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  Dianas Traum 1
 

 

Maureen O'Kelly 

 

Dianas Traum

 

Fantasy-Roman

© 2001 by Maureen O'Kelly

Alle Rechte der Verbreitung und Übersetzung, auch durch Film, Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art sind vorbehalten.

 

Die schmale Gestalt bewegte sich tief gebückt und leichten, vorsichtigen Schrittes durch das dichte Unterholz. Kein Ast zeichnete eine auch noch so leichte Bewegung und selbst die Luft schien momentan erstarrt zu sein. Plötzlich hielt die Gestalt ruckartig inne: vor ihr zeigte sich eine winzige, mit einem ungeübten Auge kaum wahrnehmbare Öffnung im dichten Gestrüpp. Die Gestalt spähte mit scharfem Blick hinaus auf die kleine Lichtung, die sich vor ihrem Auge öffnete und gewahrte den starken Rehbock, der ruhig äsend im Licht der Sonne vor ihr stand. Mit unendlicher Vorsicht, ohne den geringsten Laut, entsicherte die Gestalt das Gewehr, welches sie schon seit geraumer Zeit in den Händen hielt und schaute durch das Zielfernrohr. Kein Laut drang zu dem Tier hinüber, als es nun im Fadenkreuz erschien. Und doch hielt es für einen winzigen Augenblick mit dem Äsen inne und hob den Kopf, als habe es die lauernde Gefahr erahnt. Plötzlich ein leiser Knall, der Bock sprang hoch flüchtend auf, nicht wissend, daß er eigentlich schon tot war, machte noch zwei torkelnde Schritte und brach dann im Feuer zusammen. Die Gestalt im Unterholz wartete reglos und mit angehaltenem Atem noch einige Augenblicke, dann schob sie sich, ohne Rücksicht auf ihre Kleider zu nehmen, durch die spitzen Dornen der Brombeerenhecke und schritt forsch zu ihrer Beute. Als sie sich überzeugt hatte, daß der Bock tot war, brach sie einen kleinen Zweig von einem niedrig hängenden Ast ab, schob einen Teil davon dem Bock zwischen die Äser, einen anderen Teil tauchte sie in den Schweiß, welcher langsam aus der nicht allzu großen Wunde sickerte und steckte es sich an den sichtbar von Wind, Wetter, Sonnenschein und langem Tragen sehr mitgenommenen Hut, an welchem schon einige Federn von verschiedenen Vögeln steckten. Plötzlich hörte man eilig näherkommende Schritte im Unterholz: eine andere, hohe Gestalt in grüner Kleidung trat offen und ohne Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen auf die Lichtung und ging direkt auf die erste Gestalt zu.

"Weidmanns Heil, Diana!" sagte die zweite Gestalt zu der ersten und diese erwiderte lächelnd mit angenehmer Stimme:

"Weidmanns Dank, Roger!" Dann machten sich die beiden Jäger daran, den Bock fachgerecht aufzubrechen und für den Transport vorzubereiten. Für die junge Jägerin, die von ihrem Gefährten Diana genannt wurde, war es das erste edle Wild, welches sie erlegen konnte, bisher hatte ihre Beute lediglich aus Hasen, Fasanen, Rebhühnern, Enten oder Wildkaninchen bestanden.

 

Diana Erdei hatte vor einigen zwanzig Jahren in der Weite der ungarischen Puszta das Licht der Welt erblickt. Ihr Vater, ein begeisterter Jäger, hatte ihr sowohl den Respekt vor der Natur als auch die Liebe zur Jagd vermittelt. So wuchs das junge Mädchen glücklich und unbesorgt unter Pferden, Falken und Jagdhunden heran. Bis zu jenem schrecklichen Tag, als ihr Vater von einem Jagdausflug mit Freunden in den Karparten nicht mehr zurückkehrte. Den "bedauerlichen Jagdunfall" konnte die Witwe, Dianas Mutter, nicht vergessen, sie verließ das Land an der Seite eines ausländischen Freundes ihres Mannes, der diesen an dem schrecklichen Tag begleitet hatte, die kleine Tochter, die gerade erst ihren zwölften Geburtstag gefeiert hatte, nahmen sie mit. Auf Wunsch des Stiefvaters, mit dem sie sich nie sonderlich gut verstanden hatte, wuchs Diana in einem Internat auf, welches zwar zu den besten des Landes gehörte, ihr aber wie ein Gefängnis vorkam. Später, nach Abschluß der Schule, fand sie Arbeit als Übersetzerin, ein Beruf, der ihr genügend Freizeit ließ, ihren Hobbys zu frönen. Sie kaufte mit ihrem väterlichen Erbe und einem geringen Zuschuß ihrer Mutter einen kleinen Bauernhof, weit entfernt von der Stadt wo sich die Mutter mit ihrem zweiten Mann niedergelassen hatte und umgab sich dort mit ihren Tieren. Edle Pferde, Jagdhunde, Frettchen und Beizfalken lebten hier miteinander, aneinander gewöhnt durch die liebevollen Bemühungen der jungen Frau.

Seit einiger Zeit nun begleitete sie auf ihren Unternehmungen ein junger Mann, Roger Dupont, ein ebenso passionierter Jäger wie Diana, der sich mit der Zeit mehr erhoffte, als nur ihre Freundschaft. Diana jedoch schien seine Avancen zu ignorieren, lebte sie doch teilweise mehr in einer Traumwelt, die sie um sich herum aufgebaut hatte, als in der Wirklichkeit.

"Komm, ich helfe dir, den Bock zum Wagen zu bringen," meinte Roger und wollte das Wild hochnehmen, doch Diana ließ ihn mit einer anmutigen Bewegung innehalten.

"Vielen Dank, Roger, aber das ist mein erstes Stück Hochwild, ich möchte meinen Triumph voll auskosten, werde es also selbst zum Wagen bringen."

"Wie du meinst," schüttelte der junge Mann achselzuckend den Kopf. "Er wird dir aber ziemlich schwer werden, denn die Kutsche steht in einiger Entfernung."

"Keine Bange, das schaffe ich schon, ich bin ziemlich austrainiert, weißt du." wies ihn Diana zurecht. Sie band nun die Füße des Tieres zusammen und hängte sich die Beute über die Schulter. Daß sie dabei ihre schöne, lederne Jagdweste beschmutzte, schien ihr nichts auszumachen, ebensowenig, daß ihre Hände, obwohl sie sie an einigen großen Blättern und im feuchten Gras notdürftig gereinigt hatte, mit Blut bedeckt waren und auch nicht gerade nach Lavendelwasser rochen. Roger konnte es immer noch nicht ganz verstehen, warum diese zierliche junge Frau mit den dunklen, fast schwarzen Haaren, die ihr normalerweise in langen Locken über die Schulter bis weit auf den Rücken hinab fielen, heute jedoch zu einem Knoten im Nacken geschlungen waren und nur einzelne kleine Strähnen unter dem grünen Hut mit weiter Krempe hervorlugten, so anders war, als die jungen Frauen, die er bisher kennengelernt hatte. Gewiß, Dianas Schönheit bestand nicht nur in ihren Haaren, sie besaß einen perfekten Körperbau, schmal, aber doch muskulös, ihr ausdrucksvolles Gesicht wurde beherrscht von einem Paar dunkler Augen unter dichten, schön geschwungenen Brauen, die je nach Lichteinfall manchmal sogar lila schimmerten und ebenso sanft blicken, wie auch vor Wut Funken werfen konnten. Die kleine Nase hatte fast etwas aristokratisches an sich, ebenso die schöngeformten Ohren. Ihr Mund war breit mit vollen, roten Lippen, die gerne lachten, sich aber auch zu einem schmalen Strich zusammenziehen konnten, wenn Diana ärgerlich war. Ihre Haut war von einem matten Braun, was ihr zu Zeiten einen zigeunerhaften Anstrich gab, wer weiß, vielleicht hatte ja vor Generationen eine Bohèmienne den Kopf eines ihrer Vorfahren verdreht.

 

Roger Dupont schritt eiligen Fußes der jungen Frau nach, die scheinbar mühelos das schwere Stück Wild über den unebenen Boden den langen Weg bis zur Kutsche trug.

"Ich mag keine Autos hier im Wald!" hatte sie immer wieder gesagt und deshalb ihre beiden Reitpferde Orestes und Apollo auch zu Kutschpferden ausgebildet. Brav warteten die beiden Rappen nun vor dem leichten Gefährt, bis ihre Führerin wieder erschien. Diana sah sich mehr als Kamerad, denn als Herrin ihrer Tiere, was diese ihr mit unverbrüchlicher Treue und tiefem Vertrauen dankten. Am Wagen angelangt, warf sie den Körper des Bockes mit einem gekonnten Schwung ihrer Schulter auf den dafür am hinteren Teil der Kutsche angebrachten Rost und wartete auf Roger, der soeben unter den Bäumen hervorkam.

"Du hast es ja ganz schön eilig, mit deiner Beute nach Hause zu kommen," rief er schmunzelnd, als er sah, daß seine Gefährtin schon auf dem Kutschbock Platz genommen hatte.

"Steig lieber auf, deine Reden kannst du auch von hier aus schwingen," lächelte Diana und gab den beiden Pferden das Zeichen zur Abfahrt. Roger schwang sich geschmeidig auf den Sitz neben der jungen Frau, dann ging es im munteren Trab zum Hof.

"Ich habe mit Monsieur Maurice gesprochen," meine Roger während sie über den holperigen Waldweg rollten, "er will dich einladen, an seinem mittelalterlichen Fest mit deinem Pferd und den Falken teilzunehmen, auch deinen Hund könntest du mitbringen, wenn du willst, hat er gemeint." Diana schaute ihren Gefährten an.

"Und warum will er mich jetzt so unverhofft einladen? Als ich ihm letztes Jahr geschrieben habe, daß mich sein Fest interessiert, hat er mich keiner Antwort gewürdigt, dein Monsieur Maurice!" Sie war noch immer verärgert über die Haltung des Organisators der mittelalterlichen Festspiele, war sie doch eine begeisterte Anhängerin jedweden Kostümfestes und stand sie jederzeit bereit, mit ihren Tieren daran teilzunehmen. Daß gerade der Verantwortliche eines der größten Feste dieser Art in ihrer Region sie mit Nichtachtung strafte, war ihr ein Dorn im Auge.

"Ich glaube, er hat dich auf dem Karnevalsumzug gesehen und seine Mitarbeiter haben von dem lebenden Bild geschwärmt, welches du auf dem Tag des Pferdes letztes Jahr zur Schau gestellt hast. Das muß ihn überzeugt haben." Diana wollte schon schmollend abweisen, doch bot ihr die Aussicht auf Teilnahme an einem der größten Ritterfestspiele der Gegend Aussicht auf die Verwirklichung eines ihrer Träume und so verzog sie nur mißbilligend das Gesicht.

"Nun gut, ich werde kommen, will aber noch eine persönliche Einladung von diesem Monsieur Maurice erhalten, sonst werde ich trotz allem nicht mitmachen!" schloß sie ihre Überlegungen ab. Der junge Mann an ihrer Seite nickte nur zufrieden.

"Du wirst deine persönliche Einladung erhalten, Diana. Und glaube mir, auch ich bin gespannt, was du dir zu diesem Thema als Kostüm und Schaubild einfallen lassen wirst."

"Da kannst du lange warten, Roger! Mein Geheimnis wird wie immer erst am Tag des Festes gelüftet!" meinte die junge Frau, dann versanken sie in nachdenkliches Schweigen. Die Rappen zogen die leichte Kutsche sicher über die breiten Waldwege, die hohen Bäume, die den Weg säumten, bildeten ein lichtes Blätterdach über ihren Köpfen, durch welches von Zeit zu Zeit die Sonne nun einen schmalen Lichtstreif schickte. Der Morgen machte dem warmen Vormittag Platz und später würde es sogar richtige sommerliche Hitze geben.

Nach einiger Zeit gelangten sie zu dem kleinen Hof, den Diana ihr Eigen nannte. Sie bog zu den Ställen ein, nachdem sie den Rehbock vor dem Eingang des Wohnhauses abgelegt hatte. Dort schirrte sie die beiden Pferde aus, brachte sie in den Auslauf und vergewisserte sich, daß sie genügend Wasser in der Tränke hatten. Mit Rogers Hilfe brachte sie dann die Kutsche in die Remise, bevor sie sich dem Wild widmete. Als die Arbeit des Abdeckens und Zerkleinerns der Beute vollbracht war, säuberte sie den Vorplatz von den Spuren ihres Tuns und zog sich ins Haus zurück, um nun auch selbst den Komfort einer heißen Dusche zu genießen. Den jungen Mann hatte sie vorher freundlich verabschiedet und dieser war nach Hause zurückgekehrt.

Am Nachmittag saß Diana im Schatten einer kleinen, lauschigen Gartenlaube mit Blick auf die großen Koppeln und überlegte sich, welches lebende Bild sie wohl zu dem großen Fest zeigen sollte. Sie hatte mehrere Kostüme zur Auswahl, scheute sich aber nicht davor, auch ein neues zu diesem Anlaß anzufertigen. Am besten gefiel ihr noch immer die Verkleidung als Beduine, die sie schon vor einiger Zeit geschneidert hatte. Dazu passend besaß sie original arabisches Sattel- und Zaumzeug und eine Bekannte würde ihr zwei arabische Windhunde, Salukis, zur Verfügung stellen, um das Bild zu vervollständigen. Schließlich entschloß sie sich jedoch nach einigem Zögern, einem Traum Gestalt zu verleihen, der sie schon öfter im Schlaf begleitet hatte. War sie schon im Wachen von romantischem Gemüt, so konnte sie sich in ihren Träumen erst richtig ausleben. Seit einiger Zeit hatte sie nun einen Traum, der sich jedes Mal fast identisch wiederholte. In einem wunderbaren Land, wo Frieden und Freiheit herrschten, stand ein schönes Schloß, dessen junger Herr Diana in Liebe zugetan war und sie erwiderte diese Zuneigung. An Einzelheiten konnte sie sich beim Erwachen nie erinnern, doch die Gestalt des Prinzen war vor ihrem inneren Auge lebendig: ein junger Mann von hohem und edlem Wuchs, sein Gesicht von dunklen Locken umrahmt, mit einem kleinen, wohlgepflegten Bärtchen über der Oberlippe, besaß er dunkle Augen unter schöngeschwungenen, dichten Brauen und eine edle Nase. Diana sehnte sich nach diesem Traummann, suchte ihn bei jeder Begegnung in ihrem Gegenüber zu entdecken und mußte enttäuscht feststellen, daß er wohl doch nur in ihren Träumen und Wünschen existierte.

Sie entwarf mit wenigen, aber gekonnten Strichen die Skizze eines Kostüms, welches ganz dem glich, welches ihr Traummann trug, denn sie zog es seit langem vor, männliche Verkleidungen anzulegen. Schnell waren auch Schabracken und Zügelbehänge für ihr Pferd ausgedacht, all das schien aus einem Gemälde zu entspringen, welches Szenen am Hofe Ludwig XII. zeigte. Der König war bekanntermaßen ein großer Jäger, der die Falknerei der Parforcejagd vorzog. Und Beschreibungen seiner glänzenden Feste hatten schon immer einen großen Eindruck auf Diana gemacht. An einem der nächsten Tage fuhr sie mit ihrem kleinen Auto, das während langer Jahre ihrem Stiefvater als Fortbewegungsmittel gedient hatte, und welches dieser ihr großzügig überlassen hatte, als er sich einen neuen Wagen kaufte, in die Stadt, um sich Stoffe auszusuchen. Was sich als sehr schwierig erwies, denn ihren Vorstellungen entsprach keiner der angebotenen, modernen Stoffe. Erst in der Abteilung für Polsterei und Vorhänge fand sie die schweren Samte und Brokate, die für ihr Vorhaben erforderlich waren. Schwerbeladen machte sie sich auf den Heimweg.

 

Der große Tag war gekommen! Sorgfältig prüfte Diana noch einmal alle Einzelheiten ihrer Verkleidung. Dann sattelte sie ihren Rappen und nahm ihren Falken auf die Faust. So legte sie die wenigen Kilometer bis zum Ort des Festes zurück. Dort waren schon viele andere Teilnehmer versammelt, bunte Kostüme leuchteten in allen Farben, Musikkapellen spielten und Pferde wieherten aufgeregt. Auch Apollo spitzte die Ohren, schritt aber ruhig weiter, ohne sich um die vielen Zuschauer und den Lärm zu kümmern. Auf dem Festplatz angelangt, stellten sich die einzelnen Gruppen der Jury, bevor sie sich zum großen Umzug formierten. Dianas Verkleidung und Darstellung einer Szene aus der Beizjagd zur Zeit Ludwig XIII. erregte allgemeine Bewunderung. Der Rappe war mit einer wunderschönen Brokatdecke über dem Sattel geschmückt, in die Szenen der Jagd zu Pferd gewebt waren. Auch das Kopfstück und die Zügel waren mit dem gleichen Stoff überzogen. Diana war mit einer weißen Bluse bekleidet, deren Kragen und Ärmel mit breiten Rüschen verziert waren, dazu eine lange Jacke aus grünem Samt, mit goldenen Litzen geschmückt und einem breiten Kragen. Auf ihren Locken saß ein schwarzer Dreispitz, von dem lange Reiherfedern wehten. Ihre schlanken Beine steckten in braunen, eng anliegenden Hosen und braunen Lederstiefeln mit bis über die Knie reichenden Stulpen. Die linke Hand war von einem wunderschön verzierten Falknerhandschuh aus weiß gegerbtem Hirschleder mit grünem Besatz geschmückt. Darauf saß ihr Falke, den Kopf unter einer fein gearbeiteten, dunkelroten Lederhaube verborgen, die von einem kleinen Strauß heller Federn gekrönt wurde. Stolzen Schrittes paradierte das Pferd unter seiner Reiterin vor den Juroren. Aber der Höhepunkt sollte noch kommen: Mit einer geschickten Bewegung nahm Diana die Haube vom Kopf des Vogels und gab die Fesseln frei, die sie bis jetzt in der Hand gehalten hatte. Der Falke schüttelte sich kurz, dann schwang er sich mit einer eleganten Bewegung in die Lüfte. Ein AH! der Bewunderung ging durch die Zuschauer, als der Vogel schnell an Höhe gewann und sich dann mit leichtem Schwingenschlag genau über der Reiterin zentrierte. Diana ließ ihm ein wenig Zeit, sich zu orientieren, dann holte sie das Federspiel aus der Falknertasche, die an ihrer Seite hing und schwang es in weitem Bogen an der Seite des Pferdes. Der Falke gewahrte das ihm bekannte Stück ausgestopften Leders, dessen Seiten mit Fasanenfedern besetzt waren, um noch mehr den Eindruck einer echten Beute zu erwecken, und kam in schnellem Flug herab. Kurz bevor er jedoch am Ziel war, zog Diana mit einer geschickten Bewegung das Federspiel vor seinen Fängen zur Seite, der Greif steilte schwungvoll auf und das Spiel begann von Neuem. Nach einer Weile wartete Diana auf einen passenden Moment, dann schleuderte sie das Federspiel hoch hinaus, um dem Falken Gelegenheit zu geben, es im Flug zu ergreifen, was dieser auch mit großem Geschick tat. Mit seiner Beute kam er dann auf den Boden, wo die junge Frau ihn schon erwartete, die Zügel ihres Pferdes vertrauensvoll freigebend, und sich zu ihm herabbeugte, um ihn mit einem Stück Fleisch zu belohnen und wieder auf den Handschuh zu nehmen. Lauter Applaus belohnte ihre Vorführung und die Fotoapparate der Journalisten knackten wie Gewehrfeuer, als sie nun wieder zu Pferde stieg und sich in den Festzug einreihte.

Am nächsten Morgen sah sie dann ihr Foto in der Zeitung und mußte zugeben, daß sie selbst so, in schwarzweiß, keinen schlechten Eindruck machte. Doch die Freude sollte nicht lange anhalten, denn schon bald klingelte das Telefon und als sie den Hörer abhob herrschte sie eine unbekannte Stimme an.

"Sind Sie Diana Erdei? Und haben Sie am Sonntag die Ritterspiele mit ihrem Beizvogel besucht und dort eine Vorführung abgehalten?" Diana schwieg einen Augenblick verblüfft, wer konnte wohl der unhöfliche Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung sein, der es sogar unterließ, sich vorzustellen?

"Guten Tag, ja, ich bin Diana Erdei - und wer sind sie?" fragte sie mit ihrer wohlklingenden Stimme den Unbekannten.

"Antworten sie auf meine Fragen, bevor sie selbst welche stellen!" wies sie die Stimme barsch zurecht. Einen Moment lang war Diana versucht, den Hörer einfach aufzulegen, doch dann beherrschte sie sich.

"Sie haben mich ja wohl selbst dort gesehen, sonst wüßten sie nicht, wer ich bin!" antwortete sie knapp.

"Sie irren sich, ich habe nur die Zeitung gelesen, die sie namentlich als Preisträgerin erwähnt, mitsamt dem Falken auf dem Foto." meinte der Mann streng. "Der Grund meines Anrufes ist aber folgender: Ich bin von der Behörde, die ihnen die Halterbewilligung für den Falken ausgestellt hat - und die gilt nur für die Beizjagd!" Bei seinen letzten Worten erschrak die junge Frau, hatte sie doch nie angenommen, daß eine Teilnahme an einem Kostümfest für ihren Beizvogel reglementiert sein könnte. Doch der Mann ließ sie nicht zu Wort kommen sondern bellte nur noch lauter in den Hörer.

"Sie wissen wohl, daß sie sich damit eines Vergehens gegen die gesetzlichen Bestimmungen schuldig gemacht haben, welches von meiner Behörde streng geahndet werden wird! Wo kommen wir denn hin, wenn jeder das mit seinen Falken macht, worauf er gerade Lust verspürt! Und solche Veranstaltungen sind meiner Behörde schon lange ein Dorn im Auge - wenn sie verstehen, was ich meine!" Diana jedoch verstand seinen Zorn nicht und wagte dies auch in Worte zu fassen.

"Ich kann mich in ihre Gedanken nicht hineinversetzten," meinte sie. "Ich habe weder in einer Zeit außerhalb der Jagdsaison mit meinem Falken gejagt, noch eine öffentliche Vorführung gegen Entgelt veranstaltet - ich habe lediglich auf Einladung hin an den Festspielen teilgenommen mit einem sogenannten "lebenden Bild" - wo ist da meine Verfehlung?" wollte sie wissen. Doch der starrköpfige Beamte weigerte sich, genaue Auskunft zu geben.

"Sie haben gegen das Gesetz gehandelt und können von Glück sagen, daß dies ihre erste Verfehlung dieser Art ist, die nur mit einer Geldbuße belegt wird - im Wiederholungsfalle jedoch sehen wir uns gezwungen, den Vogel zu konfiszieren und ihnen die Ausübung der Beizjagd zu verbieten!" herrschte er sie an. "Ich werde ihnen einen Bußgeldbescheid zusenden, den sie innerhalb von acht Tagen zu bezahlen haben, andernfalls ich die genannten Schritte gegen sie einleiten werde!" - Knack! er hatte abgehängt, noch ehe Diana ein weiteres Wort sagen konnte. Mit zitternden Händen legte sie den Hörer auf, ihr Herz schlug wie wild. Das waren ja schöne Aussichten! Glücklicherweise wußte der Mann scheinbar nichts von ihren anderen, weit zurückliegenden oder in einem anderen Departement stattgefundenen Teilnahmen an solchen Veranstaltungen mit ihren Vögeln. Aber der Schreck saß tief! Niemand hatte sie je aufgeklärt, als sie die Jagd- und Haltererlaubnis beantragt hatte, daß diese nur und ausschließlich für die Beizjagd Gültigkeit habe! Sie beschloß, das Bußgeld anstandslos zu zahlen und sich dann zu erkundigen, wie sie eine Erlaubnis für die Teilnahme ihrer Vögel an Festen erhalten könne. Als am nächsten Tag der Postbote den Brief mit dem Stempel der Behörde brachte, öffnete Diana ihn mit zitterigen Fingern. Das Schreiben bestand nur aus wenigen Zeilen, die den Tatbestand erläuterten, dann folgte die Summe des Bußgeldes, bei der Diana ein Schrei der Entrüstung entfuhr. Die Strafe betrug mehr als ein halbes Monatsgehalt der jungen Frau! Zum Glück hatte sie im Frühsommer die Nachzucht ihres Falkenpaares gut verkaufen können, von diesem Geld war ihr noch ein Rest verblieben, der etwas weniger war, als die zu zahlende Strafe. Schweren Herzens stellte Diana einen Scheck in der Höhe der geforderten Summe aus und adressierte den Umschlag an die Behörde, nicht ohne auf einem weiteren Blatt anzufragen, wie sie denn in Zukunft an Festspielen und Umzügen mit ihrem Falken teilnehmen könne. Nach einigen Wochen erhielt sie die Antwort. Man teilte ihr mit, daß sie mit Beizvögeln nur an der Beizjagd teilnehmen dürfe, es stünde ihr aber frei, sich einen weiteren Falken zuzulegen und für diesen eine Erlaubnis für "vereinzelte Vorführung vor Publikum - zu präzisieren, ob immer am selben Ort oder an verschiedenen Plätzen" zu erwirken. Dieses Tier dürfe jedoch dann ausschließlich zu diesem Zweck benutzt werden und nicht etwa auch als Jagdvogel geflogen werden. Diana zerknüllte das Schreiben und warf es wutentbrannt in eine Ecke ihres Zimmers. Wie sollte sie einen Falken vorführen, der nie jagdlich abgerichtet werden durfte, folglich also auch keinerlei Neigung verspüren würde, zu seiner Falknerin zurückzukehren. Oder dachten die Behörden gar an einen Vogel, der nie von der Faust gelassen werden durfte? Armes Tier! Dann lieber schweren Herzens auf alle weiteren Teilnahmen an solchen Veranstaltungen verzichten! Ihr blieben zwar immer noch Feste, wo sie Pferde und Hunde präsentieren konnte, doch irgend etwas würde immer fehlen, eine Leere hinterlassen, die nur der Falke ausfüllen konnte. So zog sie sich noch mehr in sich selbst zurück, lebte fast nur noch in ihrer Traumwelt. Selbst an ihrem Arbeitsplatz in dem kleinen Büro für Übersetzungen bemerkte man ihre Wandlung. Juliette, ihre Kollegin, die für die spanische und portugiesische Sprache zuständig war und genau gegenüber von Diana saß, sprach es eines Tages auch aus, als die beiden Frauen sich in der Mittagspause bei einem schnellen Imbiß trafen.

"Diana, ich kenne dich nun schon einige Jahre, aber so verschlossen habe ich dich noch nie erlebt. Ist etwas geschehen, was dich bedrückt?" fragte die kleine Blonde und ließ ihre Augen fragend auf Diana ruhen. Diese schüttelte den Kopf.

"Danke der Nachfrage, Juliette, aber mir geht es gut und es ist auch nichts passiert. Ich führe nun einmal ein etwas anderes Leben, als ihr hier und manchmal fällt es mir schwer, mich wenigstens ein wenig anzupassen."

"Ich weiß schon, was du damit ausdrücken willst," meinte die Kollegin, "aber in den letzten Wochen hast du dir so etwas wie einen Panzer um dich herum aufgebaut und scheinst auch sehr oft während der Bürostunden geistig abwesend zu sein." Diana fuhr auf.

"Hat sich der Chef etwa über meine Arbeit beschwert?" fragte sie ängstlich. Juliette winkte schnell ab.

"Nein, nein! Deine Arbeit ist wie immer korrekt und ordentlich. Mir ist lediglich aufgefallen, daß du noch weniger als sonst mit den Kolleginnen sprichst und an keiner unserer Aktivitäten mehr teilnimmst, sondern immer sofort nach Büroschluß wegfährst. Deshalb meine Frage, ob du etwa Probleme hast, ich würde dir gerne helfen, sie zu lösen."

"Vielen Dank, Juliette. Aber es gibt wirklich keinen Anlaß zur Sorge! Ich habe nur zur Zeit sehr viel Arbeit auf dem Hof und mit meinen Tieren. Da weiß ich kaum, wo mir der Kopf steht und bin wahrscheinlich auch manchmal ein wenig müde, aber das wird sich schon wieder geben." meinte Diana ausweichend. Die wahren Gründe ihrer derzeitigen Gemütsverfassung konnte und wollte sie mit keinem anderen Menschen teilen, schon gar nicht mit der ewig plappernden Juliette. Natürlich war sie in gewisser Hinsicht ein Außenseiter. Welche junge Frau fand schon daran Gefallen, allein mit ihren Tieren auf einem abgelegenen Hof zu leben, zu jagen und Falken abzurichten? In ihrem Alter waren die meisten jungen Frauen schon verheiratet und mit einer Menge Kinder umgeben, doch vorläufig verspürte Diana nicht den Wunsch, ihrem Leben eine andere Richtung zu geben. Nein, ihre Verschlossenheit hatte andere Gründe. Sie konnte einfach nicht so drauflosreden, wie die meisten ihrer Kolleginnen, die stundenlang über nichtssagende Themen heiß diskutieren konnten, die sich wöchentlich zweimal beim Friseur trafen oder gemeinsame Kochabende veranstalteten. Auch die sonntäglichen Ausflüge in ein Café oder der Besuch einer Tanzveranstaltung sagten der jungen Frau nichts, die lieber die frische Luft der Natur atmete als den verqualmten Dunst der geschlossenen Räume und der es leichter fiel, sich mit ihren Tieren zu verständigen, als mit Gleichaltrigen in Kontakt zu kommen.

"Na schön," seufzte die blonde Kollegin. "Hoffentlich hast du bald weniger Arbeit und mehr Zeit fürs Vergnügen."

"Ja, das hoffe ich auch!" bekräftigte Diana, die bei Vergnügen an ganz andere Dinge dachte, als ihre Kollegin ahnen konnte. So verging die Zeit und jedes Mal, wenn Diana von dem jungen Mann geträumt hatte, besserte sich ihre Laune für einige Zeit und eine große innere Ruhe erfüllte sie. Dann gab sie auch manchmal dem Drängen ihrer Kolleginnen nach und nahm an einem Kaffeekränzchen teil. Doch selbst dann entschuldigte sie sich schon nach kurzer Zeit mit dem – zum Teil wahren - Vorwand, ihre Tiere müßten versorgt werden und überließ die schwafelnden Kolleginnen sich selbst. An einem Montagmorgen saß Diana gerade über einer schwierigen technischen Übersetzung, als der Chef ins Zimmer trat.

"Guten Morgen, Fräulein Erdei. Wie ich sehe, sind Sie gerade sehr beschäftigt, trotzdem möchte ich Sie bitten, in zehn Minuten in mein Büro zu kommen." Die junge Frau blickte erstaunt auf, denn es kam nur sehr selten vor, daß der Chef eine von ihnen in sein Büro bat. Was er zu sagen hatte, sagte er normalerweise in Gegenwart aller. Trotzdem nickte sie sofort.

"Ich werde pünktlich dort sein, Chef!"

"Danke, Fräulein Erdei!" sagte der Mann kurz angebunden, bevor er die Tür wieder hinter sich schloß.

"Was kann er nur von dir wollen?" wunderte sich Juliette laut und auch die anderen Frauen schauten neugierig auf Diana.

"Ich habe nicht die geringste Ahnung!" meinte Diana achselzuckend. "Aber in ein paar Minuten werde ich es ja wohl erfahren." Damit wendete sie sich wieder ihrer Arbeit zu. Doch die Übersetzung wollte ihr nicht mehr so leicht von der Hand gehen, denn ihre Gedanken jagten sich. Was hatte das zu bedeuten? Sollte ihr gekündigt werden? Und was dann? Wie sollte sie genug Geld auftreiben, um ihr Leben so wie bisher fortsetzen zu können? Wo schnell einen anderen Arbeitsplatz finden? Oder was sonst konnte der Chef ihr vertraulich sagen wollen? Doch ihre Überlegungen führten selbstverständlich zu keinem Ergebnis und so erhob sie sich endlich von ihrem Platz und begab sich in das Büro des Chefs. Nachdem sie angeklopft hatte und das "Herein" von drinnen erklungen war, öffnete sie die schwere Holztür und trat ein. Der Chef saß hinter einem großen, modernen Schreibtisch und hatte mehrere dicke Ordner vor sich liegen.

"Nehmen Sie Platz, Fräulein Erdei!" bat er sie und Diana setzte sich auf den einzigen Stuhl, welcher vor dem Schreibtisch stand. Fragend schaute sie ihr Gegenüber an, einen Mann von einigen vierzig Jahren, dessen braune Haare an den Schläfen schon anfingen zu ergrauen und dessen Gesichtsausdruck zwar immer streng aussah, mit leicht gerunzelter Stirn, schmalen Augen und eng zusammengekniffenen Lippen, der jedoch immer völlig korrekt gegenüber seinen Angestellten agierte.

"Sie werden sich vielleicht wundern, daß ich Sie zu mir gebeten habe, aber ich ziehe es vor, dieses Gespräch unter vier Augen zu führen." Dianas Verwunderung wuchs von Minute zu Minute. Wozu diese Einführung? Oder wollte der Mann etwa persönlich werden? Diana wußte zwar aus Gesprächen mit ihren Kolleginnen, daß der Chef verheiratet war, aber auch nicht mehr. Ihre Hände wurden langsam feucht, ein Phänomen, welches ihr selbst in den aufregendsten Augenblicken der Jagd nicht passierte! So nickte sie nur kurz.

"Ich muß zugeben, ich war etwas verwundert, als Sie mich vorhin zu sich baten."

"Das kann ich mir vorstellen." bekräftigte ihr Gegenüber. "Doch lassen Sie es mich Ihnen erklären." Er räusperte sich leicht und öffnete einen der Ordner, der vor ihm lag.

"Ich möchte voran schicken, daß ich mit Ihrer Arbeit vollständig zufrieden bin und glücklich, eine Übersetzerin für die ungarische Sprache zur Verfügung zu haben, auch wenn es nicht immer ausreichend Arbeit für Sie gibt. Außerdem ist es ein großer Vorteil, daß Sie ja auch englisch sprechen und so ihrer manchmal überlasteten Kollegin helfen können." Diana nickte leicht und bereitete sich auf die Fortsetzung der Rede ihres Chefs vor. Diese ließ auch nicht lange auf sich warten.

"Trotzdem muß ich Sie vor eine Wahl stellen, voran schicken möchte ich jedoch, daß Sie nicht die einzige Betroffene sein werden: Entweder Sie arbeiten fortan als selbständige Mitarbeiterin, bezahlt pro erledigtem Auftrag, von zuhause aus oder wir müssen Ihnen leider kündigen." Diana steckte den Schlag ein, ohne mit der Wimper zu zucken.

"Das heißt, ich werde meine Beiträge regelmäßig selbst entrichten müssen aber unregelmäßige, unkalkulierbare Einkünfte haben?"

"Ja, so ist das. Oder aber Sie akzeptieren die Kündigung, genießen eine Zeitlang das Recht auf Arbeitslosengeld und suchen sich zwischenzeitlich einen neuen Arbeitsplatz." nickte der Chef. Diana überlegte kurz.

"Welche Chancen werde ich haben, einen neuen Arbeitsplatz zu finden?" Der Mann ihr gegenüber zuckte mit den Schultern.

"Die meisten Übersetzungsbüros arbeiten heute mit unabhängigen Mitarbeitern, also so, wie ich es Ihnen hier anbiete. Die Lage auf dem übrigen Arbeitsmarkt kennen Sie so gut, wie ich." Das stimmte und Diana wußte sehr genau, daß es sehr schwer sein würde, in angemessener Zeit eine neue Stelle zu finden. Die Region hatte einen sehr hohen Arbeitslosenanteil mit wenig angemessenen freien Stellen, die hauptsächlich an Auszubildende und Langzeitarbeitslose vergeben wurden und die junge Frau war nicht gewillt, Haus und Hof aufzugeben und in eine andere Gegend zu ziehen und dort ihr Glück zu versuchen. Aber zuerst mußte sie alles ganz genau ausrechnen.

"Wann müssen Sie meine Antwort haben?" wollte sie von ihrem Chef wissen.

"Bis Ende der Woche" war die knappe Antwort. Diana nickte mit einer kleinen Grimasse.

"Sie werden meine Antwort Freitag früh erhalten."

"Danke, Fräulein Erdei." Damit war sie entlassen. Im Gang mußte sie sich einen Augenblick gegen die Wand lehnen, denn ihr wurde plötzlich schwindlig. Zu schnell war die Hiobsbotschaft über sie gekommen! Sie machte einen Umweg über die Toilette, wo sie sich das Gesicht mit kaltem Wasser bespritzte und in die Wangen kniff, um ein wenig Farbe zu bekommen. Dann nahm sie ihre Willenskraft zusammen und ging in ihr Zimmer zurück. Auf die fragenden Blicke ihrer Kolleginnen zuckte sie nur die Achseln.

"Das Gespräch ist vertraulich!" war ihr ganzer Kommentar. Wenn der Chef die Wahrheit gesprochen hatte, würden die Kolleginnen - wenigstens einige von ihnen – das gleiche Gespräch zu überstehen haben und das gleiche Schicksal erleiden, wie sie. Aber es entsprach nicht ihrem Charakter, sich der Verzweiflung hinzugeben. Sie suchte nach Lösungen und fand auch bald eine, die ihr zusagte, in Form einer Anstellung als berittene Waldhüterin. So konnte sie ihre Liebe zur Natur und der Jagd auch beruflich nutzen. Noch vor einigen Jahren wäre dies für eine junge Frau unmöglich erschienen, aber die Zeiten hatten sich etwas geändert und da Mangel an erfahrenen Kräften in diesem Beruf herrschte, war man auch bereit, Frauen dies Aufgabe zu übertragen. Natürlich hatte sie einige Probleme seitens der männlichen Kollegen zu überwinden, doch wurden schließlich auch von den größten Zauderern ihre Erfahrung und ihr freundliches Wesen anerkannt. Diana kam ihren Aufgaben mit großem Eifer nach und trug viel dazu bei, daß sich in einem großen Teil der Bevölkerung ein Sinneswandel vollzog, zum Nutzen der Natur.

Eines Morgens klingelte es zu fast noch nachtschlafender Zeit an der Haustür. Zwar war Diana schon seit längerer Zeit wach, doch konnte sie sich nicht vorstellen, wer sie zu so früher Stunde besuchen kam. Vorsichtig spähte sie aus dem Küchenfenster und sah einen ihr bekannten Landwirt auf der Schwelle stehen, der irgend etwas in seinen Armen hielt. Eilig öffnete sie die Tür.

"Guten Morgen, Monsieur Jean, was bringen Sie mir denn da?" wollte sie mit einem Blick auf das Bündel in seinen Armen wissen.

