muß zugeben, du hast das ja alles sehr fein hinter meinem Rücken geplant – aber du irrst dich gewaltig, wenn du denkst, daß damit alles geregelt wäre!" brüllte er mich an. "Du steigst aus dem Vertrag aus, sonst kannst du was erleben!" Er zog mich in Richtung Haustür, als ich mich ihm widersetzte.

"Lajos, jetzt ist Mittagspause im Büro, da kannst du sowieso mit niemandem sprechen und dann muß ich erst Marika zur Nachbarin geben, wenn du unbedingt willst, daß ich mit dir gehe!"

"Na los, dann bring das Balg schon weg!" fauchte er mich an und ließ mich endlich los. Auf meinem Arm wurden die blauen Flecke, die sein Griff hinterlassen hatte, immer sichtbarer. Ich holte Marika und brachte sie die wenigen Schritte zu meiner Nachbarin, die versprach, auf das Kind aufzupassen, bis ich wieder zurück sei. Dann mußte ich unter Bewachung seitens meines Mannes in das Büro des Staatsgutes gehen und dort den Chef um eine dringende Unterredung bitten. Lajos führte sich dort auf wie ein Irrer, doch blieb der Chef hart in seiner Behauptung, nach ungarischen Gesetzten sei der Vertrag rechtskräftig, ich müsse am Montag also mit meiner Arbeit beginnen. Dann versuchte er noch, meinen Mann zu überzeugen, daß meine Arbeit keineswegs die "Überwachung" der Hirten sei und ich auch zu einer anderen Branche des Riesenunternehmens zählen würde, also nicht als seine "Vorgesetzte" zu betrachten sei. Nur halbwegs zufriedengestellt nahm mein Mann dies zur Kenntnis und verließ, noch immer mit wütend blitzenden Augen, an meiner Seite das Büro. Das ganze Wochenende bekam ich ihn nicht mehr zu Gesicht, zum Einen, weil er Dienst hatte, zum Anderen, weil er seine Freizeit wohl im Fogadó verbrachte. Ich bereitete meine Tochter auf den Kindergartenbesuch vor und konnte beglückt feststellen, daß sie sich darauf freute, mit den anderen Kindern, die sie zum Teil schon kannte, endlich "in die Schule" gehen zu dürfen. So begann am Montag Morgen meine Arbeit als Fremdenführerin im Staatsgut Hortobágy!

 

"Meine Damen und Herren, ich heiße sie herzlich willkommen im Nationalpark Hortobágy! Bitte begeben sie sich auf die Kutschen, wir werden in wenigen Minuten unsere zweistündige Rundfahrt durch die Puszta beginnen!" Dieselbe Ankündigung sprach ich auch in Englisch, Französisch und Ungarisch aus, damit die Gäste aus aller Herren Länder sie auch verstehen konnten. Im Reiterzentrum in Máta standen dreizehn sogenannte Pusztabusse, große Planwagen, die von zwei stämmigen Nonius-Pferden gezogen wurden und je maximal fünfundzwanzig Personen aufnehmen konnten, bei schlammigem Wetter natürlich weniger, bereit, die Rundfahrt anzutreten. Nachdem alle Touristen bequem Platz genommen hatten, trabten die Pferde an. Zuerst ging es bei der Nachmittagsfahrt hinaus zu den Herden der Graurinder, danach kam die Vorführung der Pferdehirten und zum Schluß besuchten wir die großen Herden der Zackelschafe. Heute mußte ich wieder einmal eine besondere Verantwortung übernehmen: der Kutscher des einen Wagens war so betrunken, daß er sich kaum auf dem Bock zu halten vermochte, ich hatte also die Pferde eingeschirrt und nahm nun selbst auf dem Kutschbock Platz, um das Gespann sicher durch die Pußta zu fahren. Die Tiere, obwohl feurig und vor Kraft strotzend, ließen sich leicht lenken, außerdem fuhren wir im Konvoi, was die Sache noch vereinfachte. Als wir nach einem kleinen Akazienwäldchen die freie Ebene vor uns liegen sahen, begann ich mit meiner Führung.

 

 

"Der Nationalpark Hortobágy wurde 1973 als erster Nationalpark Ungarns gegründet, er umfaßt ca. 34000 Hektar, die Puszta selbst dehnt sich auf ca. 2300 Quadratkilometern aus. 1979 wurde der Nationalpark durch die UNO zum Biosphären- Reservat erklärt. Wir haben hier streng kontinentales Klima, die vorherrschende Windrichtung ist Ost. Die Temperaturunterschiede können gewaltig sein, im Sommer bis an die 38°C, im Winter bis - 35°C. Dabei ist die Luftfeuchtigkeit gering, nur gegen 30%, das jährliche Niederschlagsmittel liegt um die 400 mm. Früher, vor der Regulierung der Tisza, war das hier alles fruchtbares Überschwemmungsland, seit der Regulierung wurde es zu der trockenen Steppe, die sie heute hier sehen. Früher gab es auch sehr viel mehr Wald, vor allem mit Eichen bestanden, heutzutage pflanzt man schnellwüchsige Akazien als Windbrecher an, nur noch in einigen Teilen des Parks findet man vereinzelte alte Eichen." Wir kamen an einigen fast weißen Stellen im Boden vorüber, die gänzlich ohne Pflanzenbewuchs dalagen. Auf eine Frage eines Touristen hin erklärte ich:

"Der Boden hier ist sehr salzreich, aber auch sehr lehmig. An den Stellen, wo der Salzgehalt zu hoch ist, stirbt jedes pflanzliche Leben ab, selbst die hier heimischen salzliebenden Pflanzen können dort nicht mehr leben. Das Grundwasser steht hier sehr flach unter der Oberfläche, manchmal nur wenige Zentimeter, so daß der Boden im Sommer zwar zu einer betonartigen Messe zusammenbäckt, oft von tiefen Rissen durchzogen, bei einem kurzen Regenguß wird der Weg hier so glitschig wie Schmierseife, im Winter jedoch ist der Boden so morastig, daß allein Ochsengespanne mit hohen Rädern das Futter für die Herden herausfahren können. Stellenweise liegt auch die gesamte Grasfläche tief unter Wasser. Das sind dann paradiesische Zustände für die vielen Zugvögel, die hier Halt machen, vor allen Dingen Wasservögel. Im Nationalpark wurden von den in Europa vorkommenden Vogelarten schon 360 beobachtet, als ständige Brutvögel oder ziehende Gäste. Viel tragen dazu auch die fast 6000 Hektar künstlich und über dem Niveau der Puszta angelegten Fischteiche bei, deren natürliche Schilfgürtel Schutz und Schirm für viele Vogelarten sind. Die hier ansässige Fischzuchtabteilung des Staatsgutes beschäftigt sich Hauptsächlich mit der Zucht und dem Verkauf von Karpfen, Schleien, Brassen und anderen Nutzfischen in geringerem Maße. Außer den zu Zwecken der Arterhaltung und als Genbank gehaltenen Altrassen von Rindern, Schafen und Schweinen sowie den Pferden beschäftigt sich das Staatsgut mit der Haltung von etwa 45000 weiblichen Gänsen, davon 95% weiße Hortobágyer Gänse und 5% Rheinische weiße Gänse, die jährlich etwa 1,2 Millionen Eintagesküken ergeben. Die Gänse geben dreimal Daunen, dann werden sie als Fleischgänse geschlachtet. Außerdem gibt es etwa 24000 weibliche Dänisch-Pekingenten mit ca. 2 Millionen Eintagesküken und 8500 weibliche Perlhühner mit einer Jahresproduktion von 500000 Tagesküken. Auf den Weiden grasen etwa 325 Milchkühe der Hybridrasse Holsteinfriese-Ungarische Bunte, dazu über 300 Kälber. Eine Kuh gibt jährlich ca. 4800 l Milch. An Fleischrindern gibt es etwa 850 Herefordrinder mit ca. 840 Kälbern. Über 14000 Ungarisches Merinoschaf werden hier gehalten, dazu noch ca. 400 Schafböcke. Jährlich werden etwa 10000 Lämmer geboren. Die Schafe werden zum Teil gemolken, 130000 l Milch gehen in die Käserei und 84 Tonnen Wolle werden geschoren. Auf dem Schlachthof kommen jährlich ca. 50000 Lämmer zur Schlachtung. Das Ganze wird von etwa 1500 Menschen bearbeitet. Das Gut befaßt sich außerdem mit den Zweigen Schilf-, Wald-,  und Futtermittelwirtschaft, mit der Jagd und dem Tourismus. Zwei große Feste bestimmen im Sommer das Bild: Anfang Juli die internationalen Reitertage mit großem Markt und am 20. August, dem Nationalfeiertag und Tag des Neuen Brotes (Erntedank) dem Brückenmarkt mit Reitturnier, den es seit 1825 auf dem Platz neben der neunbogigen Steinbrücke, der längsten noch bestehenden Steinbrücke Ungarns, erbaut zwischen 1827 und 1833, gibt. Dort kann man alles finden, was Ungarn an handwerklichen und Gebrauchsgegenständen anzubieten hat, früher war es natürlich auch ein Tiermarkt, auf dem rege gehandelt wurde. Das Gestüt Máta selbst besteht seit 1671, als es zum ersten Mal urkundlich erwähnt wird, die Rasse Nonius wird seit 1873 hier gezüchtet, als der erste Noniushengst einheimischen Stuten zugeführt wurde.

Die hier heimischen Tierrassen sind das Graurind, eine Art, die es nur noch hier und in einer kleinen Nachzucht in Norditalien zu sehen gibt. Die Tiere werden ganzjährig im Freien gehalten, das einzige Kalb wird im Frühjahr geboren. Noch weiden hier ca. 1500 Tiere. Die Stiere können bis zu eine Tonne wiegen, ihre lyraförmigen, langen und starken Hörner sind gewaltige Waffen. Vor allem auf weichem, schlammigem Boden können sie sich sicherer bewegen, als ein Pferd, was manchmal zu Unfällen mit tödlichem Ausgang geführt hat. Am gefährlichsten sind die aus dem meist aus fünf Stieren bestehenden Rudel Ausgestoßenen, im Rudel die Schwächsten, die sich aber fürchterlich an allem rächen, das ihnen in den Weg kommt. Angst kennen diese Tiere nur vor den kleinen, aber wendigen und aggressiven Hunden, die sie in Nase oder Hoden bzw. Euter beißen. Diese Hunde sind meist Mischlinge der hier heimischen Rassen Puli und Pumi, selbst die Welpen greifen mit der Mutter im Rudelverband die riesigen Stiere furchtlos an. Diese Hunderassen werden auch zum Treiben der Zackelschaf-Herden benutzt. Sie sind überaus intelligent und arbeiten größtenteils alleine. Diese Zackelschafe gibt es in weiß oder schwarz, sie haben eine lange, lockige Wolle und korkenzieherförmig gedrehte Hörner. Heute leben noch etwa 800 Mutterschafe im Staatsgut. Zu den seltenen Rassen der Puszta gehört noch das Wollschwein, ein Tier, dessen Ferkel noch die Frischlingsstreifen der Wildschweine besitzen und das frei gehalten werden kann. Es benötigt zwar etwas mehr Zeit, um sein Mastgewicht zu erreichen, dafür hat es aber auch eine Speckschwarte von manchmal über 30 cm. Es gibt auch noch ein Reservat mit Wasserbüffeln, die früher als Zugtiere benutzt wurden und Wolle, Milch und Fleisch gaben, wegen ihres zum Teil recht wilden Charakters gerieten sie aber bald in Vergessenheit. Heute wahrt ein kleiner Bestand von einigen Dutzend Tieren die Tradition. Kommen wir nun zu den Pferden der Pußta: Hier werden die Rassen Nonius und ungarisches Halbblut gezüchtet. Es gibt etwa 60 Nonius Stutbuch-Stuten und etwa 20 Halbblut Stutbuch-Stuten. Insgesamt, mit allen Kutschpferden, Sportpferden und Reitpferden für die Touristen stehen etwa 350 Pferde im Gestüt. Die Rasse Nonius nimmt ihren Ausgang bei einem Anglo-Normänner Hengst namens Nonius, den die Österreicher in einer Schlacht von den Truppen Napoleons erbeuteten. Dieser Gelangte dann auf Umwegen in das Gestüt von Mezõhegyes in Ungarn, wo er Stuten verschiedenster Herkunft deckte. Die Rasse hatte früher einen großen Stamm, den von den saftigen Weiden in Mezõhegyes und einen kleinen, den Puszta-Nonius von den kargen Weiden Hortobágys. Der große Nonius war früher stolzer Karrossier für die schweren Kutschen, der kleine Nonius ein ausgezeichnetes Kavalleriepferd und für den leichten Zug in der Landwirtschaft verwendet. Heute nähern sich die beiden Erscheinungsformen einander, sie bilden ein genügsames, nicht zu schweres Reit- und Wagenpferd, das auch im Sport seinen Platz zu finden weiß. Zusätzlich, zur Verfeinerung, kreuzt man teilweise mit Vollblütern oder Hannoveranern, um ein noch mehr im Sportpferdetyp stehendes Tier zu gewinnen, das sind dann die ungarischen Halbblüter. Diese gewinnen zwar oft an Schick und Springvermögen, was aber manchmal auf Kosten des guten und willigen Charakters geht. Die Zuchtpferde werden in drei Herden frei in der Puszta gehalten. Die Mutterstuten mit den Fohlen beiderlei Geschlechtes bis zum Jährlingsalter, die Herde der jungen Stuten von ein bis drei Jahren und die jungen Hengste, ebenfalls von ein bis drei Jahre. Mit drei Jahren werden die Pferde ins Gestüt geholt, eingeritten und eingefahren und dann je nach Anlage weiterverwendet. Die Herden in der Puszta werden von berittenen Hirten, den Csikós, bewacht. Sie sind als einzige zu Pferde, jedoch ohne Hund und auch die höchsten in der Rangordnung der Hirten. Kommen nach ihnen die Rinderhirten, Gulyás, zu Fuß und mit Hund, die Schafhirten, Juhász, zu Fuß oder höchstens mit einem Esel beritten, mit Hund und als letzter der Schweinehirte, Kondás, zu Fuß, oft ohne Hund. In jeder Hirtengattung gab es den Oberhirten, dieser war dem Besitzer der Herde oder der Tiere die Jahresabrechnung schuldig und haftbar, dieser hatte - je nach Größe der Herde - mehrere Hirten unter sich, die wieder einige Lehrbuben zur Hilfe hatten. Früher lebten die Hirten meist das ganze Jahr über in der Puszta, waren ganz auf sich allein angewiesen. Oft hatten sie mehr Wissen als ein Tierarzt, wenn es darum ging, die ihnen anvertrauten Tiere zu heilen. Ihre Wohnung war eine kleine Hütte im Winter, im Sommer oft nur ein aus Schilf schnell zusammengebauter Unterstand. Die Küche oder "Bügeleisen", so genannt wegen seiner Form, bestand ebenfalls aus hohen Schilfbündeln, die dem Wind abgewandte Seite offen, in der auf offenem Feuer in eisernen Kesseln gekocht wurde. Die Speisen waren einfach, aber nahrhaft, Grundlager vieler Gerichte waren Speck, Kartoffeln, Zwiebeln oder Nudeln. Im Winter war oft das einzige Heizmaterial getrockneter Kuhmist. Die Hirten besaßen große Wachhunde, wie Kuvasz oder Komondor, welche die Herden und die Hirten bewachten und die früher häufig hier vorkommenden Wölfe vertrieben. Heute sind die Wölfe ausgerottet, nur vereinzelt kommt einmal einer von den Karparten herunter. Die Pußta ist wildreich, es gibt sehr viele Wildschweine, die oft in den Schilfgürteln der Seen leben, ihre Wurfnester aus zusammengedrücktem Schilf in der Mitte des Sees bauen und deren Frischlinge zu allererst schwimmen müssen, bevor sie festen Boden unter den Füßen haben. Viele Rehe bevölkern die Gebiete der Puszta, ebenso, wie in manchen Teilen Hasen vorkommen. Fasanen sieht man häufig, Rebhühner werden wieder eingebürgert. Eine Besonderheit der Tierwelt ist das Ziesel, eine kleine Nagerart, verwandt mit den Präriehunden der Steppen Nordamerikas. An manchen Stellen des Nationalparks sieht man viele Löcher im Boden, aus denen von Zeit zu Zeit diese kleinen Tiere fast ohne Scheu hervorschauen. Einer ihrer größten Feinde ist der Würgfalke, der oft auf einem Bodenhügel sitzt und auf seine Beute wartet."