"N'Morgen," grüßte der Mann zurück. "Das hab' ich grad vor'm Mähdrescher g'habt. Vielleicht bringen's durch." Damit öffnete er die Decke und gab den Blick frei auf ein kleines Rehkitz, auf dessen Flanke sich dunkelrote Striemen abzeichneten.

"Oh Gott!" entfuhr es der jungen Frau. "Das hätten Sie zuerst zu einem Tierarzt bringen sollen."

"Der kostet mir aber zu viel." murmelte der Mann etwas geniert. "Für so was hab' ich kein Geld übrig. Ich hab' halt gedacht, Sie würden's richten."

"Na schön, dann lassen Sie mich einmal sehen." meinte Diana und nahm ihm das Tier ab. Sie wollte gerade im Haus verschwinden, als die Stimme des Bauern sie zurückhielt.

"Die Decke könnten's mir aber gleich zurückgeben." Diana nickte.

"Ich lege es nur bei mir drinnen ab, dann bringe ich Ihnen die Decke zurück."

"Aber b'eilen's sich, ich hab' nicht so viel Zeit, wissen's." rief ihr der Mann noch nach. Die junge Frau legte das kleine Tier sanft auf den weichen Teppich, brachte dem Mann seine Decke zurück und sah ihn mit Erleichterung wieder zu seinem Wagen gehen. Natürlich hätte er erst den Tierarzt aufsuchen müssen, aber so wie die Dinge standen, war das kleine Tier bei ihr vielleicht doch besser aufgehoben, zumal die Verletzungen nicht allzu schwer aussahen. Diana holte ihre Hausapotheke hervor, die ihr auch schon des öfteren bei leichten Wehwehchen ihrer diversen Tiere geholfen hatte, und machte sich ans Werk. Das Kitz schien noch vollständig unter Schock zu stehen, es rührte sich auch dann nicht, als Diana mit zarten Händen die Wunden desinfizierte und verband. Danach holte sie ein Fläschchen mit Schnuller und bereitete etwas warme Milch vor. Als sie sich auf den Boden setzte und den kleinen Kopf des Tieres in ihren Schoß legte, spürte sie eine erste Reaktion des Kitzes. Doch sanft zwang sie den Schnuller in das Mäulchen und sah mit Genugtuung, daß, obwohl auch einiges danebenfloß, das kleine Wesen doch etwas von der Milch zu sich nahm.

"Es wird schon wieder werden!" flüsterte die junge Frau dem Tier zu und streichelte es sanft. "Hier wirst du gut gepflegt und bist in bester Gesellschaft."

 

Roger Dupont kam an einem der nächsten Tage vorbei, um Diana einen Besuch abzustatten. Als er das Rehkitz sah, welches auf staksigen Beinen im Wohnzimmer herumlief wunderte er sich doch sehr.

"Wo hast du denn das aufgegabelt, Diana?" fragte er die junge Frau, die mit einer dampfenden Kaffeekanne aus der Küche kam. Diana erzählte ihm die Geschichte, wie der Landwirt ihr das Kitz gebracht hatte und welche Fortschritte das Tier in seiner Genesung machte. Der junge Mann schüttelte nur staunend den Kopf.

"Aber Diana, das ist ja alles schön und gut, ich verstehe nur eines nicht: warum pflegst du das Tier gesund, um es dann eines Tages zu schießen?" Dianas Augen wurden zu schmalen Strichen, als sie dem jungen Mann antwortete.

"Es tut mir leid, Roger, aber du scheinst immer noch nicht verstanden zu haben, was die Jagd für mich bedeutet, obwohl du dich ja ebenfalls einen Jäger nennst. Schau," sie schenkte ihm den Kaffee ein und nahm sich selbst auch eine Tasse voll, "ich bin Jägerin, aber verstehe die Jagd auch als Hege und Pflege des Wildes. Du weißt ganz genau, wie sehr ich diese <Sonntagsjäger> hasse, die nie selbst ins Revier gehen, sondern das alles ihren Wildhütern überlassen und dann lediglich in der Jagdsaison ein Wochenende damit zubringen, das Abschußsoll zu erfüllen. Und genauso sind mir die Jäger ein Greuel, die einfach nur so drauflos ballern. Die Töten um des Tötens willen, egal was, wo und in welcher Menge. Die weder das Wild noch dessen Lebensgewohnheiten richtig kennen, noch ihm eine korrekte Jagd und danach die letzte Ehre erweisen!" Der junge Mann schwieg betroffen, nach den anklagenden Worten der jungen Frau mußte auch er sich in die Kategorie <Sonntagsjäger> einreihen lassen.

"Trotzdem ist es doch widersinnig, ein Tier gesundzupflegen und es dann in einigen Jahren abzuschießen." wagte er einzuwerfen. Diana schüttelte heftig den Kopf, daß die dichten Locken nur so durcheinander gewirbelt wurden.

"Roger, du vergißt, daß das Kitz hier ein Lebewesen ist, welches Hilfe benötigt. Ich kann und will sie ihm geben, bis es in der Lage ist, sich selbst zu ernähren und im Wald zurechtzufinden. Sollte es in einiger Zeit krank werden, so ist der Hegeschuß angebracht, um es von seinen Leiden zu erlösen. Andernfalls kommt es auf seine Entwicklung an, was einmal aus ihm wird. Zumal es eine Ricke ist, die nur in den seltensten Fällen zum Abschuß gelangt. Aber selbst bei einem Rehbock ist das Ende nicht immer der Schuß des Jägers. Und genau deshalb helfe ich jeder Kreatur in Not. Jagd ist nicht nur der Schuß, sondern Beobachten, Hegen, Kennenlernen, Pflegen, Helfen und sich Auskennen. Jagd ist Liebe zur Natur, Respekt vor der Schöpfung und eine Form des Lebens, die viele Menschen nicht verstehen können. Jagd mit Tieren, wie die Falknerei oder die Baujagd mit Hund und Frettchen verlangen außerdem viel Verantwortungsgefühl und Zeit vom Jäger. Ein Gewehr kann man, gut gepflegt, versteht sich, außerhalb der Jagdsaison in den Schrank stellen, die lebenden vierbeinigen und geflügelten Helfer aber müssen jeden Tag des Jahres versorgt werden. Dazu gehört jemand, der sich auch in ihre Verhaltensweisen hineindenken kann, der nicht nur Dresseur, sondern Freund und Vertrauter der Tiere ist, so werden sie es ihm mit Treue und Leistungsbereitschaft danken." Der junge Mann war nachdenklich geworden, mußte er doch die Worte der jungen Frau erst in sich aufnehmen, verarbeiten und seine Schlüsse daraus ziehen. So hatte er die Jagd und all das Drumherum noch nie gesehen, mußte sich aber in die Seele der jungen Frau hineindenken und ihre Lebensweise akzeptieren, wollte er eine engere Beziehung zu ihr erreichen. Diana jedoch hatte keine Lust, sich an den jungen Mann zu binden. Er war zwar ein netter Kumpel, aber sie erwartete mehr von ihrem Partner, als er ihr je würde bieten können. So blieben ihr ihre Träume, die Natur und ihre Tiere, die ihr Leben ausfüllten.

 

Der Morgen versprach einen schönen, sonnigen und warmen Herbsttag. Diana stand schon sehr früh im Stall und brachte das seidig schimmernde Fell von Orestes auf Hochglanz. Neben ihr saß auf seinem Block ihr Sakerfalkenterzel Sharif, erster Nachwuchs ihres Zuchtpaares. Sie hatte ihm den größten Teil ihrer Freizeit der letzten Wochen gewidmet, um ihn zartfühlend an den Falknerhandschuh und sich selbst zu gewöhnen. Abends hatte er auf ihrer Faust gesessen, wenn sie selbst sich ein wenig Ruhe vor dem Fernseher gönnte, hatte ihn mit kleinen Stückchen Fleisch locke gemacht und auch an ihre Pferde und Hunde gewöhnt. Jetzt trug er außer den Lederfesseln an jedem Bein links noch eine kleine Schelle und rechts ein Lederband, an welchem eine kleine Plakette mit Name und Adresse seiner Falknerin befestigt war. Diana hatte ihren Falken schon einige Male an einer langen Leine auf das Federspiel geflogen, doch heute sollte der Falke zum ersten Mal frei fliegen. Als sie den Rappen gesattelt hatte, nahm sie den Falken auf den Handschuh, stieg in den Sattel und ritt das kurze Stück am Waldrand entlang, bis sie zu einer großen Wiese kam, die von einem schmalen Bach durchflossen wurde. Sie befestigte den leichten Sender in der Halterung auf einer der Schwanzfedern des Vogels, dann nahm sie ihm die Haube ab, die er während des Rittes getragen hatte, um nicht abgelenkt zu werden und ließ ihn frei. Mit schnellem Schwingenschlag erhob sich der Falke rasch in eine große Höhe, dabei nützte er spielerisch die sich über der Wiese befindlichen Thermiken aus. Nach einiger Zeit zentrierte er sich über der Reiterin, die ihn noch etwas arbeiten ließ, dann aber auf das Federspiel zurückrufen wollte. Doch der Falke hatte Lust am Fliegen gefunden und ließ sich vom Wind immer weiter abtreiben. Nach wenigen Augenblicken war er nur noch ein winziger Punkt im Blau des Himmels, dann war auch dieser Punkt verschwunden. Diana ließ ihr Pferd anhalten und entnahm der Satteltasche einen Empfänger, der ihr mit einem Piepsen die Richtung des entflogenen Vogels andeutete. Da er sich nicht allzuschnell zu entfernen schien, ritt sie zurück, ließ ihr Pferd auf der Koppel frei und fuhr mit ihrem Auto in die Richtung, die ihr das Signal anzeigte. Doch oh Schreck! Plötzlich hörte das Signal abrupt auf. Diana hatte Angst, daß der Falke sich auf eine Hochspannungsleitung gesetzt haben mochte und einen Elektroschock erhalten haben könnte, oder die Antenne war abgefallen und lag nun auf dem Boden, oder sie hatte Wasser abbekommen, oder.... Doch nach einiger Zeit erhielt sie wieder ein schwaches Signal. Eilig fuhr sie dem Signal nach, doch plötzlich brach es wieder ab. Der Empfänger war scheinbar defekt - die denkbar schlechteste Konstellation, um einen Vogel, der sich noch dazu nicht in der Gegend auskannte, wiederzufinden!

Wie durch ein Wunder hörte Diana plötzlich die kleine Schelle am Fuß des Falken! Sie hatte also gut daran getan, sich in die Lage des Vogels zu versetzen und so nach im zu suchen. Er mußte langsam wieder hungrig sein, was ihre Chancen erhöhte, ihn noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder aufs Federspiel zu locken. Und richtig, kaum hatte sie die Lederattrappe mit dem Fleischstück auf den Boden geworfen, da schwang sich der Falke von seinem Baum und vollführte einige Attacken auf das Federspiel. "Er hat noch keinen richtigen Hunger" dachte Diana und beschloß, abzuwarten. Nach einiger Zeit setzte sich der Falke auf einen niedrigen Ast und schaute immer wieder auf das verlockende Fleischstück herunter. Er schien sich entschieden zu haben, nun endlich doch zu essen. Kaum hatte er sich von seinem Ast losgeschwungen und Ziel auf das Federspiel genommen, als eine Bande Spaziergänger mit lautem Geschrei aus dem Wald hervorbrach. An ihrer Spitze lief ein kleiner Hund mit großem Gekläffe direkt auf den Vogel zu. "Oh nein, das hat mir gerade noch gefehlt!" stöhnte Diana, die tatenlos mit zusehen mußte, wie der Falke erschreckt davonflog. Natürlich kein einziges Signal aus dem Empfänger! Und wahrscheinlich auch keine Chance mehr, den Gedankengang des in Panik geratenen Tieres noch einmal zu erraten. Der traurigste Augenblick im Leben eines Falkners! Diana packte resigniert ihre Sachen ein und beschloß, ihr Glück am nächsten Tag noch einmal zu versuchen. Doch es sollte vergeblich sein. Mit Trauer im Herzen brach sie die Suche ab.

 

Eine Woche später, es war an einem Montag, erhielt sie einen Anruf, der sie aufs Höchste entzückte und empörte.

"Suchen Sie einen Falken?" fragte eine Männerstimme am anderen Ende der Leitung.

"Aber ja, natürlich, ich hatte ja alle Forstämter und so weiter im Umkreis informiert," meinte Diana. "Haben Sie meinen Falken gefunden? - Lebt er noch?"

"Ja, ja, er lebt noch, ist aber sehr schwach." War die, zumindest teilweise befriedigende Antwort. Dianas Herz begann schneller zu schlagen.

"Wo sind Sie und wann kann ich meinen Falken bei Ihnen abholen?"

"Nur mit der Ruhe!" meinte die Stimme am anderen Ende. "Können Sie beweisen, daß der Falke Ihnen gehört - haben Sie alle Urkunden und Bescheinigungen?" Diana war erstaunt - würde sie denn ihren Namen und Adresse an einen Vogel hängen, der außerhalb der Gesetze in ihrem Besitz wäre?

"Natürlich kann ich das!" war ihre Antwort, die trotz der Erleichterung, daß der Falke noch am Leben war, ziemlich schroff ausfiel.

"Na, dann bringen Sie mal alle Papiere mit, ich sage Ihnen wo ich wohne und wie Sie mich finden können. Wann haben Sie denn Zeit?" wollte der Mensch wissen. Diana fand das eine dumme Frage, wünschte sie sich doch nichts sehnlichster, als ihren Vogel so schnell wie möglich wieder bei sich zu haben.

"Wenn es Ihnen nichts ausmacht, komme ich sofort." rief sie und sprang auch schon in ihr Auto, um die fast einhundert Kilometer lange Fahrt anzutreten. Der Falke hatte die eine Woche genutzt, um sich so weit wie möglich auf einer Zugroute fortzubewegen.

Als Diana spät in der Nacht bei dem Mann ankam, fand sie ein Haus in einer Siedlung und einen vehementen "Vogelschützer" als Finder vor. Der arme Falke lag schwach in einem Karton auf dem kalten Betonboden einer Garage in seinem eigenen Kot, der "Vogelschützer" hatte noch nicht einmal ein wenig Gras oder Stroh unter das Tier gelegt. Mit Tränen in den Augen nahm Diana ihren Falken in Empfang - nachdem sie sich ausweisen und die Halter und Ursprungszeugnisse des Tieres vorlegen mußte. Sharif war sehr schwach, schien aber doch mit Freude auf dem Handschuh Platz zu nehmen.

"Wann und wo haben Sie ihn denn gefunden?" fragte Diana den Mann. Dieser zuckte die Achseln.

"Samstag früh ist er gegen das Fenster einer Schule geflogen, einer der Lehrer dort hat ihn zu einem Vogelkundler gebracht, der dann mich angerufen hat. Samstag Abend war er bei mir." Diana war immer blasser geworden, je weiter der Mann in seiner Rede gekommen war.

"Warum haben Sie mich nicht Samstag benachrichtigt?" wollte sie wissen. "In solchen Fällen können Stunden über Leben und Tod eines Falken entscheiden!" Die barsche Antwort sagte ihr genug, wes Geistes Kind der Mann vor ihr sei.

"Ich mußte erst prüfen, ob Sie den Vogel auch zu recht besitzen, die Ämter sind natürlich über das Wochenende geschlossen, deshalb habe ich Sie erst heute benachrichtigen können, nachdem man mir gesagt hat, der Vogel sei OK." Diana war einer Ohnmacht nahe - ihr Falke mußte leiden, weil jemand sich für einen verhinderten Gesetzeshüter hielt? Warum hatte der Mensch nicht ihre Adresse notiert, ihr am Samstag den Vogel zurückgegeben und am Montag dann bei den Behörden nachgefragt?

"Wieviel schulde ich Ihnen für den Tierarzt?" wollte sie wissen, es als gegeben annehmend, daß bei Kenntnis der Tatsachen man davon ausgehen konnte, der Vogel habe eine Gehirnerschütterung erlitten.

"Für uns Vogelschützer ist der Tierarzt umsonst." meinte der Mann "aber ich habe ihn gar nicht dem Arzt gezeigt, warum auch?"

"Sie können also nicht ausschließen, daß das Tier seit Samstag früh eine Gehirnerschütterung hat - und haben nichts unternommen?"

"Ich bin ein Gegner jeder Art von Tierhaltung, das sollte Ihnen eine Lehre sein, mit der Falknerei aufzuhören - was haben Sie eigentlich davon?" Diana zitterte fast vor Wut über die Einstellung dieses Menschen. Für eine Amsel mit gebrochenem Flügel wurde der Tierarzt bemüht, aber nicht für einen Falken - teuer geldlich und ihrem Herzen nahe - weil dieser "Vogelschützer" gegen jede Tierhaltung war? Unbegreiflich!

"Ich finde auch, daß man diese Flugvorführungen und so weiter verbieten sollte - die Jugend kommt dadurch nur auf dumme Ideen, Falken auszuhorsten. Und Zoos sind ja noch schlimmer!" der Mann redete sich in Rage. Diana schüttelte den Kopf.

"Ich habe schon als Kind für Pferde geschwärmt, doch kein eigenes besessen. Wenn ich auf Reitturnieren zugesehen habe, habe ich trotzdem nicht danach das nächste Pferd von seiner Koppel stehlen wollen! Sie werfen der Jugend Ihre eigenen abartigen Ideen vor, die völlig unbegründet sind! Außerdem sind die Eltern dazu da, ihren Kindern die Sachverhalte zu erklären!" Abrupt wendet sie sich ab und nahm ohne ein weiteres Wort ihren Falken ins Auto und fuhr, innerlich noch immer aufgewühlt über die Rede des Mannes nach Hause. Dort brachte sie dem Vogel ein wenig Atzung und Wasser, was er auch zu sich nahm. Dann ließ sie ihn in der Wärme der Wohnung bis zum nächsten Morgen.

Kaum war sie aufgestanden, schaute sie nach Sharif, doch oh Schreck, der Falke sah viel schlechter aus, als am Vortage. Vergeblich gab sie ihm Antibiotika und Kreislaufmittel, im Laufe des Vormittags wurde er immer schwächer und tat seine letzten Atemzüge gegen Mittag in den Armen seiner um ihn heiße Tränen weinenden Falknerin.

Als der erste Schmerz gewichen war, bereitete Diana ihm eine würdige Ruhestätte in seiner Voliere und beschloß, diesem "Vogelschützer" eine Lektion zu erteilen. Die für die Haltung und Zucht von Raubvögeln verantwortlichen Behörden, über den genauen Hergang der Dinge informiert, sagten ihr dann auch zu, sich einmal um diesen Menschen zu kümmern, der erstens jegliche Sorge um die ihm anvertrauten Tiere vermissen ließ, nur weil er die Falkner haßt, und der sich außerdem Kompetenzen anmaßte, die ihm gar nicht zustünden. Die Frage, ob der Vogel legal sei, ginge ihn nichts an, er könne lediglich die zuständigen Behörden informieren, habe aber kein Recht, den Vogel "zurückzubehalten, bis die Rechtslage geklärt sei", so wie er es getan hatte. Zwar nahm Diana Abstand von einer Klage, doch erfreute es sie zu hören, daß dem Menschen seine Verantwortung innerhalb seiner Vereinigung entzogen worden war. Wenigstens war ihr Sharif nicht umsonst gestorben, waren nun die Verhältnisse zwischen den "Vogelschützern" und den Behörden geklärt.

 

Einige Tage später erhielt sie eine Einladung von einem Bekannten, der sie fragte, ob sie nicht Lust habe, mit ihm eine zweiwöchige Jagdreise in die Mongolei zu unternehmen und dabei auch die Beizjagd mit dem Adler anzuschauen. Das kam gerade zur rechten Zeit, um sie von ihren traurigen Gedanken abzulenken! Noch am selben Abend rief sie den Mann an, um mehr Informationen zu erhalten. Als die sympathische Stimme sich am anderen Ende der Leitung meldete, erzählte Diana zuerst nach Austausch einiger höflicher Formeln von ihrem Falken, dann kam sie zur Sache.

"Jules, wenn das nicht nur ein schlechter Scherz von dir war, mich in die Mongolei einzuladen, dann erläutere mir doch bitte ein wenig genauer deinen Plan."   

            Ihr Gesprächspartner versicherte, daß es ihm mit der Einladung sehr ernst sei und fügte schließlich noch hinzu:

"Du mußt dich aber schnell entschließen, denn ich muß die Reservierung bis Ende nächster Woche vornehmen. Aber laß dir ein wenig den Ablauf der zwei Wochen erläutern: Wir fliegen über Moskau nach Ulan Bator, von dort aus geht es per Jeep in die weiten Steppen, wo wir bei Nomaden in einer Jurte wohnen werden. Diese werden uns auch auf ihren Ponys mit zur Jagd nehmen. Die Adler werden außer auf Hasen auch auf Füchse und eventuell sogar auf Wölfe geflogen, außerdem geht es auf mongolische Steinböcke.  Du mußt warme Sachen mitnehmen, denn es wird um diese Zeit schon sehr kalt sein." Die junge Frau zögerte keinen Moment mit ihrer Antwort.

"In Ordnung, Jules, wenn mir sogar, wie du mir geschrieben hast, keinerlei Kosten entstehen, dann komme ich mit. So ein Erlebnis bietet sich einem Menschen wie mir sicherlich nicht noch einmal."

"Na, dann ist ja alles geklärt" meinte ihr Telefonpartner. "Abflug ist in zehn Tagen, ich hole dich morgens bei dir ab, dann erreichen wir gemütlich die Maschine nach Moskau." Damit war das Gespräch beendet und Diana beeilte sich, alle Vorbereitungen zu treffen, die für solch eine weite Reise notwendig waren. Zuerst versicherte sie sich wieder der Hilfe Rogers, der versprach, sich während ihrer Abwesenheit wie gewöhnlich um ihre Tiere zu kümmern, dann suchte sie ihre dicksten Wintersachen aus den Koffern auf dem Boden und verständigte ihr Büro, daß sie bald für zwei Wochen abwesend sein würde. Am Morgen des Reisetages war Diana schon sehr früh auf den Beinen und versorgte ihre Tiere. Für jedes hatte sie noch ein paar Leckerbissen mitgebracht und verteilte diese nun an die Pferde, Hunde und Frettchen. Auch die Falken erhielten noch ein paar Fleischstücke extra. Wenig später erschien Roger und Diana übergab ihm die Schlüssel zu ihrem Haus und den Nebengebäuden. Der Morgen graute gerade, als ein grüner Landrover in den Hof einbog. Diana verabschiedete sich von Roger, holte ihren Koffer und eine kleine Tasche von den Stufen ihres Hauses und begrüßte den Fahrer des Geländewagens. Dieser, ein schmaler Mann schon etwas vorgeschrittenen Alters mit sympathischen Zügen, half ihr beim Verstauen ihres Gepäcks und ließ sie dann einsteigen. Jules Moiré war ein alter Freund der Familie Erdei, der in Ungarn oft mit Dianas Vater zusammen gejagt hatte, den aber seine vielfältigen Geschäfte weit in der Welt herum brachten und der sich deshalb nur in sehr großen Abständen bei der Tochter seines alten Freundes meldete. Diana sah in ihm so etwas wie einen entfernten Verwandten, der ihrer Familie auch dann treu geblieben war, als der Vater starb. Während der Fahrt wurde nur wenig gesprochen, jeder bereitete sich innerlich auf den langen, anstrengenden Flug und die Ankunft in dem fernen Land vor. Glücklicherweise war das Wetter schön und keine Turbulenzen störten den gleichmäßigen Flug des großen Jets. Schließlich kamen die Kuppeln des Kreml in Sichtweite und der große Stahlvogel senkte sich langsam auf die Piste herab. Nach einigen Umständen beim Zoll gelangten die beiden Reisenden endlich zu einem Taxi, welches sie in wenigen Augenblicken zu ihrem Hotel brachte, in welchem sie die Nacht verbringen wollten, bevor sie am nächsten Vormittag ihre Reise fortsetzten. Die Zimmer waren zwar klein, aber gemütlich und auch das Essen mundete ihnen. Diana bevorzugte die Speisen des jeweiligen Landes, in welchem sie sich befand und schaute mit ein wenig Verachtung auf die Touristen, die sich egal, an welchem Punkt der Erde sie sich befanden, panierte Schnitzel oder Pommes bestellten - oder versuchten zu bestellen. Denn es war sicher, daß ihnen in der Jurte ihrer Gastgeber keine dieser westlichen Genüsse geboten werden würden. Als sie am nächsten Vormittag nach einem opulenten Frühstück wieder auf dem Flughafen ankamen und Diana die Maschine sah, die für ihren Weiterflug vorgesehen war, entfuhr ihr ein leiser Aufschrei.

"Was, mit diesem Seelenverkäufer sollen wir bis ans Ende der Welt fliegen, über vollkommen unbewohntes Gebiet, wo mit keiner Hilfe zu rechnen ist?" Der Mann an ihrer Seite versuchte sie zu beruhigen.

"Ich bin schon mit schlimmeren Blechbüchsen im Urwald geflogen oder in den Anden. Oft sind sie besser als ihr Aussehen und besitzen einen zuverlässigen Motor und erfahrenen Piloten." Aber so ganz geheuer war es ihm auch nicht, als er die kleine Propellermaschine sah, die sie und noch einige weitere Passagiere, zumeist einheimische Kaufleute, in die ferne Mongolei bringen sollte. Das Innere des Flugzeugs war mehr als spartanisch eingerichtet. Einige Holzstühle waren auf den Boden geschraubt, die Fenster waren zum Teil schmutzig, zum anderen Teil blind und mit feinen Rissen durchzogen. Das Gepäck wurde in einem kleinen Holzverschlag verstaut und die "Küche" bestand aus einer Kaffeemaschine, die aussah, als ob sie schon zu Zarenzeiten existiert hätte und mit der die einzige Stewardeß versuchte, ein wenigstens einigermaßen trinkbares Gebräu herzustellen. Zu den Mahlzeiten gab es nur einige belegte Brote, die mit fortschreitender Flugdauer immer mehr eintrockneten. Diana schien dies alles nichts auszumachen, sie versuchte immer wieder einen Blick aus den schmutzigen Scheiben auf die herrliche, wilde Landschaft zu werfen, die sich unter ihnen ausbreitete. Nach vielen Stunden, die auf den ungemütlichen Sitzen zu einer wahren Tortur ausarteten, landeten sie sicher auf dem Flugplatz von Ulan Bator. Dort erwartete sie der einheimische Führer mit seinem uralten Lastwagen. Zu ihrem Erstaunen sprach er außer der Landessprache auch gebrochen Französisch. Auf eine diesbezügliche Frage Dianas antwortete er nur lakonisch:

"Ich leben fünf Jahr Franzosenland, riesige Stadt, immer große Heimweh nach weite Steppe - voilá ich wieder nach Hause!" Diana konnte sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen, aber im Grunde ihrer Seele mußte sie dem Mann zustimmen, war doch auch sie ein Naturkind und fiel es ihr schon immer schwer, nur zum Einkaufen in die Stadt zu fahren und sich dort im Menschengetümmel zu bewegen. Hier bestand solche Gefahr nicht! Als sie die alte und geschichtsträchtige Stadt hinter sich gelassen hatten, empfing sie die unendliche Weite der Steppe. Ein eisiger Wind peitschte die wenigen Sträucher und wirbelte kleine Staubfahnen vor sich her. In der Ferne sah man manchmal Herden von Schafen, von Hirten auf ihren kleinen, zottigen Ponys bewacht. Der Fahrer brachte den klapperigen Lastwagen auf den unmöglichsten Pfaden sicher zu ihrem Ziel, einem kleinen Dorf, oder besser gesagt, eine Ansammlung ärmlicher Hütten und Jurten, weitab von jeglicher Zivilisation. Der Dorfälteste, zumindest hielt ihn Diana dafür, begrüßte sie mit einem unverständlichen Wortschwall und reichte ihnen zum Zeichen des Willkommens Brot und Salz. Danach führte er sie zu einem sauberen Jurte am Ende des Dorfes. Als sie die bunt bemalte Holztür öffneten, erschien eine junge Frau aus dem Innern der Jurte und erklärte ihnen mit weit ausladenden Gesten, daß dies nun ihr Zuhause sei. Diffuses Licht fiel durch die Öffnung im Dach, die zugleich auch als Rauchabzug diente und tauchte das Innere in ein fast magisches Licht. Decken und Teppiche bedeckten Wände und Boden, zwei Lagerstätten aus Holz mit Wolfsfellen bedeckt dienten zum Schlafen und eine geschnitzte Holztruhe nahm ihre Reiseutensilien auf. Schon bei ihrer Ankunft im Dorf hatte Diana drei riesige Steinadler vor den Hütten auf Holzrecks sitzen sehen, daneben mehrere Sakerfalken auf ihren Blöcken. Kaum hatten sie sich ein wenig erfrischt, so kam ihr Führer um ihnen mitzuteilen, daß der Dorfälteste sie zum Abendessen bei sich eingeladen habe. Am nächsten Morgen sollte es dann mit Ponys und Adlern auf die Jagd gehen. Das Abendessen in der erstaunlich sauberen und ordentlichen Hütte des alten Mannes und seiner Familie war zwar ungewohnt, aber die Stimmung war gelöst und die beiden Reisenden hatten nicht das Gefühl, als Fremde angesehen zu werden. Früh verabschiedeten sie sich, um ein wenig Schlaf zu finden, denn der Abritt war auf die Zeit des Morgengrauens festgesetzt worden. Diana schlief traumlos und entspannt bis ein leises Klopfen an der Tür der Jurte sie aufweckte.

"Schon Zeit?" fragte sie verschlafen und die Stimme ihres Führers antwortete durch die Tür.

"Frühstück zehn Minuten, dann Abritt!" Schnell weckte sie als ihren Begleiter, dessen Alter ihn doch die Strapazen der Zeitumstellung, des unbequemen Fluges und der kurzen Nachtruhe spüren ließ und pünktlich erschienen sie zu einem frugalen Frühstück mit Pferdemilch und Brot, dazu gab es Dörrfleisch. Mißtrauisch beäugte Diana die Farbe des Fleisches doch ihr Führer beruhigte sie, es war Lamm und nicht, wie sie angenommen hatte, Pferdefleisch. Wenig später erhielten sie zwei trittsichere Ponys, mausgrau das eine und falbfarben das andere. Beide, ebenso wie die anderen Reittiere hatten schon ein ziemlich dickes Winterfell, Zeichen dafür, daß die Kälte und der Schnee nicht mehr lange auf sich warten lassen würden. Diana wählte für sich die Falbstute aus, Jules nahm den grauen Hengst. Außer ihnen brachen noch drei Mongolen mit ihren Adlern auf, dazu mehrere Helfer, die Packpferde neben ihren Reittieren führten und ihr Dolmetscher. Der kleine Troß bewegte sich im flinken Trab auf eine entfernte Hügelkette zu, dort sollte es Hasen geben und auch Füchse waren dort wahrscheinlich zu finden. Die Jäger trugen ihre schweren Adler auf der Faust, hatten aber ein Holzgestell, welches auf dem Sattel ruhte und es ihnen ermöglichte, den Arm ausruhen zu können. Der jüngste der Jäger mochte etwa zehn Jahre zählen, der älteste war ihr Gastgeber vom Vorabend. Als einmal kurz Rast gemacht wurde, um die Pferde zu tränken, bat Diana den Führer, ihre Fragen dem Jungen zu übersetzen.

"Ich möchte wissen, wie alt er ist, ob er den Adler selbst abgerichtet hat und welche Beute er schon gefangen hat." Der Führer unterhielt sich längere Zeit mit dem Jungen, dann erklärte er:

"Ali ist elf Jahre alt und er hat den Adler seit zwei Jahren. Er hat ihn selbst gefangen, gezähmt und abgerichtet. Er hat schon Hase, Fuchs und Wolf damit gefangen!"

"Kaum zu glauben!" entfuhr es der jungen Frau, die wohl wußte, wie gefährlich die Jagd auf den Wolf für Jäger und Adler war. Sie hatte schon Bilder von Adlern gesehen, denen ein Fuß fehlte, weil der Falkner nicht schnell genug zur Stelle war und der Wolf mit seinen mächtigen Kiefern das Glied des Greifes abgebissen hatte und wußte auch, daß mancher unerfahrene oder unvorsichtige Adler das Duell nicht überlebte. Und auch der Jäger konnte schwere Verletzungen davontragen, wenn er nicht genügend aufpaßte. Aber dieser Junge hier, der wohl auch Reiten zur gleichen Zeit wie Gehen gelernt hatte, schien nichts dabei zu finden, sich diesen Gefahren auszusetzen. Mit beeindruckender, natürlicher Selbstverständlichkeit begleitete er die älteren Jäger und schien die Erfahrung tausender Jahre Geschichte in sich zu vereinigen. Stolz trug er den mächtigen Adler, der ruhig unter seiner Lederhaube auf der Faust des Jungen saß und zeigte kein Anzeichen von Ermüdung. Der Wind frischte nun auf und strich kalt über das Hochplateau, welches sie in stetiger Richtung auf die vor ihnen liegenden Höhenzüge überquerten. Da es zu anstrengend war, gegen den Wind zu sprechen, begnügte sich Diana damit, die herrliche Landschaft zu bewundern und jeden neuen Eindruck tief in ihrem Innern festzuhalten. Majestätisch ragten die schneebedeckten Gipfel vor ihnen auf und die Luft war spürbar dünner geworden. Endlich langten sie an den Vorbergen an und ließen ihre Blicke suchend über das Gelände schweifen. Lange Zeit geschah nichts, doch plötzlich hielt einer der Jäger ruckartig sein Pony an und deutete nach vorn.

"Ein Fuchs!" übersetzte der Dolmetscher leise, um das hellhörige Tier nicht zu verschrecken.  Auch die anderen hatten ihre Reittiere zum Stehen gebracht und schauten nun aufmerksam in die angegebene Richtung. Reineke befand sich wohl auf Futtersuche, denn er strich ruhelos durch die trockenen Gräser. Auf einen Wink des ältesten Jägers hin, nahm Ali seinem Adler die Haube ab und gab die Fesseln frei. Der Greif schaute aufmerksam in die Runde, schüttelte sein herrliches Gefieder und schwang sich mit einem kräftigen Schlag seiner breiten Schwingen in die klare Luft hinaus. Auch er hatte natürlich mit seinen scharfen Augen, deren Blick nicht die kleinste Bewegung in der weiten Runde entging, den Fuchs ausgemacht und steuerte auf seine Beute zu. Als der Fuchs den Schatten, der sich ihm von hinten näherte, über sich bemerkte, war es für ihn schon zu spät. Zwar wirbelte er noch blitzschnell herum und richtete sich keifend und mit gefletschten Zähnen gegen den Angreifer auf, doch war der Adler erfahren in seiner Jagdtechnik und griff den Fuchs sofort mit beiden Fängen am Kopf. Auf dem Boden wirbelten Raubvogel und Beute noch einige Male herum und überschlugen sich, aber der Greif hatte seine Beute fest gepackt und ließ sich nicht abschütteln. Bald schon erlahmte der Widerstand des Fuchses, dann war es zu Ende. Inzwischen war auch der junge Falkner auf seinem Pony herangekommen und stand mit gezücktem Jagdmesser bereit, seinem Adler eventuell beizustehen, doch war diese Vorsichtsmaßnahme heute unnötig, der Fuchs war verendet. Diana gratulierte dem stolzen Jungen als erste, dann kamen auch die anderen an die Reihe. Alis rundes Jungengesicht strahlte vor Freude, als die junge Frau ihm ein kleines Geschenk überreichte. Mit Hilfe des Dolmetschers dankte sie ihm für das wunderbare Jagderlebnis und beglückwünschte ihn zu seinem so gut abgerichteten und mutigen Adler. Der Junge bedankte sich für das Geschenk und fragte, ob sie auch einen Adler besitze.

"Nein, Ali, ich habe zuhause nur Falken und jage hauptsächlich auf Fasanen, Enten und Krähen mit ihnen. Ich muß zugeben, ein Adler ist mir zu groß, auch habe ich keine Möglichkeit, ihn bei mir korrekt abzurichten. Und dann haben viele Menschen Angst – ich muß zugeben, nicht ganz zu Unrecht – wenn sie einem frei fliegenden Steinadler begegnen. Aber hier, in dieser grandiosen Natur war es ein wunderbares Erlebnis, deine Jagd verfolgen zu dürfen." Der Junge nickte freundlich, als der Dolmetscher ihm die Worte der jungen Frau übersetzt hatte.

"Vielleicht haben wir Glück und du kannst eine noch ganz andere Jagd erleben!" meinte er dann zuversichtlich. "Man hat uns gemeldet, daß ein paar Wölfe hier herumziehen, wenn wir sie zu Gesicht bekommen, dann wirst du eine Jagd erleben, wie noch nie zuvor!" Dann wendete er sich ab, um seinen Adler, der inzwischen genug von seiner Beute gekröpft hatte, wieder auf die Faust zu nehmen. Den Fuchs hängte er sich über den Sattel, dann verhaubte er seinen Jagdgefährten wieder und stieg auf. Die kleine Karawane setzte sich wieder in Bewegung und sie begannen in die Vorberge einzudringen. Dort lag an einigen geschützten Stellen Schnee und die Reiter mußten aufpassen, daß ihre Ponys nicht auf einem der zugeeisten Rinnsale ausglitten, die allenthalben zu überqueren waren. Doch erwiesen sich die hier geborenen Pferdchen als ausgesprochen trittsicher und vorsichtig. An einer windgeschützten Stelle wurde eine kurze Rast eingelegt und das mitgeführte Essen verzehrt. Dazu gab es heißen Tee und auch Schnaps zum aufwärmen. Später überquerten die Jäger dann vorsichtig ein weites Schneefeld, wobei die kleinen Pferde manchmal bis zum Bauch im Schnee steckten, dann gelangten sie in ein weiteres Tal, welches sich tief eingeschnitten zwischen hohen Felswänden hinzog. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tales bemerkten die scharfen Augen ihres Führers dann mehrere graue Schatten, die gemächlich in Richtung Ausgang des Tales zogen.

"Die Wölfe!" meinte der Führer und Diana ergriff plötzlich ein undefinierbares Gefühl. das war kein Jagdfieber, denn sie selbst jagte ja heute nicht, das war auch keine Angst, weder für sich selbst, noch für die anderen, aber eben doch eine gewisse Unruhe, die ihre Hände in den dicken, gefütterten Lederhandschuhen zittern ließ und ihre Schauer über den Rücken jagte. Was nun kam, würde sie ihr Leben lang nicht mehr vergessen. Der eine Jäger ließ sein riesiges Steinadlerweib frei und feuerte es mit heiseren Ausrufen an. Der mächtige Greif schwang sich hoch in die Lüfte und nahm Richtung auf das von ihm ausgewählte Tier, einen riesigen Wolf, der etwas abseits von den anderen einhertrottete. Schon als der Adler Richtung auf die Wölfe nahm, hatten die einheimischen Jäger ihre Ponys in Trab gesetzt und waren dabei, die Talsohle zu überqueren, als der Adler seine Beute erreichte. Der Wolf wurde zwar ebenso überrascht, wie vorher der Fuchs, doch erwies sich seine Gegenwehr von einem anderen Kaliber, als die des kleinen Roten. Der Adler hielt mit seinen kräftigen Klauen Kopf und Schnauze des Wolfes fest, konnte ihm aber keine tödliche Verletzung zufügen. Wie von Sinnen rannte der Wolf mit seinem Angreifer umher und versuchte ihn abzuschütteln. Der Adler hatte seine liebe Not, den Griff zu behalten und schlug mit seinen mächtigen Schwingen im Versuch, immer über seiner Beute zu sein. Nun hatten auch die anderen Wölfe gemerkt, was sich hinter ihrem Rücken abspielte und nahmen Richtung auf die Kämpfenden. Der erste Jäger ließ sein Pony angaloppieren, um seinem Adler so schnell wie möglich beistehen zu können, während die anderen Reiter sich zwischen ihn und die Wölfe schoben. Diese, als sie nun die Menschen gewahrten, blieben verdutzt stehen und ließen sich von den Reitern in Richtung Talausgang abdrängen. Inzwischen war der Besitzer des Adlers bei seinem Tier angelangt. Er sprang, schon mit gezogenem Jagdmesser, von seinem Pony, rief seinem Adler einige beruhigende Worte zu und versuchte dann, bei dem noch immer sich wie wild wehrenden Wolf den tödlichen Stich anzubringen. Beim zweiten Male gelang ihm dies auch, obgleich er einige Kratzer abbekam. Diana und ihr Begleiter hatten mit angehaltenem Atem auf Anraten ihres vorsichtigen Dolmetschers auf der gegenüberliegenden Talseite das Ende der Jagd abgewartet. Nun kamen sie zu den Jägern geritten, die inzwischen die anderen Wölfe vertrieben hatten. Erst als sie aus dem Sattel stieg, merkte sie, wie sehr ihr dieses Erlebnis zugesetzt hatte. Ihre Knie zitterten und sie mußte sich unauffällig am Sattel festhalten und einige Sekunden verstreichen lassen, bevor sie dem Jäger gratulieren konnte. Nun sah sie auch, wie riesig der Wolf war, der nun ausgestreckt vor ihr lag, während der Besitzer des Adlers sein Tier mit von ihm mitgebrachtem Fleisch atzte. Als Diana fragend auf die Wunden an seinem Arm deutete, meinte er nur stolz lächelnd:

"Kampfspuren sind ehrenvoll!"

"Aber will er sie denn nicht wenigstens desinfizieren?" fragte Diana erstaunt. Daraufhin erklärte ihr der Dolmetscher, daß die hiesigen Menschen ihre eigenen Methoden zur Wundversorgung hätten, denn weder hätten sie die Gelegenheit, an die hier sehr teuren Medikamente zu kommen, noch würden sie ihre uralten, von Familie zu Familie übermittelten Naturheilrezepte verleugnen. Die Wirksamkeit dieser Methoden mußte auch Diana zugeben, denn die Menschen hier wurden zum Teil steinalt. Natürlich hatten sie hier auch keine Ahnung von Streß und anderen Begleiterscheinungen der modernen Zivilisation. Sie lebten ihr Leben im Einklang mit der Natur, denn nur selten verirrten sich Fremde hierher. Die Reiter bestiegen wieder ihre Ponys, dann ging es auf den beschwerlichen Heimweg. Noch nie war Diana eine Jurte ohne jeglichen westlichen Komfort so gemütlich erschienen, als sie am späten Abend von ihrem braven Reittier glitt und sich so, wie sie war, ungewaschen und in ihren staubigen Kleidern, auf die Felle ihrer Bettstatt warf. Innerhalb von Sekunden war sie in einen tiefen, erholsamen Schlaf gefallen und ihrem Begleiter ging es nicht anders. Nach einiger Zeit weckte ihr Führer sie und meinte, daß Abendessen sei angerichtet und sie mögen doch bitte kommen, da die Leute ohne ihre Gäste nicht mit dem Mahl beginnen wollten.

"In ein paar Minuten kommen wir" murmelte schlaftrunken die junge Frau, dann bürstete sie sich ihre roten Locken, klopfte sich ein wenig den Staub aus der Kleidung und wusch sich mit dem kalten Wasser, welches in einer Schüssel auf dem Boden stand, Hände und Gesicht.

"Wir wollen unsere Gastgeber nicht noch länger warten lassen." meinte sie dann zu ihrem Begleiter, der sich auch sporadisch säuberte. Sie gingen dann die wenigen Schritte zu der anderen großen Jurte. Dort empfing sie die versammelte Jägerschar. In einem Kessel dampfte die wohlriechende Abendmahlzeit und die Schnapsflasche ging von Mund zu Mund. Da nun auch die Gäste angekommen waren, wurde schnell das Essen verzehrt, bevor der gemütliche Teil des Abends begann. Plötzlich fühlte sich auch Diana wieder munter, denn es wurden Geschichten erzählt von Jägern und Jagden, aber auch Legenden ihres Volkes kamen nicht zu kurz. Die etwas holperigen Übersetzungen des Dolmetschers nahmen den Geschichten zwar viel von ihrem ursprünglichen Charme, dennoch genoß Diana jede Minute des Abends. Kurz bevor sie für diesen Tag endgültig zu Bett gehen wollten, kam Ali zu ihr und überreichte ihr eine kunstvoll gearbeitete Lederhaube für einen Adler.

"Ich weiß, daß du keinen Adler hast," ließ er sie wissen, "aber diese Haube habe ich selbst gefertigt, sie soll dir ein Andenken an deinen Aufenthalt hier sein und ein Ausdruck meines Dankes für dein schönes Geschenk an mich!" Damit verbeugte er sich tief vor der jungen Frau und verschwand aus der Jurte. Diana war gerührt von dem Geschenk und beschloß, dem Jungen noch eine Freude zu machen. Sie wußte, daß ein Geldgeschenk weder akzeptiert worden wäre, noch hätte der Junge damit viel anfangen können, so beschloß sie, sich zu erkundigen, was denn sein größter Herzenswunsch sei.

"Ali hat keine großen Wünsche und Träume!" wurde sie vom Dolmetscher beschieden. "Er besitzt alles, was er braucht, ein Pony mit Sattel und Zaum, seinen Adler, genügend zu Essen und eine Familie, die ihn liebt. Was willst du mehr?" Diana wußte darauf nichts zu antworten, denn sie fühlte, das war die Wahrheit, der Junge war wunschlos glücklich. Plötzlich fiel ihr doch noch etwas ein:

"Wenn ich die Fotos habe, die wir gemacht haben, werde ich ihm ein Album kaufen und es ihm mit den Fotos schicken. Zum Andenken an diese Jagd!" rief sie aus. "Nur, wie kann ich sicher sein, daß er das Album auch erhält?" Doch da wußte ihr Begleiter Rat.

"Diana, schau, ich komme weit herum und kenne viele zuverlässige Menschen. Wenn du das Album hast, kannst du es mir nach Hause schicken, ich nehme es dann auf meiner nächsten Reise mit gebe es einem Vertrauten zu treuen Händen, der es dem Jungen persönlich geben wird. Und damit du ganz sicher sein kannst, daß Ali es auch erhält, soll er dem Überbringer etwas für dich mitgeben, was mit dem heutigen Tag in Zusammenhang steht, etwa die Lunte eines Fuchses."

"Danke, Jules, ich nehme gerne deine Hilfe an und hoffe, daß das Album so in die Hände des Jungen gelangen wird." meinte Diana zufrieden.

"Da kannst du ganz sicher sein." beruhigte sie ihr Begleiter. Dann gingen sie zurück zu ihrer Jurte und legten sich schlafen. Am nächsten Morgen ging es dann mit dem Gewehr auf die eigentliche Jagd. Oft mußten die Jäger wie Gemsen klettern, um auf der Pirsch an die Tiere heranzukommen. Jules zeigte sich trotz seines Alters in ausgezeichneter Form und Diana mußte zugeben, daß sie sich etwas überschätzt hatte. Was waren all ihre bisherigen Klettertouren an diesen hier gemessen?! Die Luft war dünn, es wehte ein eisiger Wind und sie mußten wahre alpinistische Künste vollbringen, bis sie endlich zum Schuß auf die Steinböcke kamen. Doch die Jagdausbeute war zufriedenstellend und so kehrten sie glücklich nach einem bewegenden Abschied von ihren freundlichen Gastgebern in die Heimat zurück. Nach einiger Zeit gelangten dann auch das Album mit den Fotos zu Ali, der sich mit einigen Zeilen in seiner Sprache und dem ausgemachten Erkennungszeichen bei der jungen Frau bedankte. Diese hatte sich wieder mit ihrem alltäglichen Trott abgefunden und so verging die Zeit.

Es war ein wunderschöner Herbstmorgen, als Diana wie üblich ihr Pferd sattelte und sich auf einen kleinen Spazierritt vorbereitete. Der Wald erstrahlte in seinen schönsten Farben, die Blätter spielten in allen Farben von hellgelb bis dunkelbraun. Eine leichte Brise wehte durch die Wipfel und ließ die schon losen Blätter tanzend zu Boden gleiten. In flinkem Trab lief das Pferd über den weichen Waldboden und Dianas Augen glühten vor Freude, als sie einen massigen Hirsch überraschte, der sich, scheinbar vom Brunfttrieb angespornt, verspätet hatte. Langsam und majestätisch verschwand er im dichten Unterholz. Der Weg wurde nun steiler und auch schmaler und führte an einer kleinen Schlucht vorbei, die sich zu ihrer Linken in felsigen Kaskaden, nur hier und da von einer sich im bloßen Gestein festkrallenden Kiefer unterbrochen, bis zur Talsohle erstreckte. Von hier aus hatte man einen herrlichen Panoramablick auf die umliegenden Berge und Täler, die sich im Sonnenschein in ihrem Festtagskleid dem Auge des Betrachters präsentierten. Auch Diana war vom Anblick der gewaltigen Natur tief beeindruckt und obwohl sie hier oben schon oft gewesen war, bot sich ihrem Auge doch immer wieder ein anderes Bild und es wurde ihr nie langweilig, die Aussicht zu genießen. Verträumt überließ sie ihrem Pferd vertrauensvoll die Zügel, wohl wissend, daß es nicht vom Wege abweichen würde.

Wie aus dem Nichts erklang plötzlich eine böse Stimme zur Rechten Dianas.

"Scher dich weg mit deinem Mistvieh, du blöde Kuh! Du verscheuchst mir ja das ganze Wild!" Erschrocken war die junge Frau zusammengezuckt und auch ihr Pferd spitzte verwundert die Ohren. Sie versuchte, den Sprecher ausfindig zu machen, doch verwehrten ihr die Büsche den Blick auf den wütenden Jäger. So drehte sie nur ihren schönen Kopf in Richtung auf den Mann und legte in einer sanften Gebärde den Zeigefinger auf ihre Lippen, zum Zeichen, daß der Mann schweigen möge. Wie oft hatte sie sich zu Pferd dem Wild bis auf wenige Meter nähern können, ohne daß dieses von ihrem Anblick erschreckt davongestoben war! Aber mit seinem Gebrüll hatte sich der Jäger selbst jeder Chance beraubt, an diesem Tag noch Wild zu Gesicht zu bekommen. Langsamen Schrittes entfernte sich Diana auf dem Weg.

Plötzlich durchbrach der scharfe Klang eines Schusses die Stille! Er schien von rechts oben zu kommen, wo das dichte Gesträuch jegliche Sicht verwehrte. Das Pferd erhielt einen Streifschuß an der Kruppe, der es erschrecken und sich aufbäumen ließ. Diana wurde brüsk aus dem Sattel geschleudert und stieß einen schrillen Angstschrei aus, als sie sah, daß sie über den Rand des Weges fallen würde. Ihr Pferd wurde durch diesen Laut noch mehr verunsichert, es machte einen großen Satz nach vorne und trabte dann eilig auf dem ihm bekannten Weg nach Hause. Dumpf trommelten die Hufe noch eine Zeit lang den Takt auf dem weichen Boden, dann verklangen sie in der Ferne.

Noch im Fallen versuchte Diana verzweifelt, sich an einigen vorstehenden Wurzeln zu halten, doch war ihr Schwung zu groß und sie konnte keinen sicheren Griff anbringen. Entsetzt krümmte sie sich im Vorgefühl des unvermeidbaren Sturzes in die Tiefe zusammen und dachte an ihre Tiere, die sie wohl nie wieder sehen würde. Der Fall war relativ kurz, was sie vor dem tödlichen Ausgang der Sache bewahrte, denn schon nach wenigen Metern wurde die junge Frau durch einen kleinen Felsvorsprung gebremst. Doch auch dies hatte schon genügt, da sie zwischenzeitlich mehrmals auf spitze Steine aufgeschlagen war, ihr das Bewußtsein zu rauben. So lag sie mit verdrehten Gliedern auf dem schmalen Grat, als der Jäger, der dies alles verursacht hatte, sich über die Kante herunterbeugte, um zu sehen, ob es noch etwas zu helfen gab. Da sie auf seine Rufe nicht reagierte, suchte er eiligen Schrittes sein Auto auf, wo er sein Telefon gelassen hatte. In wenigen Worten schilderte er den Unglücksort, vermied es jedoch, seine Rolle bei dem Vorfall genauer zu beschreiben. So wurde der Sturz in den Büchern des Krankenhauses, in welches die Verletzte nach viel zu langer Wartezeit auf einen Krankenwagen, dessen Fahrer sich auf den Waldwegen mehrmals verirrte, bevor er endlich die Unfallstelle erreichte, gebracht wurde, als einfacher Reitunfall deklariert.


Kurz bevor Diana das Bewußtsein verlor, sah sie, wie Sharif sich auf leichten Schwingen aus dem strahlend blauen Himmel zu ihr herab schwang und auf einem kleinen Felsbrocken nicht weit von ihr entfernt aufblockte.

"Wie kann ER denn hiersein?" wunderte sich Diana noch, "er ist doch in meinen Armen gestorben und ich habe ihn eigenhändig beerdigt!" Dann schwanden ihr endgültig die Sinne. Und doch hörte sie jetzt die Stimme ihres Falken ganz nah.

"Diana, du mußt leben, damit du uns Tiere weiterhin beschützen und pflegen kannst!" Verblüfft schaute Diana auf ihren Beizvogel, der mit ganz natürlicher, menschlicher Stimme zu ihr sprach. Oder verstand SIE jetzt etwa die Sprache der Tiere? Sie gab es auf, sich darüber zu wundern und fragte ihren Falken mit zarter Stimme:

"Bin ich denn so wichtig für euch Tiere? Es gibt doch auch noch andere Menschen, denen das Wohl der Tiere am Herzen liegt?"

"Ja, aber weder genug, noch von der richtigen Sorte!" bekräftigte der Falke und schüttelte seine Schwingen. "Aber komm, ich werde dich zuerst auf eine weite Reise mitnehmen, damit du wieder Freude am Leben gewinnst!" Er stieß einen schrillen Schrei aus und zwei dunkle Schatten stießen aus dem Himmel herab, die sich als zwei gewaltige Adler entpuppten. Sie nahmen Diana bei den Schultern und den Beinen und obwohl ihre Klauen nadelspitz waren, spürte Diana nicht den leisesten Schmerz. Die beiden Vögel trugen sie in die Lüfte hinauf und Sharif bewachte ihren Flug. Höher und höher ging es hinauf, bis die Sonne so gleißend vom Firmament schien, daß Diana die Augen schließen mußte und so über Richtung und Ziel ihrer Reise im Unklaren war.

Nach einer schier endlosen Zeit spürte sie, wie sich die beiden Greife langsam senkten und sie wurde vorsichtig auf einer weichen Unterlage abgesetzt. Als sie die Augen öffnete, sah sie eine sich fast endlos hinziehende, blumenbedeckte Wiese, durch die ein kleiner Bach seinen verschnörkelten Lauf zog. In der Ferne, fast unsichtbar im blauen Dunstschleier, befand sich ein wunderschönes Schloß, dessen Türme und Türmchen glänzend weiß in den Himmel ragten. Diana rieb sich verwundert die Augen. Träumte sie? War es Wirklichkeit? Oder gar etwas zwischen diesen beiden Dingen? Die beiden Adler jedenfalls waren wie durch Zauberhand verschwunden. Nur ihr treuer Falke saß neben ihr. Seine dunklen Augen ruhten wissend auf ihrem Gesicht, in welchem sich deutlich alle diese Fragen widerspiegelten.

"Herrin, du darfst dich über nichts wundern, was du hier siehst oder erlebst! Du bist in einer Welt, die nur für dich existiert. Sie ist aus deinen Träumen und Wünschen gewebt und ich werde darin dein Führer sein!"

Diana schaute an sich herunter und sah, daß sie noch immer ihre Reitkleidung anhatte, mit der sie auf den verhängnisvollen Ritt gegangen war. Ihre Bluse war zerrissen und blutig, ebenso die hellen Hosen. Nur ihre Stiefel hatten den Sturz scheinbar unbeschadet überstanden. Dennoch fühlte sie keinen Schmerz und als sie sich nun aufrichtete wunderte sie sich über die Leichtigkeit ihrer Bewegungen. Sie streckte ihren Arm aus und der Falke ließ sich darauf nieder. Und obwohl ihre zarte Haut durch keinen Lederhandschuh geschützt war, verletzten die scharfen Krallen des Vogels sie nicht.

"Wenn du mein Führer bist," begann sie, noch immer höchst verwundert über die Dinge, die hier geschahen, "so sage mir auch, wohin der Weg führt, den ich hier sehe." Denn tatsächlich fand sie wenige Meter von ihrem Lagerplatz entfernt einen staubigen Feldweg, der sich am Bach entlangschlängelte und in der Unendlichkeit der Ferne verlor. Der Falke erhob sich in die Lüfte und zog mit kräftigem Flügelschlag davon. Nach einer kleinen Weile kehrte er zurück und berichtete:

"Der Weg führt geradewegs zum Schloß, Herrin! Ich glaube, wir sollten ihm folgen." Diana war schon einmal aufgefallen, daß der Greif sie mit "Herrin" anredete und so wollte sie genauere Auskunft haben.

"Sharif, warum titulierst du mich mit "Herrin"? Du weißt genau, daß unser Verhältnis zueinander ein viel Näheres war. Ich liebe es nicht, über Tiere zu "herrschen" vielmehr sollen sie gleichwertige Partner und Freunde sein. Ich hoffe, du hast unser Verhältnis damals, in jener anderen Zeit so verstanden?" Der Falke nickte kurz mit seinem edlen Kopf.

"Natürlich, Diana! Und alle Tiere sind dir sehr dankbar für deine Einstellung! Aber hier bist du die Herrin, ich dein Führer und Berater. So wollen es die hiesigen Gesetze!"

Kopfschüttelnd fand sich Diana mit dieser Antwort ab. Der staubige Pfad schien kein Ende zu haben, denn schon lange hätten sie das Schloß erreichen müssen und doch lag es noch immer in weiter Ferne. Die Sonne brannte heiß hernieder und nur der kleine Bach brachte etwas Kühlung. Von Zeit zu Zeit ließ sich die junge Frau an seinem Rand nieder und trank einige Schlucke seines erfrischenden Wassers. Der Sakerfalke hatte keine Flüssigkeit nötig, war er es als Wüstenvogel doch gewöhnt, seinen Flüssigkeitsbedarf aus dem Blut seiner Beutetiere zu decken. So schritten sie stundenlang dahin, der Falke nun wieder auf der Faust der jungen Frau, ohne jedoch ihrem Ziel je näherzukommen. Plötzlich dachte Diana, wie gut es doch sei, das Schloß noch vor Sonnenuntergang zu erreichen, damit sie ihrem Falken noch einen angemessenen und sicheren Ruheplatz bereiten könne. Plötzlich schien das Schloß wie auf unsichtbaren Rädern zu rollen und in wenigen Augenblicken türmte sich die hohe Steinmauer mit dem schmiedeeisernen Portal vor ihnen auf.

"Können meine Wünsche das bewirkt haben?" fragte sich Diana, doch blieb ihr zum weiteren Staunen keine Zeit, denn ein in farbenprächtige Gewänder gekleideter Herold öffnete ihnen das Tor.

"Tretet ein, Herrin, der Herr erwartet euch schon!" erklärte er der verwunderten Frau. Wie betäubt folgte sie ihm durch einen sorgfältig angelegten Park, in welchem sich Blumenbeete mit weiten Rasenflächen abwechselten, Wasserspiele Kühle brachten und Marmorstatuen an den Wegrändern auf sie herniederblickten, bis zu einer riesigen Freitreppe aus schneeweißem Marmor. Nur aus den Augenwinkeln gewahrte sie, daß sich der Park hinter dem gewaltigen Gebäude noch endlos fortzusetzen schien, aufgelockert mit statuengeschmückten Fontänen und kleinen Marmortempeln. Ihr ganzes Augenmerk galt jedoch dem Mann, der sie unter dem mächtigen Vordach auf der obersten Treppenstufe erwartete. Der Herold begleitete sie bis dorthin, nahm ihr den Falken von der Faust, verneigte sich dann fast bis zum Boden und zog sich mit den Worten:

"Hier ist sie, Euer Hoheit!" zurück.

"Seid willkommen in meinem Heim!" sprach der Mann mit einer tiefen, wohlklingenden Stimme zu der verwunderten Diana und ergriff ihre nicht gerade sehr saubere rechte Hand, um sie an seine Lippen zu führen. Seine Geste und noch mehr sein Aussehen verschlugen Diana die Sprache. Der Mann war noch jung und von hoher, edler Gestalt. Sein männliches Gesicht umrahmte eine Fülle dunkler Locken und ein gepflegter Bart zierte seine Oberlippe. Unter dichten Brauen schauten große, ausdrucksvolle, dunkle Augen warmherzig in die Welt und eine edel geformte Nase verlieh dem Gesicht einen harmonischen Gesamteindruck. Wo hatte Diana diesen Mann schon einmal gesehen? Woher kannte er sie und warum begrüßte er sie mit der unverhohlenen Freude einer lange erwarteten Besucherin? Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Das war der Mann ihrer Träume! Der Mann, den sie in ihren Nächten sah, nach dem sie sich schon immer gesehnt hatte, der ihr aber nie hatte begegnen wollen! Und jetzt stand sie vor ihm, schmutzig und in zerrissenen Kleidern! Und er schien hoher Herr, wenn nicht ein Prinz zu sein! Zuerst wollte so etwas wie Scham die junge Frau befallen, doch war die Begrüßung durch den jungen Man so herzlich, daß sie ihren Aufzug vergaß und sich ganz dem Glücksgefühl hingab, welches sie erfüllte, seit sie erkannt hatte, wer ihr Gastgeber war. Da sie schon in ihren Träumen mit ihm gesprochen hatte, fiel es ihr leicht, sich seiner Sprache anzupassen.

"Seid gegrüßt Euer Hoheit!" lächelte ihn Diana sanft an und versank in einem tiefen Hofknicks, wie sie ihn vielleicht in einem alten Kostümfilm gesehen hatte. Doch der junge Mann zog sie sofort wieder hoch.

"Nicht doch!" protestierte er. "Ihr seid mir gleichgestellt. Doch kommt, tretet ein." Damit ergriff er zart die Hand der jungen Frau und zog sie in die riesige Empfangshalle. Dort war alles aus Marmor und edlem Holz. Erstaunt schaute sich Diana um. Überall standen Diener in goldbetreßter Livree und tausende von Kerzen warfen ihr warmes Licht in den Raum und ließen Schatten an den mit Meisterwerken der Webkunst behangenen Wänden tanzen. Der junge Mann führte sie wortlos durch die Halle zu einer riesigen Tür aus geschnitztem Eichenholz. Auf seinen Wink hin öffneten zwei Diener die hohen Flügel der Tür und gaben den Blick frei auf einen wunderschön eingerichteten Salon.

"Kommt, setzt Euch, Diana, ich glaube, ich bin euch eine Erklärung schuldig." meinte der junge Mann und leitete die junge Frau zu einem herrlichen Sessel auf dessen Brokatbezug Jagdszenen eingewebt waren. Diana wunderte sich immer mehr: woher kannte der Mann ihren Namen - und warum begrüßte er sie wie einen langersehnten Gast? Aber sie nahm Platz und der junge Mann setzte sich in einen Sessel neben sie. Auf einen leisen Wink von ihm brachte ein Diener eine Karaffe mit einem golden glänzenden Wein und schenkte in zwei fein ziselierte Kristallgläser etwas von dem königlichen Getränk ein. Dann zog er sich diskret zurück und verschloß die große Tür lautlos hinter sich. Der junge Mann reichte Diana eines der Gläser, nahm sich selbst das zweite und hob es zu einem Toast.

"Diana, ich trinke auf unsere noch so junge und doch schon so lange andauernde Bekanntschaft und hoffe, daß es Euch bei mir gefällt." Diana lächelte ihn freundlich an.

"Ich bin tief geehrt, daß Euer Hoheit mich bei sich empfangen, auch wenn mir einige Dinge noch unverständlich sind."

"Das ist mir klar und darum werde ich Euch Aufklärung geben. Doch bitte, nennt mich nicht immer >Euer Hoheit<."

"Leider kenne ich Euren Namen nicht." warf Diana zaghaft ein. "Niemand hat ihn mir je genannt." Da schüttelte der junge Mann den Kopf.

"Oh, doch, Ihr kennt meinen Namen aus Euren Träumen. Erinnert Ihr Euch denn nicht mehr an den Prinzen Eurer einsamen Nächte?"

"Inzwischen habe ich Euch schon erkannt, doch Euer Name ist mir entfallen," schlug Diana scheu die Augen nieder und versuchte sich an den Namen ihres Traummannes zu erinnern. Plötzlich leuchteten ihre Züge auf.

"Ich hab's!" rief sie froh aus. "Ihr seid  Prinz Philippe! Einer der wenigen Edelmänner vergangener Zeiten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das Edle der Jagd zu unterstreichen und gleichzeitig Respekt vor der Kreation haben!" Der Prinz nickte lächelnd und trank seinem Gast zu.

"Ich bin froh, daß Ihr Euch an meinen Namen erinnert habt, denn ich hätte ihn Euch nicht selbst nennen dürfen. So jedoch erlaube ich Euch, mich einfach Philippe zu nennen. Und jetzt hört, was ich Euch zu erzählen habe." Er setzte das Glas wieder auf den kleinen Tisch vor ihm ab und schaute Diana zärtlich an.

"Ich bin glücklich, daß Ihr den Weg zu mir gefunden habt, denn nur die Macht Eurer Wünsche und Träume konnte Euch hierher führen. So weiß ich, daß Ihr die gleichen Wünsche, Träume und Ziele habt, wie ich. Wir leben in einem Land außer Raum und Zeit, mit unseren eigenen Gesetzen und doch nicht so frei, wie es vielleicht den Anschein haben mag."

"Aber wie bin ich denn hierher gekommen?" wollte Diana wissen.

"Das ist nicht so einfach zu erklären." meinte Prinz Philippe. "Dazu ist ein Zusammenspiel vieler verschiedener Fakten nötig. Aber im Endeffekt hat Euch Euer braver Falke mit Hilfe der beiden Adler in mein Reich gebracht, jedoch war dazu auch die Hilfe Eurer Wünsche und Träume nötig." Diana schüttelte fassungslos den Kopf. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie so etwas geschehen konnte. Was war Realität, was Traum oder gar Wahnvorstellung? War sie noch am Leben, lag sie in Fieberträumen oder war sie gar gestorben? Sie konnte sich an nichts mehr erinnern, was vor ihrer Ankunft in dieses wundersame Land geschehen war. Scheinbar mußten sich ihre Gedanken auf ihrem Gesicht widerspiegeln, denn der junge Prinz nahm ihre schmalen Hände in die seinen und hauchte einen zarten Kuß darauf.

"Ihr dürft nicht darüber grübeln, Diana! Hier und jetzt ist die Wirklichkeit! Alles andere zählt nicht! Lebt und seid glücklich! Ich will alles tun, was in meiner Macht steht, um Euch Euren Aufenthalt hier so angenehm wie möglich zu gestalten." Und als hätten seine Worte alle Zweifel bei Diana zerstreut, fühlte sie plötzlich, wie sie ein unbeschreiblich schönes Gefühl überkam - hatte sie sich nicht immer schon danach gesehnt, dem Mann ihrer Träume zu begegnen?

"Philippe, ich danke Euch herzlich für Eure Güte und verspreche Euch, keine weiteren Fragen mehr zu stellen. Ihr habt recht, ich werde das Jetzt und Heute genießen und bin froh, daß Ihr mir Eure Gesellschaft anbietet."

"Dann kommt mit, ich werde Euch Eure Gemächer zeigen und die Zofe, welche ich zu Euren Diensten abgestellt habe." Diana konnte es noch immer nicht ganz fassen: Das war wirklich ein königlicher Haushalt, in einem prächtigen Schloß inmitten einer zauberhaften Landschaft - aber mitten im siebzehnten Jahrhundert! Doch hatte sie versprochen, sich mit dem Schein abzufinden und so folgte sie dem Prinzen wortlos, als er sich nun erhob und ihr seinen Arm bot. Er geleitete sie durch prächtige Korridore, deren Böden mit herrlich weißem Marmor ausgelegt waren und an deren Wänden hunderte Meisterwerke hingen, deren größter Teil Szenen aus der Beizjagd oder Parforcejagd darstellte, viele aber auch Ahnenporträts waren. Der Prinz hielt schließlich vor einer hohen Eichentür inne, die mit zierlichen Schnitzereien geschmückt war und stieß sie auf.

"Oh, wie herrlich!" entfuhr es der jungen Frau, als sie einen Blick in ihr Zimmer werfen konnte.

"Ich freue mich, daß es Euch gefällt." meinte Prinz Philipp. "Es war das Zimmer meiner Mutter und wurde seit Ihrem Fortgang nicht mehr verändert." Diana fragte sich, was er wohl mit <Fortgang> meinte. War seine Mutter verstorben - starb man in dieser Welt überhaupt? - oder war sie nur an einen anderen Ort gezogen? Statt dessen blickte sie nur auf den jungen Mann an ihrer Seite und meinte:

"Ich fühle mich geehrt und danke Euch sehr, daß Ihr mir das Zimmer Eurer Mutter zur Verfügung stellen wollt. Ich werde mich sehr wohl darin fühlen." Und wirklich: das Zimmer entsprach ganz ihren Vorstellungen. Die hohen Wände waren mit hellen Seidentapeten bespannt, deren dezente Blumenmuster dem Zimmer einen freundlichen Ton verliehen. Die hölzerne Decke war vom Alter gedunkelt und wohl auch vom Rauch des hohen Kamins, der einen großen Teil der einen Längswand einnahm, daneben gab es nur einen fein gearbeiteten Sekretär und einen Betstuhl. An der anderen befanden sich ein wunderschönes Himmelbett mit einem Baldachin aus feinster Seide und eine kleine Kommode. In der Mitte des Raumes standen ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen und ein Sessel. Der Ausblick aus den beiden hohen Fenstern, die sich in der Schmalseite des Raumes befanden, war atemberaubend. Der junge Prinz stieß einen der Flügel auf und ließ die laue Luft in den Raum fluten.

"Von hier aus könnt Ihr über den Park hinweg bis in die Unendlichkeit schauen." sagte er zu Diana, die staunend neben ihm stand und ihren Blick in die Ferne schweifen ließ.

"Morgen früh reiten wir zusammen aus, dann zeige ich Euch mein Reich aus der Nähe und später können wir dann jagen, wenn es Euch Spaß macht."

"Selbstverständlich macht es mir Spaß!" betonte Diana. "Ich bin gespannt auf Euren Marstall und auch auf das Wild in Euren Wäldern. - Aber...."

"Was heißt - Aber?" fragte der Prinz erstaunt. "Gibt es etwas, was Euch hindert, meine Einladungen anzunehmen?" Die junge Frau schlug die Augen nieder.

"Meine Kleidung!" stieß sie schließlich fast unhörbar heraus. "Ich besitze doch nur diese zerrissenen Kleidungsstücke." Da nahm sie Philipp in seine Arme und hauchte einen zarten Kuß auf ihre seidigen Haare.

"Aber das ist doch kein Grund, Trübsal zu blasen, Diana! Schaut her, in dieser Truhe findet Ihr alles, was Ihr benötigt - und sollte dennoch etwas fehlen, so braucht Ihr es nur Eurer Zofe zu sagen, sie wird Euch dann den Rest besorgen!" Damit nahm er eine kleine Glocke vom Tisch und schüttelte sie heftig. Auf den silberhellen Klang kam fast sofort eine ältere Frau in Dienstbotenkleidung durch eine kleine Seitentür in den Raum. Sie verbeugte sich ehrfürchtig vor dem Prinzen und schaute erstaunt auf die junge Frau in den ihr unbekannten und dazu noch zerrissenen Kleidern an seiner Seite.

"Ihr habt geläutet, Euer Hoheit?"

"Ja, Marie. Ich stelle dir hier Diana, deine neue Herrin vor. Vom heutigen Tage an wirst du ihr so dienen, wie du einst meiner Mutter gedient hast. In Treue und Ehrfurcht!"

"Zu Diensten, Euer Hoheit." knickste die Frau. "Wie soll ich die junge Dame anreden?" Der Prinz wollte eben zu einer Antwort anheben, als ihm Diana mit einer schnellen Geste Einhalt gebot.

"Nenne mich Mademoiselle Diana." bat sie die Frau und diese knickste wieder.

"Zu Diensten Mademoiselle Diana!" Dann zog sie sich auf einen Wink des Prinzen hin diskret zurück.

"Aber das wäre doch nicht nötig gewesen!" meinte Diana scheu zu dem Prinzen aufblickend. "Ich kann mich sehr gut alleine versorgen!" Der junge Mann schüttelte den Kopf.

"In meinem Reich werdet Ihr mit den Euch zustehenden Annehmlichkeiten verwöhnt werden, Diana. Ich weiß, daß Ihr eine sehr unabhängige und auf Selbständigkeit bedachte junge Frau seid, doch hier ist das alles unwichtig. Ich biete Euch ein Leben in Sicherheit und Geborgenheit, dazu gehört aber auch, daß Ihr Euch von mir verwöhnen laßt. Wenn Ihr einen Wunsch habt, so braucht Ihr nur zu klingeln, dann kommt Eure Zofe und steht Euch mit Rat und Tat zur Seite. Doch jetzt..." er sah die junge Frau mit einem unbeschreiblichen Blick seiner dunklen Augen an, "...doch jetzt ist es Zeit, Euch zur Ruhe zu begeben. Der Tag war lang und mit vielen Aufregungen versehen, erholt Euch gut, dann werden wir morgen früh auf Besichtigung meines Besitzes reiten." Damit beugte er sich über die Hand der jungen Frau und hauchte einen leichten Kuß auf die zarte Haut.

"Gute Nacht, mein Glücksstern!"

"Gute Nacht, mein Prinz!" hauchte Diana, bevor sich die Tür leise hinter dem jungen Mann schloß. Dann fuhr sie sich mit ihrer kleinen Hand über die Augen. Was war nur mit ihr los? Wie hatte das alles geschehen können? Doch eine kleine Stimme in ihr meldete sich leise zu Wort und sagte ihr, daß sie nicht grübeln, sondern alles einfach hinnehmen solle. Im Grunde genommen war dies auch die einzige Möglichkeit, um sich bei klarem Verstand zu halten. Diana schlug also die Decke von ihrem Bett zurück und gewahrte darunter ein Nachthemd aus feister Seide, so leicht und duftig, wie von Feenhänden gewebt. Eine hübsche Blumenstickerei verzierte den Halsausschnitt, die Bündchen an den Ärmeln und den Saum des herrlichen Stückes. Sie nahm es auf den Arm und betrat das Waschkabinett, wo schon ein Zuber mit heißem Wasser und die Zofe auf sie warteten.

"Mademoiselle Diana, Euer Bad!" meinte die Frau und nahm Diana das Nachthemd ab. Als diese dann in den Zuber stieg, brachte die Frau duftendes Badeöl und goß es in das Wasser, welchem sogleich ein besonderer Wohlgeruch entstieg. Diana begann sich zu entspannen und als die Zofe sie danach in ein großes, warmes Badetuch hüllte, spürte sie, wie müde sie eigentlich war. Kaum hatte sie die flauschigen Kissen berührt, da war sie auch schon eingeschlafen! Am nächsten Morgen betrat die Zofe leise das Zimmer der jungen Frau und zog die schweren Vorhänge von den Fenstern zurück. Helles Sonnenlicht durchflutete den Raum und ein vorwitziger Sonnenstrahl kitzelte das Gesicht der Schläferin. Diana reckte und streckte sich, bevor sie die Augen aufschlug und verwundert um sich schaute: Wo war sie? Was war das für ein Raum und wer war die fremde Frau, die dort am Fenster stand?

"Guten Morgen, Mademoiselle Diana, habt Ihr wohl geruht?" fragte die Frau und die Erinnerung kam der jungen Frau zurück.

"Oh, Marie! Ja, vielen Dank, ich habe sehr gut geschlafen!"

"Dann kommt, ich habe schon alles vorbereitet für Euch! Hoheit erwarten Euch in einer halben Stunde zum Frühstück!" Schnell war die junge Frau angekleidet. Als sie sich in einem Spiegel sah, erkannte sie sich fast selbst nicht wieder, so veränderten die Kleider ihr Aussehen! Sie trug einen weiten Reitrock aus flaschengrünem Samt, eine weiße Bluse aus feinstem Leinen mit Rüschen an Halsausschnitt und Ärmeln und darüber eine enganliegende Jacke aus dem gleichen Material, aus welchem auch der Rock gefertigt war. Die Kleidung vervollständigten ein grüner Hut mit Schleier und weiße Handschuhe. Diana wunderte sich ein wenig darüber, wie gut ihr die Kleider paßten und auch die Farben waren geschmackvoll zu ihren roten Haaren gewählt. Die Zofe hatte diese gebürstet, bis die Funken stoben und dann in enge Korkenzieherlocken gelegt.

"Ich komme mir vor, wie eine echte Prinzessin!" lachte die junge Frau und die Zofe nickte zustimmend.

"Das seid Ihr doch auch!" Zuerst wollte ihr Diana antworten, daß sie dies auf keinen Fall sei, doch dann überlegte sie es sich anders. Wozu die gute Frau enttäuschen? Vielleicht hatte sie der Prinz ja auch als edle Dame vorgestellt? Wie dem auch sei, Diana schwieg und ließ sich von einem vor der Tür wartenden Diener in das Frühstückszimmer führen, wo Prinz Philippe schon mit einem fürstlich gedeckten Tisch auf sie wartete.