 

Am Ende der Fahrt besuchten die Gäste noch das Hirtenmuseum an der neunbogigen Brücke gegenüber von der alten Csárda. Früher war dies die Wagenremise für die fahrenden Händler gewesen, heute wurden dort Kunsthandwerk und Dinge des täglichen Lebens der Puszta ausgestellt. Daneben gab es noch einen schilfgedeckten Rundbau mit einer Ausstellung der Flora und Fauna des Nationalparks.

 

"Können sie mir bitte sagen, wo ich den seltenen Schmetterling mit dem Namen xxxx finden kann?" Der ältere Herr mit sehr bayrischen Knickerbockern und einem Tirolerhut mit Gamsbart auf dem Kopf brachte mich zum ersten Mal in Verlegenheit. Zwar kannte ich die Puszta sehr gut, hatte auf meinen Streifzügen schon so manche seltene Vogelart zu Gesicht bekommen, doch das war mir neu.

"Mein Herr, wie stellen Sie sich das denn vor? Diese, wie Sie selbst sagen, sehr seltene Art von Schmetterling lebt natürlich irgendwo in der Puszta, aber wohl an keiner bestimmt auszuweisenden Stelle. Und selbst wenn ich Ihnen ungefähr einen Ort nennen könnte, so wird es sich dabei doch um einen der streng geschützten Teile des Nationalparks handeln, den niemand so einfach betreten darf. Ich kann Ihnen lediglich die genaue Adresse der Nationalparkverwaltung geben, dort können Sie sich dann direkt erkundigen und dort wird man Ihnen vielleicht auch einen in dieser Sache kundigen Führer mitgeben." Das war die einzige Lösung, die mir in dieser so kuriosen Angelegenheit einfiel. Der Herr schaute kaum auf, als ich ihm die Adresse überreichte und schritt mit einem in seinen dichten Bart gemurmelten:

"Danke!" davon. Es kam nicht oft vor, daß mir so ausgefallene Fragen gestellt wurden, doch gab es schon Touristen oder Vogelkundler, die von mir eine genaue Stelle bezeichnet haben wollten, wo denn dieses oder jenes Tier zu finden sei. Oft gab es Fragen zu Zugvogelstandorten mitten im Hochsommer oder die Störche wurden gesucht, die schon nach dem 15. August oft nur noch auf ihren Sammelstellen auf den Feuchtwiesen zu finden waren, in Vorbereitung ihres großen Zuges. Es gab aber auch andere Steine des Anstoßes: Viele - und ich muß es leider deutlich sagen - in der Mehrzahl Deutsche Urlauber, benahmen sich oft so, daß ich mich für das Ansehen meines Heimatlandes schämen mußte. So wie eine gutbeleibte "Dame", die nur mit einem Unterrock bekleidet vom Hotel in den kleinen Lebensmittelladen kam, oder die ältere "Dame" die einfach ganz "oben ohne" von Máta nach Hortobágy auf der Hauptstraße spazierte. Oft kamen Dorfbewohner zu mir, ich solle doch bitte verdolmetschen, daß die Kinder der "lieben" Gäste nicht mit schlammigen Gummistiefeln über den neuen Teppichboden laufen möchten, die hinterlassenen Flecken des salzhaltigen Schlammes ließen nur noch ein Auswechseln des Bodenbelages zu! Ich glaube aber, daß gerade die Kinder dieser Familie zuhause in Deutschland wohl die Wohnung auf Socken betreten müssen, damit ja alles sauber bleibt. Aber im Urlaub .....! Auch während der Kutschfahrten mußte ich einiges erleben. So waren wir gerade einmal während der Deckperiode bei den Graurindern. Der mir als sehr aggressiv bekannte Stier befand sich mitten in der Herde. Vom Hirten mit seinen Hunden weit und breit keine Spur. Ich befand mich auf der vordersten von sechs Kutschen und hatte beim vorherigen Halt allen Touristen in mehreren Sprachen, wie immer in solchen Fällen, erklärt, daß sie bei den Rindern bitte auf den Kutschen sitzenbleiben sollten, da die Gefahr eines Angriffes durch den Stier zu groß sei. Nun hielten also die Kutschen bei der Herde in einem weit auseinandergezogenen Halbkreis. Stieg doch plötzlich von einer der hinteren Kutschen ein Mann ab und ging mit seinem Foto noch näher an die Herde heran. Entsetzt muß ich sehen, daß der Stier von seiner Kuh abläßt und sich dem Mann vor Wut schnaubend und mit den Hörnern den Staub vom Boden aufkratzend, nährt.

"Bitte steigen sie wieder auf die Kutsche, der Stier greift an!" rief, nein, schrie ich in allen mir bekannten Sprachen und machte dazu unmißverständliche Zeichen mit meinen Händen. Doch der Mann schien die Gefahr nicht wahrzunehmen. Jetzt war gerade noch eine Kuh zwischen ihm und dem Stier. Ich hieß meinen Kutscher anfahren und gab auch den anderen ein Zeichen, vielleicht würde der Mann sich dann doch lieber seiner davonfahrenden Kutsche zuwenden. Ich betete nur, daß der Stier nicht schon zum Angriff übergehen würde, während der Mann noch auf die Kutsche steigen würde, es war schon einmal, vor langer Zeit, vorgekommen, daß ein wütender Stier eine vollbesetzte Kutsche einfach umgeworfen hatte. Zum Glück hatte es damals keine Toten gegeben. Als sich die Kutschen nun von der Herde fortbewegten, ging der Mann - ganz gemächlich - auf seine Kutsche zu und stieg auf. In diesem Moment erschien nun auch endlich der Hirte mit seinen Hunden und schickte diese gegen den Stier, der sich unwillig brummend in die Herde zurückzog.

"Das wäre noch einmal gut gegangen!" seufzte ich von ganzem Herzen erleichtert. "Warum der Mann mich nicht verstanden hat oder verstehen wollte?" Doch auf diese Frage kann mir auch mein Kutscher keine Antwort geben. Beim nächsten Halt wollte ich mir gerade den guten Mann vorknöpfen, als ich ihn auch schon auf mich zukommen sah.

"Aber mein Fräulein, Sie müssen sich nicht so aufregen!" beginnt er in bestem Ungarisch seine Rede. "Sie müssen wissen, ich habe zuhause auch zwei Kühe!" Mir verschlägt es erst einmal die Sprache, doch dann bricht mein ganzer Zorn aus mir hervor. Freundlich, aber bestimmt, stelle ich ihn zur Rede.

"Mein Herr, ich glaube Ihnen aufs Wort, wenn Sie mir sagen, sie haben zuhause zwei Kühe - aber nicht den aggressivsten Graurindstier der Hortobágy!!! Und wenn Sie sich schon in so selbstmörderischer Absicht dem Stier entgegenstellen, nur um ein paar Fotos zu machen, dann sollten Sie doch bitte auch daran denken, daß Sie das Leben und die Gesundheit weiterer zwanzig Menschen leichtfertig aufs Spiel gesetzt haben!" Erstaunt schaut er mich an.

"Ja warum denn?"

"Weil der Stier, wenn er sich einmal ein Ziel vorgenommen hat, dieses auch bis zum Ende verfolgt. Und wenn Sie dabei auf die Kutsche geklettert wären, um sich in Sicherheit zu bringen, dann hätte er die Kutsche aufs Korn genommen. Und im glücklichsten Falle wäre diese nur umgekippt!" Langsam scharen sich einige andere ungarische Reisende um uns, als sie bemerken, daß hier ein Streitgespräch im Gange ist. Doch der Mann läßt sich nicht zur Vernunft bringen.

"Mein kleines Dämchen!" lacht er, "Sie verstehen ja nichts von Kühen, ich aber um so mehr!" Sein Gehabe bringt mich in Wut, wie kann jemand nur so dumm sein!

 "Mein Herr, beim nächsten Halt können Sie den einen Csikós fragen, wie gefährlich oder nicht die Stiere sind, sein Vater wurde nämlich von einem solchen Stier getötet! Und weiß Gott, daß der Hirte die Gefahr kannte, die von einem solchen Stier ausgeht! Aber er wurde - und zwar zu Pferde - von einem ausgestoßenen Einzelgänger unverhofft angegriffen, der aus dem Schilf hervorbrach - und selbst die Geschwindigkeit seines Pferdes hat nicht ausgereicht, ihn das Leben zu retten!" Damit wendete ich mich ab und bestieg wieder meine Kutsche, um den Fahrplan nicht allzusehr aufzuhalten. Ich hörte aber noch, wie einige der ungarischen Mitreisenden des Mannes ihn nun zur Rede stellten, wahrscheinlich waren sie sich nun der Gefahr bewußt geworden, in die sie der Mann hätte bringen können. Aber auch ohne solche Besserwisser gab es genug brenzlige Szenen mit den Stieren. Mein höchstes Anliegen bei meinem Chef war immer, vor dem großen Bewässerungsgraben, über den zwei Brücken ins Gebiet der Stiere führten, Tafeln in mehreren Sprachen aufzustellen, um auf die drohende Gefahr hinzuweisen. Denn es kamen ja nicht nur organisierte Reisende in die Puszta. Wie oft sah ich Fußgänger oder Radfahrer die weite Ebene durchmessen und die Hirten, deren Aufgabe ja unter anderem der Schutz dieser Menschen war, waren oft unzuverlässig. Manche schliefen am hellichten Tage oder waren betrunken, oft kam auch der Wechsel, normalerweise Mittags, nicht zur rechten Zeit, der Abzulösende wartete jedoch nicht auf dessen Ankunft, sondern ging schon nach Hause - die Stiere sich selbst überlassend. Während eines meiner abendlichen Ritte sah ich einmal in der Ferne eine kleine Gestalt mit weitem, wehendem Umhang zu Fuß durch das Gebiet der Stiere streifen. Bevor der Besucher noch in Gefahr geraten konnte, hatte ich mein Pferd in Galopp versetzt und erreichte auf einem Umweg das Hirtenhaus.

"Hallo! Ist da jemand?" rief ich schon von weitem. Als ich mich näherte, brachen die Hunde in wütendes Gebell aus und dann öffnete sich auch die Tür der Hütte.

"Zoli, schicke schnell die Hunde, da kommt ein Fußgänger mit wehendem Umhang in Richtung auf die ruhenden Stiere!" rief ich dem Hirten zu, der sich mit einem kurzen Blick von der Wahrheit meiner Behauptung überzeugen konnte. Eilig wies er seine Hunde an, die Stiere zusammenzutreiben und in Richtung auf die Hütte zu führen. Der einsame Wanderer, ein Mann mit japanischen Gesichtszügen, wie ich im Vorbeireiten sah, als ich mich auf den Rückweg machte, setzte seinen Weg unbeschadet fort. Ich wagte nicht daran zu denken, was hätte geschehen können, wenn ich nicht zufällig heute und hier vorbeigeritten wäre. Auch bei der Vorführung der Pferdehirten gab es manchmal gefährliche Momente. Ich will nicht von den Verantwortlichen eines Modejournals reden, die ihre Topmodells, die noch nie in ihrem Leben auf einem Pferd gesessen hatten, eines tollen Bildes wegen frei auf einem Hirtenpferd ohne Sattel sitzen ließen, bei der zweiten jungen Frau begann das Tier plötzlich durchzugehen, wahrscheinlich war es den flatternden Schal und Rock nicht gewöhnt, die Frau stürzte und verletzte sich schwer. Ich will auch nicht von der "Reiterin" sprechen, die zu ihrem Glück vor dem Abritt bei mir die Karten kaufen wollte und sich in Stöckelschuhen und enganliegendem Minirock präsentierte.

"Ich hätte gerne eine Karte für einen Zweistundenritt!" erklärte sie in schönstem Norddeutsch. Da der Ritt schon in zehn Minuten losgehen würde, fragte ich sie:

"Haben Sie Ihre Kleidung im Wagen hier in Máta? Dann können Sie sich noch schnell in den Duschräumen des Reiterstübchens umziehen!" Zu meinem Erstaunen schüttelte sie den Kopf.

"Ich besitze keine Reitsachen, ich will so mit, Sie können mir glauben, ich bin eine versierte Reiterin." Jetzt mußte ich fast lachen, doch ich nahm mich zusammen.