"Guten Morgen, Diana, habt Ihr eine gute Nacht verbracht?" erkundigte sich der junge Mann, als er auf Diana zukam und ihr wieder sanft die Hand küßte.

"Ja, ich habe sogar ganz ausgezeichnet geschlafen!" nickte die junge Frau.

"Wie schön Ihr ausschaut in diesen Kleidern!" bemerkte der Prinz, als er sie mit einem schnellen Blick von oben bis unten musterte und Diana errötete bei diesem Blick bis unter ihre roten Haare.

"Ich danke Euch für das Kompliment. Da zeigt sich wieder die Wahrheit der Behauptung: Kleider machen Leute!" lächelte sie verschämt, doch der Prinz schüttelte den Kopf.

"Ihr seid immer schön, selbst in den zerrissenen Sachen, in welchen Ihr gestern hier angekommen seid." flüsterte er leise und die junge Frau schlug die Augen nieder.

"Kommt, laßt und frühstücken, die Pferde warten bereits ungeduldig auf unser Erscheinen!" rief der Prinz dann fröhlich und führte seinen Gast an die Tafel. Nach einem ausgiebigen Mahl, bei dem zwei Diener sie lautlos bedienten, geleitete der Prinz Diana über die Freitreppe auf das Rondell, wo zwei Knechte schon mit den Pferden warteten.

"Wie herrlich!" entfuhr es Diana, als sie die beiden Hengste sah, die sichtlich aus edelster arabischer Zucht stammten. Der eine war von einem tiefen Rostrot mit wallender Mähne und Schweif in einem tiefen Goldton. Auf der Stirn trug er einen kleinen, weißen Stern und auch die beiden Vorderfüße waren weiß. Der andere Hengst war von einem glänzenden Schwarz, ohne jegliches weißes Abzeichen. Der Rappe trug einen herrlichen schwarzen Sattel mit silbernen Beschlägen und auch am Zaumzeug glänzte es silbern, die Satteldecke war aus weißem Brokat. Der Fuchshengst trug einen aus Hirschleder hell gegerbten Damensattel auf einer grünen Brokatdecke, die hervorragend zu Dianas Kleidern paßte.

"Ich habe für Euch Harun al Raschid ausgewählt!" lächelte der Prinz und zeigte auf den Fuchshengst. "Ich hoffe, er gefällt Euch?"

"Er ist wunderbar!" rief Diana entzückt aus. "Ich hatte mir nicht träumen lassen, daß Ihr so herrliche Tiere besitzt!" Der junge Mann schmunzelte ein wenig.

"Immerhin kann ich es mir leisten!" meinte er dann leise.

"Und wie heißt Euer Hengst?" fragte die junge Frau neugierig.

"Sheitan - der Teufel!"

"Ich hoffe, er wird seinem Namen nicht gerecht - oder?"  fragte Diana den Prinzen, doch dieser lächelte.

"Nein, nein! Er heißt nur so, weil er schwarz ist, wie die Hölle, wie die ewige Finsternis. Sein Charakter aber ist genau das Gegenteil seines Namens." Damit ging er auf Diana zu und hob sie mit einer leichten Bewegung in den Damensattel, bevor er selbst auf dem Rappen Platz nahm. Die Knechte gaben die beiden Pferde frei und die Reiter lenkten ihre Tiere auf einen Weg, welcher sich durch den Park schlängelte. Seite an Seite ritten die beiden im gemütlichen Schritt einher, was Diana Gelegenheit dazu gab, sich alles genau anzusehen. Der Prinz führte sie so stundenlang auf seiner Domäne herum und zeigte ihr die schönsten Plätze. Gegen Mittag lenkte er sein Pferd plötzlich in ein kleines Waldstück, welches sie noch nicht durchquert hatten.

"Ich habe Euch eine Überraschung vorbereitet!" sagte er zu Diana, als sie in das schattige Halbdunkel einritten.

"Eine Überraschung? Was ist es denn?" wollte Diana wissen, doch der Prinz schüttelte den Kopf.

"Ihr müßt schon noch etwas Geduld haben, Diana! Gleich haben wir die Stelle erreicht, die ich Euch zeigen möchte!" Diana folgte ihm also auf einem Pfad, der sich eng und schmal durch dichtes Unterholz zog. Plötzlich erweiterte sich der Weg und die Bäume traten zurück und gaben eine Lichtung frei, in deren Mitte sich ein kleiner See befand, in dessen stillen Wassern sich ein winziger Tempel aus weißem Marmor spiegelte, der an dem mit Blumen übersäten Ufer stand.

"Mein Gott, wie herrlich!" rief Diana aus, als sie das wundervolle Bild gewahrte.

"Die Überraschung ist Euch wirklich gelungen! Ich bin ja so glücklich, daß Ihr mich hierher geführt habt!" rief sie überschwenglich aus.

"Es macht mich glücklich, daß es Euch hier so gut gefällt!" meinte der Prinz leise. "Um die Wahrheit zu gestehen, ich hatte Angst, Ihr könntet meinen Lieblingsplatz nicht so lieben, wie ich es tue."

"Aber das ist doch Unsinn!" rief Diana aus. "Wer könnte von diesem herrlichen Platz hier nicht begeistert sein!"

"Es gab einige, die es nicht waren!" dachte der Prinz, sprach dies aber nicht aus. Statt dessen sprang er mit einem eleganten Satz von seinem Pferd und half Diana aus dem Sattel. Dann verknotete er die Zügel über den Hälsen der Pferde, damit sie nicht hineintreten konnten und ließ die beiden Hengste frei.

"Werden sie nicht zurück ins Schloß laufen oder sich bekämpfen?" fragte Diana leise, doch der Prinz schüttelte den Kopf.

"Keine Angst, sie werden hier auf uns warten und sich auch nicht schlagen." Da war Diana beruhigt und reichte dem Prinzen ihren Arm, als er sie darum bat.

"Tretet ein in mein kleines Refugium!" sprach der Prinz feierlich und geleitete die junge Frau über zwei Stufen in den kleinen Tempel. Dort befanden sich zwei Bänke aus rosarotem Marmor sowie ein kleiner Tisch aus dem gleichen Material. Auf den Bänken lagen Brokatkissen und über den Tisch war eine Decke aus feinstem Leinen gebreitet. Die Öffnungen konnten mit schweren Brokatvorhängen, die kein Licht von außen hindurchdringen ließen, geschlossen werden.

"Nehmt Platz!" bat der Prinz Diana und als sich die junge Frau auf eine der Bänke gesetzt hatte, ließ er sich neben ihr nieder.

"Warum habt Ihr mich hierher gebracht?" flüsterte Diana, fast benommen von der Schönheit, die sie umgab.

"Ich wollte sehen, ob Ihr dasselbe fühlt, wie ich, wenn ich an diesen geheimnisvollen und wunderbaren Ort komme." flüsterte der Prinz. "Und Ihr habt mich nicht enttäuscht!" fügte er fast unhörbar hinzu. Dann näherte er sein Gesicht dem der jungen Frau und ihre Lippen fanden sich zu einem ersten, liebevollen Kuß. Diana war zuerst etwas überrascht, doch dann gab sie sich ganz der Süße ihres ersten Liebeskusses hin. Wie oft hatte sie davon geträumt, daß der Prinz sie in seine Arme nehmen und sie mit Zärtlichkeiten überschütten würde. Und jetzt waren ihre Träume? endlich wahr? geworden. Als der Prinz sie aus seiner Umarmung freiließ, war sie ganz atemlos und noch immer durchrannen süße Schauer ihren Körper.

"Liebste! Meine einzigartige, auserwählte Diana!" flüsterte der Prinz heiser. "Ist es wirklich wahr? Liebst du mich so, wie ich dich liebe?"

"Noch viel mehr! Mein geliebter Philippe!" hauchte die junge Frau und gab sich erneut dem Glücksgefühl eines langen Kusses hin. Mit zarten Fingern streichelte der Prinz die weiche Haut Dianas, fuhr ihr mit einem glückseligen Lächeln durch die Masse ihrer schweren, roten Locken und küßte immer wieder ihre schönen Augen, die kleine Nase und natürlich die sich ihm willig öffnenden roten Lippen.

"Mein Gott, was hast du nur aus mir gemacht!" stöhnte er, übermannt vom Glück, welches ihm hier widerfuhr.

"Ich könnte dich das Gleiche fragen!" hauchte Diana ihm ins Ohr. "Ist das die wahre Liebe, mein Liebster?"

"Ja, meine Geliebte, das ist die wahre Liebe, die durch nichts erschüttert werden kann!" flüsterte der Prinz. So saßen sie noch lange in Liebe verbunden in dem kleinen Tempel, bis der eine der Hengst laut aufwieherte und sie daran erinnerte, daß sie noch einen langen Heimweg vor sich hatten.

"Morgen organisiere ich eine Parforcejagd zu deinen Ehren!" rief Prinz Philippe übermütig aus, als die beiden auf dem Rücken ihrer Pferde nun in wildem Galopp auf das Schloß zustrebten.

"Ich habe zwar schon davon gehört und gelesen," rief Diana gegen den Wind zurück, "aber ich habe noch nie an einer solchen Jagd teilgenommen!"

"Dann laß dich überraschen!" rief ihr der Prinz zu und trieb seinen Hengst an, damit er wieder auf gleiche Höhe mit der jungen Frau kam. Kurz vor dem eigentlichen Schloßpark ließen sie ihre Pferde in Schritt fallen, damit diese ein wenig verschnaufen konnten, bevor sie wieder in die Stallungen kamen. Vor der Freitreppe warteten schon die beiden Knechte auf die Reiter und führten die Hengste, nachdem der Prinz abgestiegen war und Diana aus dem Sattel geholfen hatte, wieder in ihre Boxen zurück.

"Du hast sicherlich Hunger, nach dem langen Ritt?" stellte der Prinz fest und Diana nickte.

"Vorher war es mir gar nicht aufgefallen," lachte sie, "aber jetzt, wo du es erwähnst, spüre ich wirklich, daß ich etwas zu Essen vertragen könnte!"

"Dann kleide dich schnell auf deinem Zimmer um, ich sage in der Küche Bescheid, daß wir in einer halben Stunde zu speisen wünschen." meinte Prinz Philippe und hauchte ihr einen Kuß auf die Wange. Diana lief schnell auf ihr Zimmer und klingelte nach der Zofe.

"Maria, bitte bringe mir ein hübsches Kleid, in einer halben Stunde möchte der Prinz zu Tisch gehen!"

"Ich lasse sofort heißes Wasser für ein Bad kommen und werde alles zu Eurer Zufriedenheit vorbereiten." meinte die Zofe und verschwand eilig aus dem Zimmer. Als Diana nach einem entspannenden Bad in den Speisesaal trat, traf sie ein bewundernder und liebevoller Blick des jungen Mannes.

"Du siehst herrlich aus!" rief er, als Diana in einem dunkelblauen Kleid, welches sich mit der Korsage eng an ihren herrlichen Körper schmiegte und im Rock weit und leicht um ihre Beine schwang, auf ihn zu schritt.

"Du aber auch, mein geliebter Prinz!" flüsterte die junge Frau und schaute ihn verliebt an. Auch der Prinz trug Blau. Zwar waren seine eng anliegenden Hosen naturfarben, die Jacke jedoch mit den weiten Ärmeln, aus denen feine Rüschen hervorlugten, war mitternachtblau mit dunkelroten Besätzen. Galant geleitete der Prinz die junge Frau an ihren Platz und setzte sich dann neben sie. Diener trugen wieder lautlos die verschiedenen Gänge auf. Zuerst servierten sie eine feine Suppe mit Kräutern, danach gebratenes Wild, Fasan, Ente und kleine Wachteln mit den dazugehörigen Beilagen. Später folgten verschiedene Käsesorten mit frischgebackenem Brot der verschiedensten Sorten, zum Dessert gab es eine Vanillecreme mit frischen Himbeeren. Von dem zu jedem Gang servierten Wein nippte die junge Frau nur und auch der Prinz leerte seine Gläser nicht. Endlich erhob sich der junge Mann und schaute Diana tief in die Augen.

"Möchtest du auf mein Zimmer kommen?" fragte er sie fast unhörbar und in seiner Stimme schwang die Angst vor einer Absage mit. Doch dann leuchteten seine Augen strahlend, als Diana wie selbstverständlich nickte.

"Ich gehöre dir, seit aller Zeit und in alle Ewigkeit!" hauchte sie leise. Und wirklich: sie hatte keine Angst vor diesem Moment, noch Bedenken, wie das alles enden würde. Was zählte, war das Jetzt und Heute, alles andere war nebensächlich. Auf diese Liebe hatte sie ihr Leben lang gewartet, jetzt war sie da! Glücklich geleitete der Prinz die junge Frau zu seinem Zimmer. In dem riesigen Raum, dessen Wände mit feinstem Leder bespannt waren, herrschte eine gelöste Atmosphäre. Durch die Fenster fiel hell die Sonne und spiegelte sich auf den feingeschnitzten, zum Teil mit schönen Intarsienarbeiten versehenen und auf Hochglanz polierten Möbeln. Da gab es einen Sekretär, zwei hohe Schränke, mehrere Sessel, deren Sitze und Lehnen mit gestickten Szenen aus dem höfischen Leben verziert waren und ein riesiges Himmelbett, dessen Vorderseite geschnitzte Jagdszenen aufwies. Als der Prinz eine kleine Glocke ergreifen wollte, die sich auf einem kleinen Nachttisch neben dem Bett befand, legte Diana ihre zarte Hand auf seinen Arm und schüttelte den Kopf.

"Ich brauche keine Zofe!" flüsterte sie verschämt. Da riß sie der junge Mann an sich, bedeckte ihr Gesicht mit heißen Küssen und begann vorsichtig, mit vor Aufregung zitternden Fingern, die Bänder und Haken ihres Kleides zu lösen. Später, viel, viel später, kuschelte sich die junge Frau eng an den warmen Körper des geliebten Mannes, dessen zarte Berührungen ihr noch immer Wonneschauer durch die Adern jagten und versuchte, ein wenig Schlaf zu finden. Denn der Prinz hatte ihr gesagt, daß sie sehr früh am nächsten Morgen zur Parforcejagd aufbrechen würden. In ihren Träumen erlebte sie noch einmal diese, ihre erste Liebesnacht und wußte, daß sie dem Prinzen für immer angehören würde. Am nächsten Morgen küßte sie der Prinz zart wach. er war schon vollständig angezogen und sah hervorragend aus in seiner Lederkleidung.

"Liebste, du mußt aufstehen, wenn du vor dem langen und anstrengenden Jagdtag noch etwas zu dir nehmen willst!" flüsterte er ihr ins Ohr und Diana kam langsam zu sich.

"Liebling, du bist ja schon angezogen!" rief sie verschlafen aus.

"Es ist schon spät!" lächelte der junge Mann. "Und du hast so friedlich geschlafen, wie ein Baby, da wollte ich dich nicht vorzeitig wecken! Doch jetzt mußt du aufstehen, willst du nicht die zu deinen Ehren veranstaltete Jagd verpassen!" Da schlüpfte die junge Frau geschwind aus den warmen Decken und warf sich ihre Kleider über.

"Keine Angst, mein Zimmer hat einen geheimen Durchgang zu dem deinen!" lächelte Prinz Philippe und zeigte auf eine versteckte Tür in der Wand. "Du kannst so ungesehen auf dein Zimmer gelangen, wo Maria schon alles für dich vorbereitet hat."

"Vielen Dank, Geliebter!" flüsterte Diana, bevor sie nach einem schnellen Kuß in den schmalen Durchgang schlüpfte. Auf ihrem Zimmer fand sie ein neues Jagdgewand, diesmal Männerkleider und war glücklich über die zartfühlende Vorsicht des Prinzen, der wohl – zu Recht – annahm, daß für sie eine wilde Jagd im Damensattel zu ungewohnt und anstrengend sei. Sie nahm schnell ein erfrischendes Bad und lief dann den ihr nun schon bekannten Weg ins Frühstückszimmer, ohne auf den Diener zu warten, der sie dorthin führen sollte. Gerade wollte sie auch selbst die Tür öffnen, als sie viele Stimmen aus dem Innern des Zimmers hörte.

"Fast hätte ich es vergessen!" flüsterte sie sich selbst zu. "Der Prinz hat natürlich Gäste eingeladen!" Also wartete sie darauf, daß der Diener an der Tür sie einließ und mit Stentorstimme verkündete:

"Ihre Hoheit, Prinzessin Diana!" Die junge Frau lächelte noch über den neuen Titel, doch dann strahlten ihre Augen, als der Prinz auf sie zukam und sich vor ihr verneigte.

"Seid gegrüßt, mein lieber Gast!" sagte er laut, doch als er sich zum höflichen Handkuß über ihre schmalen Finger beugte, hauchte er:

"Meine geliebte Diana! Sei mir nicht böse, doch bevor ich dich offiziell vorgestellt habe, muß ich so förmlich sein!" Die junge Frau nickte leicht.

"Habt vielen Dank, Euer Hoheit, für den herzlichen Empfang!" sagte sie laut und hauchte, während sie in einen Hofknicks versank:

"Ich werde dich nicht enttäuschen, Geliebter!" Danach stellte sie der Prinz seinen erlauchten Gästen vor, die alle ein wenig erstaunt auf die junge Frau in Männerkleidern blickten, aber keine Bemerkung darüber machten, zumindest nicht im Beisein des Prinzen und Dianas. Nach einem ausgiebigen Frühstück begaben sich die Gäste in den Hof zu ihren Pferden und Equipagen. Der Prinz hatte für Diana wieder Harun al Raschid satteln lassen, doch diesmal trug der Hengst einen normalen Sattel. Es war ein buntes Bild, welches die Jäger empfing. Die Meute stand schon winselnd und bellend bereit, die gescheckten Bracken warteten nur noch auf den Befehl ihres Masters, um die Jagd aufzunehmen. Bald waren alle Gäste beritten, die Begleiter hatten ihre Kutschen bestiegen und es konnte losgehen. Der Prinz gab das Zeichen zum Abritt, die Hörner wurden geblasen und alle folgten ihm. Diana ritt an seiner Seite und konnte sich ungehört mit ihm unterhalten, da ihnen die anderen in respektvollem Abstand folgten.

"Heute wirst du eine ganz besondere Form der Jagd erleben, geliebtes Herz." begann der Prinz seine Erklärungen. "Schon in aller Frühe haben meine Leute einen Hirsch ausfindig gemacht, auf dessen Spur werden die Hunde gesetzt. Was dann kommt, müssen wir dem Zufall überlassen. Es ist gar nicht so selten, daß das Wild entkommt oder die Hunde die Spur verlieren.

"Ich habe schon einiges über diese Art der Jagd gelesen," meinte Diana, "es war mir aber nie vergönnt, an einer solchen Parforcejagd teilzunehmen. Im übrigen ist es mir egal, ob ein Wild zur Strecke gebracht wird oder nicht, die Hauptsache ist doch das Reiten mit der Meute."

"Das darfst du aber nicht meinem Oberjäger erzählen!" lächelte der Prinz. "Er fühlt sich in seiner Ehre und seinem Können verletzt, wenn die Jagd erfolglos verläuft."

"Von mir wird er es auch nicht erfahren." schmunzelte Diana, dann aber konzentrierte sie sich ganz auf den Ritt, denn nun hatte der Führer der Meute seine Hunde auf die Fährte gesetzt und diese folgten ihr in schnellem Lauf. Dahinter der Prinz mit seiner Begleiterin, danach das übrige Jagdfeld. In schnellem Galopp ging es auf breiten Schneisen durch die lichten Wälder. Diana fühlte, wie sie die Erregung der Jagd ergriff, als die Hörner das Zeichen gaben: Hirsch voraus! Nach einem wilden Jagen durch Dick und Dünn konnte die Meute den starken Hirsch endlich am Rande einer Lichtung stellen. Dieser wehrte sich mit seinem gewaltigen Geweih und hielt die Hunde auf Abstand. Da war der Prinz auch schon heran, sprang mit einem geschmeidigen Satz von seinem Pferd, ließ sich von seinem Oberjäger die Lanze reichen und näherte sich vorsichtig dem edlen Wild. Mit Schaum bedeckt und sich noch immer die wütende Meute vom Leibe haltend, bemerkte der Hirsch den Jäger kaum. Dieser wartete auf den richtigen Moment, in welchem er die Lanze mit einem geübten Stoß in den Körper des Tieres trieb. Der Hirsch war tödlich getroffen. Noch einmal hob er sein gewaltiges Haupt, dann brach der Blick in seinen Augen und er stürzte nieder. Nun wollten sich die Hunde über seinen leblosen Körper hermachen, sie wurden aber vom Führer der Meute zurückgetrieben. Der Oberjäger überreichte dem Prinzen den Bruch und die inzwischen herangekommenen Begleiter gratulierten ihm zu dem gelungenen Jagdausgang. Diana stand ein wenig abseits, ihre schönen Augen schimmerten feucht, so glücklich war sie über den Erfolg des geliebten Mannes. Dieser wendete sich nun von dem erlegten Wild ab und kam langsamen und gemessenen Schrittes auf sie zu. Die übrigen Jagdteilnehmer schauten erstaunt auf die nun folgende Szene, denn der Prinz beugte sein Haupt vor der jungen Frau und überreichte ihr den Bruch mit den Worten:

"Prinzessin Diana, diesen Hirsch habe ich Euch zu Ehren erlegt, so nehmt denn auch den Bruch aus meiner Hand zum Zeichen meiner Ergebenheit."

"Ich danke Euch, edler Herr," flüsterte Diana gerührt, da der Prinz sie vor so vielen Leuten ausgezeichnet hatte. "Ich werde diesen Bruch in Ehren halten, zum Andenken an diesen Tag und im Gedenken an Euch. Aber nun müßte ich Euch auch eine Gabe überreichen," fügte sie zögernd hinzu, doch der Prinz wehrte schnell ab.

"Die schönste Gabe, welche Ihr mir geben könnt, ist Eure Anwesenheit, Prinzessin. Nun laßt uns aber ins Schloß zurückkehren," wendete er sich an die Jagdgesellschaft, "der Ritt war lang und anstrengend und ich möchte erholte Gäste auf meinem Ball heute Abend sehen!" Er dankte den Jägern, welche sich um die Versorgung des Wildes bemühten, für die gelungene Jagd und begab sich wieder zu seinem Pferd. Mit einem Sprung war er im Sattel, dann ritt er mit Diana an seiner Seite und den übrigen Reitern im Gefolge zum Schloß zurück. Als sie die Pferde vor den Stallungen halten ließen, flüsterte der Prinz seiner Begleiterin schnell zu:

"Geh in deine Gemächer, ich werde später nachkommen."

Diana nickte leicht und lief frohen Schrittes ins Schloß. Dort hatte die Zofe schon ein warmes Bad mit duftenden Ölen vorbereitet und Diana streckte sich wohlig in der Wanne aus. Später zog sie ein Hausgewand aus flaschengrüner Seide an, welches ihr vortrefflich stand und wartete, nachdem die Zofe das Zimmer verlassen hatte, auf den geliebten Mann. Dieser kündigte sich auch bald darauf mit einem leisen Klopfen an der verborgenen Tapetentür an. Auf Dianas leisen Ruf trat er in ihr Zimmer und schaute bewundernd auf die junge Frau.

"Geliebte, du bist die schönste Frau, die ich je gesehen habe! Aber obwohl dir dieses Gewand bestens zu Gesichte steht, möchte ich dich doch in deiner vollen, dir eigenen Schönheit sehen!" flüsterte er und begann, ihr das Gewand von den Schultern zu streifen. Diana erschauerte vor Wonne bei der sanften Berührung seiner Hände und ließ sich, als die Seide mit einem leisen Seufzer zu Boden fiel, von ihm zum Bett tragen. Seine Küsse erweckten ein Feuer in ihr, welches sie nie geglaubt hatte, einmal verspüren zu können und seine warmen, sanften Hände ließen wohlige Schauer durch ihren Körper rinnen.

"Mein Leben, meine Liebe!" seufzte der Prinz leise, "Du bist die Sonne meines Daseins, welche Wärme und Leben spendet, gehst du aber fort, so wird alles kalt und zu Eis!"

"Sprich nicht so, Geliebter! Du machst mich verlegen!" hauchte Diana, während sie leidenschaftlich seine Küsse erwiderte. Nach langer, langer Zeit strich ihr der Prinz zärtlich eine Strähne ihres wunderbaren Haares aus der Stirn und erhob sich.

"Meine Geliebte! Ich muß dich jetzt für kurze Zeit verlassen, denn die Stunde des Balles rückt näher und ich habe noch einige Vorbereitungen zu treffen. Ich werde dir durch deine Zofe dein Ballgewand schicken und erwarte dich in einer Stunde in der Empfangshalle." Damit verließ er das Zimmer wieder durch die Tapetentür und schon ein paar Augenblicke später klopfte die Zofe an die Zimmertür. Diana hatte sich inzwischen wieder das Hausgewand übergestreift und erwartete die Zofe vor ihrem Ankleidetisch sitzend.

"Dieses Ballkleid sendet Euch der hohe Herr und bat mich gleichzeitig, Euch das Haar zu richten." verbeugte sich die Zofe tief vor Diana.

"Bitte beginnt, ich möchte den Prinzen nicht warten lassen." meinte Diana und überließ sich den erfahrenen und flinken Händen der Zofe. Als sie sich dann im Spiegel begutachtete, entfuhr ihr ein kleiner Laut der Bewunderung.

"Ihr habt mich ja in eine wahre Prinzessin verwandelt!" Und so war es auch. Das Kleid aus grün und golden schimmerndem Brokat paßte ihr wie angegossen. Das eng anliegende Oberteil mit der schmalen Taille und den langen, sich vom Ellenbogen aus öffnenden Ärmeln betonte ihren schönen Körper und der weite Rock mit der kurzen Schleppe gab ihr etwas Hoheitliches. Das Haar war in Korkenzieherlocken gelegt, einige kleine Strähnchen umspielten die Stirn. Auf dem Haupte trug Diana eine mit Edelsteinen besetzte Tiara, den schlanken Hals schmückte ein ebensolches Kollier und an den Fingern trug sie funkelnde Ringe. Sie erkannte sich fast selbst nicht wieder.

"Ihr seht aus, wie einem Traum entstiegen!" meinte voller Bewunderung die Zofe. "Doch nun kommt, der Herr wird Euch sicher schon erwarten." Diana folgte der Zofe durch die Gänge, bis sie endlich in der Empfangshalle ankamen. Dort erschien auch soeben von der anderen Seite her Prinz Philippe in seinem Staatsgewand.

"Prinzessin, ich danke Euch, daß Ihr mich nicht warten laßt." Damit beugte er sich über die Hand, welche ihm Diana zum offiziellen Gruße reichte und hauchte einen zärtlichen Kuß darauf, während seine Finger zart ihr Handgelenk streichelten. Diana erbebte unter dieser Berührung, die wie ein Versprechen ihrer Liebe war. An der Seite des Prinzen empfing sie die geladenen Gäste, mancher verwunderte Blick wurde ihr zuteil, doch seine Nähe gab ihr Kraft und sie bewältigte ihre Aufgabe zu aller Zufriedenheit. Nach dem Empfang bat der Prinz seine Gäste in den Schloßpark, wo Kapellen an verschiedenen Stellen aufspielten und andere Darbietungen die Gäste erfreuten. Langsam näherte sich das rauschende Fest seinem Höhepunkt. Die Alleen waren mit bunten Masken und Verkleidungen aller Art bevölkert, die sich langsam auf den Ballsaal zu bewegten, in welchem nach dem ausgiebigen Abendmahl noch bis lange in den Morgen hinein getanzt werden würde. Die Lampions im Park begannen langsam einer nach dem anderen zu verlöschen. Noch einige Wortfetzen, leises Gelächter, dann breitete sich tiefe Stille über der schlafenden Natur aus, als auch die letzte der großen Flügeltüren zum Ballsaal geschlossen wurde und nur noch ein warmer Lichtschein aus den Fenstern auf die Freitreppe und das Rondell davor fiel. Mit einem Male schien Leben in die hier und dort zur Zierde des Parks aufgestellten Marmorstatuen zu gelangen. Als erste bewegte Diana, schlanke Göttin der Jagd, ihre Pfeil und Bogen haltenden Marmorhände und sprang mit einem geschmeidigen Satz vom Sockel über dem Brunnen auf den Weg. Sie legte ihre Waffen am Rande des Beckens nieder und schritt mit leichten Bewegungen über den Kies. Bei jeder weiteren Statue angelangt, strich sie mit ihren Händen über den kalten Stein. In wenigen Augenblicken waren alle Statuen zum Leben erweckt. Götter oder Profane, Menschen, Tiere oder Fabelwesen, sie alle bevölkerten den jetzt menschenleeren Park, in welchem soeben das Fest zu Ende gegangen war. Leise Stimmen durchklangen die stille Nacht, fast nur wie ein Windhauch und doch verstanden sich alle. Im Schimmer des silbernen Mondlichts näherte sich der Hubertushirsch der Jägerin, das Kreuz blinkte hell zwischen den Stangen seines wunderbaren Geweihs. Vertrauensvoll legte er seine weiche Nase auf den Arm der Göttin, wohl wissend, daß heute alle Waffen schweigen und Friede und Eintracht herrschen würden.

"Habt ihr sie gesehen? Die junge Herrin? Ob sie wohl bleiben wird?" So wurde allenthalben gefragt, doch niemand wußte eine Antwort zu geben.

"Wenn sie bleibt, dann ist unser Warten zu Ende!" meinte eine Alabastereule. "Dann ist unsere Mission erfüllt und ewiger Frieden wird herrschen zwischen Menschen und Tieren!"

"Aber was geschieht denn dann mit der Jagd?" rief die Schutzgöttin der Jäger verunsichert aus. "Soll ich umsonst geschaffen worden sein?"

"Aber nein," beruhigte sie ein Wasserspeier aus Granit. "Wir wollen ja nur, daß die Menschen Respekt lernen vor der Schöpfung. Sie sollen ja auch weiterhin Fleisch essen dürfen - nur eben die Haltungsbedingungen und Transport oder Schlachtung sollen besser reglementiert werden!"

"Wie kann es aber ein junges Mädchen fertigbringen, eine so schwierige und langwierige Aufgabe zu lösen?" wollte der Hubertushirsch wissen.

"Wenn sie den Herrn heiratet und hier unter uns bleibt, dann ist es vollbracht!" sprach die weise Eule. "Ihr Leben steht für das aller anderen, ihr Vorbild hier wird zum Leitmotiv aller Menschen werden!" Damit flog sie davon, um sich im Schutz der Dunkelheit dem Schloß zu nähern. Sie wollte durch ein Fenster schauen und vielleicht den ganz entscheidenden Augenblick miterleben, wenn die junge Frau dem Herrn ihr Jawort geben würde. Inzwischen näherte sich ein schneeweißer Marmorschimmel auf tanzenden Hufen einem kleinen, versteckten Tempel, der mitten im Wald auf einer Lichtung stand und zu vertraulichen Begegnungen geradezu einlud. Dort wartete eine zierliche, feingeschnitzte Holzstute aus dem Karussell auf ihn.

"Hast du die neue Herrin schon gesehen?" wollte sie von dem Marmorhengst wissen. Dieser schüttelte sein Haupt, daß seine silbrige Mähne nur so flog.

"Nein, Liebste! Ich stehe ja auf meinem Sockel ziemlich abseits von den Hauptwegen und konnte sie so noch nicht zu Gesicht bekommen."

"Wie schade!" rief die kleine Stute aus. "Ich hätte so gerne gewußt, wie sie aussieht!"

"Sie ist sehr schön, habe ich mir sagen lassen." meinte der Hengst nachdenklich. "Sie hat ein gutes Herz und ist gerecht in ihren Handlungen. Sie ist die Auserwählte! Wenn sie unserem Herrn das Jawort gibt, dann bricht ein neues Zeitalter für uns an!"

"Oh, laß es doch geschehen!" seufzte leise die zarte Stute. "Wie lange warten wir nun schon auf diesen Augenblick!" Der Hengst stieg auf die Hinterhufe und hob sein stolzes Haupt hoch in den Nachthimmel, an dessen Firmament der helle Vollmond neben unzählbaren Sternen leuchtete.

"Wie schön wäre es, wenn wir in jeder Vollmondnacht zu neuem Leben erweckt würden und nicht nur jeweils dann, wenn eine neue Auserwählte erscheint!" rief er laut aus. "Oh, laß es geschehen, daß sie bleibt und uns neue Kraft gibt! Für jede neue Vollmondnacht!" dann warf er sich auf den Hinterhufen herum und galoppierte mit weiten Sätzen um die Lichtung herum. In angemessenem Abstand folgte ihm die kleine Stute. Das ging so eine ganze Zeit lang, bis der Marmorhengst endlich innehielt und sich der Stute zuwendete.

"Komm, wir wollen die Gelegenheit nützen!" flüsterte er vieldeutig und beschnoberte die weichen Nüstern der Stute. Da diese einverstanden schien, begann er das Liebesspiel der Pferde, Flucht und Nachsetzen, Abtasten und sich einander hingeben.

 

In der Zwischenzeit hatte Diana an der langen, festlich gedeckten Tafel an der Seite Prinz Philippes Platz genommen. Eine Kapelle spielte leise im Hintergrund zärtliche und verträumte Melodien. Nachdem auch die übrigen Gäste ihre Plätze eingenommen hatten, erhob der Prinz seinen goldenen Kelch.

"Trinken wir auf die junge, edle Dame an meiner Seite, Diana, meinen lieben Ehrengast, der zuliebe heute dieser festliche Ball stattfindet." Bei diesen Worten schaute er der jungen Frau tief in die Augen und sah darin einen wunderschönen Glanz, der ihm verheißungsvoll erschien. Als alle ihre Kelche geleert hatten, dankte Diana dem Prinzen mit sanfter Stimme.

"Euer Hoheit, Prinz Philippe, ich danke Euch für die Ehre, die mir heute und auch schon seit geraumer Zeit bei Euch zuteil wird. Ich bin überwältigt von Eurer Güte und es ist schwierig mit Worten auszudrücken, was ich für Euch und Eure Gastfreundschaft empfinde! Ich danke Euch von ganzem Herzen für all das Gute und Schöne an dem Ihr mich teilhaben ließet!" Alle Augen waren bei diesen Worten auf die junge Frau gerichtet, die keiner kannte, von welcher niemand etwas Genaues wußte und die doch so vom Prinzen ausgezeichnet wurde. Doch der Prinz ließ sich zu keinen Erklärungen hinreißen, sondern eröffnete das Bankett, bei dem es sich alle gut schmecken ließen. Erst nach geraumer Zeit kündigte ein Trompetenstoß den Beginn des Tanzes an. Der Prinz bot seiner Begleiterin den Arm und führte sie gemessenen Schrittes auf die Mitte des Tanzparkettes. Zu den Klängen einer zärtlichen Melodie eröffnete das Paar den Tanz. Die Stunden vergingen und Diana schien es so, als ob sie dem Himmel entgegen schweben würden, nur sie und der junge Prinz, obwohl die Tanzfläche gefüllt war mit sich im Takte der Musik bewegenden Tänzern. Nur allzu bald schon kündigte ein erneutes Trompetensignal an, daß der Ball sich seinem Ende zuneigte. Der Prinz und Diana verabschiedeten die zufriedenen Gäste, dann zog der junge Mann seine Partnerin zu einem Sofa, welches vor einem der riesigen Kamine stand. Als sie Platz genommen hatte, ließ er sich vor ihr auf die Knie sinken.

"Diana, meine Liebste, mein Leben, willst du mir die große Gnade erweisen und mich heiraten?" fragte der Prinz atemlos die junge Frau. Er nahm ihre zarten Hände in die seinen und sah sie ernst, hoffnungsvoll und voller Liebe an. Diana schaute erstaunt zu ihm herab und gewahrte einen warmen, liebevollen Schimmer in seinen braunen Augen. Erst jetzt wurde sie sich bewußt, daß der Glanz, den sie schon so oft gesehen hatte, mehr war als nur die Freude, eine gleichgesinnte Partnerin gefunden zu haben. Er wollte sie behalten! In Windeseile jagten sich ihre Gedanken. Sicher, es war wunderschön hier, das Leben sagte ihr zu und der junge Mann wäre bestimmt ein wunderbarer Partner, aber .... Tief in ihr drinnen meldete sich eine winzige Stimme zu Wort. Zuerst schenkte sie ihr keine Beachtung, doch dann fiel ihr Blick aus dem Fenster in den Hof. Dort saß Sharif auf seinem Block, gut geschützt in der Falknerei - und sie erinnerte sich!

"Wenn ich deine Bitte, mich zur Frau zu nehmen, akzeptiere," hauchte Diana, "verliere ich dann - alles andere?" Mit klopfendem Herzen und Angst in ihren schönen Augen wartete sie auf die Antwort des Mannes. Dieser schien einen langen inneren Kampf mit sich auszutragen, doch am Ende siegte wie immer sein Edelmut.

"Wenn du meinen Antrag annimmst, Geliebte, bringst du damit den Tieren - allen Tieren - Respekt und Achtung aller Menschen ein. Aber..." hier stockte seine Stimme ein ganz klein wenig, "aber du gibst dich selbst damit auf. Du kannst auch als Auserwählte nicht nach Belieben zwischen den Welten wechseln - wenn du deine Entscheidung getroffen hast, wird sie endgültig sein." Er sah das Erschrecken in ihren Augen und wußte, daß er sie verloren hatte. Sie war nicht bereit, den entscheidenden Schritt zu tun - vielleicht - noch - nicht. Diana löste sich zart aus seiner Umarmung und schüttelte bedauernd den Kopf.

"Philippe! Ich liebe dich und das Leben hier. Du hast mir das Glück geschenkt und das Wissen um Deine Liebe macht mich unendlich froh. Aber ich kann meine Verantwortung meinen eigenen Tieren gegenüber nicht einfach so ablegen, auch wenn es für das Wohlergehen aller Tiere sein sollte. Und dann... ich lebe hier in einer Welt, die mir unerklärlich ist – mein Verstand hat dies alles noch nicht akzeptiert, ich weiß, ich soll nicht darüber nachdenken, aber ich tue es dennoch und dann... Oh Gott, Philippe! Ich liebe dich über alles, aber ich – ich kann nicht hierbleiben....." Ihre Stimme brach und Tränen flossen ihr die Wangen hinab.

"Liebster, ich muß dich enttäuschen, bitte sei mir nicht böse, aber ich kann nicht anders! Vielleicht ist mein Weg vorgezeichnet, vielleicht werde ich meinen heutigen Entschluß noch bereuen - aber ich fühle, daß ich so handeln muß, wie ich es jetzt tue!" schluchzte sie. Sie legte ihre Arme um den Hals des jungen Mannes, drückte ihn fest an sich und hauchte einen Kuß auf seine Lippen. Dann riß sie sich los, ließ den jungen Mann mit seiner Verzweiflung allein und rannte in ihr Schlafzimmer, dessen schwere Tür sie eilig hinter sich verriegelte. Sie wußte: mit dieser Geste hatte sie ihre Liebe ausgeschlossen, aber sie wußte auch, daß es so hatte kommen müssen. Nur über das Warum konnte sie sich keine Auskunft geben. Weinend sank sie auf das große, weiche Bett - und schlief ein.

 

"Sie kommt wieder zu sich!" klang eine Stimme wie durch hundert Wattebäusche hindurch an Dianas Ohren. Langsam hob sie die schweren Augenlider, um sie ebenso schnell wieder zu schließen, denn das grelle Licht blendete sie.

"Vorhänge zu und Licht aus!" rief die selbe Stimme wieder und sofort umgab wohliges Halbdunkel die junge Frau. Noch einmal versuchte sie, die Augen zu öffnen. Sie blickte in das Gesicht einer älteren Frau, die in Schwesterntracht gekleidet neben dem Bett stand und auf Diana sah.

"Sie haben uns vielleicht Sorgen gemacht, junge Frau!" entrüstete die Schwester sich. "So lange ist hier noch niemand bewußtlos gewesen. Und es war fast so, als ob sie sich geweigert hätten, wieder ins Leben zurückzukehren!" Diana kamen langsam Bruchstücke ihrer Erinnerung zurück: Der Ausritt, der wütende Jäger, dann der Sturz - und das Nichts!

"Wo bin ich und was ist mit mir geschehen?" flüsterte sie fast lautlos, doch die scharfen Ohren der Krankenschwester hatten sie dennoch verstanden.

"Sie sind im Stift zur Guten Frau, das war nach ihrem Sturz in die Schlucht das nächste Krankenhaus, das die Retter anfahren konnten." klärte sie die Frau auf. "Was ihre Verletzungen betrifft, so können sie von Glück reden, daß sie überlebt haben, auch wenn sie für lange Zeit den Gebrauch ihrer Beine vergessen können."

"Bin ich - gelähmt?" Die Frage wollte kaum über die Lippen der jungen Frau, doch sie atmete sogleich leichter, als sie das Lächeln der Schwester sah.

"Nein, Kindchen, so schlimm ist es Gott sei Dank nicht!" beruhigte sie die Frau. "Aber sie haben beide Beine gebrochen und einige Bänder gerissen, so daß sie eine geraume Weile im Rollstuhl sitzen müssen, bis alles wieder in Ordnung kommt!"

"Wenn es denn nur wieder in Ordnung kommt, will ich gerne diese schlimme Zeit überstehen!" lächelte nun auch Diana befreit auf. "Aber sagen sie mir bitte, wissen sie, wie es meinen Tieren geht?"

"Der junge Mann, der bisher jeden Tag hier vorgesprochen hat, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, hat mir erklärt, er habe die Pflege ihrer Tiere übernommen, das sollte ich ihnen gleich sagen, wenn sie aufwachen, damit sie sich keine Sorgen zu machen brauchen. Es ist alles in bester Ordnung!" Erleichtert sank Diana wieder in die Kissen zurück. Die lange Zeit der Rekonvaleszenz würde sie gut nutzen, sich mehr und mehr dem Tierschutz widmen und ihre Finger auf prekäre Stellen legen. Nur Bruchstückhaft war die Erinnerung an ihren Traum? Wirklichkeit? Etwas dazwischen? aber sie wollte nicht über unerklärbare Dinge grübeln, sondern sich der Wirklichkeit? widmen. In ihren langen Stunden des Wachseins überkam sie manchmal ein unsagbar schönes Gefühl, verbunden mit der Erinnerung an einen sonderbar gekleideten jungen Mann und ihre Liebe.

Als sie endlich das Krankenhaus verlassen konnte, holte Roger Dupont sie mit seinem Wagen ab. Er hatte auf Anraten der Ärzte schon einen Rollstuhl besorgt und im Auto verstaut und half nun der jungen Frau auf den Beifahrersitz.

"Ich bin ja so froh, daß ich heute nach Hause komme!" rief Diana aus, als sich der Wagen in Bewegung setzte. "Du hast mir zwar jedes Mal, wenn du mich besucht hast von meinen Tieren erzählt, aber sie werden mich sicher schon sehnsüchtig erwarten!" Roger nickte.

"Ich glaube, sie wissen, daß du heute kommst, denn sie waren so wild wie noch nie zuvor, als ich sie heute morgen gefüttert habe." lächelte er. Dann aber wurde er plötzlich ernst.

"Diana, ich weiß, du bist eine sehr unabhängige junge Frau, aber deshalb solltest du trotzdem meinen folgenden Vorschlag überdenken: Ich würde gerne während deiner Rekonvaleszenz bei dir wohnen. Nein!" rief er aus, als er die Ablehnung auf den Zügen der jungen Frau sah. "Bitte laß mich ausreden! Ich möchte, daß du meinen Vorschlag auf rein sachlicher Basis abwägst. Zwar weißt du so gut wie ich, daß ich gerne mehr für dich wäre als ein platonischer Freund, aber heute geht es um etwas ganz anderes – und da spielen Gefühle keine Rolle, glaub mir!"

"Ok, Ok, ich glaube dir, Roger!" seufzte Diana. "Dann sprich ruhig weiter!"

"Also, ich weiß wie abgelegen du wohnst und daß dein Haus nicht auf einen Rollstuhlfahrer zugeschnitten ist. Noch viel weniger der Stall und die Volieren. Und ich weiß auch, daß du weder deine Mutter noch deinen Stiefvater um Hilfe bitten wirst. So lange du also auf dieses Hilfsmittel angewiesen bist, werde ich bei dir wohnen und dir beistehen. Auf rein sachlicher Basis selbstverständlich. Wenn du willst, kann ich ja im Stall schlafen oder auf dem Heuboden. Das macht mir gar nichts aus! Aber ich lasse dich in einer solchen Situation nicht alleine. Außerdem mußt du ja beinahe täglich zur Krankengymnastik gefahren werden, ganz zu schweigen vom Einkaufen, Kochen, Putzen und so weiter." Diana war bei der Erwähnung von Mutter und Stiefvater unwissentlich zusammengezuckt. Roger hatte recht: Niemals würde sie diese beiden um Hilfe bitten! Vor ihrem Stiefvater hatte sie immer eine unterschwellige, unbeschreibbare Furcht empfunden und ohne die Begleitung dieses Mannes würde ihre Mutter nicht zu ihr kommen, das war ihr auch klar. Also nickte sie zustimmend, denn sie war sich letztendlich ihres Zustandes bewußt und mußte wohl oder übel einsehen, daß sie zumindest vorerst alleine auf ihrem Hof nicht würde leben können. Als sie vor dem Haus anhielten, überraschten Diana ziemlich unterschiedliche Gefühle: zum einen das Glück, wieder zu Hause zu sein, zum anderen fast ein wenig Wehmut, der Traum?welt entflohen zu sein. Roger hob sie sanft aus dem Auto in den Rollstuhl und half ihr dann, über den unebenen Boden bis zum Eingang zu fahren. Dort nahm er sie wieder in seine Arme – welch unverhofftes Glücksgefühl rann nun durch seine Adern, hatte Diana ihm zuvor ja nie erlaubt, sie so zu berühren – und trug sie ins Wohnzimmer, wo er sie auf das Sofa setzte. Dann holte er denn Rollstuhl und half der jungen Frau, darin Platz zu nehmen.

"So, das wäre fürs erste geschafft!" lächelte er. Als er aber ihren mürrischen Gesichtsausdruck sah, eilte er sich hinzuzufügen:

"Zuerst mache ich etwas zu Essen, danach bringe ich dich dann zu deinen Tieren." Was Diana schließlich auch akzeptierte. Nach einem schnellen Imbiß half Roger dann der jungen Frau auf ihrem Weg zu den Stallungen. Mit Tränen in den Augen begrüßte sie ihre beiden Pferde, herzte den Jagdhund, streichelte das Frettchen, welches Roger ihr auf den Schoß setzte und bedankte sich herzlich bei dem jungen Mann, als sie auch ihre Falken in den Volieren besichtigt hatte.

"Vielen, vielen Dank für die gute Pflege, die du ihnen hast angedeihen lassen, während ich im Krankenhaus lag."

"Und die ich ihnen auch weiter geben werde, so lange du nicht dazu in der Lage sein wirst." fügte der junge Mann lächelnd hinzu. Dann brachte er Diana wieder ins Haus. Glücklicherweise konnte sie im Erdgeschoß schlafen, so daß sie auf die Hilfe Rogers beim Zubettgehen verzichten konnte. Als sie sich an ihrer Tür von ihm verabschiedete, hatte sie noch nicht daran gedacht, wo er denn die Nacht verbringen würde.

"Darf ich mir meinen Platz auf deinem Sofa zurechtmachen?" fragte Roger Dupont leise, als Diana gerade die Tür schließen wollte. Die junge Frau dachte einen kurzen Augenblick lang nach, dann nickte sie zögernd.

"Wenn es dir nichts ausmacht, bitte." Dann schloß sich endgültig die Tür hinter ihr. Roger Dupont holte sich also ein Kissen und eine Decke aus der Kammer und bereitete sich ein Lager auf dem Sofa im Wohnzimmer. Noch lange lag er wach, horchte auf die leisen Geräusche, die von draußen zu ihm drangen und überlegte sich, wie er es am geschicktesten anstellen könnte, um das Herz der jungen Frau zu erobern. Natürlich hatte er keine Ahnung von ihren Träumen und Erlebnissen, konnte sich also auch nicht vorstellen, daß vielleicht ein anderer Mann das Herz der jungen Frau erobert haben könnte. Und doch war es genau so: Zwar wollte es Diana noch nicht einmal sich selbst gegenüber eingestehen, aber in ihrem Innersten war sie überzeugt davon, daß sie nur Prinz Philippe angehören würde, oder keinem Mann! Und gegen den stattlichen Prinzen, der Träume und Wirklichkeit verband, konnte wahrhaftig niemand konkurrieren! Aber das ahnte Roger Dupont nicht und so malte er sich im Geheimen aus, wie er um Diana werben und sie am Ende zu seiner Frau machen würde. Mit einem kleinen Lächeln schlief er endlich ein.

"Ich kann das ganz gut alleine machen!" meinte Diana trotzig am nächsten Morgen, als sie in die Küche kam und dort Roger vorfand, der soeben letzte Hand an ein reichliches Frühstück legte. Dieser schüttelte bedauernd den Kopf.

"Wie willst du denn an die Teller und Tassen kommen, die ganz oben im Wandschrank sind?" erwiderte er gelassen. "Außerdem steht auch die Kaffeemaschine an einem für dich zur Zeit unerreichbaren Platz, ganz zu schweigen von der Zuckerdose und anderen Kleinigkeiten!"

"Das ist ja wohl meine Sache, ob ich Kaffee trinke, oder nicht!" fuhr ihn Diana an. "Du behandelst mich wie ein Baby, dabei komme ich ganz gut alleine zurecht!"

"Im Moment bist du genauso hilflos wie ein Baby!" warf der junge Mann ein. "Vorläufig wirst du also gezwungen sein, meine Hilfe anzunehmen, ob es dir nun paßt oder nicht!" Diana warf einen bösen Blick in seine Richtung und zuckte dann mit den Schultern.

"Vielleicht hast du ja recht," meinte sie mit einem verzweifelten Blick auf ihre bandagierten Beine. "Aber es ist nun einmal gegen mein Naturell!"

"Dann tue deinem Naturell jetzt einmal für eine Weile Zwang an, später kannst du ja dann wieder deine Unabhängigkeit voll ausleben! Doch jetzt komm her und laß uns endlich frühstücken!" beendete Roger den Zwist. da auch Diana Hunger verspürte, ließ sie sich auf keine weiteren Diskussionen ein und langte kräftig zu. Nach der zweiten Tasse Kaffee hatte sie sich damit abgefunden, jetzt eine Zeitlang bemuttert zu werden, davon wurde auch ihre Laune wieder besser.

"Ich will schon heute mit der Krankengymnastik anfangen." meinte sie nach dem Frühstück zu Roger. "Je schneller ich wiederhergestellt werde, um so besser." Sie fügte nicht hinzu, daß sie den jungen Mann lieber gestern als heute ihr Haus verlassen sah. Seit ihrem Treffen mit dem Prinzen konnte sie nur noch an diesen denken. Aber sie hatte gewählt, war in ihre Welt zurückgekehrt und mußte damit jetzt fertig werden. Alleine.

"Woran denkst du?" Erschreckt fuhr Diana aus ihren Gedanken auf, als die Stimme des jungen Mannes an ihr Ohr drang.

"Oh, an alles und nichts!" wich sie seinem fragenden Blick aus. "Ich glaube, ich rufe am besten sogleich die Krankengymnastikerin an, vielleicht kann sie den Termin ja schon auf heute Nachmittag vorverlegen." Damit war sie aus der Küche und schon am telefonieren. Mit freudiger Miene kam sie dann zurück.

"Heute um drei Uhr! Ich bin ja so froh! Jeder Tag zählt, den ich früher auf die Beine komme – und das im wahrsten Sinne des Wortes!" lächelte sie fröhlich. Roger Dupont spürte den Gang ihrer Gedanken und wollte schon ärgerlich werden, beschloß dann aber, seinen Ärger nicht zu zeigen, um sich seine Chancen zu wahren. Zwar wurden die Gymnastikstunden zu einer wahren Tortour für die junge Frau, aber sie biß fest die Zähne zusammen und nahm alles in Kauf, nur um so schnell wie möglich wieder gesund zu werden. Nach einiger Zeit stellten sich dann die ersten Erfolge ein und bald konnte sie den Rollstuhl verlassen und Krücken benutzen. An jenem Abend saßen sie im Wohnzimmer zusammen und sahen Nachrichten. Plötzlich schaltete Diana den Fernseher aus und wendete sich an Roger.

"Roger, ich habe beschlossen, daß du ab heute nicht mehr hier im Haus schlafen wirst." Der junge Mann zuckte sichtbar zusammen, obwohl er eine solche Reaktion seitens der jungen Frau fast geahnt hatte.

"Aber Diana, du brauchst doch immer noch Hilfe! Wie willst du denn die Ställe ausmisten oder einkaufen fahren?" warf er ein. Doch die junge Frau schüttelte den Kopf.

"Ich habe nicht gesagt, daß ich deine freundliche Hilfe nicht mehr benötige, ich habe nur gesagt, daß du ab heute wieder bei dir zuhause schlafen wirst! Ich brauche im Haus und für mich persönlich keine Unterstützung mehr, lediglich bei den Tieren und einen Chauffeur." Als sie die verbitterte Miene Rogers sah, fügte sie noch hinzu:

"Ich werde dir nie genug für deine Hilfe in dieser schweren Zeit danken können, Roger, aber du mußt mich bitte auch verstehen, ich muß jetzt einfach meine teilweise wiedererlangte Selbständigkeit genießen!" Jetzt gab es für Roger Dupont nur noch den Sprung ins tiefe Wasser. Er nahm all seinen Mut zusammen und schaute ihr tief in die Augen.

"Diana, ich hatte sehnlichst gehofft, daß die Zeit, die wir bis jetzt zusammen verbracht haben, dir gezeigt haben möge, wie sehr ich dich liebe. Als man mich vom Krankenhaus aus anrief, da mein Name als der im Unglücksfall zu Benachrichtigende bei deinen Papieren gefunden wurde, um mir mitzuteilen, daß du einen schweren Sturz hattest und womöglich nicht überleben würdest, da ist mir erst klargeworden, daß ich mehr als nur tiefe Freundschaft und Kameradschaft für dich empfinde. Diana, ich hatte solche Angst um dich, als du da so still im Bett lagst und keine Reaktion zeigtest, daß ich mir geschworen habe, dich nie zu verlassen, geschehe, was wolle! Diana, ich kann und will ohne dich nicht mehr leben! Bitte werde meine Frau!" Diana schaute verlegen ob der Aufrichtigkeit seiner Erklärung zu Boden. Sie mußte dem Freund jetzt etwas zu verstehen geben, was sie selbst noch nicht ganz genau verstand, mußte ihn mit einer unglaublichen Geschichte abfinden, die jeder normale Mensch als das Hirngespinst einer Verrückten empfunden haben würde. Und doch blieb ihr kein anderer Ausweg, als ihm die Wahrheit? zu sagen, denn nur so konnte er vielleicht verstehen, warum sie seinen Antrag nicht annahm – nicht annehmen konnte. Sie schaute wieder auf und sah Angst und auch einen kleinen Funken Hoffnung im Gesicht des jungen Mannes. Zart ergriff sie seine Hände und schaute ihn mit ihren wundervollen Augen ernst an.

"Lieber Roger, ich bin geehrt von deinem Antrag und doch muß ich ihn ablehnen! – Nein, sag jetzt noch nichts!" rief sie schnell aus, als sie sah, daß der junge Mann zum Sprechen anhob. "Laß mich dir erst erklären, warum ich nicht deine Frau werden kann!" Und dann erzählte sie dem zuerst nur aufmerksam Lauschenden, der später aber mit einem ungläubigen Ausdruck im Gesicht an ihren Lippen hing, von ihren Träumen, die sie schon seit ihrer frühen Jugend begleiteten bis hin zu ihrem Treffen? mit dem Prinzen, während sie ohne Bewußtsein im Krankenhaus lag. Als sie endete, liefen ihr Tränen über die Wangen und auch Roger war tief berührt. Weniger von der Schilderung selbst, als von der Tatsache, daß Diana so tief daran glaubte, daß sie der Liebe zu einer Traumgestalt der seinen gegenüber den Vorzug gab.

"Du kannst mir glauben, oder auch nicht," meinte die junge Frau schluchzend, "aber es ist die Wahrheit, so wie ich sie erlebt und empfunden habe. Glaube mir, es war die schwerste Entscheidung meines Lebens, den Prinzen NICHT zu heiraten! Und ich spüre es schon jetzt, ich werde diese Entscheidung sicher noch ein paar Mal in meinem Leben bereuen! Aber damals kam sie mir als einzig richtige Lösung vor. Auch ich kann vieles nicht verstehen, aber vielleicht hätte ich nur mit meinem Herzen denken sollen und nicht mit dem Verstand. Auf jeden Fall ist es jetzt zu spät für Reue, ich habe gewählt und muß mich damit abfinden in meiner Welt zu leben, aber ich werde meine Liebe zu Prinz Philippe nie verraten – und bleibe deshalb für immer ledig!"

"Weißt du, was du da sagst?" fuhr Roger Dupont auf. "Du hast dich da in etwas verrannt, was nur auf einen Schock und deine lange Bewußtlosigkeit zurückzuführen ist! Vielleicht solltest du einmal einen Psychiater aufsuchen?" Doch da wurde Diana ganz böse. Sie funkelte Roger aus ihren  dunklen, nun beinahe lilafarbenen Augen nur so an, als die so lange zurückgehaltene Wut aus ihr herausbrach:

"So, du denkst also, ich bin verrückt? Vielleicht hast du ja recht! Aber dann laß mich doch mit meiner Verrücktheit leben! Ich fühle mich so wohl dabei! Natürlich klingt das alles unverständlich für einen Außenstehenden, aber ICH habe es erlebt, ICH habe die Liebe gespürt, ICH mußte mich entscheiden – und habe es getan zugunsten eines Lebens HIER, aber im Respekt für meine Liebe DORT!" Roger Dupont konnte nur staunen über so viel Beharrlichkeit, doch plötzlich fiel ihm wieder ein, was eine der Schwestern im Krankenhaus zu ihm gesagt hatte. Zu einem gewissen Zeitpunkt nämlich, als er schon eine unsagbar lange Zeit am Krankenbett von Diana gesessen hatte und sie außer einem leichten Lächeln auf den Lippen keine weitere Regung zeigte, da war eine ältere Nonne ins Zimmer gekommen und hatte auf die junge Frau gezeigt.

"Sie ist wohl zur Zeit in einer wunderschönen Traumwelt – hoffen wir nur, daß sie sich nicht gehenläßt und dort verbleibt!" Roger hatte das zuerst als rätselhaften Ausspruch einer Religiösen abgetan, doch jetzt wurde ihm klar, daß die Nonne wohl besser als er gefühlt oder gewußt hatte, was in der Verunglückten vorgegangen war. Und als eine Zeit kam, da der Arzt ihm geraten hatte, für seine Freundin zu beten, da sie scheinbar keinen Willen zum Leben mehr hatte, da wußte er nun, daß dies der Zeitpunkt gewesen war, als Diana sich entscheiden mußte zwischen dem Prinzen und der hiesigen Welt. Wie Schuppen fiel es ihm nun von den Augen: Wenn sie sich – so unglaublich das auch klingen mochte – für den Prinzen entschieden hätte, so hätte sie wohl ihr Leben in dieser Welt verloren! Oder? Roger dankte der Fügung, daß sie sich gegen den Prinzen entschieden hatte und beschloß, ihre Entscheidung, keinen Mann zu ehelichen, zumindest vorerst zu akzeptieren.

"Diana, ich bin zutiefst erschüttert! Ich brauche Zeit, um das eben Gehörte zu verarbeiten! Aber ich danke dir für deine Offenheit und werde deine Entscheidung schweren Herzens akzeptieren. Bitte laß uns aber trotzdem Freunde bleiben, so wie vorher." Die junge Frau nickte leicht.

"In Ordnung, Roger! Vergessen wir dieses Gespräch und beginnen wir als Freunde und Kameraden eine neue Zeit!" Sie beugte sich vor und gab ihm einen leichten Kuß auf die Wange.

"Und nun, Roger Dupont, mußt du mich verlassen. Aber ich rechne auf dich morgen früh zum Ställe ausmisten und für die Fahrt zur Krankengymnastik. Der junge Mann erhob sich langsam vom Sofa, hauchte einen Kuß auf die glänzenden Locken und versprach im Hinausgehen:

"Du kannst immer auf mich zählen, Diana Erdei! Gute Nacht, bis morgen früh!" Dann verließ er leise das Haus. Diana ging früh zu Bett und hoffte, in ihren Träumen den Prinzen zu sehen, aber nichts geschah.

So verging die Zeit. Die junge Frau gelangte bald wieder in den Vollbesitz ihrer Kräfte und Roger Dupont sah sie nur noch zu einigen wenigen Anlässen, dann aber meist im Beisein von vielen Menschen. In der neuen Jagdsaison bot sich ihm zwar einige Male die Gelegenheit, mit Diana allein auf der Pirsch zu sein, aber sie gab ihm keine Gelegenheit mehr, auf persönliche Dinge einzugehen und so war er gezwungen, sich mit ihrer Kameradschaft zu begnügen. Später lernte er dann bei seiner Arbeit eine junge Frau kennen, die zwar keine Jägerin war, sich aber prächtig mit ihm verstand und ihn auch nicht abwies, als er sie nach einiger Zeit um ihre Hand bat. Als er Diana einmal seinen Entschluß, Marie Belleville zu heiraten, mitteilte und ihr die junge Frau auch vorstellte, war er erleichtert, feststellen zu können, daß Diana ihnen von Herzen gratulierte. Nach der Hochzeit besuchte er Diana nur noch manchmal und dann immer im Beisein seiner jungen Frau, ein paar Mal kam auch Diana zu ihnen auf ein Abendessen vorbei. Seiner Frau zuliebe verzichtete Roger nun gänzlich auf die Jagd und als das junge Paar dann auch noch in den Süden zog, blieben auch bald die wenigen Briefe oder Telefonate aus. Diana fand eine junge Frau aus dem Dorf, die ihr manchmal zur Hand ging oder die Tiere versorgte, wenn Diana abwesend war, ansonsten lief alles seinen alten Trott. Bis auf jenen denkwürdigen Tag, als in Diana der Gedanke reifte, das Land zu verlassen und in die wahre Heimat zurückzukehren. Schon lange hatte sie bemerkt, daß in ihrer Gegend der Druck der Jagdgegner beständig zugenommen hatte, woran auch ständige Aufklärungsarbeit der Jäger in der Öffentlichkeit nichts ändern konnte. Natürlich gab es wie überall auch in den Reihen der Jäger, Falkner und Reiter schwarze Schafe, doch dachte Diana, daß dort die betroffenen Verbände selbst die Entdeckung und Bestrafung in die Hand nehmen müßten und nicht gleich die Gruppe als Ganzes verdammt werden sollte. An jenem denkwürdigen Tag ereignete es sich also, daß Diana gerade auf einen Hochsitz im Revier eines befreundeten Jägers steigen wollte, um ihm zu helfen, eine Wildzählung durchzuführen, als sie ein lautes Knacken unter ihren Füßen vernahm. Sie konnte sich gerade noch rechtzeitig und weit genug vom Hochsitz abstoßen, bevor dieser zusammenbrach. Zitternd vor Angst und Schreck betrachtete die junge Frau danach die Stützpfosten und mußte betroffen feststellen, daß diese weit unten, vom Gras verdeckt, geschickt angesägt worden waren! Sie alarmierte die zuständige Polizei von dem Anschlag, der um so gemeiner war, als es auch das Kind eines zufällig vorbeigehenden Spaziergängers, welches, unerlaubt zwar, aber dennoch, auf den Hochsitz klettern wollte, hätte treffen können. Der Beamte nahm zwar die Tatsachen auf, beschied die junge Frau dann aber, daß sie besser daran tue, das Weidwerk sein zu lassen, denn erstens könne ihr so etwas jeden Tag wieder zustoßen und zweitens sei er sowieso dagegen, daß eine Frau jage. Kalt bedankte sich Diana für den so männlichen Ratschlag und verließ wütend und unzufrieden die Polizeistation. Als sie nach Hause kam, sah sie mit Entsetzen, daß die Türen des Stalles sperrangelweit offenstanden! Von den Pferden keine Spur!

"Oh mein Gott!" rief sie laut aus, als sie den Wagen zum Stehen brachte und auf den Stall zu rannte.

"Meine Pferde! Was ist mit meinen Pferden geschehen?" Verzweifelt suchte sie nach Spuren, die ihr gezeigt hätten, wohin die beiden Rappen verschwunden waren. Doch auf dem steinigen Hof war nichts zu sehen. Von einer bösen Vorahnung gepackt untersuchte Diana die Riegel der Doppeltüren. Diese waren so angebracht und konzipiert, daß die Pferde selbst bei geöffneter oberer Türhälfte keine Chance hatten, die Riegel zu öffnen, außerdem waren Vorhängeschlösser zur zusätzlichen Sicherung vorhanden, welche Diana immer zuschloß, bevor sie den Hof verließ, da die Pferde ja auf jeden Fall einen immer offenstehenden Ausgang aus der Box auf die Weide hatten. Und plötzlich weiteten sich ihre Augen entsetzt: Die Vorhängeschlösser waren mit einem schweren Werkzeug aufgebrochen worden und die Riegel und Türen vorsätzlich geöffnet worden!

"Wer kann das nur getan haben?" fragte sich die junge Frau laut. "Und warum?" Zumindest auf die letzte Frage erhielt sie ziemlich schnell eine Antwort. Als sie nämlich auf der Suche nach ihren Pferden um das Haus herum ging, fand sie auch die Tür des Hundezwingers aufgebrochen vor, von ihrem Jagdhund keine Spur! Aber ein schmutziger Papierfetzen hing an dem Draht. Diana riß ihn ab und schaute wie blind auf die wenigen Zeilen, die in einer schlampigen Handschrift dort geschrieben standen. Zwar sah sie die Worte, doch konnte oder wollte ihr überreiztes Gehirn sie den Sinn der Botschaft nicht verstehen lassen. Der kurze Text lautete folgendermaßen:

DAS NUR ZUR WARNUNG! WIR HASSEN ALLE JÄGER UND FALKNER, TOD UND VERDERBEN DEN TIERMÖRDERN UND TIERQUÄLERN!

Diana schluchzte laut auf, zerknüllte den Zettel und wollte ihn schon wegwerfen, als sie sich eines Besseren besann und ihn einsteckte. Laut nach ihren Tieren rufend, rannte sie dann in Richtung Wald los, wohl wissend, daß ihr Hund wohl diese Richtung genommen haben würde und ihn brauchte sie, um eventuell die beiden Pferde wiederfinden zu können. Die Täter hatten diese und den Hund wohl extra erschreckt und weggescheucht, denn sonst wären die Tiere schon längst wieder heimgekehrt oder hätten sich zumindest in der nächsten Umgebung des Hofes aufgehalten. Nach stundenlanger, ermüdender Suche hörte Diana plötzlich auf ihre Rufe hin ein leises Winseln aus einer Dickung. Vorsichtig bahnte sie sich ihren Weg und rief mit leiser Stimme immer wieder ihren Hund. Dieser antwortete nun mit einem Jaulen der Freude, denn er hatte seine Herrin wohl schon wahrgenommen, bevor diese ihn fand. Aber selbst als die junge Frau in Sichtweite des Hundes war, kam dieser nicht auf sie zu.

"Da stimmt doch etwas nicht!" flüsterte sie angstvoll. "Warum kommt Felix nicht zu mir her?" Schnell wurde sie über den Grund aufgeklärt. Als sie endlich das arme Tier erreichte, sah sie, daß eine dünne, feste Schnur an seinem Halsband befestigt worden war, deren anderes Ende um einem Baumstamm geschlungen und festgeknotet worden war.

"Diese Dreckskerle!" rief Diana empört aus. "Mich titulieren sie als Mörderin und was ist das hier? Etwa Tierschutz?" Schnell befreite sie den Hund von seinem Strick und streichelte ihn liebevoll. Das arme Tier war ganz erschöpft und konnte seiner Herrin nur sanft das Gesicht lecken und schwach mit der Rute wedeln. Diana nahm ihn auf die Arme und trug ihn vorsichtig nach Hause, wohl wissend, daß er heute und wohl auch am nächsten Tag wohl kaum in der Lage sein würde, nach den Pferden zu suchen. Doch welch frohe Überraschung! Als die junge Frau gerade in den Hof einbog, hörte sie in der Ferne das eilige Trappeln von Pferdehufen. Verwundert schaute sie auf den Weg, der vom Dorf her hier heraus führte und auf welchem nun die beiden Rappen Seite an Seite angetrabt kamen.

"Apollo! Orestes! Wo kommt ihr denn her?" Schnell setzte sie den Hund ab und öffnete das Koppeltor damit  die beiden Pferde wieder in sicheres Gewahrsam kamen. Als die Rappen nun eilig zu ihren Futterkrippen stürmten, wußte sie auch, warum sie ihre Pferde so schnell wieder sah: Der Hunger auf die allabendliche Körnerration hatte die beiden wieder nach Hause geführt, denn Gras hatten sie auch anderswo gefunden. Überglücklich brachte ihnen die junge Frau nun ihr Futter und streichelte ihnen über die schlanken Hälse. Dann brachte sie den Hund ins Haus, versorgte ihn mit Futter und Wasser und setzte dann ihren Rundgang fort. Glücklicherweise waren die Falken alle in ihren Volieren, doch die Außenseiten der Holzwände waren mit Parolen in roter Farbe beschmiert.

Tod allen Tiermördern, Verbot der Jagd, Schluß mit der Zucht von Raubvögeln für die Falknerei

stand dort zu lesen. Diana schüttelte den Kopf und zog eine angewiderte Grimasse. Womit hatte sie den Zorn dieser Menschen auf sich gezogen? Wußten sie denn nicht oder wollten sie es nicht akzeptieren, daß zum Beispiel die Wiedereinbürgerung der Wanderfalken in großem Maße eben jenen Falknern zu verdanken war, die sich darum bemüht hatten, in die Geheimnisse der Zucht dieser edlen Vögel zu gelangen und die so gewonnenen Erkenntnisse auch dem Tierschutz dienten. Wußten sie denn nicht, daß Jagd nicht nur Abschießen, sondern auch Hege und Pflege bei genauer Kenntnis der Lebensgewohnheiten der Waldbewohner bedeutete. Wer steckte hinter all diesen Schandtaten? Sie wußte es nicht zu sagen. Aber da auch der Polizist ihr seine deutliche Abneigung gegenüber Frauen, die jagen, gezeigt hatte, mußte sie die Tatsache hinnehmen, daß sich die Welt um sie herum geändert hatte. Aus dem friedlichen Paradies war eine feindliche Umgebung geworden. Zumindest für eine alleinstehende Frau, die zu allem Überfluß auch noch aktive Jägerin und Falknerin war. Nur zu gut war sie sich der Gefahr bewußt, die sie lief, wenn sie weiterhin so täte, als ob nichts geschehen wäre. Nach dem heutigen Tag war alles anders! Nie wieder würde sie ruhig für eine auch noch so kurze Zeit aus dem Haus gehen und ihre Tiere in aller Ruhe zurücklassen. Nie wieder würde sie auf einen Hochsitz steigen, ohne daß der heutige Moment des Schreckens und der Todesangst ihr immer wieder ins Gedächtnis zurückkehren würde. Nie wieder würde sie sich unbedenklich unter Menschen bewegen, die dies alles hier vielleicht auf dem Gewissen hatten. In dieser Nacht konnte sie fast kein Auge zutun. Sie lag wach, ihre Gedanken jagten sich. Bei jedem Geräusch fuhr sie hoch, vergewisserte sich ein ums andere Mal, daß die Haustür verschlossen und verriegelt war, beschloß, am nächsten Tag sofort weitere Sicherungsketten und Ähnliches zu besorgen, sowie eine Alarmanlage für das Haus und die Nebengebäude anzuschaffen. Als sie endlich gegen Morgen erschöpft in einen leichten Schlaf fiel, schreckte sie bald darauf wieder schweißgebadet hoch, denn sie hatte geträumt, daß ihr Stiefvater an der Spitze einer Horde wild entschlossener Jagdgegner ihren Hof gestürmt und alle Tiere vor ihren Augen erschossen habe. Noch während sie sich mit zitternden Fingern die Schweißtropfen von der Stirn wischte wurde ihr jedoch bewußt, daß sich Traum und Wirklichkeit vermischt haben mußten, denn noch immer war draußen der Klang von Schüssen oder etwas Ähnlichem zu vernehmen! Sie stürzte aus dem Bett, warf sich schnell einen Mantel über und öffnete dann vorsichtig die hintere Tür, aus deren Richtung die Laute kamen. Vor ihren Augen vollzog sich ein bizarres Schauspiel: Mehrere ganz in schwarz gekleidete Gestalten, die zu allem Überfluß auch noch schwarze Masken trugen, die lediglich kleine Schlitze für Augen, Mund und Nase freiließen, liefen auf dem Grundstück hin und her und machten mit allen möglichen Gegenständen einen Höllenlärm, in welchen sich inzwischen auch das aufgeregte Wiehern der Pferde, das Bellen des Hundes und die warnenden Schreie der Falken in den Volieren mischte. Diana war zwar eine mutige Frau, doch gegen eine solche wilde Rotte in Überzahl konnte sie alleine nichts ausrichten. Sie wählte also mit zitternden Fingern die Nummer der Polizei und meldete dann das Eindringen der vermummten Fremden auf ihren Besitz. Zwar versprach ihr der Beamte, sogleich einen Einsatzwagen zu schicken, doch dauerte es dann doch noch eine geraume Zeit, bis dieser schließlich mit heulender Sirene bei ihr eintraf. Inzwischen hatten sich die Störer im Wald verborgen und waren wohl auch wieder dorthin zurückgekehrt, wo sie hergekommen waren. Die Beamten schauten die junge Frau fragend an, als sie aus dem Wagen stiegen.

"Wo sind sie denn, die vermummten Gestalten?" fragte der eine hämisch. "Sie haben wohl schlecht geschlafen, junge Frau und sich Gott weiß was eingebildet!" Doch Diana ließ sich nicht aus der Fassung bringen.

"Natürlich sind die Eindringlinge abgehauen, bevor Sie hier eintrafen. Sie hatten sie ja vorher lange genug gewarnt, mit ihrer Sirene und dem Blaulicht!"

"Gute Frau, im Einsatz fahren wir immer mit Sirene und Blaulicht!" wies sie der andere Beamte zurecht.

"Dann entkommen die Übeltäter wohl öfter!" entfuhr es leise der jungen Frau. Laut jedoch meinte sie:

"Na schön, daran ist wohl jetzt nichts mehr zu ändern. Aber vielleicht suchen Sie einmal im Wald nach, vielleicht  ergreifen Sie den einen oder anderen der Vermummten noch, er könnte dann Aufschluß darüber geben, warum die Leute hier bei mir eingedrungen sind, mir meine Tiere und mich zu Tode erschreckt haben und wer der Verantwortliche dafür ist." Dann fiel ihr noch etwas ein. "Ach ja, das hier habe ich heute Nachmittag an meinem Hundezwinger gefunden, nachdem man mir meinen Hund im Wald an einen Baum angebunden hatte, meine Pferde freigelassen hatte und meine Volieren beschmiert hatte." Damit suchte sie den Zettel hervor, den sie in ihre Tasche gesteckt hatte. Der eine der Beamten überflog die wenigen Zeilen und schüttelte dann den Kopf.

"Warum haben Sie das nicht vorher gemeldet?" wollte er wissen. Diana zuckte mit den Schultern.

"Sie kenne ich nicht, aber der Beamte im Dorf hat mir heute, nachdem ich am frühen Morgen fast von einem vorsätzlich angesägten Hochsitz zu Tode gestürzt war und dies bei ihm meldete zu verstehen gegeben, daß er von alleinstehenden, jagenden Frauen nicht viel halte, ich solle lieber an meinen Herd zurückkehren anstatt mich mit solchen männlichen Dingen abzugeben. Daraufhin war mir die Lust vergangen, mich in dieser Sache wieder an ihn zu wenden." Damit wies sie auf den Zettel in den Händen des Beamten. Dessen Kollege meinte nur leise:

"Naja, ganz so Unrecht hat der Kollege ja nicht!" Doch dann verzog er sich schnell aus dem Bereich der jungen Frau, die ihn wütend anblitzte.

"Männer sind doch alle gleich!" rief sie empört aus. "Machen Sie lieber Ihre Arbeit, ich gehe der meinen nach und mische mich ja auch nicht in Ihre Angelegenheiten ein!" Der Beamte schmunzelte ob der Heftigkeit des Ausbruchs, doch dann wendete er sich wieder der jungen Frau zu.

"Fräulein Erdei, ich muß Ihnen sagen, daß sich dieser bedauerliche Vorfall immer wieder wiederholen kann. Wir können Sie nicht vor diesen Jagdgegnern schützen, noch diejenigen ausfindig machen, die sich an solchen Dingen beteiligen. Nachdem Sie nun schon einige Male Ziel dieser Angriffe waren, kann ich Ihnen nur den einen Rat geben: Ziehen Sie weg von hier! Oder heiraten Sie, oder hören Sie mit der Jagd und Falknerei auf! Sonst kann es Ihnen vielleicht eines Tages noch ans Leben gehen!" Diana schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

"Das meinen Sie doch nicht im Ernst?" flüsterte sie heiser. "Wieso soll ICH hier wegziehen oder meinen Passionen entsagen, ganz zu schweigen von meinem Privatleben, welches Sie darüber hinaus überhaupt nichts angeht! Schließlich bin ICH hier in meinem Recht, lebe auf meinem Grund und Boden und übe meine Passionen rechtmäßig aus! Meine Tiere werden artgerecht und liebevoll gehalten und ich besitze alle nötigen Prüfungen und Erlaubnisse zur Ausübung der Jagd, der Falknerei und der Zucht! Ihre Aufgabe ist es doch, mich vor solchen gesetzlosen Verbrechern zu schützen, die das Leben und die Gesundheit meiner Tiere gefährden, von meinem Leben und meiner Gesundheit ganz zu schweigen!" Der Beamte zog eine Grimasse.