 "Wenn Sie eine versierte Reiterin wären, dann wüßten Sie auch, daß es lebensgefährlich ist, in einem solchen Aufzug ausreiten zu wollen. In Ihrem eigenen Interesse werde ich Ihnen keine Karte verkaufen. Zwar geschieht hier alles auf eigene Gefahr, doch wären Sie auch ein Risiko für Ihre Mitreiter, auf die ich auch Rücksicht nehmen muß." Beleidigt zog die gute Dame von dannen, doch bin ich sicher, daß ich ihr einen Krankenhausaufenthalt, um das Mindeste zu nennen, erspart hatte. Die Pferde waren zwar zum größten Teil gut zugeritten, doch hatte ich schon Reiter erlebt, die sicher gut in einer Reitbahn oder Halle mit den ihnen zur Verfügung stehenden Leihpferden umgehen konnten, aber das hier war etwas ganz anderes. Die feurigen Pferde kannten jeden Fuß- oder besser: Hufbreit Boden, das Grundtempo war höher, als je in einer Reitbahn - der Enge wegen - geritten werden konnte. Und wenn das Leitpferd in einen rasanten Galopp fiel, dann folgten die anderen Pferde ebenso. Wer da nicht ausgezeichnet im Sattel saß, der wurde entweder zur Last der besser reitenden Begleiter oder er würde den Ritt nicht ohne Sturz beenden. In späteren Zeiten wurde es eingeführt, daß die Reiter erst einmal auf dem großen Platz einige Runden hinlegten, um zu zeigen, daß sie ein Pferd beherrschen konnten, dann erst ging es in die Puszta, wer den Test nicht bestand, der erhielt sein Geld zurück, wurde aber nicht mitgenommen. Nein, ich will von den Besserwissern reden, die beim Treiben der Herde in gestrecktem Galopp in einem engen Zirkel um die stehenden Kutschen herum sich in die Laufrichtung der Herde stellten, um die herannahenden Tiere auf den Film zu bannen. Als ich einmal in letzter Sekunde einen solchen waghalsigen Touristen zwischen die Kutschen zerren konnte, zischte er mir zornig zu:

"Was erlauben Sie sich eigentlich, Sie haben mir mein tolles Foto vermasselt!"

"Ich habe Ihnen zumindest die Gesundheit gerettet!" bemerkte ich trocken.

"Wieso denn das?" erstaunte sich der Gast. "Ich habe gehört, Pferde treten nie auf einen Menschen!" Diese - an sich wahrheitsgetreue - Meinung hatte ich schon oft mit anhören müssen. Deshalb berichtigte ich den Mann auch sofort:

"Im allgemeinen stimmt das auch, aber hier werden die Pferde von den Hirten mit der Peitsche angetrieben, sind es so gewöhnt, daß sie die Kutschen im kleinstmöglichen Bogen umgehen - und können nicht ausweichen! Da würden sie nämlich in ein anderes Pferd hineinrennen und das vermeiden sie eben auch. Die Tiere wissen, daß sie hier nie auf Hindernisse treffen, dazu sind nämlich Reiseleiter wie ich da, um sie, die Gäste, vor den Gefahren der Herde zu warnen. Deshalb ist Ihr Platz hinter den Kutschen, bei den anderen Touristen." Der Mann schien trotz allem nicht überzeugt:

"Ich habe aber bezahlt, deshalb kann ich tun und lassen was ich will, Sie haben dafür zu sorgen, daß mir nichts geschieht!" Da befand er sich aber sehr im Irrtum.

"Sie haben bezahlt für die Rundfahrt in der Kutsche, auf der Karte steht aber auch, daß hier alles auf Ihre eigene Gefahr hin passiert. Ich bin nicht zu Ihrem Schutz angestellt, sondern habe Sie nur auf die Gefahren hinzuweisen, was ich ja auch vor jeder Fahrt und auch noch bei den einzelnen Halten tue. Aber ich bin nicht verpflichtet, Ihren Schutzengel zu spielen, wenn Sie sich nicht an die Warnungen halten wollen." Damit begab ich mich wieder zu den übrigen Gästen, um ihnen das nun folgende Schauspiel der Hirten zu erläutern.

Manchmal gab es auch delikate Situationen anderer Art. So zum Beispiel, als ich eine kleine Gruppe älterer Österreicherinnen in die Puszta begleitete. Wir fanden alle auf einer Kutsche Platz, ich brauchte nur in Deutsch zu sprechen und die Stimmung war heiter. Am liebsten hatte ich es immer, wenn ich interessierte Zuhörer fand, die mir auch ungewöhnliche Fragen stellten und mir zeigten, daß sie etwas für die Natur übrig hatten. Als wir nun gegen Ende der Fahrt an einem der Ziehbrunnen die Pferde tränkten, machte der etwas angetrunkene Kutscher, fast ein Dauerzustand bei einigen, abfällige Bemerkungen in ungarisch über einige der Damen zu einem der Hirten, die ebenfalls am Brunnen waren. Die betroffenen Damen befanden sich zudem in Hörweite. Als sie wieder auf der Kutsche saßen, bemerkte die eine Dame zu mir auf deutsch:

"Ich werde mich bei dem Chef der Kutscher über diesen Mann beschweren, bitte teilen Sie mir mit, wer der Verantwortliche hier ist. Nur weil wir unter uns deutsch reden,  sind in unserer Gruppe doch auch mehrere Ungarinnen, die schon lange in Österreich leben und wir haben genau verstanden, was der Mann über uns gelästert hat. Ich hoffe, Sie haben Verständnis für unsere Beschwerde und helfen uns, damit in der Folgezeit solche Zwischenfälle vermieden werden können." Ich konnte dem nur zustimmen, war es doch auch mir ein Greuel, wenn die hiesigen Arbeiter abfällige Bemerkungen über die Gäste machten. Natürlich kam der Kutscher mit einem Rüffel seitens des Chefs davon, weitergehende Folgen hatte der Zwischenfall nicht.

Meine Arbeit brachte mich mit vielen Menschen zusammen und bereicherte meine Erfahrungen in vieler Hinsicht. Schöne Erinnerungen habe ich an die vielen Tage, die ich mit Naturfilmern aller Herren Länder verbringen durfte. Nicht selten kam es vor, daß ich alleine die Kutsche lenkte, welche die Männer schon sehr früh morgens in die Puszta brachte und erst nach Einbruch der Dunkelheit wieder zurückkehrte. Ich konnte viel bei ihnen lernen, doch manchmal stimmte es mich traurig, wenn der Kommentar im späteren Film nicht der Wahrheit der Bilder entsprach.

Den Winter verbrachte ich größtenteils im Büro, dachte neue Konzeptionen für die Touristikabteilung aus, die dann doch fast alle von meinem Chef verworfen wurden. So plante ich einmal, einen Prospekt an alle deutschen Universitäten zu verschicken, mit Sonder- und Pauschalangeboten für Studenten.

"Wieviel Universitäten gibt es in Deutschland und wieviel kostet eine Briefmarke?" fragte mein Chef, ein großer, dicker Mann, der sich gerne selbst als einen intelligenten Menschen betitelte.

"Ich habe mit den Hochschulen und Fachhochschulen so an die hundert Briefe zu je vierzig Forint gerechnet." antwortete ich. Bei einem Nettogewinn der Touristikabteilung von vier Millionen Forint, war dies eine lächerlich kleine Ausgabe.

"Das ist viel zu teuer! Das geht nicht!" bellte mein Chef mich an. "Und wer garantiert, daß auch nur einer von diesen Studenten kommt? - Nein, der Plan ist nicht gut!"

"Aber Chef, wenn nur ein einziger Student kommt, dann sind alle Werbekosten wieder eingebracht!" versuchte ich, meinen Standpunkt zu rechtfertigen. "Und gerade Studenten reisen gerne, wenn das Angebot und der Preis stimmen!"

"Nein, zu teuer, abgelehnt!" war die Antwort meines Chefs - und damit war das Programm geplatzt. Ebenso erging es mir mit meiner, von vielen Reitern mitgetragenen, Bitte, doch Sattel- und Zaumzeug der Verleihpferde zu erneuern.

"Chef, ich habe mich schon bei einem Sattler nach seinen günstigsten Preisen bei einem großen Auftrag erkundigt, wir kämen mit ungefähr hunderttausend Forint hin, alle Pferde hätten neue Sättel und haltbare Lederhalfter mit Knebeltrensen. Damit würden wir auch vermeiden, daß wie bei dem letzten großen Rundritt geschehen, die Reiter ihre Pferde zwei Stunden lang an der Hand halten müssen, weil der Wagen mit den Stallhalftern und Stricken eine Panne hatte und nicht rechtzeitig am Etappenziel eintreffen konnte."

"Sie brauchen gar nicht erst zu fragen, das ist natürlich auch viel zu teuer! Überhaupt hat Ihre Abteilung innerbetrieblich gesehen Minus gemacht!"

"Wie bitte???" mein Erstaunen war echt. Wie konnte ein Nettogewinn von mehreren Millionen plötzlich ein Minus ergeben.

"Ja, die Schafzucht war dieses Jahr sehr schlecht und auch an die Naturschutzabteilung ist einiges abgeführt worden, den Rest haben die Sportreiter und -fahrer erhalten. Es ist also für die Touristik nichts mehr da!" bemerkte mein Chef trocken.

"Aber die Pferde kommen mit handtellergroßen Wunden auf dem Rücken von den Ritten zurück und auch die Reiter klagen über Wundgerittensein. Wir können doch nicht Pferde kaputtmachen und Kunden vergraulen, nur weil innerbetrieblich unsere Einnahmen verschoben wurden?"

"Es ist nun einmal so geschehen, also habt ihr kein Geld mehr, also ist es unnütz über Investitionen zu reden!" brach der Chef das Gespräch ab und verschwand in seinem Zimmer.

Ich übernahm im Winter auch andere Aufgaben, etwa den Telexverkehr in Sachen Schilfhandel, ausländische Telefongespräche oder wurde als Dolmetscherin gebraucht, wenn der deutsche Techniker sich beim Installieren der neuen Schlachtanlage nicht verständlich machen konnte oder die italienischen Pferdekäufer Sonderwünsche hatten, die Farbe und Abzeichen eines Pferdes betreffend.

Von all den krummen Dingen, die im Staatsgut liefen, will ich nicht berichten, jedenfalls haben die Bosse den politischen Umschwung gut verkraftet und sind noch reicher geworden, als sie es in sozialistischen Zeiten waren.

Doch nun zurück zu meiner Arbeit, die mir sehr viel Freude machte, wenn sie auch manchmal mit Unbequemlichkeiten verbunden war. So kam einmal an einem schönen Sonntagmittag ein Auto vorgefahren und die Klingel wurde im Sturm betätigt. Ich rannte zur Tür, war meine kleine Tochter doch gerade erst eingeschlafen und mein Mann bei der Arbeit. Als ich öffnete, stand ein Angestellter des Gestüts draußen.

"Hallo, Anne!" grüßte er. "Du mußt sofort mit mir rauskommen, wir haben ein VIP-Programm mit ausländischen Ministern und der Chef will, daß Du die Führung leitest!" Ich war erstaunt, denn solche Programme organisieren sich nicht in letzter Minute - mein Chef hatte also sehr wohl schon einige Tage vorher gewußt, daß diese Minister kommen werden - und ich ließ dies den Mann mir gegenüber spüren.

"Sag dem Chef, daß ich nicht kommen kann. Mein Mann arbeitet, mein Kind schläft - und ich bin nicht bereit, Führungen außerhalb meiner Arbeitszeit zu machen, wenn man mich fünf Minuten vor Beginn darüber informiert, obwohl sie schon seit längerem in der Chefetage bekannt sein dürften." Der Mann schaute mich entsetzt an.

"Aber Anne, du kannst uns doch jetzt nicht im Stich lassen! Der Chef zählt auf dich, er hat den Ministern schon angekündigt, daß eine Deutsche die Führung leiten wird - sie waren hoch erfreut darüber!"

"Ich bin keine Deutsche mehr!" warf ich ein, was auch stimmte, denn mit der freiwilligen Annahme der ungarischen Staatsbürgerschaft hatte ich meine deutsche Staatsbürgerschaft verloren. Worüber ich nicht sehr traurig war, denn ich hatte mich immer mehr als Ungarin, denn als Deutsche gefühlt.

"Das sind doch alles nur Wortspielereien!" ärgerte sich der Mann. "Komm, mach dich fertig, die Leute warten schon auf dich!" Jetzt wurde ich richtig böse.

"Und was ist mit der Kleinen? Soll ich sie vielleicht aus dem Schlaf reißen und mitnehmen? Oder soll ich sie alleine hier im Haus lassen? Wo denkst du hin?" Er schien zu überlegen, dann kam ihm scheinbar ein Gedanke.

"Wir fahren auf dem Weg bei meiner Frau vorbei und setzen sie hier ab, da kann sie auf dein Kind aufpassen und du erscheinst noch rechtzeitig zur Führung." Bittend schaute er mich an. "Komm, sag ja!" Schweren Herzens stimmte ich seinem Plan zu, warf mich schnell in Schale, kletterte in das staubige, kleine Auto, das vor meiner Tür hielt und sprang zwei Straßen weiter wieder heraus, um die Frau um ihre Hilfe zu bitten. Diese stimmte zum Glück auch gleich zu und wir setzten sie bei mir zu Hause ab. Dann ging es in schneller Fahrt in die Puszta. Dort wartete schon die "Staatskarosse", ein feuriges Vierergespann vor einem repräsentativen Wagen (keiner der sogenannten Pusztabusse) mit seiner noblen Fracht auf mein Kommen. Ich entschuldigte mich für die kleine Verspätung, erklärte auch ihre Gründe, die mit einem zustimmenden Murmeln angenommen wurden, dann ging es los. Natürlich hatte man "vergessen" mich darüber zu unterrichten, daß unsere Rundfahrt länger als üblich dauern würde und die Herren das Abendessen mit Zigeunermusik in einem eigens dafür errichteten Bau in der Puszta einnehmen würden. Das hieß für mich: keine Möglichkeit, rechtzeitig nach Hause zu kommen, ich mußte so lange ausharren, bis die Herren genug hatten und zurück wollten. Zum Glück traf ich meinen Mann bei der Hirtenvorführung und bat ihn, sofort nach Ende seiner Arbeit nach Hause zu gehen und nicht erst, wie üblich, sich mit seinen Kollegen im Fogadó zu einem "Schlummertrunk" zu treffen. Ich selbst kam erst weit nach Mitternacht nach Hause, wobei einer der Herren noch auf die freundliche Idee kam, mich in seinem Auto mitzunehmen, sonst hätte ich die drei Kilometer bis nach Hause laufen müssen.

 

So verging die Zeit. Als ein Nachtlokal im Reiterstübchen öffnete und die Debrecener Halbwelt dort Einzug hielt - als Touristenattraktion, selbstverständlich! änderte sich mein Leben schlagartig. Mein Mann kam fast nur noch zum Umkleiden nach Hause, verbrachte die meiste Zeit mit seinen unverheirateten Kollegen in dem Klub, begann teure ausländische Zigaretten zu rauchen und Whiskey zu horrenden Preisen rundenweise zu bestellen. Als es mir gelang, von meinem sauer ersparten Geld ein altes Auto zu kaufen, durfte ich es noch nicht einmal fahren. Mein kleines Motorrad hatte mein Mann ja eh schon in Besitz genommen, mir blieb nur ein schon recht altersschwaches Fahrrad. Jetzt kam er eines Tages heim und verkündete, daß er das Motorrad verkauft habe, es würde ja sowieso nicht mehr gebraucht, jetzt, wo er das Auto benutzen würde.