"So leicht ist das nicht, gute Frau! Ich will und kann das Ihnen jetzt nicht weiter ausführen, aber ich sage Ihnen, Sie tun im Interesse aller Beteiligten besser daran, einen meiner Vorschläge anzunehmen." Damit machte er auf dem Absatz kehrt, legte im Vorbeigehen den Zettel mit der anonymen Drohung auf das kleine Regal unter der Garderobe und war auch schon verschwunden. Diana hörte noch, wie die Türen des Polizeiautos zuschlugen und das Geräusch des Motors langsam in der Ferne verschwand. Mit einem versteinerten Gesichtsausdruck ließ die junge Frau noch einmal die Worte des Beamten Revue passieren.

"Der also auch!" seufzte sie schließlich auf. "Keinen Schutz für eine alleinstehende Frau, die auch noch Jägerin ist! Da haben wir es wieder einmal! Frau, das heißt bei ihnen: verheiratet oder mit Partner, Kinder, Haushalt und eventuell auch noch Beruf, aber sonst nichts. Wer - als Frau wohlgemerkt - aus dem Klischee fällt, ist für den Ärger, den das nach sich zieht, selbst verantwortlich! Na, vielen Dank!" Doch als sie sich in der Küche einen Kaffee zubereitete, mußte sie den Dingen ins Gesicht sehen: So wie zuvor konnte sie nicht weiterleben. Aber was tun? Welchen Entschluß fällen? Lange grübelte sie über einer Lösung ihres Problems. Hatte sie noch am Abend gedacht, mehr Sicherheitsvorkehrungen würden eventuell ausreichen, hatte ihr der Beamte die Augen geöffnet. Sicher war sie und waren ihre Tiere hier nie wieder, egal wie gut sie sich auch schützen mochte. Und selbst wenn sie jetzt mit der Ausübung von Jagd und Falknerei aufhören würde, wonach ihr jedoch keineswegs der Sinn stand, so war sie doch auf der schwarzen Liste und hatte keine Hoffnung, daß man sie von dort streichen würde. Und ein Ehemann – der sie ja auch nicht viel besser schützen konnte – kam für sie aus den gegebenen Gründen nicht in Frage. In keiner Sekunde hatte sie je daran gedacht, ihre Liebe einer ungewissen Sicherheit wegen zu verraten. Blieb nur noch ein Ausweg: umziehen! So schwer es ihr auch fallen würde, ihren Tieren zuliebe würde sie dieses Opfer auf sich nehmen! Fragte sich nur: wohin umziehen? Da schoß ihr plötzlich eine Idee durch den Kopf! Warum nicht zurück in ihre Heimat? Warum nicht nach Ungarn?

"Warum habe ich nicht schon viel früher daran gedacht?" fragte sich die junge Frau laut. "Ich bin erwachsen, unabhängig und frei, meine Entscheidungen selbst zu treffen! Ja! Ich werde in mein Heimatland zurückkehren! Schließlich habe ich es ja nur verlassen müssen, weil meine Mutter mit meinem Stiefvater hierher gezogen ist. Als kleines Kind mußte ich ihnen folgen. Dann kam das Internat und danach hatte ich keinen Grund, wegzuziehen. Heute aber kann ich selbst bestimmen, wo ich leben möchte – und ich glaube, ich weiß jetzt, wo das sein wird!" Nach diesem Entschluß fühlte sie sich gleich viel besser, der Gedanke an den Umzug in ihr Heimatland gab Diana Gelegenheit, nicht dauernd an die eventuell auf sie lauernde Gefahr denken zu müssen. Sie hatte viel zu planen und vorzubereiten, mußte sich um den Verkauf ihres Hofes kümmern und dabei weiterhin ihrer Arbeit nachgehen. Glücklicherweise hatte sich die Nachricht auch bei den Jagdgegnern herumgesprochen, daß die junge Frau ihren Hof verlassen wollte, so blieb sie von weiteren Anschlägen verschont. Schnell hatte sich ein Käufer für das Anwesen gefunden und schon bald nach Unterzeichnung des Vorvertrages reiste Diana in die Puszta, um sich nach einer geeigneten Bleibe für sie und ihre Tiere umzusehen. Die war bald gefunden und frohen Herzens konnten nun die eigentlichen Vorbereitungen für den Umzug beginnen.

Endlich war der große Tag gekommen! Diana war schon sehr früh aufgestanden und hatte ihre Tiere für den langen Weg vorbereitet. Die Falken saßen in ihren Reisekisten, die Pferde trugen Decken und Beinschoner, Hund und Frettchen waren ebenfalls in ihren Reisekisten untergebracht. Da der Spediteur am vergangenen Abend schon alles an Mobiliar aus dem Haus mitgenommen hatte, hatte sich Diana mit einem Schlafsack begnügen müssen, den sie nun im Auto verstaute. Es gab nur ein kaltes Frühstück aus der Provianttasche, denn Strom, Wasser und Gas waren schon abgestellt. Endlich fuhr der neue Besitzer des Anwesens vor und Diana übergab ihm die Schlüssel. Dann stieg sie in ihren neuen, gebrauchten Geländewagen, an den der Pferdeanhänger angekoppelt war und fuhr los. Noch einen letzten Blick zurück auf das Haus, das ihr so lange als Bleibe gedient hatte, dann konzentrierte sie sich ganz auf die lange Fahrt. Es gab keine Zwischenfälle und so erreichte sie ihr neues Domizil in angemessener Zeit. Der alte Bauernhof inmitten der Weite der Puszta benötigte zwar noch einiges an Arbeit, bis er vollständig bewohnbar sein würde, aber davor scheute die junge Frau nicht zurück.

"Endlich zuhause!" rief sie aus, als sie aus dem Wagen ausstieg und ihre Füße wieder ungarischen Boden berührten. Es würde gewiß nicht leicht werden, zumindest nicht leichter, als in Frankreich, aber sie wollte diese Herausforderung gerne annehmen. Hieß es doch auch, daß sie endlich zu ihren Wurzeln, in ihre Heimat zurückgekehrt war. Mit schier unendlicher Ausdauer und der Hilfe der freundlichen Nachbarn gelang es der jungen Frau, innerhalb weniger Monate sich ein gemütliches Zuhause einzurichten. Selten erhielt sie Nachrichten von ihrer Mutter, eine kurze Karte mit nichtssagendem Inhalt zu ihrem Geburtstag oder Weihnachten, aber das war sie ja so gewöhnt, denn selbst als sie in Frankreich lebte hatten sie kaum Kontakt mehr zueinander. Diana hatte in ihrem Herzen der Mutter nie verziehen, daß diese nach dem tragischen Tod ihres ersten Mannes wieder geheiratet hatte, zumal einen Menschen, der sie und die kleine Tochter gezwungen hatte, ihm in ein fremdes Land zu folgen und sich dann auf sehr elegante Weise des kleinen Mädchens, welches seine Beziehung zu der Mutter nur stören konnte, da Diana ihren Vater nicht vergessen konnte und wollte, zu entledigen, indem er sie auf ein Internat schickte. Um so mehr überraschte es Diana, als sie einige Zeit nach ihrem Umzug in die Puszta einen langen Brief ihrer Mutter zugestellt bekam.

Meine liebe Tochter

las Diana, nachdem sie den dicken Umschlag geöffnet und es sich in einem Sessel bequem gemacht hatte.

            Ich weiß, daß du es mir nie verziehen hast, daß ich deinen Stiefvater geheiratet habe und ihm nach Frankreich gefolgt bin. Nach so vielen Jahren bin ich jetzt auch zu der Meinung gelangt, daß es ein Fehler gewesen ist. Dein Stiefvater hat sich in letzter Zeit sehr zum Schlechten verändert, als er hörte, daß du wieder nach Ungarn gezogen bist, hatte er einen richtigen Wutanfall, der sich gegen mich richtete, weil ich es nicht verstanden hätte, dich an Frankreich zu binden. Auch vorher schon hatten mich einige Kleinigkeiten in seinem Verhalten mir gegenüber und im allgemeinen dazu veranlaßt mein Leben zu überdenken. Ich bin nun zu dem Schluß gelangt, daß es wohl besser sei, mich von deinem Stiefvater zu trennen. Könntest du wohl erwägen, mir zu helfen, mich nach meiner Scheidung wieder in Ungarn anzusiedeln? Verstehe mich wohl – ich will mich beileibe nicht bei dir einquartieren, erbitte nur deine Hilfe bei der Wohnungssuche. Noch ist allerdings nichts entschieden, ich möchte aber gerne wissen, ob ich eventuell auf deine Hilfe rechnen darf.

Vergib mir bitte meine vielen Fehler, ich habe eingesehen, daß niemand deinen Vater ersetzen kann und daß ich sehr selbstsüchtig an dir gehandelt habe.

Deine Mutter

Diana war gerührt von den Zeilen ihrer Mutter, welche es nie verstanden hatte, Gefühle nach außen hin zu zeigen, diese wenigen Worte jedoch waren mehr, als die junge Frau je erhofft hatte, von ihrer Mutter zu hören. Schnell schrieb sie eine Antwort, verfaßte diese jedoch so diplomatisch, daß ihr Stiefvater, falls sie ihm in die Hände fallen sollte, nichts über die Absichten seiner Ehefrau daraus entnehmen konnte.

 

Diana warf sich im Schlaf unruhig hin und her. Zum Teil war dies wohl auf die Wirkung des Vollmondes zurückzuführen, der immer eine gewisse Unrast bei ihr auslöste, so wie sie auch sehr auf die jeweilige Wetterlage reagierte. Aber es mußte auch noch einen anderen Grund für ihre Nervosität geben....

Und wirklich, in ihrem Alptraum sah Diana, wie ihr Stiefvater sich im Park von Prinz Philippe befand, schleichend und im Schutz der Nacht sich dem kleinen Marmortempel näherte, in welchem Diana und der Prinz so zärtliche Momente verbracht hatten. Auch jetzt saß der Prinz in Gedanken versunken auf der schneeweißen Bank und gewahrte nicht die drohende Gefahr, die sich ihm mit unhörbaren Schritten näherte. Als die Gestalt des Stiefvaters sich kurz vor dem Prinzen aufrichtete und einen Dolch auf sein Herz richtete, schrie Diana auf.

"Philippe! Paß auf!" Der Prinz reagierte sofort. Mit einem geschmeidigen Schwung warf er sich von der Bank, so daß der Dolch ihn um Millimeter verfehlte!

Schweißgebadet wachte die junge Frau auf.

"Gott sei Dank, es war nur ein Traum!" seufzte sie laut und dennoch hatte sie so ihre Zweifel. Wußte sie doch, daß sie den Prinz persönlich getroffen hatte, in jener sonderbaren Welt. Aber was hatte ihr Stiefvater dort zu suchen? Wollte er wirklich den Prinzen ermorden, von dessen Existenz er doch keine Ahnung haben konnte? Und war es ihr gelungen, den jungen Mann wirklich zu retten? Fragen über Fragen, die jedoch ohne Antwort bleiben mußten, da ihr der Zugang zu jener fernen Welt versperrt war. Diana wurde von einer tiefen Sorge um das Wohl des geliebten Mannes gepackt und fühlte um so mehr ihre Ohnmacht, nichts über sein Los erfahren zu können. Den Tag verbrachte sie mit Grübeln, ging wie mechanisch ihrer Arbeit nach und legte sich für ihre Verhältnisse sehr früh Schlafen.

"Diana, Liebste, ich danke dir für deine Hilfe, ohne dich wäre ich nicht mehr da!" flüsterte Prinz Philippe.

"Dann war es also kein Traum?" fragte Diana leise, als ihr der junge Mann erschien. Dieser lächelte rätselhaft.

"Traum oder Wirklichkeit, was spielt das für uns eine Rolle? Sind wir nicht verbunden durch die Liebe unserer Herzen? Hier oder dort, heute, gestern oder in der Ewigkeit sind unbedeutende Ausdrücke menschlicher Erfindung. Einzig zählt der Gleichklang unserer Herzen, die Einheit unserer Gedanken! Daran mußt du immer denken, Geliebte! Dann werden viele Fragen beantwortet und Zweifel ausgeräumt! Vertraue nur zuversichtlich deinem Herzen, dann wird alles gut!" Die junge Frau nickte leicht mit dem Kopf.

"Wenn ich auch nicht alles verstehe, so will ich doch deinem Rat folgen und nicht mehr zweifeln oder eine Ratio suchen in den Dingen, die mit uns geschehen. Ich bin froh, daß es mir gelungen ist, dich vor einem schrecklichen Schicksal zu bewahren - doch sage mir nur eines: was hat mein Stiefvater in deinem Reich zu suchen?"

"Das, geliebte Diana, kann ich dir auch nicht beantworten. Aber es muß einen Zusammenhang geben, der uns nur noch verborgen ist. Hüte dich aber ebenso vor ihm, wie ich mich jetzt vor ihm hüten werde, denn er führt Böses im Sinn! Und das kann sich ebenso gegen dich wenden, Liebste! Hab also Acht, auf alles, was mit diesem gefährlichen Mann im Zusammenhang steht!"

"Ich werde deinen Rat beherzigen, Liebster!" versprach Diana dem Prinzen.

"Dann lebe wohl, Geliebte!" sprach zärtlich der junge Mann, bevor er im Nichts verschwand. Diana wachte am nächsten Morgen innerlich beruhigt auf, erinnerte sie sich doch daran, daß sie mit Prinz Philippe in Verbindung treten konnte, wenn sie es sich sehr wünschte. Aber das Bewußtsein, daß von ihrem Stiefvater eine unbekannte Gefahr ausging, ließ sie wachsam sein.

 

Es wurde wieder einmal Herbst und in Diana erwachte erneut dieses undefinierbare Gefühl, dieser Jagdtrieb, dieses Erbe ihrer Vorväter, die um diese Jahreszeit ausgingen, um Fleischvorräte für den langen Winter anzulegen. Ruhelos pilgerte sie zwischen Waffenschrank und Schreibtisch hin und her, hoffend, daß sie jemand aus ihrer Bekanntschaft zur Jagd einladen würde. Ihre wenigen Mittel ließen es zwar zu, sich ein paar Jagdausflüge zu leisten, nicht aber organisierte Reisen zu fernen Zielen. Und sie wurde nicht enttäuscht. Eines Morgens brachte der Postbote einen dicken Briefumschlag mit rumänischer Marke. Diana riß schnell den Umschlag auf und entnahm ihm mit zitternden Fingern einen aus einem Schulheft stammenden Zettel und einige Formulare. Sie vertiefte sich in die Lektüre der beiden engbeschriebenen Seiten.

<Liebe Diana! Ich hoffe, meine Zeilen treffen dich bei guter Gesundheit an! Wie lange ist es her, daß wir uns das letzte Mal gesehen haben! Damals warst du noch ein kleines Kind! Und seither konnten wir nur Briefe wechseln! Aber wir alle sind sehr froh, daß du nun wieder in deiner Heimat lebst! Wir haben auch dieses Jahr den Hegeabschuß für die Region erhalten, in welcher dein Vater einst gejagt hat. Sollte es dich interessieren, so kannst du mit Pfeil und Bogen oder aber mit der Flinte den mir zufallenden Teil der Abschüsse erhalten, da mich eine schwere Krankheit daran hindert, dies selbst zu tun. Natürlich stehe ich dir mit meinem Rat zur Seite, wie ich auch schon deinem Vater als Jagdbegleiter geholfen habe. Meine beiden Söhne können dich im Revier begleiten, sie selbst haben ihren Anteil schon geschossen, können dir also ihre ganze Zeit widmen. Die kleine Jagdhütte am Berg, du erinnerst dich sicher noch an sie von den Fotos deines Vaters, die, auf der Wildblumenlichtung am Eisbach, steht dir für die Dauer von zwei Wochen ganz zur Verfügung. Wenn du es einrichten kannst, komme in den ersten beiden Oktoberwochen zu uns, das ist die beste Zeit zur Jagd. In der Hoffnung, daß du unsere Einladung annimmst, habe ich mir erlaubt, dir schon die Einfuhrgenehmigungen für deine Waffen mitzuschicken. Ich hoffe sehr, du beehrst uns mit deiner Gegenwart, wir alle sind sehr gespannt, was aus dem kleinen Mädchen geworden ist, das in die Fußstapfen seines Vaters, den wir alle sehr geliebt haben, getreten ist. Diana Erdei, du machst deinem Namen alle Ehre! Bitte benachrichtige uns schnell, wir alle erwarten dich!

Dein "Onkel" Gábor, "Tante" Juliska, Péter und Pál

Diana legte den Brief beiseite und wischte sich mit einer nachlässigen Handbewegung die beiden Tränen aus den Augen, die sich dorthin geschlichen hatten, als sie die Erinnerung an ihren Vater übermannt hatte. Das waren wahre Freunde! Über all die Jahre und vielen Kilometer hinweg hatten sie ihr die Treue gehalten, sich regelmäßig nach ihrem Befinden erkundigt und teilgenommen an ihrem Lebensweg. Diana hatte die freundlichen Leute von allen großen und kleinen Ereignissen in ihrem Leben benachrichtigt und erfuhr ihrerseits alles über das Leben dieser ungarischen Familie in den unwirtlichen Karpaten. So brauchte sie nicht lange zu überlegen, schnell füllte sie die Formulare aus und schickte sie ab, ebenso einen kurzen Brief, in welchem sie der Familie Szabó mitteilte, wann sie ankommen würde. Die Nachbarn versprachen, sich um ihre Tiere zu kümmern, so war alles geregelt.

Als der Tag der Abreise gekommen war, packte Diana ihre Siebensachen in den nun schon ziemlich in die Jahre gekommenen Geländewagen, dann fuhr sie frohen Mutes los. Waren die ungarischen Landstraßen schon nicht in allerbestem Zustand, so wurde es nach der rumänischen Grenze ganz schlimm. Diana hatte die Kontrollen schnell hinter sich gebracht, waren doch alle Papiere in Ordnung und hatte sie jedem der drei Zollbeamten ein kleines Päckchen mit Kaffee, Zigaretten und Fleischkonserven zugesteckt. Aber danach wurde die Fahrt zur Rallye. Schlaglöcher so tief, daß ein normales Auto sie gar nicht passieren konnte, Schlamm und Steine auf der Fahrbahn und nur sehr sporadisch Hinweisschilder, wo man sich denn gerade befand. Zwar hatte Diana eine gute Karte, dennoch mußte sie des öfteren anhalten, um nach dem Weg zu fragen. Glücklicherweise waren es fast immer Menschen ungarischer Abstammung, die ihr freundlich Auskunft gaben, die Rumänen hielten noch an ihrer eingewurzelten Furcht vor Kontakt mit Ausländern fest, immer in Angst vor der Geheimpolizei. So gelangte die junge Frau schließlich in die Nähe ihres Zielortes. Vor ihr erhoben sich die unheimlichen Berge der Karpaten in den Abendhimmel. Es wurde langsam dunkel und sie mußte sich vorsichtig ihren Weg über die kaum noch Straße zu nennende Bahn suchen. Plötzlich trat sie hart auf die Bremse, der schwere Wagen kam zum Stehen. Vor ihr tat sich ein dunkler Schlund auf: Die Straße war wohl bei einem der herbstlichen Unwetter unterspült worden und abgesackt. Aber kein Achtungsschild wies die in vollem Vertrauen auf die Befahrbarkeit der Straße dort ihres Weges kommenden Menschen auf die Gefahr hin! Diana stieg mit zitternden Knien aus und wagte sich vorsichtig bis an die Kante des Bruches vor. Oh Schreck! Die Fahrbahn war so abgerutscht, daß ein mehrere Meter tiefes Loch vor ihren Füßen gähnte! Wer dort hineinfuhr, dessen Leben war keinen Pfennig mehr wert! Der direkten Gefahr entronnen, machte sich Diana jetzt Gedanken über ihr Weiterkommen. Die Nacht senkte sich jetzt mit großer Geschwindigkeit auf sie herab, ihre Gastgeber erwarteten sie sicherlich schon - und es gab keinen anderen Weg, als diesen hier, der sich als unbenutzbar erwies. Diana grübelte noch darüber nach, wie ihre Gastgeber denn in die nächste kleine Stadt kommen konnten, um ihre Einkäufe zu tätigen, als sie das leise Klingen einer Glocke hörte. Erstaunt drehte sie sich nach dem Klang um, als sie eine kleine Ziegenherde den Berghang herabklettern sah. Dahinter erschien die schmale Gestalt eines jungen Mädchens, nur in einige Lumpen gehüllt, aber erstaunlicherweise sauber. Diana näherte sich der Hirtin und bat sie mit einer zarten Geste, anzuhalten.

"Kannst du mich verstehen?" fragte sie das Kind in ungarisch und war sehr erfreut, als dieses nickte. "Bitte sage mir doch, wie ich zur Familie Szabó ins Forsthaus kommen kann, denn die Straße hier ist ja unbefahrbar." Das Kind dachte eine Weile nach, dann leuchtete sein Gesichtchen auf.

"Ich weiß einen kleinen Waldweg von hier aus etwa hundert Meter weiter unten rechts, der ist nicht sehr breit und es fahren hauptsächlich Pferdegespanne darauf, aber du wirst mit deinem schönen, großen Auto schon darauf fahren können." meinte das Mädchen.

"Bist du ganz sicher?" fragte Diana mit Nachdruck, denn sie hatte keine Lust, in der Nacht auf unbekannten Waldwegen steckenzubleiben ohne die geringste Aussicht auf Hilfe in dieser gottverlassenen Gegend. Das Kind nickte.

"Der Oberförster ist auch schon mit seinem Auto da gefahren, um ins Forsthaus zu kommen." bekräftigte es seinen Standpunkt. Das beruhigte Diana ein wenig.

"Kannst du mir dann beschreiben, wie ich fahren muß?"

"Das ist kinderleicht!" rief das Mädchen aus. "Es gibt nur diesen Weg zum Forsthaus, der breit genug ist, um darauf fahren zu können. Wenn du also immer den Radspuren folgst, kommst du sicher zum Forsthaus."

"Na dann, vielen Dank!" meinte Diana und gab dem Kind ein paar Päckchen Kaugummi sowie etwas Schokolade, beides große Seltenheiten in diesem armen Land.

"Vielen, vielen Dank, liebe Fee!" rief ihr das Kind glücklich nach, als Diana wieder in ihr Auto stieg, mit Mühe und Not auf der engen Straße wendete und etwa hundert Meter unterhalb der Bruchstelle auf den Waldweg einbog.

"Liebe Fee?" dachte sie an die Worte des Kindes.

"Glauben die Menschen hier noch an so etwas? Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Heutzutage ist doch jede Romantik verpönt, werden Märchen und Legenden als Großmutterkram abgetan. Und doch hat jeder Mensch geheime Sehnsüchte, Träume und Wünsche. Und gibt es Dinge, die sich selbst mit unserer hypermodernen Wissenschaft nicht erklären lassen..." Sie versank in eine ganz undefinierbare Stimmung, wurde aber sehr unsanft aus ihren Träumen gerissen, als der Wagen in ein tiefes Schlagloch fuhr und sie heftig durchrüttelte.

"Ich täte besser daran, mich auf meinen Weg zu konzentrieren, denn zu träumen." rief sie sich selbst zur Ordnung und konzentrierte sich von nun an nur noch auf den selbst im starken Scheinwerferlicht ihres Wagens schwer erkennbaren Weg. Der schmale Pfad wand sich in engen Kehren den Berg hinauf, bis nach einiger Zeit das Gelände abflachte: sie war auf einem breiten Hochtal angekommen. Nur noch ein paar Minuten, dann war sie endlich am Ziel! Plötzlich tauchten im Licht der Scheinwerfer die Umrisse eines hohen Holzzaunes aus der Dunkelheit auf, dahinter ließ sich die Silhouette des Forsthauses ausmachen. Wie durch Zauberhand öffnete sich das hohe Holztor und gab Diana den Weg frei zu einem Nebengebäude, welches als Remise für die Kutsche und den Jagdwagen sowie als Garage diente. Die junge Frau brachte ihr Auto dort unter. Als sie ausstieg, stand dort schon der Mann, den sie - wenn auch um einiges jünger - von Fotos her kannte, auf welchen er neben ihrem Vater vor der erlegten Beute abgebildet war.

"Gábor bácsi!"

"Mein Gott, Diana! Was für eine schöne Frau ist aus dem kleinen Mädchen geworden!" staunte der Mann, dann fielen sie sich in die Arme. Beiden standen Tränen der Freude aber auch der Trauer in Erinnerung um das schlimme Schicksal von Dianas Vater in den Augen. Als sie sich endlich wieder losließen, betrachtete die junge Frau aufmerksam ihr Gegenüber. Sie sah einen schmalen Mann, der auf die sechzig zuging, dessen Haltung und Aussehen aber ein weitaus geringeres Alter vermuten ließen. Ganz in Grün gekleidet mit einem alten Jägerhut auf dem grauen Haupt, sah er ganz genauso aus, wie das Urbild eines Jägers aus den Bergen. Sein Gesicht war fast noch ohne Runzeln und Falten, nur um die von dichten Brauen beschatteten dunkelbraunen Augen hatten sich kleine Fältchen gebildet. Die Adlernase saß über einem breiten Mund, den sowohl ein Schnurrbart als auch ein langer Vollbart schmückten, in deren dunkles Braun sich jetzt silberne Fäden mischten.

"Gábor bácsi dagegen hat sich überhaupt nicht verändert!" stellte sie fest. "Ich glaube, hier in den Bergen gehen die Jahre spurlos an ihren Bewohnern vorüber!"

"Na, wenn auch nicht spurlos, aber doch kaum wahrnehmbar!" lachte der Förster. "Aber bitte, wenn es dir nichts ausmacht, dann nenn mich einfach Gábor und <DU>, so wie es dein Vater auch immer getan hat."

"Mit Freuden!" antwortete ihm Diana. "Aber bitte, du sollst dich doch sicher nicht anstrengen, nachdem du mir geschrieben hast, daß du eine schwere Krankheit hast." Der Mann schüttelte leicht den grauen Kopf.

"Liebe Diana, mach dir nicht immer Gedanken um die anderen. Mir geht es nicht gut, das stimmt und mein schwaches Herz verbietet mir die weiten Wege und die Kletterei auf der Pirsch bergauf, bergab, es verbietet mir aber nicht, meine Zeit mit einem lieben Gast zu verbringen, sofern ich nicht allzuweit von zuhause weggehe."

"Dann ist es wohl besser, wenn wir jetzt ins Haus gehen, die anderen werden sicher schon auf uns warten."

"Du hast recht, mein Kind. Komm, ich nehme deine Waffen, die sind im Haus sicherer aufgehoben." Damit ergriff er das Futteral im Wagen und eine kleine Tasche mit dem Zubehör. Diana nahm ihren großen Koffer und die Handtasche, so gingen sie die wenigen Schritte unter dem Vordach bis zum Eingang in das Forsthaus. Dort empfing sie eine mütterliche Frau, die ungefähr das gleiche Alter hatte, wie ihr Mann: "Tante" oder "Néni" Juliska. Wo ihr Mann, der Förster, schlank war, war sie die Beleibtheit selbst. Aber sie war die Güte in Person und unterstützte ihren Mann, wo es nur ging. Ihr freundliches Mondgesicht strahlte über alle Backen, als sie die junge herzlich Frau begrüßte.

"Liebe Diana! Herzlich willkommen in unserem armen Heim! Ich bin so froh, daß wir uns nach so vielen Jahren wiedersehen! Es ist halt nicht dasselbe, wenn man sich schreibt, oder wenn man sich persönlich sieht! Doch komm, ich zeige dir gleich dein Zimmer, da kannst du deine Sachen in Ruhe auspacken und auch ein Bad nehmen, wenn du willst, inzwischen bereite ich das Abendessen vor."

"Vielen, vielen Dank für den herzlichen Empfang, Juliska néni!" rief Diana und drückte der Frau zwei dicke Küsse auf die nicht weniger dicken Wangen. "Ich würde sehr gerne ein Bad nehmen und dann etwas essen, denn ich bin hungrig wie ein Wolf! Die Fahrt war lang und ich mußte über den Waldweg fahren, weil die Straße abgesackt ist."

"Oh Gott! Das kann nur vorgestern nach dem großen Unwetter geschehen sein!" rief die Frau aus. "Denn am Tag davor haben wir die Straße noch benutzt! Aber niemand hat uns davon in Kenntnis gesetzt."

"Ich muß sagen, auch ich war überrascht, um es gelinde auszudrücken, als sich plötzlich vor mir ein dunkles Loch auftat!" meinte Diana schaudernd. "Nur eine winzige Sekunde der Unaufmerksamkeit und ich wäre nie hier angekommen."

"Ja stand denn kein Warnschild dort?" wollte der Förster wissen. Diana schüttelte den Kopf.

"Nein, Gábor bácsi! Es gab vorher keinen einzigen Hinweis auf die drohende Gefahr. Ich muß meinem Schutzengel danken, daß ich jetzt nicht zerschmettert auf dem Grund der Steilwand liege!"

"Ich werde mich morgen in aller Frühe auf den Weg machen und eine Hinweistafel anbringen!" meinte der Förster. "Unsere Behörden sind ja scheinbar nicht dazu in der Lage!"

"Ich werde dich dorthin fahren." kam ihm Diana zur Hilfe. "Erstens geht das schneller und dann möchte ich mir auch einmal bei Tage die Stelle ansehen, wo ich beinahe mein Leben verloren hätte."

"Vielen Dank, Diana! Ich werde gleich ein Schild herstellen." sagte der Mann und verschwand im Keller. Diana brachte ihre Sachen auf das Zimmer, welches schon ihrem Vater als Unterkunft gedient hatte und dachte wehmütig daran, wie schön es wäre, könnte er jetzt bei ihr sein und sie auf der Pirsch begleiten. Das Gästezimmer war ganz im Stil der Jagdhütten eingerichtet. Das helle Holz der Wände, an denen die verschiedensten Trophäen hingen, vom kapitalen Hirschgeweih bis zum ausgestopften Auerhahn, gab ihm ein jagdlich-heimeliges Aussehen. Von der Decke hing eine Lampe aus drei Geweihstangen und die Wandleuchte über dem Bett war aus dem Gehörn eines Rehbockes gefertigt. Außer dem bequemen Bett mit den warmen Daunendecken gab es noch einen mit Jagdmotiven geschnitzten Holzschrank und einen kleinen, runden Tisch mit zwei Stühlen, deren Lehnen ebenfalls geschnitzte Jagdszenen aufwiesen. An den kleinen Fenstern hingen blau karierte Gardinen, die aus dem gleichen Stoff waren, wie die Zierdecke auf dem Tisch. Eine niedrige Holztür führte in das kleine Bad, das zum Gästezimmer gehörte. Als Diana ihre Sachen verstaut hatte, begab sie sich wieder ins Erdgeschoß, wo sie im Wohnzimmer der Familie schon das dampfende Abendessen erwartete.

"Ich habe geschmorten Hasen mit Klößen vorbereitet." bemerkte Juliska néni. "Das war auch die Lieblingsspeise deines Vaters. - Ich hoffe, du bist mir nicht böse darüber." setzte sie schnell hinzu, als sie die Träne gewahrte, die sich in den Augenwinkeln Dianas bildete und zu Boden tropfte. Die junge Frau schüttelte leicht den Kopf und lächelte.

"Natürlich bin ich nicht böse, Juliska néni, nur übermannen mich manchmal die Erinnerungen und ich kann es einfach nicht glauben, daß mein Vater uns so früh verlassen mußte."

"Ja, es war ein schrecklicher Schicksalsschlag!" bekräftigte die Frau. "Natürlich in erster Linie für dich und deine Mutter, aber auch für uns, die wir direkt am Ort des Geschehens waren und uns zudem seine Freunde nennen durften." Sie umarmte tröstend Diana und führte sie zum gedeckten Tisch. "Setz dich, Gábor kommt auch gleich, er will nur noch das Schild fertigstellen, dann können wir beginnen." Diana setzte sich gehorsam auf den ihr von der Förstersfrau angewiesenen Platz, der, auch wenn es ihr niemand sagte, sicher der angestammte Platz ihres Vaters gewesen war. Nach fünf Minuten erschien auch der Förster wieder und sie begannen schweigsam nach einem kurzen Gebet das Abendessen. Diana langte trotz allem kräftig zu, hatte die Fahrt ihr doch sehr zugesetzt. Als die Frau den Nachtisch aus Kastanienpüree servierte, wagte Diana endlich die Frage, die ihr schon lange auf der Zunge lag.

"Eure Söhne, die mich morgen begleiten sollen, wo sind sie denn heute?"

"Du wirst sie morgen schon zu Gesicht bekommen." meinte Gábor bácsi. "Ich habe sie zur Jagdhütte vorausgeschickt, damit alles vorbereitet ist, wenn du morgen dort ankommst."

"Vielen Dank Gábor bácsi. Ich sehe, du organisierst alles zum Besten deiner Gäste!"

"Das ist doch nur selbstverständlich!" lachte der Förster. "Zumal du für uns viel mehr bist, als nur ein gewöhnlicher Jagdgast." Der Abend verging in Harmonie und alle legten sich früh schlafen, um am nächsten Morgen zur rechten Zeit wach zu sein. Als der Wecker klingelte, fuhr Diana aus dem Schlaf auf, die Nacht schien ihr nach all den Anstrengungen und Aufregungen des Vortages doch sehr kurz gewesen zu sein. Nichtsdestotrotz nahm sie eine schnelle Dusche und zog ihre bequeme Jagdkleidung an. In der Küche warteten schon ein ausgiebiges Frühstück und der Förster auf sie.

"Guten Morgen, Gábor bácsi." grüßte Diana den Mann, der ihr sogleich aus einer alten, schön emaillierten Kanne heißen Kaffee einschenkte.

"Guten Morgen Diana, gut geschlafen?" erkundigte er sich bei der jungen Frau, die bejahend nickte.

"Gut, ja, aber viel zu wenig!" Der Förster lachte laut auf.

"Das will ich gerne glauben, aber so ist die Jagdsaison nun einmal."

"Zumal wir zuerst das Schild an die Straße stellen müssen." bemerkte Diana nachdenklich. Sie aßen schnell ihr Frühstück aus Rührei mit Pilzen auf und packten dann alle Jagdutensilien samt dem Holzschild in den Geländewagen der jungen Frau. Als sie an der Bruchstelle der Straße anlangten, wurde es gerade Tag. Gábor bácsi stellte das Warnschild weit genug vor der Gefahrenstelle auf, dann ging er zu Fuß mit Diana an die gefährliche Stelle. Als sie das tiefe Loch begutachteten, fiel ihr Blick unwillkürlich auf den Steilhang zu ihren Füßen. Mit Schaudern wurden sie sich bewußt, daß es im Falle eines Unfalles keine Hilfe für den Betroffenen geben würde. Der Berg fiel hier mehrere hundert Meter steil ab, außer steinernen Klippen gab es nicht den geringsten Pflanzenwuchs, der einen Fall eventuell gebremst hätte. Tief unten im Tal sah man einen reißenden Bergfluß, ansonsten unbegehbare Wildnis. Noch einmal sprach Diana ein stilles Dankgebet dafür, daß ihr ein schreckliches Los erspart geblieben war. Dann kehrten sie zum Wagen zurück und machten sich auf den Weg zur Jagdhütte. Diese befand sich in einem Teil des Bergwaldes, welcher noch mit dem Auto zu erreichen war, bildete aber nur das Basislager. Die nächsten Hütten waren nur nach stundenlangen, anstrengenden Fußmärschen durch unwegsames Gelände zu erreichen. Als das Auto auf die kleine Lichtung einbog, in deren Mitte die Hütte stand, warteten schon zwei große, starke Gestalten unter dem Vordach auf die Ankömmlinge. Péter und Pál waren Zwillinge, die sich glichen, wie ein Ei dem anderen. Von hohem, breitem Wuchs, etwa in Dianas Alter, zeugten ihre wettergegerbten Gesichter vom ständigen Aufenthalt in der freien Natur. Dunkle Locken umspielten die hohe Stirn, fast schwarze Augen schauten unter dichten Brauen durchdringend in die Weite, die Gesichter waren markant und doch nicht ohne Charme. Als Diana aus dem Wagen stieg, begrüßten sie die beiden jungen Männer herzlich, danach hatte auch der Vater ein Recht auf eine warme Begrüßung. Schnell waren die Jagdutensilien ausgeladen und man setzte sich in der gemütlichen Stube zur Lagebesprechung zusammen. In dem aus riesigen Baumstämmen gefertigten Blockhaus herrschte durch einen Kachelofen angenehme Wärme, alle Einrichtungsgegenstände waren grob aus Holz gefertigt, der lange Tisch ebenso wie die Stühle, die Bettkästen und die beiden Truhen, die als Aufbewahrungsort aller übrigen Utensilien dienten. Ein alter Eisenherd mit Holzfeuerung diente zusammen mit einem Büfett aus Uromazeiten als Küche, ein Eisengestell mit Emailleschüssel als Waschgelegenheit. Wasser kam aus dem nahen Bach und als Toilette diente das <Häusl> hinter der Hütte. Und obwohl Diana an heimischen Komfort gewöhnt war, akzeptierte sie sofort die hiesigen Gegebenheiten. Jagd - noch dazu umsonst - nur das war es, was zählte! Und hatte nicht auch ihr Vater hier seine schönsten Jagderlebnisse gehabt? Sie kamen überein, daß die Jagd am nächsten Tag von der zweiten Hütte aus beginnen sollte. Gábor bácsi würde mit dem Auto zum Forsthaus zurückkehren, sie würden es vorerst nicht benötigen. Nach ein paar Tagen würde er wieder ins Basislager zurückkommen, um zu sehen, wie die bisherige Jagd abgelaufen war. Dann wollten sie einen anderen Teil des Reviers bejagen. Diana entschloß sich, den ersten Teil der Pirsch mit dem Gewehr zu bestreiten, danach wollte sie es auch einmal mit Pfeil und Bogen versuchen. In aller Frühe wanderten die drei Jäger los. Sie hatten genügend Proviant für zwei Tage mitgenommen, denn in der hiesigen Gegend konnte man Unvorhergesehenes nie ganz ausschließen. In ihren schweren Rucksäcken hatten sie Kleidung zum Wechseln, Schlafsäcke und all das andere unentbehrliche Zubehör, welches bei der Jagd benötigt wird. Die Luft war kalt und es wehte ein scharfer Wind, der die Kronen der hohen Bäume heftig schüttelte. Doch in der Tiefe des Waldes spürte man die Gewalt des Sturmes weniger und sie konnten forsch ausschreiten. Die wunderbare Stille wurde nur hin und wieder vom Schrei eines Vogels oder dem leisen Knacken eines trockenen Zweiges unter den schweren Wanderschuhen der Jäger unterbrochen. Schweigend setzten sie ihren Weg in immer höhere Regionen der Berge fort. Mittags machten sie Rast auf einer von hohen Felsen geschützten Lichtung und verzehrten ihr kaltes Mahl. Dann ging es weiter, immer höher und höher. Sie kamen an der nächsten Hütte vorbei, wo die beiden jungen Männer rasch nachsahen, daß auch hier alles gerichtet war. Danach setzten sie ihren Weg fort. Es wurde immer kälter und oft, wenn sie weite Hochalmen überquerten, schützte sie auch nicht mehr der dichte Wald vor dem Ansturm des Windes. Später ging es wieder etwas bergab, denn Diana sollte die Gelegenheit haben, auf einen Abschußhirsch zum Schuß zu kommen. Lange mußten sie suchen, bis sie einen geeigneten Platz fanden, dann aber verschwanden die beiden jungen Jäger und überließen Diana ihren Gedanken, während sie auf den Hirsch wartete. In der unwirklichen Stille der riesigen Wälder hatte sie genügend Zeit, über ihr Leben nachzudenken. Sollte sie nicht doch dem Werben des einen oder anderen Bewerbers um ihre Hand nachgeben und eine "normale" Ehe führen? Konnte sie das aber überhaupt? Noch keiner der jungen Männer ihrer näheren Bekanntschaft hatte sich wohlwollend über ihre Hobbys geäußert, einige verlangten geradezu, daß sie diese aufgeben sollte, um als "normale" Ehefrau und Mutter zu leben. Das aber widersprach jeder Faser ihres Körpers. Nie würde sie eines Mannes wegen ihr Leben ändern - und nie würde sie das Philippe gegebene Versprechen brechen!

 

 

 

Über Nacht hatte es heftig geschneit. Als Diana im ersten Licht des neuen Morgens aus dem kleinen Fenster schaute, bot sich ihr ein wunderbarer Anblick. Die dunklen Tannen trugen weiße Häubchen auf ihren dichten Zweigen und im Schnee auf der Lichtung war ein Gewirr von Spuren zu sehen, welche die Tiere hinterlassen hatten, die im Schutze der Nacht dort übergewechselt waren. Jetzt war es an der Zeit, mit Pfeil und Bogen auf die Jagd zu gehen! Diana hatte zu diesem Zweck extra ein weißes Übergewand mitgebracht, zur besseren Tarnung im Schnee. Die Wildschweine konnten nun anhand ihrer Fährten ausfindig gemacht werden. In aller Eile weckte sie ihre Begleiter, die sich ebenso freuten, wie sie, daß es geschneit hatte. Als sie in die Kälte hinaustraten gefror ihnen der Atem, so kalt war es. Trotzdem gelangten sie bald zu der als Ansitz auserkorenen Stelle. Diana nahm nach einigen Vorsichtsmaßnahmen ihren Platz ein, die beiden Begleiter entfernten sich ein wenig, hatten aber von ihrem Standplatz aus einen freien Blick zu der jungen Jägerin. Lange, lange Zeit geschah nicht das Geringste, bis dann plötzlich ein paar Überläufer aus dem Dickicht hervorkamen. Vorsichtig schauten sie sich auf der kleinen Lichtung um, sicherten in alle Richtungen, konnten aber nichts Gefährliches entdecken. Diana wartete mit gespanntem Bogen und angehaltenem Atem auf eine gute Gelegenheit zum Schuß. Noch waren die Schwarzkittel zu weit entfernt, um einen sicheren Schuß abgeben zu können, denn die beste Distanz liegt bei knappen 10-15 Metern. Endlich aber kam einer der Überläufer in seiner Neugierde auf Schußweite heran. Diana ließ den Pfeil fliegen, ein dumpfer Schlag zeigte ihr den Treffer an, welcher das Tier an einer empfindlichen Stelle getroffen haben mußte, denn nach nur wenigen Sprüngen brach es zusammen. Die anderen Wildschweine hatten das leise Zischen des Pfeiles nicht als Gefahr wahrgenommen, erst als der Überläufer zusammenbrach, gingen sie in stiller Flucht ab. Diana wartete noch einige Zeit, dann begab sie sich mit den inzwischen hinzugekommenen Brüdern zu ihrer Beute.

"Weidmannsheil, Diana!" beglückwünschten sie die beiden Jäger und

"Weidmannsdank!" dankte ihnen Diana, während sie sich zu dem erlegten Tier niederbeugte. Pál suchte einen kleinen Zweig, welchen er in den roten Schweiß des Überläufers tauchte und diesen Bruch dann Diana überreichte, die ihn sich dankend an den Hut steckte.

"Das war ein schöner, weidgerechter Schuß!" freute sich Pál mit der Schützin. "Ich war noch nie auf einer Jagd mit Pfeil und Bogen dabei, ich muß sagen, das Ganze hat mich sehr beeindruckt!" Diana wehrte lächelnd dieses Lob ab.

"Das war heute keine so schwere Aufgabe! Aber du mußt einmal dabeisein, wenn es auf Hirsche oder Rehböcke geht! Da ist Tarnung das A und O der ganzen Sache und natürlich das gekonnte Anpirschen. Ich habe schon einmal für ein paar Meter, die mich in Schußweite brachten, mehrere Stunden gebraucht! Auf dem Bauch im Gras liegend und immer versuchend, so geräuschlos wie möglich und so unauffällig wie nötig mit dem Bogen mich dem Bock zu nähern! DAS ist wahre Jagd!" Der junge Mann schüttelte zweifelnd den Kopf und schaute der hübschen jungen Frau in ihr vor Freude strahlendes Gesicht.

"Willst du damit sagen, daß du dich auch so anmalst, wie man es in manchen Kriegsfilmen sieht?"

"Natürlich! Je weniger das Tier mich als menschliches Wesen erkennen kann, desto besser stehen meine Chancen. Ich habe immer einen Kasten mit Farben bei mir, wenn ich mit dem Bogen auf die Jagd gehe. Heute war es aber nicht nötig, denn der weiße Umhang mit der Kapuze, die ich mir über mein Gesicht ziehen konnte, gaben mir genug Tarnung in der schneeweißen Landschaft."

"Macht es dir denn nichts aus, dich so zu "verunstalten"? Ich meine, Frauen schminken sich zwar, aber doch nur, um noch hübscher als sonst auszusehen!" grinste der junge Mann. Diana aber schüttelte den Kopf, daß ihre Locken stoben.

"Du wirfst hier zwei ganz und gar verschiedene Sachen in einen Topf. Natürlich schminke ich mich ein wenig, wenn ich einmal ausgehe oder an einer Veranstaltung teilnehme, denn auch in mir lebt die weibliche Eitelkeit, wenn auch nicht so ausgeprägt, wie bei manchen anderen Frauen. Die Jagd ist aber eine ganz andere Sache! Da werde ich wieder zu einem Mensch in seiner ursprünglichsten Form, welcher versucht, sich seinem Beutetier so unauffällig wie möglich zu nähern und dem jede Möglichkeit zur Tarnung recht sein muß. Deshalb bevorzuge ich auch seit einiger Zeit die Bogenjagd, sie bietet dem Wild eine größere Chance und ist eine weitaus höhere Anforderung an den Jäger. Er muß weit mehr, als bei der Jagd mit dem Gewehr, die Lebens- und Verhaltensweisen des Wildes kennen, sich den Gegebenheiten des Geländes anpassen können, Geduld und Erfahrung in sich vereinen. Mit dem Gewehr sind wir den Wild überlegen, mit Pfeil und Bogen hat es alle Vorteile auf seiner Seite." Nach dieser langen Rede machte sich die erfolgreiche Jägerin daran, das Wild mit Hilfe der beiden Brüder fachgerecht zu versorgen. Als sie die Arbeit beendet hatten, begaben sie sich auf den Rückweg zur Hütte.

In der Ferne heulten Wölfe, es war Vollmond und die Meute hatte sicherlich auch Hunger. In dieser Gegend kam es nicht selten vor, daß Wölfe in die Hürden der Schafe eindrangen und ein Stück nach dem anderen rissen, bis sie ihren Hunger gestillt hatten. Und auch von Bären wußten die Menschen hier oben zu berichten, die nicht nur Schafe oder Rinder, sondern auch deren Hirten getötet hatten, um an frische Nahrung zu gelangen. Zwar war Meister Petz ansonsten mehr ein Aas- oder Pflanzenfresser, doch wenn der Hunger ihn trieb, dann konnte er sich zum gefährlichen Beutereißer entwickeln. Diana hatte oft den Erzählungen ihres Vaters gelauscht, wenn dieser von seinen Jagden auf den Braunbär der Karpaten berichtete. Oft war das kluge und vorsichtige Tier seinen Nachstellungen entgangen, aber wenn Hungerzeiten herrschten, dann konnte der Bär oft, aber trotzdem nicht leicht, am Kadaver von Pferden oder Rindern geschossen werden. Und dann gab es Geschichten von Bärenangriffen, die einem die Haare zu Berge stehen ließen. Dianas Vater hatte einige Jäger und Hirten gekannt, die ihr Leben oder ihre Gesundheit im Kampf mit diesen mächtigen Raubtieren verloren hatten. Und selbst Gábor bácsi trug die Spuren eines solchen Kampfes an seinem Körper. War er doch einst, als junger Bursche, so unvorsichtig gewesen, ungewollt Meister Petz in seiner Winterruhe im Schutze eines umgestürzten Baumes zu stören. Der Bär war keineswegs schon im Tiefschlaf und attackierte mit erstaunlicher Geschwindigkeit den jungen Förster. Dieser, zu überrascht von der Gegenwart des Tieres an einem solchen Platz, hatte keine Zeit mehr, um zu reagieren. Das wütende Raubtier griff ihn mit weit aufgerissenem Rachen an, er wurde von der Gewalt des kräftigen Tatzenschlages zu Boden geworfen und blieb dort, zu seinem Glück, reglos liegen. Das Tier versetzte ihm noch ein paar Prankenhiebe, trotte dann aber davon. Aus tiefen Wunden blutend und noch immer benommen, kroch der junge Mann auf allen vieren bis zu einer Wegkreuzung, die, wie er wußte, häufig um diese Zeit von Holzfällern benutzt wurde. Und zu seiner großen Erleichterung hörte er bald darauf die Glocken der Pferdekutsche. Die Holzfäller brachten den Verletzten bis zum nächsten Dorf, wo der Arzt ihn zu seinem Glück fachgerecht behandelte. Von dem Abenteuer blieben dem Mann als sichtbare Spuren nur die tiefen Narben der von den Klauen gerissenen Wunden zurück und eine Furcht in seinem Innern, die ihn jedoch nicht davor zurückschrecken ließ, weiterhin den Bären zu jagen, sondern ihn nur um vieles vorsichtiger und umschauender sein ließ, als er es vorher je gewesen war.

Am nächsten Tag kreuzten sie plötzlich unverhofft eine menschliche Fährte im tiefen Schnee.

"Was hat das denn zu bedeuten?" wollte Diana von ihren Begleitern wissen. "Wer läuft hier oben ganz alleine in der Gegend umher?"

"Wir haben nicht die geringste Ahnung, wer das sein könnte." meinte Pál und sein Bruder nickte zustimmend. "Hier kommt kein Holzfäller hin und schon gar nicht alleine. Und selbstverständlich auch kein Jäger, da dieses Revier ausschließlich unter unserer Aufsicht steht.

"Und ein Wilderer?" warf Diana ein, sich furchtsam umblickend, denn sie kannte nur zu gut den alten Grundsatz der Wildschützen: Schieß zuerst und ziele gut, sonst bist du tot! Doch ihre Begleiter konnten sie beruhigen.

"Hier oben ist kein guter Platz für Wilderer, sie sind zu sehr der Entdeckung ausgesetzt und außerdem gibt es nur wenig Wild hier, welches sie interessieren könnte. Nein, die Wilderer bevorzugen die dichten Wälder, wo sie sich gut verstecken können und es um so mehr jagdbares Wild gibt."

"Na schön, ich will euch gerne glauben, schließlich seid ihr hier zuhause." warf Diana ein. "Aber dann sagt mir doch bitte auch, was für eine rätselhafte Person dies sein könnte, die hier ihre Spuren im Schnee hinterlassen hat." Doch darauf wußten die beiden Jäger auch keine Antwort. Man kam überein, der Spur nicht zu folgen, sondern weiter auf der vorher festgelegten Route zu pirschen. Nach einiger Zeit hatte Diana die rätselhaften Eindrücke fast vergessen, als sie die Fährte eines starken Gamsbockes sahen.

"Den darfst du aber nicht schießen." wies sie Péter an.

"Das macht nichts," meinte die junge Frau. "Ich möchte ihn aber gerne einmal sehen!"

"OK, dann komm mit, ich glaube, ich weiß, wie wir ihn unter dem Wind angehen können." flüsterte Pál und schritt vorsichtig voran. Auf dem verschneiten Gelände mußten sie jeden Handbreit Boden erst genau prüfen, ehe sie ihren Fuß dort aufsetzten. Oft kam es vor, daß der Schnee plötzlich nachgab und eine Spalte sich vor ihnen öffnete. Zum Glück kannten die beiden heimischen Jäger das Gelände genau und konnten so die gefährlichsten Stellen vermeiden. Im Eifer des Gefechtes wären sie fast an der menschlichen Spur vorbeigegangen, die sich vor ihnen in den Hang hineinzog. Doch den scharfen Augen Péters entging so leicht nichts.

"Na da soll doch gleich....!" rief er leise aus. "Der Kerl ist jetzt genau vor uns. Hinter der nächsten Felskante haben entweder wir ihn im Visier oder er uns. Ich glaube, es ist besser, ihr bleibt hier zurück, bis ich mir die Sache einmal genauer angeschaut habe." wies er seinen Bruder und Diana an. Diese blieben auch sofort stehen und sahen, wie der junge Mann sich vorsichtig, Schritt für Schritt der Felsnase nährte. Mit angehaltenem Atem folgten sie mit den Augen jeder seiner vorsichtigen Bewegungen, bis er aus ihrem Blickfeld entschwand. Immer in Erwartung eines Schusses wagten sie nicht, sich zu bewegen. Nach einer schier endlos erscheinenden Zeitspanne hörten sie die leise Stimme Péters.

"Alles in Ordnung, ihr könnt kommen!" Als sie um die Ecke bogen, sahen sie den Jäger mit dem Fernglas vor den Augen eine Gestalt beobachten, die sich Richtung Tal entfernte.

"Da läuft der Kerl - und die Gams hat er uns auch verschreckt!" rief Pál, als er das typische Pfeifen hörte, gefolgt vom Klang den Steilhang hinunter rollender Steine.

"Wer ist das und weshalb steigt er hier herum?" fragte Diana noch einmal. "Ist das überhaupt ein Einheimischer?" Irgend etwas in den Bewegungen des Unbekannten schien ihr familiär zu sein. Während sie noch darüber nachgrübelte, wo sie den Mann schon einmal gesehen haben könnte, machte dieser eine kleine Geste mit der Hand zu seinem Hut - und da wußte sie es: Der Mann dort unten, der hier so allein in der Wildnis umherlief war - ihr Stiefvater!

"Mein Gott!" entfuhr es ihr. "Das ist mein Stiefvater!" Eine unbestimmte Vorahnung von einer unbekannten, großen Gefahr beschlich sie, denn sie erinnerte sich plötzlich an ihren Traum, die Rettung des geliebten Mannes vor ihrem Stiefvater und die Warnung des Prinzen an sie, daß auch sie ihn Gefahr schwebe. Zwar konnte sie sich nicht vorstellen, warum der Stiefvater ihr Unheil zufügen wolle, doch verließ sie sich hierbei ganz auf ihr Gefühl und das Vertrauen in Prinz Philipp, der seine Warnung sicher nicht ohne Grund ausgesprochen hatte.

"Laßt uns umkehren!" bat sie ihre Begleiter. "Ich weiß nicht, was mein Stiefvater hier zu suchen hat, aber ich habe so eine Ahnung, daß es nichts Gutes ist. Bitte bringt mich zur Hütte zurück. Heute ist sowieso der letzte Jagdtag, morgen früh holt mich euer Vater mit dem Wagen ab, da halte ich es für besser und sicherer, den Rest des Tages in der Hütte zu verbringen und morgens früh ins Basislager zurückzukehren." Die beiden jungen Männer zuckten die Achseln.

"Wenn du meinst, daß es notwendig ist, dann machen wir uns an den Abstieg!"

"Es tut mir leid, wenn ich euch den Tag verderbe, aber ich glaube, daß es so besser ist."

"Du bist der Jagdgast und verdirbst uns keineswegs den Tag!" bekräftigte Pál. "Da die Gams sowieso für heute verloren ist, können wir sowieso nichts Besseres tun, als zurückzukehren."

"Danke euch!" rief die junge Frau, dann machten sie sich an den schwierigen Abstieg.

 

In der Nacht heulten wieder die Wölfe in der Ferne und ein starker Sturm strich um die Blockhütte. Armdicke Äste wurden von den sich bedrohlich biegenden Bäumen abgerissen und einer landete sogar mit einem großen Krach auf dem Dach der Hütte. Dort schlief Diana trotz dem Toben der Gewalten draußen den Schlaf der Gerechten. Dem seligen Lächeln nach, welches sich auf ihrem friedlichen Gesicht abzeichnete, war sie in ihren Träumen weit weg von dieser unwirtlichen und gefährlichen Welt. Am nächsten Morgen standen sie alle früh auf, um den Abstieg zum Basislager in Angriff zu nehmen. Nach einem kalten Frühstück und mit am Vorabend zubereitetem Kaffee aus der Thermoskanne, um den Herd nicht noch einmal anheizen zu müssen, verschloß Pál die Hütte. Diana warf noch einen letzten Blick auf die sich hoch über ihren Köpfen auftürmenden Berge, dann konzentrierte sie sich ganz darauf, ihren Führern auf dem beschwerlichen Pfad zu folgen. Ihre Gedanken kreisten jedoch bald um die Erlebnisse der letzten Tage und das unvorhergesehene Auftauchen ihres Stiefvaters. Hatte sein Erscheinen gerade jetzt und hier etwas mit ihr zu tun? War sie in Gefahr, so wie es Prinz Philippe gewesen war? Und wenn ja, was war der Grund für ihren Stiefvater, ihnen Böses zufügen zu wollen? Die junge Frau konnte das Rätsel jedoch nicht lösen. So erreichten sie am späten Nachmittag die große Hütte. Hier unten war der Schnee nicht liegengeblieben.

"Uff, geschafft!" seufzte Diana unter der Last ihres Rucksackes. "Noch eine Nacht hier draußen, dann endlich komme ich wieder in den Genuß der Zivilisation."

"Wie zum Beispiel ein warmes Bad!" lachte Péter. "Ja, das wünsche ich mir auch sehnlichst herbei."

"Aber jetzt gibt es erst einmal ein tolles Abendessen!" versprach Pál. Sie legten ihre Sachen in einer Ecke des Blockhauses ab, dann begannen die beiden jungen Männer mit den Vorbereitungen. Schnell war ein großes Feuer im Ofen angefacht und schon bald brutzelte der hausgemachte Speck in der großen, gußeisernen Pfanne.

"Ich hatte gar nicht gewußt, wie hungrig ich bin." meinte Diana von ihrer Bettstatt aus, wo sie sich gemütlich ausgestreckt hatte. "Und Specknudeln waren schon immer eines meiner Lieblingsgerichte!"

"Daß du uns aber nicht alles alleine aufißt!" scherzte Pál. "Wir haben auch einen Riesenhunger!" Bald stand die Pfanne mit ihrem dampfenden Inhalt auf dem großen Holztisch und die drei Jäger bedienten sich reichlich. Dazu gab es heißen Hagebuttentee und für die Männer ein Glas Pflaumenschnaps. Danach begaben sich alle schlafen. Die Nacht verging ohne Störungen und Diana konnte sich endlich einmal ausschlafen, da die Ankunft des Försters erst für den späten Vormittag geplant war. Nach einem schnellen Frühstück machten sich die beiden Männer daran, die Trophäen für den Transport vorzubereiten und Diana räumte die Unterkunft auf. Danach verabschiedeten sich Péter und Pál von der jungen Frau.

"Wir gehen zu Fuß ins nächste Revier, um dort nach dem Rechten zu sehen!" meinte Pál, als er Diana herzlich an sich drückte. "Mach's gut und laß dich bald wieder einmal bei uns sehen!"

"Es hat wirklich viel Freude gemacht, mit dir zu jagen!" bekräftigte auch Péter und drückte der jungen Frau zwei Küsse auf die Wangen. "Du hast deinem Vater alle Ehre gemacht!"

"Herzlichen Dank euch beiden!" schluckte Diana, der Tränen die Kehle zuschnürten. "Ihr wart sehr angenehme Begleiter und ich werde diese Tage nie in meinem Leben vergessen! Sicherlich werde ich euch wieder besuchen, doch zuerst ist es an euch, mir einen Besuch abzustatten. Zwar kann ich euch keine Jagdmöglichkeit bieten, aber dafür eine schöne  und erlebnisreiche Zeit in der Puszta."

"Wir werden von deinem Angebot sicher Gebrauch machen!" meinte Pál. "Auch wenn es für uns nicht so leicht ist, nach Ungarn zu reisen." Dann umarmten sie noch einmal die junge Frau, bevor sie, die Gewehre über der Schulter und die schweren Rucksäcke wie leichte Daunendecken auf dem Rücken, über die Lichtung im dunklen Wald verschwanden. Bald darauf hörte Diana in der Ferne den Motor des schweren Geländewagens, der sich langsam den Berg hinaufarbeitete. Kurze Zeit später tauchte ihr Auto mit dem Förster am Steuer auf der Lichtung auf.

"Gábor bácsi!" rief Diana aus und begrüßte den Mann stürmisch, als dieser aus dem Wagen stieg.

"Na, wie ist die Jagd abgelaufen, mein Kind?" wollte dieser wissen.

"Genauso, wie ich es erwartet und erhofft hatte! Schau nur, hier ist meine Ausbeute." Damit zeigte die junge Frau auf die Trophäen, die neben ihrem Rucksack an der Hüttenwand lagen. "Für die Leute hier mag es minderwertige Ausschußware sein, für mich sind es die schönsten Trophäen meines Lebens."

"Es freut mich, daß du zufrieden bist!" meinte der Förster. "Komm, laß uns einpacken, Juliska néni wartet schon mit dem Mittagessen auf uns." Diana nickte und wollte eben zum Haus zurückgehen, um ihren Rucksack zu holen, als ein Aufschrei des Försters sie innehalten ließ.

"Diana paß auf!" Instinktiv drehte sie sich in die Richtung des Mannes und gewahrte so nicht den Mann, der im Schatten der Bäume, das Gewehr im Anschlag, auf sie zielte.

"Was ist denn, Gábor bácsi?" fragte sie, als sie mit vor Verwunderung weit aufgerissenen Augen sah, wie dieser mit einer schier unwahrscheinlichen Geschicklichkeit sein Gewehr in Schußposition brachte und auf etwas hinter ihrem Rücken zielte. Blitzschnell warf sie sich zur Seite, um nicht durch seinen Schuß verletzt zu werden, als mit einem lauten Krach seine Büchse losging, zur selben Zeit war aber noch eine Detonation zu hören, die aus dem Gewehr des Fremden kam. Fast gleichzeitig hörte sie zwei Aufschreie und mußte entsetzt und hilflos mit ansehen, wie der Förster langsam in die Knie sank, seine Hand auf die Brust gepreßt. Endlich erwachte sie aus ihrer Versteinerung und rannte auf den am Boden liegenden Förster zu.

"Gábor bácsi! Was ist geschehen? Bist du getroffen?" schrie sie fast hysterisch, als sie sich zu dem Mann herabbeugte und in seine vor Schmerz und Unverständnis weit aufgerissenen Augen blickte. "Gábor bácsi, so antworte mir doch!" bat sie, nein flehte sie. Doch der Mann reagierte nicht.

"Oh, mein Gott, so hilf mir doch!" schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel und Gott schien sie zu erhören, denn sie hörte eilige Schritte in ihrer Nähe und zwei erschreckte Ausrufe. Als sie aufblickte, standen Péter und Pál außer Atem neben ihr und schauten fassungslos auf ihren am Boden liegenden Vater.

"Lieber Himmel, was ist hier geschehen!" rief Pál entsetzt aus. "Wir haben Schüsse gehört und sind sofort umgekehrt."

"Ich weiß nicht, was geschehen ist!" schluchzte Diana, am Ende ihrer Selbstbeherrschung. "Euer Vater rief mir zu, mich in Acht zu nehmen, dann fielen zwei Schüsse. Ich weiß aber nicht, ob er getroffen wurde, er sank zu Boden, aber ich habe kein Blut gesehen."

"Und der andere Schütze?" wollte Pál wissen, bevor er vorsichtig seinen Vater untersuchte. Doch bevor Diana noch antworten konnte, entfuhr ein Seufzer der Erleichterung der Kehle des jungen Mannes. "Er lebt! Ist aber ohne Bewußtsein! Wir müssen ihn sofort ins Krankenhaus bringen!"

"Ich werde fahren!" bestimmte Péter. "Diana ist dazu viel zu aufgeregt - und du bleibst hier und suchst nach dem anderen Schützen!" befahl er seinem Bruder, der verständnisvoll nickte.

"Selbstverständlich! Beeilt euch, seid aber trotzdem vorsichtig!" Dann trugen sie ihren Vater zum Auto und legten ihn vorsichtig auf die hintere Bank, Diana nahm auf dem Beifahrersitz Platz und Péter setzte sich hinters Steuer. Der schwere Wagen fuhr mit brummendem Motor ab. Pál betete, daß sie den Vater noch rechtzeitig ins Krankenhaus würden bringen können. Doch dann wandten sich seine Gedanken dem Schützen zu, der dieses ganze Unglück verursacht hatte. Nach einer kurzen Untersuchung der Lichtung begann er mit dem Durchforsten des Unterholzes. Schon ein paar Augenblicke später hatte er die Stelle gefunden, an welcher der Fremde gestanden hatte. Abgebrochene Äste und eine deutliche Spur zeigten, daß der Platz sorgfältig vorbereitet worden war, um eine freie Schußbahn auf den Platz vor dem Blockhaus zu erhalten.

"Der Kerl hat alles genau geplant!" entfuhr es dem jungen Mann. "Aber warum? Und war es wirklich mein Vater, den er treffen wollte?" Bei genauer Nachsuche fand Pál am Boden die Patronenhülse und steckte sie vorsichtig in die Tasche.

"Ein hübsches Beweisstück, nur müßte man vorher noch die Waffe finden, aus der sie abgeschossen wurde!" murmelte er vor sich hin. Dann ließ etwas seine Augen fast freudig aufleuchten. Mit den Fingerspitzen betastete er vorsichtig einen dunklen Fleck auf einem großen Blatt.

"Blut!" staunte er. "Der Kerl ist also auch getroffen!" Mit neuer Hoffnung verdoppelte er den Eifer seiner Suche. Auf einer aufgeweichten Stelle im Boden sah er die Eindrücke der schweren Bergschuhe des Unbekannten und erkannte ohne Schwierigkeit darin die Abdrücke, die sie einige Zeit vorher auf der Gamspirsch angetroffen hatten.

"Oh du lieber Himmel! Der Stiefvater Dianas!" Ein schrecklicher Verdacht keimte in ihm auf: Sollte das auserkorene Opfer etwa die junge Frau gewesen sein? Aber warum? Aber hatte ihnen Diana nicht von ihrer Vorahnung berichtet? Ihrem Gefühl, daß etwas Böses von ihrem Stiefvater ausginge? Er schüttelte ungläubig den Kopf und suchte nach weiteren Spuren. Vorsichtig näherte er sich einer Dickung, in welcher die Fußabdrücke verschwanden. Er war sich bewußt, daß ein verletzter Mörder bei Weitem gefährlicher war, als ein angeschossenes Wildschwein, da die Reaktion des Tieres weitaus vorhersehbarer war, als die eines in die Enge getriebenen Verbrechers. Nichtsdestotrotz wagte er sich Schritt für Schritt in das Gewirr von jungen Bäumen und dichtem Unterbewuchs. Von Zeit zu Zeit hielt er an und lauschte in die Stille. Seine Ausdauer wurde belohnt, als er nicht weit von sich entfernt zu seiner Rechten den stoßweisen Atem des Verfolgten und ein leises Stöhnen wahrnahm. Er verdoppelte nun seine Vorsicht und kroch auf allen vieren voran. Als er seiner Berechnung nach nicht mehr weit von dem Mann entfernt sein konnte, schob er die dichten Pflanzen millimeterweise auseinander, um durch eine vom menschlichen Auge fast nicht mehr wahrnehmbare kleine Öffnung hindurchzuspähen. Und wirklich: dort lag der Mann zwischen den Gewächsen auf dem Boden und versuchte, ohne großen Erfolg, die Blutung einer Wunde an seiner linken Seite zu stillen. Seine Kleidung war schon vom Blut dunkel gefärbt und er schien große Schmerzen zu haben. Plötzlich zuckte er mit einem leisen Aufschrei zusammen und verlor das Bewußtsein. Dieses Moment wählte Pál, um aus seinem Versteck hervorzukommen. Mit einer schnellen Bewegung brachte er die Waffe des Mannes an sich, die zu dessen Füßen lag, dann band er ihm mit dem Gewehrriemen die Hände und Füße zusammen bevor er die Wunde untersuchte. Sein geübtes Auge erkannte sofort, daß es hier keine Hilfe mehr gab. Der Mann würde innerhalb kürzester Zeit an seinen inneren Blutungen sterben. Pál entschloß sich, alles zu versuchen, um den Mann noch einmal zu Bewußtsein zu bringen, vielleicht könnte er noch Aufschlüsse über das Verbrechen erhalten. Aus seiner Brusttasche holte er die kleine Flasche mit Pflaumenschnaps hervor und zwängte sie dem Mann zwischen die Lippen. Dieser schluckte den scharfen Alkohol und begann zu husten. Pál hielt ihm den Kopf und sah zufrieden, daß der Mann etwas zu sich kam. Mit einem Ausdruck puren Entsetzens in den Augen schaute der Sterbende auf den jungen Jäger. Dieser begann sofort seine Fragen zu stellen, wohl wissend, daß ihm nicht mehr viel Zeit verblieb.

"Warum haben Sie auf meinen Vater geschossen?" wollte er mit schneidender Stimme wissen. Der Mann schüttelte leicht den Kopf und verzog sogleich das Gesicht vor Schmerzen.

"Nicht der Förster," flüsterte er schwach. "Die Jägerin!" Pál lief es kalt den Rücken hinunter.

"Sie wollten ihre eigene Stieftochter töten?" entfuhr es ihm. "Warum?" Zuerst wollte der Mann nicht antworten, doch Pál erklärte ihm kalt:

"Sie sind auf jeden Fall ein toter Mann, die Verletzung ist tödlich. Erleichtern Sie jedoch  ihr Gewissen, bevor es zu spät ist, denn lebend gehen Sie von hier nicht mehr fort." Der Mann krümmte sich wieder vor Schmerzen, bevor er mit ersterbender Stimme hauchte:

"Ich habe schon ihren Vater getötet, um endlich die Frau heiraten zu können, nach der mir schon so lange der Sinn stand. Zuerst lief auch alles nach Wunsch, doch in letzter Zeit geriet meine Ehe immer mehr in Schwierigkeiten und auch finanziell lief nicht alles nach Wunsch. Und um an Geld zu kommen, bevor mich meine Frau eventuell verlassen würde, mußte sie ihre Tochter beerben......." Pál erschauerte vor so viel Verderbtheit und Kaltblütigkeit. Dann kam ihm ein Gedanke.

"Aber wenn Ihre Frau erben würde und sie dann sich scheiden lassen würde, hätten Sie niemals das Geld erhalten?" Der Mann nickte leicht.

"Für den Fall hatte ich schon vorgeplant..." hauchte er fast unhörbar. Und Pál verstand: Die Frau hätte nicht lange genug gelebt, um sich scheiden zu lassen. Und der untröstliche Witwer hätte sich mit dem Geld in ein fernes Land abgesetzt! Welche Abgründe menschlichen Seins taten sich hier auf! Und was hatte es mit dem Tod von Dianas Vater auf sich? Der Mann hier hatte soeben zugegeben, auch diesen Tod verschuldet zu haben. Pál war damals zu jung gewesen, um sich heute an alle Einzelheiten zu erinnern, doch war der Tod immer als Jagdunfall deklariert gewesen. War Dianas Vater nicht während einer Gamspirsch auf den kahlen Matten ausgerutscht und über die Kante viele Meter in die Tiefe gestürzt? Sicher, keiner seiner Begleiter war damals in Sichtweite gewesen, sie hatten nur seinen Angstschrei vernommen und das Geräusch herabfallender Steine. Als sie am Unglücksort angelangt waren, hatten sie nur den zerschmetterten Körper von Dianas Vater gefunden, natürlich aber nicht daran gedacht, nach eventuellen anderen Spuren zu suchen. Heute nun erhielt der ganze Hergang eine andere Deutung.

"Haben Sie Dianas Vater in den Abgrund gestoßen?" fragte der junge Mann fast atemlos und schauderte schon im voraus in Erwartung der Antwort.

"Ja!" nickte der Mann. "Das war mein bester Coup! Und kein Mensch hat jemals den kleinsten Zweifel am Hergang des Unglücks gehabt! Ich tröstete die Witwe und nahm sie mit nach Frankreich, wo sie endlich einwilligte, mich zu ehelichen! Genial, nicht?" Pál fand auf so viel Verderbtheit keine Antwort, umklammerte nur mit fast weißen Knöcheln seine Waffe, kämpfte gegen die starke Versuchung an, diese jeglicher menschlicher Regung baren Kreatur seine Kugel in den Kopf zu jagen. Nur das Wissen, daß die Minuten dieser Bestie gezählt waren, hielt ihn davon ab, die Büchse zu benutzen. Der Mann war wieder bewußtlos geworden und Pál hatte Gelegenheit, über das Gehörte nachzudenken. Sollte sein Vater diesen Tag nicht überleben, so hatte er wenigstens die Gewißheit, die Menschheit von diesem Ungeheuer befreit zu haben und sein Leben zur Rettung Dianas gegeben zu haben. Aber was würde die junge Frau zu diesen Enthüllungen sagen? Sein Blick fiel wieder auf den Sterbenden, dessen bleiches Gesicht auf ein nahes Ende schließen ließ. Nach einiger Zeit bäumte sich der Körper des Mannes kurz auf, bevor er tot zwischen die Pflanzen zurücksank. Pál atmete tief auf, war die Welt doch von einem gefährlichen Menschen erlöst worden. Er nahm die Waffe des Toten an sich, eine kurze Untersuchung seiner Kleidung förderte keine weiteren persönlichen Gegenstände zutage, der Mann war sehr vorsichtig gewesen, dann machte er sich auf den Weg nach Hause, um die Mutter aufzusuchen, die sicher schon in größter Sorge um sie alle war. Als der junge Mann jedoch im Forsthaus eintraf, war dieses zugeschlossen und ein Zettel an der Tür befestigt, auf welchem in zitteriger Handschrift der Mutter nur so viel stand:

Bin ins Krankenhaus mitgefahren

Pál brachte seine Sachen ins Haus, duschte sich gründlich, zog neue Sachen an und nahm den Schlüssel für das kleine, alte Auto seiner Eltern von dem Haken neben der Eingangstür. Zwar hatte er noch nicht oft einen Wagen selbst gelenkt, doch war die Angst um seinen Vater stärker als alle Furcht vor dem Auto. Vorsichtig steuerte er auf dem Waldweg bis zur Straße, dann hatte er sich soweit an das Fahrverhalten gewöhnt, daß er in etwas schnellerem Tempo Richtung Stadt fahren konnte. Die Zeit schien trotzdem wie im Schneckentempo zu vergehen, bis er endlich auf den Parkplatz vor dem Krankenhaus anlangte. Aber die Ansicht des alten und abweisenden Gebäudes, von dessen Außenwänden zum großen Teil der Putz schon abgefallen war, rief keine Erleichterung bei dem jungen Mann hervor, wußte er doch sehr genau, daß das Innere des Krankenhauses dem Äußeren glich. Die Ärzte hier mußten mit einer Ausstattung behandeln, wie sie in anderen Ländern vor dem Krieg zu finden gewesen war. Medikamente waren Mangelware, gut ausgebildetes Personal ebenso, von der Hygiene ganz zu schweigen. Pál erkundigte sich bei einer Schwester nach seinem Vater, diese zuckte jedoch nur mit den Achseln.

"Da müssen Sie schon warten, bis der Oberarzt frei ist." wies sie ihn zurecht. "Aber Sie können ja dort hinten im Besucherzimmer Platz nehmen, da sind auch schon mehrere andere, die auf Nachricht hoffen." Damit zeigte sie auf eine Tür, deren ehemals grüne Farbe bis auf wenige Stellen abgeblättert war und verschwand nicht eben eiligen Schrittes in die andere Richtung. Pál öffnete die Tür und fand nicht nur seine Mutter, seinen Bruder und Diana auf den zerschlissenen Kunststoffstühlen sitzen, sondern auch noch andere Personen, zum Teil verletzt, die hier scheinbar auf ärztliche Hilfe hofften. Als er eintrat, war seine Mutter aufgesprungen, doch er umarmte sie fest und drückte sie wieder auf ihren Platz.

"Noch gibt es Hoffnung!" flüsterte er ihr ins Ohr. Dann wendete er sich an Diana, die auf dem Stuhl neben seinem saß und hauchte, nur für die feinen Ohren der jungen Frau hörbar:

"Der Kerl hat mit seinem Leben für diese Schandtat bezahlt. Mehr sage ich dir später!" Diana schauderte zusammen, als sie den Blick aus den Augen des jungen Mannes auffing. Was für schreckliche Dinge mußte sie wohl noch an diesem furchtbaren Tag erfahren? Sie zog sich in ihre Gedanken zurück und betete, daß Gábor bácsi am Leben bleiben möge. So vergingen zähflüssig die Stunden des Wartens, Bangens und Hoffens. Niemand verspürte Hunger, obwohl sie alle seit dem frühen Morgen nichts mehr gegessen hatten. Jedes Mal, wenn die Tür aufging, hofften sie, den Arzt mit einer frohen Nachricht zu sehen, doch es war immer nur eine Krankenschwester, die einen der Verletzten mit sich nahm. Am späten Nachmittag waren dann nur noch Diana und die Angehörigen des Försters übriggeblieben. Ihre Hoffnung auf ein Wunder schwand mit jeder weiteren Minute des Wartens und als am frühen Abend der verantwortliche Chirurg endlich zur Tür hereinkam, konnten alle an seinem Gesicht ablesen, daß es keine Hoffnung mehr gab. Er nahm die Försterin, die kaum Herr werden konnte über ein starkes Zittern und deren Tränen unaufhörlich flossen, bei der Hand und führte sie in ein Zimmer im ersten Stock des Krankenhauses. Dort lag ihr Mann in einem Bett mit fleckigen Decken, seine Brust war mit einem blutbefleckten Verband umwunden und er atmete nur noch ganz flach.