"Ich hätte es aber sehr gerne benutzt!" wagte ich einzuwerfen.

"Wozu denn?" fragte mein Mann mich ganz erstaunt. "Du hast ja das Fahrrad - und für zweimal Benzin reicht unser Geld eh nicht aus!"

"Es würde reichen, wenn du nicht laufend die teuersten Zigaretten kaufen würdest und sie dann auch noch verschenkst und wenn du weniger Whiskey trinken und spendieren würdest!" war mein leiser Einwand. Doch da wurde er richtig wütend. Ich hatte zwar schon oft seinen Jähzorn gesehen, wenn er mit seinen Pferden arbeitete und sie schlug und schlecht behandelte, doch jetzt war ich sein Opfer. Er hob mit wutverzerrtem Gesicht seine riesige Hand, doch er schlug mich nicht. Aber seine Augen funkelten mir mit schierem Haß entgegen.

"Ich bin hier der Herr!" schrie er mir ins Gesicht. "Ich kann mein Geld ausgeben, wofür ich will! Schließlich handelt es sich um meine Freunde und Kollegen! Mit deinem Geld kannst du anfangen, was du willst - aber wage dich, über mein Leben mitentscheiden zu wollen!"

"Mein ganzes Gehalt geht drauf für Haushaltskosten und Benzin, was du verfährst!" flüsterte ich heiser. "Mir bleibt kein Pfennig zum Monatsende!"

"Das ist deine Sache, ich jedenfalls lebe, wie ich es für richtig halte!" schloß er den Streit, lief aus dem Zimmer, knallte die Haustür hinter sich ins Schloß und kam erst am frühen Morgen, stockbetrunken, wieder. Angekleidet ließ er sich aufs Bett fallen und schlief auch schon tief, zum Glück für mich. So stand ich leise auf, weckte unsere Tochter und brachte sie in den Kindergarten, nachdem ich unsere Tiere versorgt hatte. Dann begann meine Arbeit.

In der nächsten Zeit geriet mein Mann immer mehr in den Bann der Nachtklubleute, erschien sehr oft nicht pünktlich zum Dienst, war oft betrunken und verlangte dann die sonderbarsten Dinge von mir, wenn er sich mir einmal in unserem Ehebett nährte. Von Tag zu Tag wurde er mir fremder, doch litt ich still, um unserem Kind doch noch so etwas wie eine heile Familie vorzuspielen. Doch je größer sie wurde und auch gleichzeitig einfühlsamer, begann sie zu spüren, daß etwas nicht stimmte. Fast jeden Tag lief sie mit ausgestreckten Ärmchen ihrem Vater entgegen und bettelte darum, hochgenommen und geküßt zu werden. Und jedes Mal las ich die tiefe Enttäuschung in ihren schönen Kinderaugen, wenn ihr Vater sie nicht einmal zu beachten schien. Hatte er früher wenigstens für mich einen Begrüßungs- oder Abschiedskuß übrig gehabt, so entfiel auch dies, wir lebten eigentlich nur noch nebeneinander her. Kind, Tiere und Arbeit, alles blieb an mir hängen. Gartenarbeit ist Frauenarbeit, also versuchte ich in meiner kurzen freien Zeit dem salzhaltigen Lehmboden einige Köpfe Salat, Zwiebeln, Möhren und sonstiges Grünzeug abzugewinnen. Decken streichen und Tapezieren ist Frauenarbeit, also stand ich auf einer wackeligen Leiter und weißelte die Decken im Haus, vermaß, schnitt und klebte neue Tapeten und brachte Holzvertäfelung an. Die Pflege der Tiere hatte ich schon seit langem übernommen, zuerst, wenn mein Mann einmal Abends und am darauffolgenden Morgen bei der Arbeit war, später, da er nie regelmäßig oder zu bestimmten Zeiten oder auch nur nüchtern heimkam, blieb die Fütterung der Schweine, Hühner, Enten, Gänse, Schafe, Ziege, Hunde und Katzen sowie die Reinigung ihrer Unterkünfte gänzlich an mir hängen. Haben Sie schon einmal drei keifende Schweine von je 150 Kilo zu füttern versucht, die sich ihnen mit offenem Rachen entgegenstürzen? Ich hatte in der einen Hand den schweren Futtereimer, in der anderen einen dicken Knüppel, mich vor ihren Zähnen zu schützen. Doch auch so kam es noch oft genug vor, daß ich den Inhalt des Eimers nicht vollständig in den Trog schütten konnte oder einen Knuff von einer Schweineschnauze bekam. Aber blaue Flecken machen ja nichts! Und auch die Säuberung des Schweinestalls oder der Hühnerunterkunft sind nicht gerade angenehm und auf jeden Fall Schwerarbeit. So stand ich Sommers wie Winters morgens um fünf Uhr auf, versorgte die Tiere, weckte das Kind, brachte es kurz vor sechs Uhr in den Kindergarten und begann dann meine Arbeit. Normalerweise beendete ich diese um fünf Uhr Abends, holte unsere Tochter aus dem Kindergarten, versorgte die Tiere, kochte Abendessen, schlachtete manchmal noch Hühner oder Gänse für das Mittagessen am nächsten Tag und fiel gegen neun Uhr todmüde ins Bett. Manchmal wurde ich dann brutal aus meinem ersten Tiefschlaf gerissen und mußte meinem be- oder angetrunkenen Mann zu Willen sein, was oft zu einer wahren Vergewaltigung ausartete und mich am Ende in Tränen, völlig ausgelaugt und doch hellwach zurückließ, während mein Mann neben mir in tiefem Schlaf laut schnarchte.

Schlimm war es auch, wenn er sogenannte Freunde zu uns einlud. Das Fest artete jedesmal in ein wüstes Gelage aus, bei dem immer einiges zu Bruch ging. Jedes auf dem Boden zersplitternde Glas brachte mir einen Stich im Herzen bei. Nicht nur, weil es so unnötig war und auch noch Geld kostete, sondern weil meinem Mann scheinbar nichts heilig war oder einen auch noch so kleinen Wert besaß, was ich mit in die Ehe gebracht hatte und das war - bis auf einige Kleidungsstücke von ihm - alles!

Eines Tages sollten die Pferdehirten und einige Springreiter auf eine Pferdemesse in München fahren. Mein Mann beschloß, unser - nein, SEIN - Auto zu benutzen, anstatt mit dem Gestütswagen zu fahren. Ich war gerade einmal im Büro, als der Telefonanruf einging: Nur etwa dreißig Kilometer von uns entfernt war er mit seinem Auto bei überhöhter Geschwindigkeit - und Alkoholeinfluß - aus einer Kurve getragen worden und einen Abhang hinuntergestürzt. zum Glück waren er und sein Mitfahrer unverletzt - das Auto aber war Schrott. Um den Zeitplan einzuhalten, der durch die polizeiliche Unfallaufnahme sowieso schon durcheinander geraten war, waren alle dann im Gestütsauto weitergefahren, an mir blieb es hängen, das Unfallauto abschleppen zu lassen und alle sonstigen, mit dem Unfall entstandenen Dinge zu klären. Am Telefon war der Chef gewesen, aber mein Mann hätte mir ja wenigstens ein paar tröstliche Worte ausrichten lassen können - nichts! Als ich dann das Auto sah, konnte ich mir nicht erklären, wie aus dieser zusammengeschobenen Masse Schrott zwei Menschen unversehrt hatten aussteigen können. Ich fühlte Erleichterung darüber, daß meinem Mann nichts geschehen war, hatte aber auch Wut im Herzen, über seinen Leichtsinn, zu trinken, zu schnell zu fahren, obwohl ihm die Gefahr, die von dieser gewissen Kurve ausging, sehr wohl bekannt war und dachte, daß nun, ohne Auto, er vielleicht wieder etwas häuslicher werden würde. - Weit gefehlt!

Als er von seinem Ausflug nach München zurückkam, überraschte er mich damit, daß er einige Tage später mit einem gebrauchten Auto vor der Tür stand.

"Schau ihn dir an, der ist noch besser, als der alte!" rief er mir zu, als ich auf den Motorenlärm hin in den Hof trat. Ich schüttelte den Kopf.

"Wieso besser, als der alte? Wem gehört denn dieses Auto?" fragte ich ihn. Seine Augen blitzten, als er mit seiner Hand liebevoll über die Motorhaube strich.

"Das ist mein neues Auto!" bemerkte er einfach.

"Von was hast du den denn bezahlt?" wollte ich natürlich wissen, denn unser Konto war auf Null. Doch seine Reaktion zeigte mir wieder einmal, daß ich zu unbedacht gesprochen hatte. Er fuhr blitzartig herum und sein Lächeln war verschwunden.

"Was geht das dich an?" zischte er leise und drohend. "Das ist mein Auto, und damit Basta!" Sein Gesichtsausdruck warnte mich, noch weitere diesbezügliche Fragen zu stellen, also ließ ich es resigniert sein. Doch mein Vertrauen war zutiefst erschüttert. Mit dem neuen Auto sah ich meinen Mann noch seltener, er schien weite nächtliche Ausflüge damit zu unternehmen, denn schon bald begann er, von meinem Geld zu fordern, um Benzin kaufen zu können. Mir war langsam alles egal, ich gab es ihm und versuchte am Haushaltsgeld zu sparen. Aber wie wir im Winter die Gasrechnung für Heizung bezahlen sollten, war mir ein Rätsel. Doch noch war Sommer und meine Arbeit ließ mir nicht allzuviel Zeit, mir Gedanken über unsere Zukunft zu machen. Manchmal träumte ich, wieder mit einem Pferd über die Puszta reiten zu können, mein armes Tier fehlte mir sehr und ich wußte, daß mein Mann mir niemals erlauben würde, wieder ein eigenes Reitpferd zu halten. Ich hatte ihn nur ein einziges Mal nach dem Tod meines Pferdes darum gebeten, mir doch ein Fohlen aus der Herde kaufen zu dürfen.

"Ich glaube du spinnst!" hatte er mich angeschrien. "Weißt du, wieviel das kostet? Und überhaupt - du hast ja gar keine Zeit, dich mit einem Pferd zu beschäftigen, mit dem Kind, dem Haus und deiner Arbeit bist du voll ausgelastet! Außerdem genügt es, wenn einer in der Familie reitet. Für ein Hobbiepferd ist da kein Platz!"

"Ich werde es schon schaffen, mich um noch ein weiteres Tier zu kümmern!" hatte ich eingeworfen. "Und reiten kann ich es ja zur Arbeit und Abends wieder zurück."

"Nichts kannst du oder wirst du tun!" keifte er zurück. "Zum Glück ist dieses komische Vieh von dir ja tot - jetzt reitet nur noch einer in der Familie - und das bin ich!" Damit war die Diskussion abgeschlossen - und mein Traum vom eigenen Pferd in der Puszta ausgeträumt!

An einem Herbsttag kam mein Mann wieder einmal nüchtern nach Hause. Er begrüßte uns mit keinem Wort und begann, den Tiefkühlschrank, den wir erst vor wenigen Wochen erworben hatten, auszuräumen.

"Lajos, was tust du da?" fragte ich ihn erstaunt ob seines Verhaltens. Er schaute mich verwundert an.

"Meine Schwester zieht jetzt mit ihrem neuen Lebensgefährten zusammen und bekommt Zwillinge, da gebe ich ihr den Tiefkühlschrank, sie kann ihn besser gebrauchen, als wir."

"Ich finde es zwar schön, daß du nach so langer Zeit wieder einmal an deine Schwester denkst," warf ich ein, "aber wir haben den Tiefkühlschrank gekauft, weil wir bald schlachten wollen und dann das Fleisch von zwei Schweinen irgendwo lagern müssen." gab ich zu bedenken, doch er machte nur eine vage Handbewegung.

"Wir werden das Fleisch eben räuchern und auch viele Würste und Speck machen, da reicht das Tiefkühlfach vom Kühlschrank aus." meinte mein Mann und packte weiter aus. Ich stand reglos daneben und schaute seinem Treiben wortlos zu. Als alles ausgeräumt war, trug er den schweren Schrank alleine zum Auto - und war auch schon verschwunden. Ich sollte ihn erst zwei Tage später wieder zu Gesicht bekommen. Inzwischen mußte ich mich wieder mit der Eisenbahn behelfen, als ich nach Debrecen fahren mußte. Im Auto nur eine halbe Stunde entfernt, benötigte ich bei den schlechten Bahnverbindungen fast den ganzen Tag für eine Erledigung von ein paar Minuten. Aber daran war ich ja schon gewöhnt! Als mein Mann wieder auftauchte, schien sich seine Laune ein wenig gebessert zu haben, ich schrieb dies dem Besuch bei der Schwester zu. Manchmal wirkte er direkt fröhlich und schien auch weniger zu trinken. Neue Hoffnung für ein besseres Familienleben keimte in mir auf - bis zu jenem schrecklichen Moment einige Tage später. Es war Abend, ich hatte gerade das Essen gerichtet und wartete auf die Ankunft meines Mannes, die Kleine schlief schon friedlich in ihrem Zimmer, nachdem sie den ganzen Tag auf einem Kindergartenausflug gewesen war. Es wurde später und später und ich hatte gerade beschlossen, nicht mehr zu warten, sondern mit dem Essen zu beginnen, da mein Mann ja scheinbar wieder in seine alte Unart des endlosen Trinkens mit Freunden und Kollegen verfallen zu sein schien, als ich Schritte auf den Platten im Garten hörte. Dann öffnete sich die Haustür und aus dem Klang der Schritte und Gebärden entnahm ich, daß mein Mann noch ziemlich nüchtern sein mußte. Ich lief in die Küche, um das Essen neu zu wärmen, als er im Flur an mir vorbei ging.

"Guten Abend, Lajos!" begrüßte ich ihn, wie üblich, keine Antwort seinerseits erwartend. Natürlich blieb sie auch dieses Mal aus, was mich nicht weiter erstaunte. Ich brachte die dampfende Schüssel auf den Eßtisch und rief: "Das Essen ist fertig!" Als ich auch hierauf keine Antwort erhielt, lief ich ins Schlafzimmer um zu sehen, was meinen Mann aufhalten könne. Er stand vor unserem Kleiderschrank, ein offener Koffer lag auf dem Bett. In diesem befanden sich schon einige Hemden und Hosen, in wirrer Unordnung nur so hineingeworfen. Ich stand wie erstarrt.

"Lajos, was machst du da?" flüsterte ich heiser. Er schaute sich nicht einmal um, sondern fuhr fort, Socken und Unterwäsche in den Koffer zu werfen. Ich hob meine Stimme, vielleicht hatte er mich das erste Mal nicht gehört.

"Lajos, warum packst du?" Jetzt schien er sich meiner Anwesenheit bewußt zu werden. Er schaute mich über seine Schulter hinweg an, weiterhin Kleidungsstücke aus dem Schrank ziehend und in den Koffer werfend.

"Das siehst du doch!" war seine Antwort. "Ich ziehe aus!" Ein kalter Schauer ergriff mich und ich mußte seine Worte erst in mir nachklingen lassen, um ihren vollen Sinn zu verstehen.

"Du verläßt mich und unser Kind?" fuhr es aus mir heraus. "Warum?!" ich schrie es ihm entgegen. Doch er reagierte diesmal überhaupt nicht, seine Seelenruhe traf mich tiefer, als jeder Wutausbruch seinerseits es je getan hatte. Ich wußte: es war ihm ernst, todernst!

"Ich habe jemanden kennengelernt, der es wert ist, geliebt zu werden!" meinte er trocken und ohne jede Emotion in der Stimme. "Ich hasse Frauen mit starkem Charakter, obwohl genau der dir helfen wird, bei den die bevorstehenden Prüfungen!" Damit schloß er seinen Koffer, schaute sich noch einmal im Zimmer um, wie um sich zu vergewissern, daß er nichts vergessen habe, hob den Koffer auf und schritt, ohne mich noch einmal anzublicken oder nach unserer Tochter zu fragen, aus dem Zimmer - und aus meinem Leben!

In meiner ersten Überraschung kam mir nur ein Gedanke in den Sinn: "Er scherzt! Er treibt einen seiner subtilen Späße mit mir, damit er sich dann später über meine Fassungslosigkeit lustig machen kann oder um mir zu zeigen, wie sehr ich doch von ihm abhängig sei!" Ich begann, mich mit dem Gedanken zu trösten, daß er bald schon wieder in der Tür erscheinen würde, seinen Koffer in eine Ecke werfend und nach etwas zu Trinken suchen würde. Doch mußte ich zu meinem Entsetzen vernehmen, wie das  Hoftor geschlossen wurde, eine Autotür knallte und der Motor angelassen wurde. Wie zum Hohn sprang er diesmal beim ersten Zünden an. Reifen knirschten in der Stille der Nacht - dann war mein Mann weg! Noch immer wie betäubt sagte ich mir, daß er wohl trotz allem bald von sich hören lassen würde - und sank von meinen widerstrebenden Gefühlen übermannt ins Bett, wo mich erst das schrille Läuten des Weckers wieder zum Leben erweckte. Das war mir seit langem nicht mehr widerfahren, daß ich länger schlief, als die Weckzeit! Ich stand rasch auf, ging meinem gewöhnlichen Tagwerk nach und verdrängte die Gedanken an meinen Mann auf spätere Zeiten. Erst als am nächsten Tag der Chef meines Mannes auftauchte und mich nach Lajos fragte, wurde mir klar, daß hinter dem Verschwinden meines Mannes mehr steckte, als nur eine kurzzeitige Idee. es stellte sich heraus, daß mein Mann schon seit Tagen nicht mehr zur Arbeit gegangen war, seine Kollegen hatten ihn jedoch nicht angeschwärzt, weil sie dachten, er habe nach einer Sauftour Zeit zum Nüchternwerden benötigt. Ich konnte dem Chef auch nur das sagen, was ich wußte, und das war weder viel noch hilfreich.

"Er sagte mir, er habe eine andere Frau und werde uns verlassen, aber ich dachte, es sei nur so einer seiner bösen Scherze gewesen!" begann ich und schilderte dann die letzten Minuten, die er in unserem Haus verbracht hatte. Der Chef schüttelte den Kopf und konnte sich diese Handlungsweise nicht erklären, zumindest hätten es Gesetz und Anstand verlangt, daß er sich an seinem Arbeitsplatz abmeldete.

"Ich bedauere das Verhalten meines Mannes, hoffe aber, daß er bald persönlich eine genaue Erklärung abgeben wird." meinte ich, "Zumindest werde ich Sie sofort informieren, sollte er sich bei mir melden!" versprach ich dem Chef, bevor ich wieder an meine Arbeit ging. Unsere Tochter hatte das Verschwinden ihres Vaters noch nicht so richtig begriffen, hatte sie ihn ja auch sonst nicht sehr oft zu Gesicht bekommen und auch in diesen seltenen Augenblicken hatte er sich nicht mit ihr beschäftigen wollen. Sie vermißte ihn also nicht sehr. Mir mißfiel seine Abwesenheit jedoch immer mehr, er hätte zumindest seinem Arbeitgeber gegenüber mehr Loyalität zeigen müssen, doch auch dieser blieb ohne Nachricht vom Verbleib meines Mannes. Nach ein paar Tagen entschloß ich mich zu einem gewagten Schritt: Da beide Eltern nicht mehr am Leben waren, hatte er vielleicht Zuflucht bei seiner Schwester gesucht. Ich bat also einen Bekannten, mich in seinem Auto zu meiner Schwägerin zu bringen - zumindest würde ich meinen Tiefkühlschrank wieder mit nach Hause nehmen! Vor dem Wohnblock angekommen, bat ich meinen Bekannten, im Auto auf mich zu warten, falls mein Mann wirklich hier sei - vielleicht könnte ich ihn um unseres Kindes willen bewegen, sich die Sache doch noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Ich drückte auf den Knopf der Wechselsprechanlage. Nach einigem Warten erklang die Stimme meiner Schwägerin.

"Ja bitte!"

"Ich bin es!" rief ich in das Mikrofon, "Anne! Ist Lajos bei dir?" Mit klopfendem Herzen wartete ich auf ihre Antwort, hing von dieser doch so vieles ab. Doch was für eine Enttäuschung, als mich meine Schwägerin aufforderte, zu ihr zu kommen.

"Ich muß dir leider sagen, daß mein Bruder nicht hier ist!" begrüßte sie mich an der Haustür. "Aber du kannst gerne eintreten, um dich zu überzeugen!" Sie mußte also doch informiert sein, zumindest, was das Verschwinden ihres Bruders betraf. Sie begleitete mich in das winzige Wohnzimmer und ich ließ mich auf dem Sofa nieder. Sie brachte mir ein wenig Limonade, dann setzte sie sich zu mir und umarmte mich fest.

"Arme Kleine," begann sie, "es muß sehr schwer für dich sein! Sein Chef hat bei mir im Büro angerufen, um sich zu erkundigen, ob Lajos nicht bei mir ist, daher weiß ich alles, aber über die Hintergründe bin ich nicht informiert, zumal mein Bruder seit eurem letzten Hiersein nicht wieder mit mir in Verbindung getreten ist." In meinem Unterbewußtsein meldete sich ein kleiner Gedanke, den ich sofort in Worte faßte:

"Aber vor einigen Wochen hat er dir doch unseren neuen Tiefkühlschrank gebracht, da du ihn mehr benötigen würdest, als wir?!" wunderte ich mich. Ich sollte mich gleich noch mehr wundern, denn meine Schwägerin schüttelte den Kopf.

"Aber Anne, was redest du denn da für einen Unsinn! Ich habe nie darum gebeten, daß er mir euren Tiefkühlschrank leiht, ja ich habe bis eben noch nicht einmal gewußt, daß ihr einen neuen gekauft habt!" Mit wurde beinahe schwarz vor den Augen: Alles Lüge und Gemeinheit, was mir mein Mann vorgesetzt hatte! Wahrscheinlich hatte er schon damals den Gedanken an Flucht gehabt und diese gekonnt vorbereitet! Ich dankte meiner Schwägerin für die Limonade, erhob mich schwerfällig vom Sofa und verabschiedete mich. Sie stand noch lange in der Türöffnung und schaute mir nach, wie ich die elf Stockwerke auf der Treppe hinunterging - so blieb mir mehr Zeit zum Denken, als im Fahrstuhl. Mein Bekannter hatte ruhig im Auto gewartet, jetzt schenkte er mir einen schnellen Blick und vermied es dann, Fragen zu stellen. Er mußte aus meinen Augen gelesen haben, daß der Weg umsonst gewesen war und wollte meinen Schmerz nicht noch mit seiner Neugier vertiefen. Die Heimfahrt schien eine Unendlichkeit zu dauern, dann war auch sie überstanden. Erst jetzt, weit nach Mitternacht, überkamen mich meine Gedanken mit ihrer vollen Wucht! War er wirklich zu Ende, mein Traum? Wie sollte das Leben weitergehen? Welche Prüfungen würden noch auf mich zukommen? Und dann, ganz tief in mir drin der winzige Schimmer einer winzigen Hoffnung: Und wenn er doch eines schönen Tages zurückkommt?

Aber am nächsten Morgen nahmen mich meine täglichen Arbeiten wieder so voll in Anspruch, daß die einsamen Gedanken der Nacht verdrängt wurden. An meinem Arbeitsplatz ließ ich nichts verlauten, obwohl natürlich einige wußten, daß mein Mann seit Tagen nicht mehr zur Arbeit gekommen war. Aber auch mir stellte keiner unbequeme Fragen, auf die ich ja doch keine Antwort gehabt hätte. Ich war gerade im Schreibzimmer mit dem Absenden eines englischsprachigen Telex beschäftigt, als ein Bekannter die Tür öffnete.

"Entschuldige, daß ich störe, Anne, aber ich bin gerade an eurem Haus vorbeigefahren und habe Lajos gesehen, wie er verschiedene Sachen in sein Auto gepackt hat. Als ich anhalten wollte, ist er schnell davongefahren. Ich dachte mir, du solltest so schnell wie möglich davon erfahren." Bei seinen Worten war ich schon von meinem Stuhl aufgesprungen, hatte den Telex beendet und mir meine Jacke übergestreift.

"Vielen Dank, daß du es mir gesagt hast!" rief ich ihm zu, bevor ich aus der Tür eilte. "Sag bitte meinem Chef, daß ich in ein paar Minuten zurück bin!" Ich sah ihn noch zustimmend mit dem Kopf nicken, dann rannte ich die Treppe hinunter und die wenigen Schritte zum Haus, das nur einen Steinwurf vom Büro entfernt lag. Dort schien zuerst alles so, wie ich es am Morgen verlassen hatte, doch fiel mir auf, daß die Garage nicht mehr mit dem Vorhängeschloß gesichert war. Ich fand es zerborsten am Boden. Mit einem flauen Gefühl im Magen öffnete ich und mußte entsetzt feststellen, daß meine gesamte Reitausrüstung - Sattel, Zaumzeug und alles Zubehör - verschwunden war! Mir wurde ganz übel, wenn ich daran denken mußte, wie es wohl im Haus selbst aussehen möge. Mein Erstaunen wuchs noch, als mich unser Hund nicht wie sonst begrüßte, wenn ich in den Garten trat, wo er seine Hütte hatte - doch auch diese war leer und verlassen! Mir traten die Tränen in die Augen: Der junge Mischling war das Kind meiner Kuvasz-Hündin, die mir vor einiger Zeit gestohlen worden war, mit irgendeinem schwarzen Streuner. Er war riesengroß, mit gelocktem, weichem schwarzen Fell, nur Nasenspitze, die Pfoten und der letzte Teil des Schwanzes waren weiß. Er war so lieb und anhänglich, außerdem ein guter Wachhund - außer der Tochter und mir ließ er nur noch meinen Mann an sich heran. Und dieser hatte wohl davon profitiert und ihn mitgenommen! Schluchzend lief ich ins Haus, um mir ein Bild vom Ausmaß des "Diebstahles" zu machen. Und gesetzlich war es ja noch nicht einmal das! Im Haus fehlte fast nichts, nur die Schatulle mit meinem Schmuck (nicht viel Wertvolles darunter, aber noch genug, um sich das Gehalt ein wenig aufzubessern, und einige Erbstücke, mehr Andenken, als materielle Werte). Sonst schien alles, bis auf einige Bilder und zwei Töpfe, an seinem Platz zu sein. Ich war wie am Boden zerstört, doch meine Lebensgeister flüsterten mir Hilfe zu. Ich nahm mein Fahrrad, das war mir zum Glück geblieben, radelte wie besessen zu dem kleinen Laden und kaufte alle Schlösser und Riegel, die vorrätig waren. Dann machte ich mich nach einem kurzen Besuch im Büro, um für den Tag freizunehmen, daran alle Türschlösser auszutauschen und neue Vorhängeschlösser anzubringen. Dazu Riegel an die Fenster und Türen der Nebengebäude, die auch mit Vorhängeschlössern gesichert wurden. Danach atmete ich wieder etwas freier, aber in mir war etwas zerbrochen. Es wurde mir klar, daß ich mein Leben radikal würde ändern müssen. Meine Hoffnung darauf, daß mein Mann eines Tages wieder zu mir und unserer Tochter zurückkehren würde, war durch diese seine Tat gestorben. Und getrennt leben kam bei seinem Verhalten gar nicht erst in Frage. Ich beschloß, einige Tage frei zu nehmen - mein Jahresurlaub war noch unangetastet - und mich mit der Regelung meiner privaten Probleme zu befassen. Zwar zögerte ich noch immer, die Dinge beim Namen zu nennen: Das Wort Scheidung existierte im Sprachgebrauch meiner Familie nicht, doch war es die einzige gangbare Lösung in meinem Fall.

Ich sprach schon am nächsten Tag bei einer Anwältin vor, die mich sehr sachlich und fachkundig beriet. Glücklicherweise war ich ungarische Staatsbürgerin, sonst hätte der Vater das Kind zugesprochen erhalten und ich hätte wieder in meine Heimat abreisen können. So konnte die Tochter mir als ungarischer Mutter zugesprochen werden. Einziger Problempunkt: unser Haus. Zum Zeitpunkt des Kaufs war ich noch Deutsche, konnte also nur mein Mann als Ungar Grund und Immobilie erwerben. Nach Erlangen der ungarischen Staatsbürgerschaft hätte ich also beantragen müssen, daß das Grundbuch geändert wird, dazu hätte mein Mann aber seine Einwilligung geben müssen, was er nie getan hätte. Aber meine Anwältin ließ sich nicht beirren, sie ließ mich die Banküberweisung seitens meiner Eltern für das Haus übersetzten und ließ sich auch die Einfuhrlisten meines Hausrates übergeben. So hatte sie berechtigte Hoffnung, beim Termin beweisen zu können, daß Haus und Mobiliar einzig und allein mir gehörten.