"Oh Gábor, mein lieber Mann!" schluchzte seine Frau und beim Klang dieser Stimme schlug der Sterbende noch einmal seine Augenlider auf und schaute mit klarem Blick auf seine Gattin.

"Ist Diana wohlauf?" flüsterte er schwach und lächelte leicht, als seine Frau nickte.

"Dann war es nicht umsonst!" hauchte Gábor bácsi. Seine Hand umfaßte mit schwachem Griff die seiner Frau.

"Ich liebe dich, Julika! Sorge gut für Péter und Pál und paß mir auf die Kleine auf, sie ist in Lebensgefahr!" hauchte er, dann spürte seine Frau, wie der Druck seiner Hand nachließ, bis sie schließlich leblos auf die Decke fiel.

"Oh mein Gott! Laß ihn nicht sterben!" schrie die verzweifelte Frau auf, doch der Arzt schüttelte nur den Kopf und wollte sie von dem Toten wegziehen. Die Försterin wehrte sich mit all ihren Kräften, warf sich über ihren Mann und küßte ihn ein letztes Mal auf die bleichen Wangen. Der Arzt hatte inzwischen eine Schwester herbeigerufen, gemeinsam gelang es ihnen, die Verzweifelte anzuheben und ihr eine Beruhigungsspritze zu geben. Als sie sich ein wenig abgeregt hatte, führte der Arzt sie wieder in den Warteraum und übergab sie ihren Söhnen, die mit ebenso vor Schmerz und Leid verzerrten Gesichtern ihre Mutter in Empfang nahmen. Diana saß noch immer wie abwesend auf ihrem Stuhl, wußte, daß alle ihre Gebete nichts genützt hatten und konnte nicht verstehen, warum der arme Mann sterben mußte. Gewiß, nach dem, was Pál ihr gesagt hatte, war auch sein Mörder tot, doch blieben ihr die Hintergründe noch verborgen. Sie fühlte sich fehl am Platze, bei all dem Leid und wußte auch nicht recht, wie sie der trauernden Familie Beistand leisten konnte. Am liebsten hätte sie sich stillschweigend aus dem Staube gemacht, bis der erste Schmerz der Angehörigen abgeklungen sein würde, doch fand sie auch diese Lösung nach einigem Nachdenken als nicht durchführbar. Plötzlich stand Pál neben ihr und berührte sie leicht am Arm.

"Mutter, Péter, ich bringe Diana zu uns nach Hause, ihr kommt dann mit unserem Auto nach, wenn alle Formalitäten geregelt sind. Hier ist der Schlüssel" wies er seine Familie an und brachte Diana auch schon nach draußen.

"Gib mir deinen Autoschlüssel!" meinte er zu der jungen Frau, die ihm willenlos bis auf den Parkplatz gefolgt war.

"Ich kann selbst fahren!" meinte Diana trotzig.

"Kannst du nicht!" rief der junge Mann zurück. "Schau nur, wie deine Hände zittern, so kommst du noch nicht einmal ohne Unfall auf die Hauptstraße!" Diana blickte auf ihre Hände und mußte dem jungen Mann recht geben. Sie kramte den Schlüssel aus ihrer Handtasche hervor und setzte sich dann anstandslos auf den Beifahrersitz. Als sie außerhalb der Stadt waren brach sie zum ersten Mal das Schweigen, in welches sie sich seit der Abfahrt aus dem Krankenhaus gehüllt hatte.

"Warum läßt du deine Mutter mit deinem Bruder allein in ihrer Trauer und bringst mich zu euch nach Hause?" wollte sie wissen, doch Pál war noch nicht bereit, über gewisse Dinge zu sprechen.

"Glaube mir, Diana, ich habe meine guten Gründe dafür, aber laß uns erst einmal ankommen!" wies er sie zurecht. So schwiegen sie weiter vor sich hin, bis sie endlich am Forsthaus anlangten. Pál brachte den Wagen in die Garage und half Diana beim Aussteigen, denn eine ungute Vorahnung ließ ihre Knie weich werden. Im Haus führte Pál die junge Frau zum Sofa im Wohnzimmer und holte aus der Küche zwei Gläser, sowie eine Flasche mit Schnaps. Er goß beide Gläser randvoll und reichte eines davon Diana.

"Trink das, es wird dir guttun!"

"Nie im Leben!" wehrte sich Diana. "Fang lieber an, mir zu sagen, was los ist!"

"Trink das aus, oder ich sage kein Wort!" drohte Pál und drückte ihr das Glas in die Hand. "Du wirst es bitter nötig haben!" Als sie den Ausdruck in seinem Gesicht wahrnahm, beschloß Diana, daß er wohlmöglich Recht haben konnte, schloß die Augen und schüttete den starken Alkohol in sich hinein. Er verbrannte ihr die Kehle und sie wollte schon ins Bad rennen und ihn ausspucken, als Pál sie zurückhielt.

"Schluck ihn runter, dann geht es dir wieder besser." Sie gehorchte ihm und wirklich, der Ekel verschwand und sie fühlte den Alkohol wie flüssiges Feuer durch ihre Adern rinnen. Danach umgab sie eine wohlige Wärme und es schien so, als ob auch ihr verstörter Geist etwas ruhiger geworden wäre.

"Jetzt fang aber schon an, mit deiner Erzählung!" forderte sie den jungen Mann auf. Dieser leerte sein Glas ebenfalls in einem Zug und setzte sich dann neben Diana. Als die junge Frau instinktiv von ihm abrücken wollte, faßte er ihre Hände und streichelte sie sanft.

"Hab keine Angst, oder glaubst du, ich wolle DAS von dir, nach alledem, was heute geschehen ist?" Diana blickte in seine ehrlichen, dunklen Augen und schimpfte sich innerlich eine blöde Gans. Wie konnte sie auch nur für den Bruchteil einer Sekunde annehmen, der junge Mann wolle sie am Todestag seines Vaters verführen. Sie ließ ihm ihre Hände und wappnete sich auf das, was nun kommen sollte.

"Diana, ich muß dir sehr weh tun, mit dem, was ich dir zu sagen habe und weiß Gott, ich wünschte, es könnte jemand anderes sein, der dich über diese Dinge aufklären würde, aber leider gibt es niemanden, der diese schlimme Aufgabe erledigen könnte. Vielleicht wirst du mich dafür hassen, aber ich muß es tun, auch im Andenken an meinen Vater." Diana unterbrach ihn sanft.

"Ich werde dir nie böse sein Pál, egal, was du mir zu sagen hast."

"Danke für dein Vertrauen, Diana. Nun muß ich aber beginnen, denn die Zeit drängt und diese Dinge sind nur für deine Ohren bestimmt." meinte der junge Mann und räusperte sich.

"Ich muß dir zuerst einmal mitteilen, daß mein Vater für dich gestorben ist, denn die Kugel galt dir und nicht ihm!"

"Oh mein Gott, das darf nicht wahr sein!" entfuhr es der jungen Frau, doch Pál nickte nur kurz.

"Doch, so war es, denn der Täter hat es mir gegenüber zugegeben. Mein Vater hat ihn auch getroffen, tödlich, aber doch so, daß der Mann noch fliehen konnte. Ich habe seine Spur gefunden und bin ihr gefolgt. Als ich ihn fand, war er unrettbar verloren, aber doch noch bei klarem Verstand."

"Wer war der Mann?" flüsterte Diana heiser, denn sie glaubte, die schreckliche Antwort schon im voraus zu kennen.

"Diana, es war....." hob Pál an, doch dann versagte ihm die Stimme.

"...mein, mein Stiefvater?!" hauchte die junge Frau mit weit aufgerissenen Augen, bevor sie, als sie die Bestätigung in den Augen des jungen Mannes las, ohnmächtig zusammensank. Pál schüttelte sie sanft und versuchte, ihr noch etwas Schnaps einzuflößen. Als sie ein paar Tropfen geschluckt hatte, begann sie zu husten und kam wieder zu sich. Pál hielt sie mit einer Hand in sitzender Stellung, mit der anderen wischte er ihr die Tränen aus den Augen.

"Oh, mein Gott!" schluchzte Diana, "wie kann ein Mensch nur so schlecht sein!"

"Es kommt noch viel schlimmer, Diana! Und ich muß es dir heute sagen, weil du ja morgen früh nach Hause fahren willst."

"Dann komm bitte zum Ende!" flüsterte sie und schloß die Augen. Pál nahm wieder ihre schmalen und kalten Finger in seine Hände und fuhr fort in seiner Erzählung.

"Während dein Stiefvater im Sterben lag, erklärte er mir auch die Gründe für seine Absichten. Zuerst gestand er, am Tode deines Vaters verantwortlich zu sein. Das sei damals kein Jagdunfall gewesen, wie es auch scheinen sollte, sondern Mord. Er habe deinen Vater über die Kante gestoßen, um deine Mutter, die er schon seit seiner Jugend begehrte, endlich heiraten zu können. Er spielte den guten Freund deines Vaters, untröstlich über den Verlust und überredete deine Mutter, mit ihm nach Frankreich zu gehen, wo er sich so unentbehrlich machte, daß sie ihn schließlich heiratete. Du kamst ins Internat und er arbeitete weiter an seinen Plänen. Als nächstes standest du auf seiner Liste, da das von deinem Vater auf dich übergegangene Erbe dann deiner Mutter zufallen würde. Und da deine Mutter schon einmal von Trennung gesprochen hatte, mußte dies nun schnell geschehen, damit er auch noch seine Frau beerben konnte, bevor diese die Scheidung einreichte."

"Nach meinem Vater und mir wollte er also auch noch meine Mutter umbringen!" Es war mehr eine Feststellung, denn eine Frage und Pál nickte nur.

"Das hatte er vor, ja. Aber als mein Vater sich für dich opferte und noch die Geistesgegenwart besaß, auf den Meuchelmörder zu schießen und diesen glücklicherweise lebensgefährlich zu verwunden, da wußte dein Stiefvater, daß seine Pläne vereitelt waren. Er hat mir sozusagen seine Beichte abgelegt, ohne zu wissen, daß ich der Sohn des von ihm getroffenen Försters war."

"Wie mußt du mich jetzt hassen!" flüsterte Diana und entzog dem jungen Mann ihre Hände. "Meinetwegen ist dein Vater gestorben und meinetwegen wart ihr alle in Lebensgefahr, denn wenn ihn jemand zufällig bei seinem Herumstreichen hier angehalten hätte, dann hätte mein Stiefvater diese Person sicherlich auf der Stelle getötet, um seinen verbrecherischen Plan weiterführen zu können. Oh Gott, vergib mir, Pál, vergebt mir alle! Ich bin eure Freundschaft und euer Mitgefühl nicht wert! Ich reise sofort ab und werde euch nie wieder mit meiner Gegenwart belästigen!" rief Diana aus und ging, nein rannte fast zur Haustür. Doch Pál war schneller und verstellte der jungen Frau den Weg.

"Diana! Komm zu dir! Du hast dir nicht das Geringste vorzuwerfen! Du kannst dich doch nicht für die Schandtaten deines Stiefvaters verantwortlich fühlen, zumal ja du selbst eines seiner Opfer werden solltest!" rief der junge Mann aus. "Und was soll ich meiner Mutter und dem Bruder erklären, warum du schon weggefahren bist? Denn ich werde sie nicht in die Dinge einweihen, welche ich dir soeben eröffnet habe." Diana blieb stehen und sah den jungen Mann an.

"Und warum nicht?"

"Da dein Stiefvater tot ist, dachte ich, du wolltest eine polizeiliche Untersuchung vermeiden, die alle diese schrecklichen Sachen an die Öffentlichkeit zerren würde. Hier gibt es viele Wilderer, mein Vater ist im Feuergefecht mit einem umgekommen. Der Leichnam wird nie gefunden und wenn schon, er trägt keine Papiere bei sich, ich habe nämlich nachgesehen." meinte Pál beruhigend. "Ich halte das für die beste Lösung, es sei denn, du wünschst ein Verfahren, zu dem dann auch deine Mutter geladen würde und auch der Tod deines Vaters neu aufgerollt würde." Diana schüttelte heftig den Kopf.

"Nein, um Himmels willen! Die Dinge sind geschehen, der schreckliche Mensch ist tot! Du hast recht, lassen wir die Sache auf sich beruhen, denn gegebenenfalls müßte ja auch deine Familie vor Gericht erscheinen und diese Prüfung wünsche ich keinem von uns." gab Diana zu. So wurde Stillschweigen vereinbart und die beiden jungen Leute bereiteten in der Küche in kleines Abendessen vor, denn wenn auch niemand richtigen Hunger verspürte, so mußten sie doch nach all den Prüfungen etwas zu sich nehmen. Spät in der Nacht kamen auch Julika néni und Péter zurück, doch da war Diana schon auf ihr Zimmer geflüchtet und hatte es Pál überlassen, die Mutter und den Bruder in ihrem Schmerz zu trösten. Am nächsten Morgen kam Diana mit verweinten Augen zum Frühstück und auch bei alle anderen hatten die tragischen Ereignisse ihre Spuren hinterlassen. Diana umarmte schweigend die Witwe, die ihr ihre Zurückhaltung dankte. Da die Beerdigung schon auf den nächsten Tag festgesetzt war, ließ sich Diana dazu überreden, noch einen Tag zu bleiben, um dem Förster und Freund die letzte Ehre zu erweisen. Da die Beisetzung im engsten Familienkreis stattfand, kamen auch außer drei Kollegen von Gábor bácsi und einer alten Tante aus dem Nachbarort keine weiteren Trauergäste zum Mittagessen ins Forsthaus. Diana half der Witwe so gut sie konnte bei der Zubereitung der Speisen und beim Abwasch, dann mußte sie sich endgültig verabschieden.

"Ich halte meine Einladung aufrecht," meinte sie zu Péter und Pál, als sie vor dem vollgepackten Geländewagen Abschied nahmen. "Wann immer ihr wollt, seid meine Gäste in der Puszta und bringt auch eure Mutter mit."

"Vielen Dank, Diana, für die Einladung, wir werden sie sicher einmal honorieren, wenn auch nicht in allernächster Zukunft." meinte Pál. Dann drückten sie die junge Frau an sich und Pál riskierte unbemerkt von seinem Bruder einen zarten Kuß auf die roten Lippen, die Diana erstaunt aufblicken ließen. Doch diesmal verrieten seine Augen seine Gedanken nicht und sie war noch nicht einmal zornig darüber. Zuviel war hier in diesen wenigen Tagen geschehen, zuviel, um jetzt schon klar darüber nachdenken und urteilen zu können. So lächelte Diana nur ein wenig, als sie den fragenden und um Verzeihung bittenden Blick der dunklen Augen auffing.

"Auf Wiedersehen!" Das war ein Versprechen seitens der jungen Frau und auch die beiden jungen Männer faßten dies so auf, vor allem einer.

"Auf Wiedersehen, Diana!" riefen sie im Chor und die Försterswitwe, von der sich Diana schon in der Küche verabschiedet hatte, winkte ihr aus dem Fenster einen letzten Gruß zu. Dann setzte sich die junge Frau hinter das Steuer und begab sich auf die lange und anstrengende Heimreise. Diese verlief unerwartet ruhig und störungsfrei und so hatte die junge Frau mehr als genug Muße, sich die Erlebnisse und Enthüllungen der letzten Tage durch den Kopf gehen zu lassen. Sie wußte, daß es fast unmöglich sein würde, das Ganze zu vergessen, konnte nur hoffen, daß die Zeit die Wunden heilen konnte, die das Schicksal geschlagen hatte. Und trotzdem gab es einen schwachen Hoffnungsschimmer am Ende des langen, dunklen Tunnels: Die Bedrohung durch ihren Stiefvater war nun endlich vorbei und sie konnte befreiter atmen. Als Diana endlich zuhause anlangte, war sie nicht nur erschöpft von der langen Fahrt, sondern auch seelisch völlig ausgepumpt. Sie schaute gerade noch bei ihren Tieren vorbei, stellte fest, daß diese während ihrer Abwesenheit gut gepflegt worden waren, schleppte sich unter die Dusche und fiel danach wie ein Stein ins Bett. Diese erste Nacht nach ihrer Heimkunft verging ohne Träume und doch wachte Diana am nächsten Morgen wie gerädert auf. Sie stürzte sich auf die liegengebliebene Arbeit und versuchte, ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben. Es wurde Winter und mit ihm kamen die langen, dunklen, einsamen Abende. Zwar fand die junge Frau Trost in ihrer Liebe zu dem Prinzen, mit welchem sie manchmal in ihren Träumen Kontakt aufnehmen konnte, ansonsten aber schien alles im Winterschlaf erstarrt zu sein.

"Kommst du heute abend mit auf den Ball?" fragte eines Tages die junge Nachbarin Diana, als sie mit der morgendlichen Milchration bei dieser vorbeischaute.

"Ich weiß nicht so recht," meinte Diana zögernd. "Das ist doch nur was für ganz junge Leute und ich zähle schon seit einigen Jahren nicht mehr zu eurer Generation!" fügte sie lächelnd hinzu. Doch Marika ließ sich so schnell nicht abwimmeln.

"Das ist doch alles nur Gerede, von wegen junger Generation und so," meinte sie wegwerfend. "Hier im Dorf gibt es sowieso nicht viel in Sachen Kultur, da ist ein solcher Tanzabend der ideale Treffpunkt für Jung und Alt!"

"Ich glaube, ich bin selbst für die letztere Kategorie zu alt!" flüsterte Diana mit einem Augenzwinkern. "Ich sage nicht zu, aber vielleicht überlege ich es mir noch bis heute abend und schaue mal bei euch vorbei." setzte sie dann hinzu. "Du hast mich aber auf eine Idee gebracht, die es zu überlegen gilt, Marika. Man müßte hier einfach einmal die Dinge in die Hand nehmen und etwas organisieren." Die Nachbarin nickte zustimmend.

"Ja, und zwar für alle Interessensgebiete und alle Altersgruppen!"

"Dein Vater ist doch noch beim Bürgermeister beschäftigt, wenn ich mich nicht irre?" fragte Diana ihre Nachbarin und diese nickte.

"Ja, Papa ist sein Sekretär und auch verantwortlich für die Wahlkampagnen und so weiter."

"Na fein, dann werde ich einmal mit deinem Vater darüber sprechen, wie wir das Dorfleben attraktiver gestalten können. Marika, frage doch bitte einmal deinen Herrn Papa, wann er mir eine halbe Stunde widmen kann, damit ich mit ihm über die eben angesprochenen Themen diskutieren kann."

"Das kann ich gleich tun, denn er ist noch zuhause," meinte das Mädchen, nachdem es das Milchgeld von Diana in Empfang genommen hatte. "Morgen früh sage ich dir dann Bescheid – es sei denn, du kommst doch noch auf den Ball, dann gebe ich dir schon dort Bescheid." lächelte sie verschmitzt, doch Diana fiel nicht auf die Falle herein.

"Ich habe dir gesagt, ich werde es mir überlegen!" meinte sie, fest entschlossen, sich nicht zu etwas zwingen zu lassen, auf das sie vielleicht keine Lust hatte.

"Na denn, auf Bald!" grüßte Marika, bevor sie sich wieder auf den Heimweg machte. Diana arbeitete den ganzen Tag, doch den Abend widmete sie ihren Vorbereitungen auf das Gespräch mit dem Vater ihrer Nachbarin. So wartete diese vergebens darauf, daß Diana den Ball doch noch besuchen kam. Am nächsten Morgen jedoch konnte sie der jungen Frau die Mitteilung machen, daß ihr Vater bereit sei, Diana am Nachmittag zu empfangen und zwar nicht im Bürgermeisteramt, sondern bei sich zuhause.

"Ich werde pünktlich um zwei Uhr bei ihm sein," versprach Diana bevor sie sich von Marika verabschiedete.

"Guten Tag, Herr Molnár," begrüßte sie einige Stunden später den Vater ihrer Nachbarin. "Vielen Dank, daß Sie sich so schnell bereit gefunden haben, meine Vorschläge anzuhören."

"Alles, was im Interesse des Dorfes sein kann, ist für mich von größter Wichtigkeit, Frau Erdei." erwiderte der Sekretär des Bürgermeisters, ein stattlicher Mann mittleren Alters, der von allen Dorfbewohnern geachtet wurde und bei ihnen beliebter war, als der Bürgermeister selbst, welcher sich mehr seiner Gänsezucht widmete, denn den Belangen seiner Gemeinde. "Nehmen Sie also Platz und lassen Sie mich Ihre Vorschläge hören. – Darf ich Ihnen etwas zu Trinken anbieten?" fügte er noch höflich hinzu, doch Diana schüttelte den Kopf, während sie sich in einem gemütlichen Sessel niederließ.

"Nein danke, ich habe gerade zuhause einen Kaffee getrunken." meinte sie lächelnd, bevor sie damit begann, ihre Pläne zu erläutern.

"Sehen Sie, Herr Molnár, gerade als mich Ihre Tochter zum Ball einlud, ist mir klargeworden, wie wenig hier eigentlich für die Kultur aller Altersgruppen getan wird. Die Jugend hat natürlich ihre Disko und den Winterball, dazu im Sommer das Fest am See. Aber ansonsten ist es hier sehr ruhig. Keine Ausstellungen, keine Konzerte, keine Feste. Das sollte sich ändern."

"Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen," meinte der Sekretär. "Aber das alles verlangt viel Organisation und noch mehr Geld." gab er zu bedenken. Diana nickte.

Ich weiß natürlich, daß alle diese Dinge Geld kosten, aber es finden sich sicherlich Mittel und Wege, um dieses zu beschaffen. Und dann ist die Phantasie der Bewohner gefragt. Ich stelle mich gerne zur Verfügung, um gewisse Dinge zu organisieren. Hören Sie meine Vorschläge: Ich habe zuerst daran gedacht, ein Kostümfest zu organisieren. Die Kostüme können die Frauen selbst entwerfen und schneidern. Wir suchen einen geeigneten Tag im Sommer, am Besten ein ganzes Wochenende, an welchem auf dem großen Marktplatz ein Umzug stattfindet oder auch ein Historienspiel – an Ihnen herauszufinden, ob in der Chronik der Gemeinde ein Anhaltspunkt gegeben ist. Es gibt Stände mit Essen und Trinken und mit einiger Reklame kann das Ganze sogar zu einer Touristenattraktion werden, die zusätzliches Geld einbringt."

"Nicht schlecht überlegt!" stimmte der Sekretär zu. "Sie scheinen Erfahrung in solchen Dingen zu besitzen."

"Das stimmt. Ich habe in Frankreich oft an solchen Veranstaltungen teilgenommen." nickte Diana.

"Doch weiter: Ich kenne einige begabte Maler, die sicher gerne bereit wären, für einige Zeit ihre Werke bei uns auszustellen, das wäre Reklame für sie und würde uns nicht viel kosten. Für die älteren Menschen könnte man in der geschlossenen kleinen Fabrikhalle einen monatlichen Teesonntag einrichten, jeder Teilnehmer backt einen kleinen Kuchen und steuert etwas Kaffee oder Tee bei. Man könnte junge Musiker der Volksmusik oder Schriftsteller einladen, die ihre Werke dort vortragen und die Senioren hätten einen festen Treffpunkt. Außerdem könnte man mit wenig Aufwand ein Sportfest organisieren. Freiwillige Helfer findet man sicher und es könnte für jede Altersklasse eine angemessene Sportart dabei sein. Laufen ist keine Altersfrage, Radfahren ebensowenig und für die Jüngsten könnte man Spiele organisieren." Ihr Vorschlag fand Zustimmung und so stürzte sie sich zusammen mit anderen Freiwilligen Helfern in die Vorbereitungen. Nach den anfänglichen Anlaufschwierigkeiten wurden die Veranstaltungen in der ganzen Gegend bekannt und zur Freude aller Beteiligten strömten die Besucher nur so herbei. Diana war stolz darauf, die Initiatorin dieser Erfolge gewesen zu sein und ließ es sich nicht nehmen, jedes Jahr mit neuen Ideen und tatkräftiger Unterstützung bei dem Gelingen der Veranstaltungen mitzuwirken. Zwar wunderten sich nicht wenige Dorfbewohner, warum die junge Frau sich noch nicht verheiratet hatte, denn an Bewerbern unter den feurigen Ungarn fehlte es nicht, erhielten aber keine Antwort auf ihre Fragen. Diana lebte wie bisher glücklich mit ihren Tieren und bestritt ihren Lebensunterhalt als Übersetzerin, Dolmetscherin und Fremdenführerin.

Es war wieder einmal Frühling geworden und die Pußta stand nach der Schneeschmelze und starken Regengüssen zum größten Teil unter Wasser. Nach dem Tod ihrer alten Pferde hatte sich Diana einen neuen Rapphengst gekauft, jung und ungestüm, den galt es jetzt einzureiten. Adonis stand wie ein stolzer Gott in seiner hellen Box, als die junge Frau in den Stall trat. Liebevoll begrüßte sie das junge Tier und steckte ihm ein Zuckerstückchen zu. Mit geübten Handgriffen streifte sie ihm den Zaum über und legte den leichten Sattel auf. Dann führte sie das vor Übermut und Kraft schäumende Pferd in den Hof und schwang sich mit einer leichten Bewegung auf seinen Rücken. Mit ruhiger Hand lenkte sie den Hengst auf den Feldweg, der sich endlos über die weite Ebene zog. Adonis schnaubte vor Freude auf, als ihm seine Reiterin endlich die Zügel ließ und er in einem schnellen Galopp über den Boden donnerte. Bald waren er und seine Reiterin trotz der kühlen Luft schweißgebadet und auf eine leichte Parade seitens der jungen Frau ließ sich das Tier willig in Trab fallen. So ging es vielleicht eine halbe Stunde lang, die beide sehr genossen. Später war der Hengst sogar dazu breit, ein schnelles Schrittempo einzuschlagen. Diana ließ sich von dem schwingenden Rücken beinahe einlullen, rief sich aber sofort wieder zur Ordnung, denn, das war ihr nur zu gut bekannt, ein junges Pferd konnte auf die verschiedensten Dinge plötzlich und heftig reagieren und dann war ein schnelles Eingreifen seitens der Reiterin gefordert! Trotz ihrer auf das Pferd gerichteten Aufmerksamkeit sah die junge Frau aber doch den großen Adler, welcher in geringer Höhe suchend über die Pußta zog und einige Rehe, die vor einem kleinen Akazienwäldchen ästen. Die Luft war erfüllt von Vogelgesang und Diana fragte sich, was sie sich denn noch vom Leben wünschen könnte, wo sie doch alles zu ihrem Glück hier fand. Als die Rehe das Pferd gewahrten, hoben sie die Köpfe und zogen langsam davon. Der Adler strich nun fast lautlos über Pferd und Reiterin. Als der junge Hengst den dunklen Schatten über sich sah, zuckte er plötzlich erschreckt zusammen, riß Diana die Zügel fast aus der Hand und fiel in einen wilden, waghalsigen Galopp. Vergebens bemühte sich seine Reiterin, das in Panik geratene Tier zu zügeln, es biß nur noch heftiger auf seine Trense und streckte sich so sehr, daß die Steigbügel fast den Boden berührten. Nach der ersten Schrecksekunde hatte sich Diana fest in den Sattel gesetzt und versuchte nun das Pferd auf immer kleiner werdenden Kreisen zu verlangsamen. Dabei sprach sie zart und beruhigend auf den jungen Hengst ein und hatte nach einiger Zeit dann endlich ihr Ziel erreicht: mit schlagenden Flanken und laut die Luft in seine weit aufgerissenen Nüstern ziehend hielt Adonis an.

"So ist gut, mein Braver!" schmeichelte ihm leise seine Reiterin und strich ihm mit zitternden Fingern über den schweißglänzenden Hals. "Du hast mir aber einen Schrecken eingejagt! Du brauchst doch vor einem Adler keine Angst zu haben!" wies sie den Hengst mit leisem Vorwurf in der Stimme zurecht. Und das edle Tier spitzte die Ohren und schien die Worte seiner Reiterin zu verstehen. Als er sich einigermaßen beruhigt hatte, setzte ihn Diana in Schritt und beschloß, einen anderen Heimweg zu wählen, um so dem noch immer in der Nähe herumziehenden Adler auszuweichen. Zwar würde es so etwas länger dauern, bis sie wieder zuhause wären, aber sie wollte dem jungen Tier an diesem Tag nicht noch einmal Aufregung bereiten. So nahm sie ihren Weg über die breite Brücke, die über den großen Bewässerungskanal führte und dann drang sie in einen aus uralten Eichen und anderen alten Baumriesen bestehenden Wald ein, durch dessen ansonsten dichtes Unterholz ein schmaler Pfad führte. Es wurde schon langsam wieder dämmerig, als sie sich noch immer langsam und vorsichtig ihren Weg suchend im Wald vorantasteten. Diana ließ dem jungen Tier Zeit, sich an neue Gerüche und Eindrücke zu gewöhnen und so kamen sie nur zögernd voran. Schon konnte die junge Frau wieder die weite Ebene durch die letzten Bäume schimmern sehen, als sich plötzlich direkt neben ihr aus einem Brombeerengebüsch ein wütendes Schnauben vernehmen ließ. Das Pferd schien unter ihr zu erstarren, doch dann rannte es erschreckt los, ohne darauf zu achten, daß Wurzeln und Gesträuch es behinderten oder fast zu Fall brachten und ohne Rücksicht auf seine Reiterin, die sich – oft vergeblich – bemühte, Äste und Zweige von sich abzuhalten. Dann gesellte sich zu dem Klang der Hufe auf dem Waldboden auch noch ein anderes Geräusch: die Schritte des angreifenden Keilers! Diana betete, daß das Pferd vor dem Wildschwein aus dem Wald kommen würde, ohne sich vorher bei einem Sturz die Beine oder den Hals zu brechen. Zum Glück war bald freies Gelände erreicht, doch aus irgend einem unbegreiflichen Grund, folgte ihnen der Keiler auch hier noch. Der Hengst war inzwischen nicht mehr ansprechbar, der neuerliche Schock hatte ihn so in Panik versetzt, daß er nun endgültig keiner Hilfe mehr gehorchte. In lebensgefährlichem Tempo stürmte das Pferd über die Pußta. Ein kurzer Blick zurück überzeugte Diana nach einiger Zeit, daß ihnen der Keiler nicht mehr folgte, der Hengst setzte seinen irrsinnigen Lauf jedoch fort. In dem vorrangigen Bemühen, aus der Reichweite des Wildschweines zu kommen, hatten weder Pferd noch Reiterin auf die Richtung geachtet, welche die wilde Flucht genommen hatte. So war es schon zu spät zum Reagieren, als sich der breite Graben mit den steilen Rändern urplötzlich, wie aus dem Nichts, vor ihnen  öffnete. Mit einem lauten Aufschrei und unter Verwendung ihrer ganzen Kraft versuchte Diana in letzter Sekunde den Hengst in eine andere Richtung zu bringen, aber es war zu spät! Als es das unüberwindbare Hindernis gewahrte, bäumte sich das erschreckte Pferd plötzlich hoch auf, verlor auf dem glitschigen Boden den Halt unter den Hufen und überschlug sich. Seine Reiterin wurde unter dem schweren Körper eingeklemmt und blieb auch dann noch leblos liegen, als sich das Tier wieder aufrichtete, sich schüttelte und einige Schritte zur Seite machte. Mit seiner weichen Nase schnoberte es an dem reglosen Körper der jungen Frau, dann machte es sich im Zockeltrab auf den Heimweg zum Stall. Dort würde sein Erscheinen ohne Reiterin höchste Aufregung verursachen, doch es würden Stunden vergehen, bis man die Verunglückte in der unendlichen Weite der großen Tiefebene finden würde.

Als Diana den schweren Körper des Pferdes auf sich niederfallen spürte, sah sie durch ihren sich verschleiernden Blick einen Falken aus dem Himmel stoßen.

"Sharif kommt wieder zu mir!" dachte sie in ihren letzten bewußten Augenblicken. Und wirklich setzte sich der Falke, als das Pferd verschwunden war, wieder vor sie und betrachtete sie aus seinen dunklen, klugen Augen, bevor er zu Sprechen anhob.

"Der Herr schickt mich, Diana. Du hast noch einmal, zum letzten Mal, die Chance erhalten, ihn zu sehen. Bitte weise ihn dieses Mal nicht ab!" sprach der Greif bittend.

"Bringe mich zu ihm!" bat Diana leise, nachdem sie einige Augenblicke überlegt hatte. Und wieder kamen die Adler und brachten sie in das Reich zwischen Träumen und Wahrheit. Dieses Mal aber näherte sich ihnen das Schloß in Windeseile. Statt des Herolds stand eine ganze Kompanie Posaunenbläser zu ihrem Empfang bereit. Sie trug noch immer ihr zerrissenes und mit Schlamm bespritztes Reitzeug, doch würde man ihr sogleich ein Bad richten und ihr neue Kleider bringen. Mit klopfendem Herzen, den edlen Falken auf der bloßen Faust, so durchschritt sie das Spalier bis zum Anfang der Treppe. Auf deren höchstem Absatz stand der junge Herr und schien noch zu zweifeln. Doch endlich erblickte sein scharfes Auge die schmale Gestalt Dianas. Er stieß einen lauten Freudenschrei aus.

"Du bist zurückgekommen! Liebste! Nun ist alles gut!" Er rannte, nein sprang die Treppe herunter, immer mehrere Stufen auf einmal nehmend und sein weiter Umhang flatterte im Wind. Er riß Diana in seine Arme und bedeckte ihr schmutziges Gesicht mit heißen Küssen.

"Liebster, ich bin dein für alle Ewigkeit - das heißt, wenn du mich noch haben willst!" seufzte Diana atemlos von seinen Küssen und verbarg ihr schönes Gesicht im weichen Samt seiner grünen Jacke, damit er die Freudentränen nicht sähe, die ihr aus den Augen strömten. Doch er hob ihr Gesicht zart mit einer Hand hoch und schaute ihr tief in die Augen.

"Diana, meine Geliebte, Göttin meines Herzens! Natürlich möchte ich dich zur Frau nehmen! Willst du mir noch heute abend angetraut werden? Es ist alles schon bereit!" Diana öffnete weit ihre schönen Augen und ein überirdisches Lächeln belebte ihre Lippen.

"Ich will, Geliebter!" stammelte sie freudetrunken.

"Dann komm, es gibt noch einiges zu erledigen!" sprach der junge Mann und führte sie über den roten Teppich in die Eingangshalle des Schlosses. Er überließ die junge Frau seiner Zofe, die sie in das schon einmal von ihr bewohnte Zimmer geleitete. Diana stieß einen kleinen Freudenschrei aus, als sie das traumhaft schöne Hochzeitsgewand sah, welches auf dem Bett ausgebreitet war.

"Es wartet schon so lange auf Euch!" entfuhr es der Zofe, als sie Dianas fragenden Blick gewahrte.

"Was soll das heißen?" wollte diese wissen. "War denn seit meinem Verschwinden damals keine andere Frau mehr hier?" Die Zofe schüttelte den Kopf.

"Der Herr hat niemanden mehr hier eintreten lassen, seitdem ihr verschwunden seid. Er war fest davon überzeugt, daß ihr eines Tages wiederkehren würdet! - Und er hatte recht!" bemerkte sie mit Genugtuung. Diana schaute sich nun genauer um und sah, daß die Einrichtung des Zimmers seit ihrem Verschwinden nicht geändert worden war, selbst die Blumen in der kleinen Vase auf dem Kaminsims und in der größeren auf dem Tisch waren die Gleichen! Mit einem wohligen Seufzen streckte sie sich im warmen Wasser der Zimmerbadewanne aus, das mit wohlriechenden Ölen angereichert worden war, welche die Zofe herbeigebracht hatte und deren Wasser zwei Diener in großen Kannen heraufgeschafft hatten. Die Zofe half Diana später beim Anlegen der wunderbaren Robe. Zuerst kamen mehrere seidene Unterkleider, die über die weite Krinoline gestreift wurden, dazu ein Korsett mit Spitzenbesatz. Die Robe selbst war aus weißer Seide, bodenlang, mit einer großen Schleppe, alles mit Spitzen und Edelsteinen in Blütenform besetzt. Das Oberteil mit den langen Ärmeln schmiegte sich eng an den Körper der jungen Frau an, sein großer Ausschnitt war mit hunderten kleiner Diamanten gesäumt, die Blütengirlanden glichen und sich im Muster der Tiara wiederfanden, die den langen Spitzenschleier auf den dichten Locken der Braut hielten. Ihren schmalen Hals schmückte ein Kollier, ein Meisterwerk alter Goldschmiedekunst, welches Diamanten und Saphire zu einer herrlichen Einheit verband. Ohrringe und ein breites Armband der gleichen Kollektion vervollständigten den Schmuck der jungen Frau. Ihre schmalen Finger zierten ein feiner Goldreif mit einem schön geschliffenen Saphir, sowie ein uraltes Familienstück, der Wappenring der Familie ihres zukünftigen Ehemannes, die sie über die weißen Handschuhe gezogen hatte.

"Ihr seid eine wunderschöne Braut!" hauchte die Zofe, als sie ihr Werk betrachtete. Und auch Diana schaute ungläubig auf die Märchenprinzessin, die ihr aus dem Spiegel entgegenblickte. Doch viel Zeit zum Wundern blieb ihr nicht, denn schon klopfte es an die Zimmertür und ein Herold steckte seinen Kopf herein.

"Herrin, kommt, die Trauungszeremonie beginnt sogleich und der Herr wartet schon ungeduldig auf seine Braut!"

"Ich komme!" rief Diana glücklich und folgte dem Mann durch die verschlungenen Gänge des Schlosses bis zu der schmalen, geschnitzten Holztür, die in die Schloßkapelle führte. Hier weitete ein tiefer Seufzer ihre Brust. In wenigen Augenblick würde sie dem Mann angetraut werden, den sie schon immer in ihren Träumen gesehen hatte. Sie verspürte kein Bedauern, kein Gedanke an ein Zurück berührte sie, keine Trauer beschlich sie, nur ein Gefühl von unendlichem Glück erfüllte sie, als sie nun die kleine Pforte aufstieß und in ihr Schicksal eintrat..........................