Als viel größeres Problem stellte sich heraus, daß die Ladungen zu den Verhandlungsterminen nicht zugestellt werden konnten. Mein Mann hatte seinen einzigen angemeldeten Wohnsitz noch unter der Adresse unseres Hauses, er war auch bei seinem Arbeitgeber noch nicht abgemeldet und sonst nirgendwo angemeldet, zumindest nicht offiziell. Ich beschloß, ein wenig Detektiv zu spielen, schon um eventuell wieder in den Besitz der mir gestohlenen Sachen zu gelangen. Es dauerte auch gar nicht lange, bis ich in sorgfältig vorbereiteten Gesprächen mit seinen Freunden und Kollegen eine Adresse erfahren konnte, wo er sich wahrscheinlich aufhielt. Ich bat wieder meinen Bekannten, mich zu der angegebenen Wohnung zu fahren, wo zu meinem Erstaunen mir eine mir bekannte junge Frau öffnete. Sie schien über mein Erscheinen nicht schlecht zu erschrecken, zumal hinter mir mein Bekannter seine imposante Gestalt zeigte.

"Ich bin gekommen, um die mir entwendeten Sachen abzuholen!" meinte ich trocken und in ihrer Überraschung übergab sie mir einen Leinensack, in dem sich meine gesamte Reitausrüstung befand und der noch im Gang lag.

"Ich hätte auch gerne noch meinen Schmuck, meinen Hund und den Tiefkühlschrank, die Bilder und Töpfe kann er behalten, zumal er ja auch noch unser Auto mitgenommen hat!" meinte ich mit unbewegtem Gesichtsausdruck. Aber zu meiner Enttäuschung schüttelte sie den Kopf.

"Mit dem Schmuck hat er das Auto abbezahlt, vielleicht auch mit dem Tiefkühlschrank, denn den habe ich nie gesehen - und der Hund ist auch nicht hier." beschied sie mich. Dabei öffnete sie ein wenig die Tür, wie um mir zu zeigen, daß sie die Wahrheit spräche. Ich verzichtete auf eine Durchsuchung der Wohnung, die wohl auch zu nichts geführt hätte und fuhr zurück. Zwar hatte ich nur in Teilen Erfolg gehabt, zumindest konnte aber die Ladung zugestellt werden und dann mußte er über den Verbleib der anderen Sachen Auskunft geben.

Zum Termin erschien er Arm in Arm mit seiner Freundin, noch dazu einer Reiterin - mir hatte er noch nicht einmal erlaubt, mein eigenes Pferd zu reiten! Welch ein Hohn! Doch wurde sie gebeten, vor der Tür zu warten, da die Dinge, über die hinter dieser Tür verhandelt werden würde, sie nichts angingen.

"Aber sicher geht die Sache mich an!" rief sie aus, "schließlich wollen wir die Hälfte vom Haus und die Hälfte des Wertes allen Mobiliars - wie sollten wir sonst ein gemeinsames Leben beginnen?" fragte sie frech heraus. Mir blieben die Worte im Halse stecken - nie würde ich ihn ausbezahlen können, ohne das Haus zu verlieren - und wo sollte ich dann mit dem Kind wohnen? Doch meine Anwältin wies die junge Frau zurecht und verweigerte ihr den Zutritt in den Saal. Nur ungern ließ sie meinen Mann alleine eintreten, das sah man ihr an. Vielleicht befürchtete sie auch, daß er nicht so beharrlich auf seinen Rechten bestehen würde, wie sie.

Jetzt waren wir also nur noch zu fünft in dem riesigen Saal. Die beiden Parteien mit ihren Anwälten und die Richterin, eine Freundin meiner Anwältin. Schnell waren die Texte verlesen, die auf eine Scheidung im beiderseitigen Einvernehmen wegen totaler Zerrüttung der Ehe plädierten, jetzt ging es nur noch darum, daß die Tochter und der Besitz mir zugesprochen wurden. Bei der Frage, ob er Anspruch auf sein Recht als Erziehungsberechtigter erhebe, zuckte mein Mann nur die Achseln, wenn ich es wolle, so könne ich die Tochter alleine haben. Selbst als seine Anwältin ein Besuchsrecht erzwingen wollte, winkte er nur ab: keinen Bedarf! Trotzdem kam er so einfach nicht davon, ein Unterhaltsgeld von zehn Prozent seines Einkommens wurde für das Kind festgesetzt. So einfach konnte er sich nicht um seine Sorgepflicht drücken!

Schlimmer ging es im Streit um das Haus, denn hier roch er Geld und sorgloses Leben! Aber die Richterin ließ meine Beweise gelten, Haus und Mobiliar seien ausschließlich von mir eingebracht worden, stünden mir also zu, ohne daß ihm eine Abfindung gezahlt werden müsse. Sein langes Gesicht war sehenswert, schade daß ich das seiner Freundin nicht sehen konnte, wenn er es ihr erzählen würde.

Auf meine Frage nach Auto, Schmuck, Hund und Kühlschrank meinte die Richterin jedoch, da ich schon so viel erreicht habe, sollte ich ihm diese Dinge doch überlassen, zumal der Schmuck und der Tiefkühlschrank ja schon nicht mehr in seinem Besitz seien und ein Hund - na ja!

So fiel dann also ganz schnell das Urteil, beide Parteien akzeptierten die sofortige Rechtswirksamkeit, wir waren nicht mehr länger Mann und Frau!

Lajos verließ gesenkten Hauptes den Saal, ich zögerte meinen Abgang noch hinaus, um dem Pärchen nicht begegnen zu müssen. Meine Anwältin wünschte mir viel Glück, ich konnte es wirklich gebrauchen!

Nach all den Wochen der Aufregung und des Schmerzes überkam mich nun wirklich ein Gefühl der Freiheit. Für meine Tochter - wirklich: MEINE Tochter! - wird es nicht allzu schwer werden, hat sie ja zuneigungsmäßig nie einen echten Vater besessen. Sicher, es wird immer wieder Situationen geben, wo ich ihr erklären muß, daß Papa uns verlassen hat, aber mit ihren zweieinhalb Jahren wird sie noch keine Fragen nach dem Wieso und Warum stellen. Und später - wer weiß, was das Leben noch bringt!

Die Tage vergingen fast im gleichen Schema wie zuvor. Kind und Tiere, meine Arbeit, alles war beim Gleichen geblieben. Aber ich war ruhiger, ausgeglichener. Kein Warten mehr auf den Mann, der kommt - oder nicht, betrunken oder nüchtern ist, Dinge von mir verlangt, die mich anwidern oder entsetzen. Unsere Teilfamilie lebte viel harmonischer als vorher. Unser Tagesablauf wurde geregelter und ausgefüllt mit Lachen und Scherzen. Ich beschloß als erstes, mir wieder ein Pferd zuzulegen. Trotzdem wir nun von einem Gehalt leben mußten, kam ich nun besser über die Runden. Viel ging ja auch von meinem Gehalt noch ab für Benzin und Alkohol und Zigaretten und andere Dinge, das können wir nun sparen und von seinem Gehalt habe ich ja sowieso nie einen Pfennig gesehen. Im Staatsgut stand ein riesengroßer Fuchswallach billig zum Verkauf. Ein Gidran, also ein ungarischer Anglo-Araber, vormals als Springpferd gekauft, nach nur einem Jahr sauer und unreitbar. Dazu kommt er mit dem Pusztaboden nicht zurecht, er, der auf weichem Sandboden aufgewachsen ist. Ich konnte ihn zum Schlachtpreis erwerben. Jetzt stand endlich wieder ein Pferd in der schnell zum geräumigen Stall umfunktionierten Garage. Und ich hatte ein neues Fortbewegungsmittel: zwar nicht so schnell wie ein Auto, aber billiger in der Haltung und mich mit seiner Zuneigung belohnend, als ob er wüßte, wie sonst sein Schicksal ausgesehen hätte. So brachte ich morgens meine Tochter per Pferd in den Kindergarten, ritt dann hinaus zu meinem Arbeitsplatz, stellte ihn in einen großen Pferch und holte ihn am Abend wieder ab. Schnell noch eine Runde über die Puszta, dann auf zum Kindergarten und zu zweit auf dem langen Rücken nach Hause.

Ich hatte auch beschlossen, ein ungarisches Abitur abzulegen - man weiß ja nie - und mein deutsches Abitur galt hier nicht viel. So lernte ich also während zweier Monate jeden Abend und jede Nacht ungarische Literatur und Geschichte. Ich mußte den Stoff dreier Schuljahre komprimieren, um zum nächsten Datum meine Prüfungen mit den anderen Schülern ablegen zu können. Aber das Büffeln lohnte sich: Ich hatte meinen ungarischen Abschluß in der Tasche!

Jetzt zum nächsten Wagnis. Die Jagd hatte mich schon immer fasziniert, war aber zuhause ein Tabuthema und späterhin während meiner Ehe unmöglich, darüber zu sprechen. Wenn schon reiten untersagt war, dann erst recht die Jagd - keine Beschäftigung für eine Frau!

Aber jetzt erst recht! Ich trat in die Jagdgesellschaft des Staatsgutes ein und bereitete mich auf meine Jägerprüfung vor. Ein Kollege in der Jagdabteilung lieh mir Spezialliteratur, das Handbuch für die Prüfung besaß ich bereits selbst. Ein Jahr lang fungierte ich als Treiber und Helfer, während die anderen jagten, schon dort fiel mir auf, wie undiszipliniert manche Jäger waren. Es gab schon einige brenzlige Situationen. So regnete es plötzlich während eines Treibens auf Fasanen Schrotkugeln auf die Treiber und ich mußte einen "Jäger" sehen, der schnell auf einen wenige Meter vor ihm über den Weg laufenden Fasan schoß und ihn dann stolz bei den Füßen an seinen Gürtel schnallte! Auch wurde oft mit dem billigeren Skeet-Schrot auf Hasen geschossen, oder auf einen vermeintlichen Fuchs, rückwärts gegen die schon im Heimgehen begriffenen anderen Jäger und Helfer, nachdem das Treiben schon lange abgeblasen worden war! Häufig auch das Einschneiden der Hasenohren nach dem Motto: "Das war aber meiner!"

Der schlimmste Vorfall, oder besser gesagt, der Vorfall, der die schlimmsten Folgen hätte haben können ereignete sich, als wir auf einem Lastwagen mit Plane saßen und von einem Revier in ein anderes fuhren. Die zwei schlimmsten Schützen saßen ganz hinten, hatten also einigermaßen freie Sicht, dann kamen noch je drei Jäger auf den Bänken an den Längsseiten und zwei Treiber auf der kleinen Bank, die sich an die Fahrerkabine anlehnte. Plötzlich verlangsamte unser Fahrer sein Tempo wegen einiger Bodenwellen, als der eine Jäger einen Fasanenhahn hinter einem Grasbüschel erspähte. Blitzschnell legte er an und - bumm! Wir fuhren alle zusammen, keiner hatte so richtig bemerkt, was da am Ende der Bank vor sich ging. Aber es sollte noch schlimmer kommen: Der Hahn war unversehrt und lief ruhigen Schrittes weiter. Da, ein zweites - bumm! Doch das Tier hatte einen guten Schutzengel, es blieb auch weiterhin ungetroffen. Da riß plötzlich der gegenüber sitzende Jäger seine Flinte hoch - krachbumm!! Der Fasan flog nun doch, von dem Lärm aufgeschreckt, davon aber wie sah es im Wagen aus! Der Jäger, welcher zuletzt geschossen hatte, hatte das Gewehr des anderen Schützen getroffen! Zum Glück war dieser selbst unverletzt geblieben, aber seine teure Flinte war hinüber! Über den nun folgenden Wortwechsel möchte ich lieber schweigen, die Ausdrücke wären sowieso nicht zu übersetzten und auch nicht jugendfrei.

Ich beschäftigte mich also mit meinen Büchern, hatte keine Zeit zum Schießtraining, durfte ja auch selbst noch kein Gewehr führen und beschränkte mich so auf die Theorie.

Am Tag der Prüfung war ich gut vorbereitet und optimistisch. Wir waren etwa zwanzig Bewerber, die meisten davon schon älter, ich war die einzige Frau. Zuerst kam die schriftliche Prüfung, der eine mündliche folgen sollte und dann die Schießprüfung, auf Tontauben mit Schrot und im Schießstand mit dem Kleinkalibergewehr. Die Fragen waren einfach und sehr leicht in der angegebenen Zeit zu beantworten. Ich saß ganz vorne und bemerkte, wie der Prüfer hin und wieder zu mir schaute und sich über die Menge der beschriebenen Seiten zu wundern schien. Die Uhr war noch lange nicht abgelaufen, als mir nichts mehr einfiel und ich meine engbeschriebenen Seiten ablieferte. Einige Prüflinge blickten mit, wie mir schien, Entsetzen von ihren Bögen auf, wo sich nur wenige Sätze, wenn überhaupt, fanden. Der Prüfer schaute sich mein Werk an, nickte leicht und flüsterte mir zu.

"Die mündliche Prüfung ist ihnen erlassen! Ich habe noch nie so gute und ausführliche Antworten erhalten! Aber bleiben sie bitte noch im Raum, bis alle anderen Prüflinge auch fertig sind." Ich nickte leicht und begann, mich in Gedanken schon auf die Schießprüfung vorzubereiten. So fiel ich fast aus allen Wolken, als ein Prüfling bei der mündlichen Fragestellung : Wo lebt der Feldhase? plötzlich mit dem Namen von Orten antwortete. Hätte er gesagt: Auf dem Feld, hätte er vielleicht noch eine Chance gehabt. Ein weiterer zählte statt der jagdbaren Gänsearten alle geschützten auf und meinte auf die Frage des Prüfers:

"Sind sie sicher, daß diese Gänse geschossen werden dürfen?" nur stolz:

"Natürlich, ich habe sie alle schon erlegt!"

Am schlimmsten fand ich aber die Antwort eines älteren Mannes, der einen fast leeren Testbogen abgegeben hatte. Auf die Frage, ob er denn überhaupt etwas wisse, gab er selbstbewußt zurück:

"Ich bin der Leiter einer großen landwirtschaftlichen Genossenschaft, ich habe keine Zeit, um mich auf die Jagdscheinprüfung vorzubereiten!"

Und alle diese Menschen wurden trotzdem zum praktischen Teil der Prüfung zugelassen! Ich fragte mich, wozu ich das alles gelernt hatte, wenn man auch ohne jegliches Wissen den Jagdschein bestehen konnte, dachte dann aber, daß ich es ja für mich tat und nicht für andere und daß man mir mein Wissen nicht mehr nehmen könne.

Auf der Fahrt zum Schießstand wurde mir dann etwas mulmig, hatte ich doch noch nie ein Gewehr in der Hand gehabt, die anderen, aus ihren selbstbewußten Reden zu schließen, sehr wohl. Einer war sogar Bezirksmeister im Tontaubenschießen. Zuerst mußten wir jeweils eine Schrotflinte in alle Einzelteile auseinandernehmen und zusammenbauen, dann sollten wir so viel wie möglich, mindestens jedoch fünf Tontauben von zwanzig treffen. Meine erste Serie von zehn Schüssen erbrachte zehn Luftlöcher, doch hatte ich in der zweiten Serie vier Treffer und einen umstrittenen, der zuletzt gutgegeben wurde. Der Meister holte natürlich neunzehn von zwanzig Tontauben herunter. Ich fragte mich, warum er nach den ersten fünf Treffern noch weiterschießen mußte, sollte oder wollte. Beim Kleinkalibergewehr war meine Ausbeute gleich Null, bis die guten Leute darauf kamen, daß ich viel zu niedrig stand und mir einen Holzkasten holten. Da schaffte ich dann die fünfzig Punkte auf fünfundzwanzig Meter leicht.

Als Jungjäger verließ ich den Schießstand. Ich habe in meinem ganzen Leben bisher nur einige Tauben und zwei Fasanen geschossen, aber die Pirsch an sich, das Beobachten und Ansprechen des Wildes, das Kennenlernen seiner Lebensweise und der Reviere befriedigen mich mehr, als jeder Schuß.

 

Inzwischen hatte mein Wallach immer mehr Probleme mit seinen Beinen bekommen, so daß ich mich schweren Herzens entschließen mußte, ihn das Gnadenbrot auf den sandigen Böden seines Geburtsortes verbringen zu lassen. Doch bot man mir nur einige Tage später eine neunjährige Noniusstute an.

"Sie ist geritten und gefahren, hat aber noch nie ein Fohlen bekommen, deshalb will der Besitzer sie verkaufen!" meinte mein Informant.

"Und wo ist sie zu Hause?" wollte ich wissen, denn ich kannte die Seelenverkäufer, mit denen selbst die wertvollsten Pferde hierzulande transportiert wurden. Meist war das ein flacher Anhänger, der mit einigen schnell zusammengeschweißten Stangen bis in Brusthöhe des Pferdes aufgestockt wurde. Ich hatte schon Tiere gesehen, die aus solchen "Transportern" während der Fahrt "ausgestiegen" waren! Besser nicht daran denken!

"Na, so achtzig Kilometer werden es von hier aus schon sein!" Ich dachte nach. Zwar war Distanzreiten noch nicht als Disziplin in Ungarn anerkannt, aber genau darauf lief es nun hinaus. Wenn die Stute in Form war, dürfte ihr diese Strecke nicht weiter schwerfallen. Außerdem hatten wir keine Zeitbeschränkung außer der, bei Tagesanbruch loszureiten und vor Dunkelwerden bei uns anzukommen.

"Ich schau mir das Tier einmal an, wenn der Preis in Ordnung geht, dann nehme ich sie gleich mit!" war meine Antwort. Es wurde ein Termin ausgemacht, zu dem ich die Stute sehen konnte. Ein Bekannter nahm mich in seinem Auto mit, gleichzeitig aber auch meinen Sattel und Zaumzeug. Bei dem Verkäufer angekommen, überlief mich ein gelinder Schauer. Alles sah verwahrlost und dreckig aus, obwohl der Mann in geregelten Verhältnissen zu leben schien. Da niemand auf mein Klingeln öffnete und auch kein Hund zu sehen war, schob ich das Holztörchen beiseite, Torangeln schien es nicht mehr zu geben und trat ein.

"Hallo, guten Tag, ist hier jemand?" rief ich laut, denn irgend jemand mußte ja zuhause sein, Tag und Uhrzeit waren abgesprochen worden. Da noch immer niemand antwortete, schritt ich auf ein niedriges, fast zerfallenes Holzgebäude zu, das sich wirklich als der Pferdestall entpuppte. Drinnen standen in fast völliger Dunkelheit, mit kurzen Stricken an der hölzernen Futterkrippe angebunden, zwei schöne Pferde, aber in welchem Zustand! Futtermäßig schienen sie nicht zu kurz zu kommen, die Bäuche waren dick und die Kruppen rund, aber sie schienen unter einen festen Schmutzschicht eingepackt zu sein, die wochenlang nicht entfernt worden war. Mein Eintreten weckte fast keine Reaktion, das eine Tier spitzte ein wenig die Ohren, das andere hob kurz einen Hinterfuß, schien überrascht, und setzte ihn wieder ab.

"Schönen guten Tag auch!" ließ sich da hinter mir eine Stimme vernehmen, der man den Alkoholkonsum anmerken konnte. Ich drehte mich um und bemerkte einen ziemlich jungen Mann, der in der Türöffnung stand. An ihm war nichts Bemerkenswertes, sehr wohl aber an der Reaktion der beiden Pferde auf sein Erscheinen oder seine Stimme: Blankes Entsetzen! Augen rollten, bis fast nur noch das Weiße sichtbar war, Ohren wurden angelegt, Zähne gebleckt und die Hinterhufe schlagbereit angehoben. Oh je!

"Ich bin gekommen, um mir die Stute anzuschauen, die sie verkaufen möchten!" Der Mann nickte nur kurz zum ersten Pferd hin.

"Das ist sie! Will keine Fohlen bekommen, nützt mir also nichts. Geht aber vorm Wagen und unterm Sattel, ehrlich!" Sein verschlagenes Gesicht riet zur Vorsicht.

"Und wieviel wollen sie für eine Stute, die keinen Nutzen bringt?" wollte ich wissen.

"Nur n'paar Hunderter!" Das war geschenkt! Zumal das Tier ausgezeichnete Papiere hatte, wie ich mich selbst überzeugen konnte, denn der Mann holte sie aus seiner schmierigen Jackentasche hervor.

"Ich kaufe die Stute, wenn ich sie vorher noch in Bewegung sehen kann!" rief ich, nicht ohne Hintergedanken, aus.

"Ich laß' sie immer auf dem Feld da laufen!" meinte der Mann und zeigte auf ein Stückchen Land, das von einem Stacheldraht begrenzt wurde. Stacheldraht und Pferde - eine Horrorvision! Aber die Tiere schienen es gewohnt zu sein, denn Verletzungen durch den Draht konnte ich nicht an ihnen feststellen.

"Na, denn lassen sie die Stute doch einmal laufen!" bat ich. Der Mann nestelte lange und vorsichtig an dem Knoten, der den Strick mit dem Stallhalfter verband, bis dieser endlich nachgab.

"Vorsicht!" rief er mir noch zu, das war aber unnötig, denn ich hatte die Reaktion der Stute schon geahnt und mich rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Das Tier, kaum daß es spürte, daß der Strick es nicht mehr hielt, kam mit einem wahnsinnigen Tempo aus dem Stall geschossen, vollführte wahrhaft akrobatische Bocksprünge und tobte dann auf dem Feld herum. Die Bewegungen waren einwandfrei, keine Lahmheit zu erkennen, aber auch mit Sicherheit kein tägliches Training. Ich schwankte in meiner Entscheidung, die Stute sofort mitzunehmen. Aber schließlich siegte doch der Gedanke : sicher ist sicher! Denn bei diesen Haltebedingungen konnte zu schnell ein Unheil geschehen! Ich wendete mich an den Mann.

"Haben sie eine Bürste und einen Striegel?" Er schaute mich zuerst etwas verwundert an, doch brachte er nach einigem Suchen tatsächlich die gewünschten Gegenstände zum Vorschein.

"Holen sie die Stute bitte her, ich nehme sie noch heute mit!" wies ich ihn an. Er schaute sich verwundert zu dem Auto um, mit dem ich gekommen war und sah keinen Anhänger.

"Womit bringen sie sie denn weg?" wollte er neugierig wissen.

"Mit einem Sattel!" meinte ich schmunzelnd, als ich seinen Gesichtsausdruck sah. Er schüttelte bedenklich den Kopf.

"Aber sie haben sie ja noch nicht einmal richtig ausprobiert!" meinte er. "Haben sie denn keine Angst, so einfach mit einem fremden Pferd loszureiten und noch dazu auf eine so lange Strecke?"

"Wenn ich sie gekauft habe, ist es ja kein fremdes Pferd mehr für mich - und irgendwann muß ich sie ja reiten, also warum nicht gleich?" fragte ich ihn und zeigte auf meinen Sattel und das Zaumzeug. Er schüttelte zwar noch immer den Kopf, machte sich aber daran, das Pferd wieder einzufangen - ein vergebliches Unternehmen. Das Tier ließ ihn auf einige Meter an sich herankommen, dann warf es sich herum, keilte aus und lief davon, um in einiger Entfernung wieder stehenzubleiben. So konnte das noch stundenlang gehen - und meine Zeit war begrenzt! Ich rief den Mann also zurück und holte ein paar Rüben aus meiner Tasche. Das Halfter hatte ich griffbereit über dem Arm. Langsam ging ich auf das Tier zu, das mich herankommen ließ und an den Rüben schnupperte. Als es eine akzeptiert hatte und darauf herumknabberte, schob ich ihr schnell die Trense ins Maul und das Halfter über den Kopf. Zwar versuchte sie, zu scheuen, doch überzeugte sie eine zweite Rübe von meiner Ungefährlichkeit. Brav ließ sie sich in den Hof führen, wo ich sie einer schnellen Reinigung unterzog, die nur an den bedenklichen Stellen, Sattel- und Gurtlage, gründlich ausfiel, sonst aber ziemlich oberflächlich blieb. Satteln ging ganz einfach, das Tier schien mich akzeptiert zu haben, oder zumindest für das kleinere von zwei Übeln zu halten. Ich zahlte dem Mann seinen Preis, erhielt die Papiere und machte mich auf den Weg. Anfangs war ich noch etwas aufgeregt, kannte ja die Eigenheiten des Pferdes nicht, konnte mich aber im Laufe der Kilometer entspannen, denn mein neues Tier schien durch und durch anständig zu sein. Keine erkennbare Angst vor nichts, zielstrebig über schmale Brücken gehend oder einen Graben durchquerend. Nur eine Gangart schien sie nicht zu kennen: Schritt! Ihr ausdauernder, raumgreifender Trab wurde von einigen Galoppstrecken unterbrochen, aber selbst danach wollte sie nur traben. Ich begann, mir Gedanken zu machen, ob sie in diesem Tempo die mehr als achtzig Kilometer durchhalten werde. Ich hätte mir mehr Sorgen um meine Kondition machen sollen! War ich zwar in letzter Zeit lange Strecken mit meinem Wallach geritten, so doch seiner Beine wegen die meiste Zeit im Schritt, was auf ein bis zwei Stunden täglich keine sehr große Kilometermenge ergab. Hier jedoch war ich gefordert, mußte den Weg suchen, trotz allem mit unerwarteten Reaktionen meines Pferdes rechnen und zwischen Leichttraben und Jagdsitz im Galopp abwechseln. Meine Stute schien unermeßliche Kraftreserven zu besitzen, die meinen neigten sich ihrem Ende zu und noch waren wir nicht zuhause! Nach über siebzig Kilometern gelang es mir, sie zu einer Schrittreprise zu überreden, doch schien sie diese Ruhepause zu beflügeln, nachher wollte sie nur noch galoppieren! Als wir nach mehr als neun Stunden Ritt endlich heimkamen, stürzte sie sich heißhungrig über ihr Futter her, mir war der Appetit vergangen, ich sehnte mich nur nach einem heißen Bad und meinem Bett!

Am nächsten Morgen begrüßte mich mein Pferd munter und voll Tatendrang, keine angelaufenen Sehnen, keine erkennbare Müdigkeit - einfach, als ob nichts gewesen wäre! Mir dagegen taten alle Knochen und Muskeln weh. Glücklicherweise war es Sonntag und ich konnte mich ein wenig ausruhen, zumal meine Tochter das Wochenende bei meiner Nachbarin zubrachte.

Ich lebte jetzt schon so lange alleine mit meinem Kind und meinen Tieren, daß einige Leute sich die Mäuler über mich verrissen. Natürlich hatte ich auch schon gewisse Anträge bekommen - von verheirateten Freunden meines Mannes oder verheirateten Chefs und Familienvätern, die wohl alle dachten, ich sei eine leichte Beute. Aber zum einen kannten sie nicht die intimen Seiten meiner Ehe, die eher ein Alptraum, denn ein Liebestraum gewesen waren, und mich auf Sex um des Sexes willen gerne verzichten ließen und zum anderen fiel es mir nicht im Traum ein, bewußt oder unbewußt eine andere Ehe zu gefährden oder gar zu zerstören, zuviel hatte ich selbst leiden müssen - und endlich: heiraten wollte mich keiner dieser Männer und mein Kind akzeptieren schon gleich gar nicht. Aber der Weg zu meinem Herzen war nur über den Umweg des Herzens meiner Tochter zu gewinnen. Und sollte es ein zweites Mal geben, dann wollte ich auf jeden Fall den ach, so alten Spruch beherzigen: Drum prüfe, wer sich ewig bindet! Aber trotz allem: bereut habe ich meinen Entschluß, nach Ungarn zu gehen, nie!

 

Und dann kam eine Zeit, als ich im Winter wieder im Büro arbeitete, als mich der Leiter der Jagdabteilung eines Vormittags bat, ihm doch bei der Übersetzung einiger Bestellungen zu helfen. Da ich eben sowieso nichts anderes zu tun hatte, willigte ich ein und ging in sein Zimmer, um ihm zu helfen.

"Schau, Anne, da sind vier geplante Jagdreisen von deutschen Jägern, die gerne auf Rehböcke jagen würden. Ich verstehe zwar einiges, aber doch nicht alles, was sie sich wünschen, darum sollst du mir eine korrekte Übersetzung anfertigen und kannst dann auch gleich die Antwort tippen." Ich setzte mich an den kleinen Schreibtisch mit der altersschwachen mechanischen Schreibmaschine und begann mit meiner Arbeit. Als ich gerade fertig war, öffnete sich die Tür und ein junger Mann steckte seinen Kopf hinein.

"Ist der Miklós nicht hier?" fragte er erstaunt, als er mich sah. Ich schüttelte den Kopf.

"Miklós ist schon in das benachbarte Revier gefahren, um dort mit einem der Jagdaufseher zu sprechen, er kommt aber gegen Mittag zurück, hat er gesagt." Dann setzte ich nach einer kurzen Pause hinzu: "Kann ich ihm etwas ausrichten?" Der junge Mann zögerte kurz, dann schüttelte er den Kopf.

"Nein, danke, ich werde hier auf ihn warten, das heißt, wenn Sie nichts dagegen haben."

"Natürlich habe ich nichts dagegen!" rief ich aus. "Ich bin sowieso nur zur Aushilfe hier, ansonsten arbeite ich in der Touristikabteilung." Der junge Mann setzte sich auf den einzigen noch freien Stuhl und begann in einer Jagdzeitschrift zu lesen. Als nach einiger Zeit Miklós wiederkam, ging er schnellen Schrittes auf den jungen Mann zu.

"He! Hallo! Tibi, was machst du denn hier?" Der so Angeredete war beim Eintreten Miklós' erstaunt aufgesprungen.

"Ja wo gibt es denn so etwas!" lachte er. "Miklós, bist du etwa hier der Chef?" Ich schaute erstaunt von einem der jungen Männer zum anderen. Da wendete sich Miklós direkt an mich.

"Anne, ich stelle dir hier meinen Studienkollegen Tibor vor. Ich hatte ja nicht die geringste Ahnung davon, daß er der Anwärter auf die freie Stelle ist, von der der Chef gesprochen hat. Er teilte mir gestern nur mit, ich hätte heute ein Vorstellungsgespräch zu leiten! Na das ist aber eine Überraschung!" Der mit Tibor Angeredete schüttelte jetzt auch mir schüchtern die Hand, bevor er sich wieder seinem Bekannten zuwendete. Schnell war alles besprochen und der junge Mann hatte seine Anstellung in der Tasche.

"Ihr werdet jetzt wohl öfter miteinander zu tun haben!" grinste Miklós. Auf unsere fragenden Blicke hin bequemte er sich zu einer kurzen Erklärung.

"Anne, ich werde dich im Winter nun öfters bitten, bei Übersetzungen zu helfen, denn jetzt, da Tibi hier die Arbeit übernimmt, werde ich die meiste Zeit im Außendienst sein. Vertragt euch also!" schmunzelte er geheimnisvoll, dann war er verschwunden. Ich fühlte mich etwas ungemütlich ob dieser neuen Situation und auch dem jungen Mann mir gegenüber schien es ähnlich zu ergehen. Nach längerem Schweigen ergriff er dann doch die Initiative.

"Anne – wenn Sie mir erlauben, Sie so zu nennen..." Ich nickte schnell zustimmend, woraufhin er fortfuhr: "Ich bitte für meinen Freund um Vergebung für seine vorlauten Worte, aber so ist er nun einmal." Ich unterbrach ihn schnell.

"Sie brauchen sich nicht für ihn zu entschuldigen, Tibor, auch ich kenne sein lockeres Mundwerk, es gehört eben zu seinem Stil."

"Nennen Sie mich doch bitte Tibi, wie die anderen auch." bat mich der junge Mann und ich willigte ein. Dann zeigte ich ihm auf seine Bitte hin, wo er diverse Formulare und andere, zu seiner Arbeit benötigte Utensilien finden konnte, bevor ich mich mit einem kurzen Gruß von ihm verabschiedete und wieder in mein Büro zurückging. Vorher hatte ich ihm noch meine Nebenstellen-Telefonnummer gegeben, falls er meine Hilfe benötigte. So arbeiteten wir dann öfter zusammen, manchmal fragte er mich nur kurz am Telefon etwas, manchmal kam er mit seiner Bitte direkt zu mir ins Zimmer oder bat mich, ihm in seinem Zimmer bei einer Sache zu unterstützen. Wenn Miklós morgens im Bürogebäude war, tranken wir am Büfett zu dritt unseren Kaffee oder nahmen ihn mit ins Zimmer der Jagdabteilung, wo wir dann über alle möglichen aktuellen oder interessanten Themen sprachen. Eines Morgens saß ich wieder einmal an meinem Schreibtisch und drehte die Daumen, da keine Arbeit vorhanden war. Plötzlich kam Miklós in den Raum.

"Anne, hättest du gerade so etwa eine Stunde Zeit?" fragte er mich leise. Ich zuckte die Schultern.

"Auch mehr, wenn du willst. Ich habe nichts zu tun. Worum geht es denn?"

"Ich habe Probleme mit einer Jagdgesellschaft." meinte Miklós. "Da sollten übermorgen sechs deutsche Jäger kommen, die vorher schon im Süden gejagt haben – jetzt ist aber heute schon einer angekommen, mit einer Begleitperson, und meint, die anderen kämen nicht, die hätten nur für das Jagdrevier im Süden gebucht und wären schon auf der Heimreise nach Deutschland."

"Und wo liegt das Problem?" wollte ich wissen.

"Das Reisebüro hatte Zimmer im Hotel reservieren lassen, aber eben erst ab Übermorgen und für viel mehr Personen. Der Gast ist heute früh im Hotel angekommen und war natürlich sehr überrascht, daß man ihn nicht erwartet hatte und sein Zimmer auch nicht frei ist. In der Tat ist das Hotel bis Übermorgen voll ausgebucht und ich müßte ihn in ein anderes Quartier bringen. Außerdem muß ich mich darum kümmern, daß die Jagd schon ab morgen stattfinden kann. Sei du bitte so lieb und geh mit Tibi ins Hotel und rede mit dem Mann." Ich war schon aufgestanden und hatte nach meiner Jacke gegriffen.

"OK, Miklós. Wo ist Tibi und mit welchem Wagen fahren wir?"

"Tibi sitzt schon im Lada hinter dem Gebäude und wartet auf dich." meinte Miklós, bevor er schnellen Schrittes verschwand, um sich mit den Jagdaufsehern über das geänderte Programm zu beraten. Ich nahm den Hinterausgang und stieg in den Geländewagen ein.

"Hallo, Anne!" begrüßte mich Tibi. "Hat der Chef dich gehen lassen?"

"Wieso der Chef?" fragte ich erstaunt. "Miklós bat mich, euch zu helfen, das ist doch meine Arbeit! Ich hatte sowieso nichts anderes zu tun, also helfe ich der Jagdabteilung!" stellte ich fest und auch Tibi ließ es dabei bewenden. Wir fuhren ins Hotel, wo ein älterer Herr in Begleitung seiner Frau auf uns wartete. Schnell waren alle Probleme beseitigt, wir begaben uns zu einem anderen Hotel auf der gegenüberliegenden Seite des Nationalparks, welches den beiden in seiner rustikalen Ausführung sogar noch besser gefiel, als das doch ziemlich anonyme, neue Hotel in Hortobágy selbst. Wir sympathisierten schnell und so kam es, daß die beiden mich schließlich überredeten, am Samstag und Sonntag doch bei der Jagd dabei zu sein. Da die Frau nur Begleiterin war, würde sie sich sonst wohl sehr langweilen und so akzeptierte ich, nachdem ich mich vergewissert hatte, daß meine Nachbarin während der zwei Tage auf meine Tochter aufpassen würde. Am Samstag Abend wurden Tibi und ich von dem Paar noch zu einem Abendessen eingeladen, wonach wir freundschaftlich voneinander Abschied nahmen, denn an den folgenden Tagen bis zu ihrer Abreise am Donnerstag würde ich wohl keine Gelegenheit mehr haben, sie zu sehen. Wir tauschten Adressen aus und stehen auch heute noch in freundschaftlicher Verbindung.

Am Montag morgen ließ sich mein Chef zu sich bitten, dazu auch Miklós und Tibi. Mir schwante nichts Gutes, denn es kam fast nie vor, daß sich der Chef um kleine Dinge kümmerte. Als wir alle an seinem großen Tisch saßen, begann er mit aggressiver Stimme zu reden.

"Ich habe Sie drei heute hierher gebeten, weil Dinge vorgehen, die ich nicht akzeptieren kann und werde!" bellte er uns an.

"Anne, meinen Informationen zufolge haben Sie ihren Platz verlassen und sind mit Tibor herumgefahren. Man hat Sie im Hotel gesehen und auch in der Pension! Was hat das zu bedeuten?" Ich mußte leise lächeln.

"Chef, ich habe gearbeitet! Miklós bat mich, ihm bei einem Problem mit einem deutschen Jäger zu helfen und genau das habe ich getan!" Ich erklärte ihm von Anfang an die ganze Geschichte. Am Ende angekommen bestätigten Miklós und Tibi meinen Bericht. Doch der Chef hatte noch einen "Trumpf" in der Hand.

"Das ist ja alles schön und gut – obwohl Sie für die Touristikabteilung arbeiten und mit der Jagdabteilung nichts zu tun haben." murrte er. Da war ich jedoch anderer Meinung.

"Chef, ich arbeite als Übersetzerin für das Staatsgut, vor allem im Winter und nicht nur für die Touristikabteilung. Häufig fertige ich Übersetzungen für die Schilfabteilung an, wie Sie wohl am besten wissen müßten!" fügte ich süffisant lächelnd hinzu, denn er war der direkte Chef auch dieser Branche.

"Außerdem führe ich die von Ihnen angemeldeten Italiener beim Pferdekauf herum und übersetzte, als die neuen Teile für den Schlachthof angekommen sind, habe ich dort mit dem deutschen Ingenieur gearbeitet und auch schon bei der fast unabhängigen Fischzucht als Dolmetscher ausgeholfen – auf Ihren ausdrücklichen Befehl hin. Wo also liegt mein Fehler, wenn ich der Jagdabteilung helfe, zumal ich keine sonstige Arbeit vernachlässigt habe, denn es war keine vorhanden."

Der Chef schluckte die Pille herunter, ohne mit der Wimper zu zucken, aber ich erhielt aufmunternde und anerkennende Blicke von Miklós und Tibi. Doch der Chef gab sich nicht geschlagen.

"Sie haben aber auch das Wochenende mit den Deutschen und Tibor verbracht und sogar mit ihnen zu Abend gegessen! Das ist die Höhe! Wenn Sie jagen wollen, dann melden Sie das gefälligst bei MIR an, ICH suche Ihnen dann einen geeigneten Jagdbegleiter aus!" Da mußte ich dann doch lachen: War der Kerl mir gegenüber etwa eifersüchtig???? Jedenfalls schien es mir so, als könne man dies aus seinen Worten entnehmen! Doch auch hier konnte ich ihm Paroli bieten.

"Erstens: ich habe nicht gejagt, sondern die Frau des Jägers begleitet. Zweitens: was ich am Wochenende in meiner Freizeit mache und mit wem ich wohin gehe, geht Sie gar nichts an und drittens kann ich mich zum Essen einladen lassen, von wem ich will. Die Deutschen haben schließlich für uns bezahlt, also ist alles geregelt! Und wenn ich jagen will," fügte ich noch hinzu, "dann tue ich dies in den Revieren meines Clubs." Daraufhin stand ich auf und auch meine beiden Begleiter erhoben sich, doch wurden sie durch eine Handbewegung das Chefs zurückgehalten.

"Anne, Sie können gehen, aber mit euch beiden habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen!" bellte er sie an. Ich verschwand in mein Zimmer, wo nach einiger Zeit auch die beiden anderen auftauchten.

"Huch, der Kerl spinnt ja total!" flüsterte Miklós mir zu. "Beim Kaffe unterhalten wir uns dann!" meinte er noch, bevor er mit Tibi verschwand. Als wir das heiße Getränk dann mit auf sein Zimmer genommen hatten, berichteten er und Tibi, daß der Chef sie ermahnt hatte, nicht mehr meine Hilfe in Anspruch zu nehmen.

"Das ist doch total lächerlich!" entfuhr es mir. "Im ganzen Staatsgut gibt es nur wenige, die etwas Deutsch sprechen und keinen, der Englisch kann oder gar Französisch! Er kann mir doch nicht verbieten, meine Tätigkeit auszuüben, nur weil er aus einem unerfindlichen Grund nicht will, daß wir zusammenarbeiten!"

"Genauso meinte er es aber!" bekräftigte Tibi.

"Laßt euch nicht auslachen!" rief ich wütend aus. "Ich werde euch auch weiterhin helfen, so wie ich jedem helfe, der meine Sprachkenntnisse in Anspruch nehmen möchte!" Am Ende überzeugte ich die beiden, daß man mich wohl kaum kündigen würde, nur weil ich meine Tätigkeit ausübte, zu der ich vertraglich gebunden war. Und so folgte ich dann auch ostentativ den Rufen der beiden, wenn auch oft genug begleitet von den bösen Blicken meines Chefs, der aber nie wieder wagte, uns zu maßregeln. Ich verstand mich immer besser mit Tibi, wir besaßen viele gemeinsame Interessen und Hobbys. Langsam kamen wir uns näher, doch dann begann für mich die Saison, während der ich außer einigen wenigen, kurzen Ausnahmen nie im Büro zu finden war und Tibi mußte sich auf den Außenstellen um die Nachzucht des Niederwildes kümmern oder Büroarbeiten verrichten. Manchmal, wenn ich mit meinem Pferd von der Arbeit heimkehrte, sah ich sein kleines Auto vor der Dienstwohnung stehen und schaute dann auf ein kurzes Gespräch bei ihm herein, bevor ich meine Tochter aus dem Kindergarten abholte. Manchmal kam Tibi auch an den Wochenenden bei uns vorbei, dann kochte ich ihm seine Lieblingsspeisen und wir machten einen gemütlichen Ausflug mit Kind und Kegel zu einem uns noch unbekannten Platz. Langsam wurde aus Kameradschaft Freundschaft und irgendwann einmal geschah es, daß wir unsere Liebe zueinander entdeckten.

 

Jetzt gab es also doch noch ein Happy-End für "Piroska".

 

Aber das Leben nahm seinen Lauf und wir mußten ihm folgen.

Schon vor meiner Heirat war klar, daß ein neues Abenteuer bevorstehen würde. Wir würden in ein fernes Land umziehen, eine neue Sprache lernen müssen, alte Freunde - zwar nicht verlieren, aber doch nur noch selten sehen - neue Freunde kennenlernen. Aber ich hatte ja schon einmal alle meine alten Lebensweisen über Bord geworfen, um ein neues Leben zu beginnen, also dürfte es mir auch jetzt nicht zu schwer fallen.

 

Und doch:

Mein Herz und meine Seele gehören der Puszta, ihren Menschen und Tieren, der Natur und der unendlichen Weite!

 

Und eines nicht mehr allzufernen Tages wird das Heimweh nach einer Heimat, die es nur dem Herzen und der Seele nach ist, größer sein als aller gesunde Menschenverstand - und ich werde zurückkehren!

Zurückkehren zu den Wurzeln allen Seins, wo Gefühle stärker sind als der Versuch, ihren Ursprung zu erklären!

 

Heim! - In die Puszta! - Meine Puszta!