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Maureen O'Kelly
Dianas
Traum
Fantasy-Roman
© 2001 by Maureen O'Kelly
Alle Rechte der Verbreitung
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vorbehalten.
Die schmale Gestalt bewegte
sich tief gebückt und leichten, vorsichtigen Schrittes durch das dichte
Unterholz. Kein Ast zeichnete eine auch noch so leichte Bewegung und selbst die
Luft schien momentan erstarrt zu sein. Plötzlich hielt die Gestalt ruckartig
inne: vor ihr zeigte sich eine winzige, mit einem ungeübten Auge kaum
wahrnehmbare Öffnung im dichten Gestrüpp. Die Gestalt spähte mit scharfem Blick
hinaus auf die kleine Lichtung, die sich vor ihrem Auge öffnete und gewahrte
den starken Rehbock, der ruhig äsend im Licht der Sonne vor ihr stand. Mit
unendlicher Vorsicht, ohne den geringsten Laut, entsicherte die Gestalt das
Gewehr, welches sie schon seit geraumer Zeit in den Händen hielt und schaute
durch das Zielfernrohr. Kein Laut drang zu dem Tier hinüber, als es nun im
Fadenkreuz erschien. Und doch hielt es für einen winzigen Augenblick mit dem
Äsen inne und hob den Kopf, als habe es die lauernde Gefahr erahnt. Plötzlich
ein leiser Knall, der Bock sprang hoch flüchtend auf, nicht wissend, daß er
eigentlich schon tot war, machte noch zwei torkelnde Schritte und brach dann im
Feuer zusammen. Die Gestalt im Unterholz wartete reglos und mit angehaltenem
Atem noch einige Augenblicke, dann schob sie sich, ohne Rücksicht auf ihre
Kleider zu nehmen, durch die spitzen Dornen der Brombeerenhecke und schritt
forsch zu ihrer Beute. Als sie sich überzeugt hatte, daß der Bock tot war,
brach sie einen kleinen Zweig von einem niedrig hängenden Ast ab, schob einen
Teil davon dem Bock zwischen die Äser, einen anderen Teil tauchte sie in den
Schweiß, welcher langsam aus der nicht allzu großen Wunde sickerte und steckte
es sich an den sichtbar von Wind, Wetter, Sonnenschein und langem Tragen sehr
mitgenommenen Hut, an welchem schon einige Federn von verschiedenen Vögeln
steckten. Plötzlich hörte man eilig näherkommende Schritte im Unterholz: eine
andere, hohe Gestalt in grüner Kleidung trat offen und ohne Vorsichtsmaßnahmen
zu ergreifen auf die Lichtung und ging direkt auf die erste Gestalt zu.
"Weidmanns Heil,
Diana!" sagte die zweite Gestalt zu der ersten und diese erwiderte
lächelnd mit angenehmer Stimme:
"Weidmanns Dank,
Roger!" Dann machten sich die beiden Jäger daran, den Bock fachgerecht
aufzubrechen und für den Transport vorzubereiten. Für die junge Jägerin, die
von ihrem Gefährten Diana genannt wurde, war es das erste edle Wild, welches
sie erlegen konnte, bisher hatte ihre Beute lediglich aus Hasen, Fasanen,
Rebhühnern, Enten oder Wildkaninchen bestanden.
Diana Erdei hatte vor
einigen zwanzig Jahren in der Weite der ungarischen Puszta das Licht der Welt
erblickt. Ihr Vater, ein begeisterter Jäger, hatte ihr sowohl den Respekt vor
der Natur als auch die Liebe zur Jagd vermittelt. So wuchs das junge Mädchen
glücklich und unbesorgt unter Pferden, Falken und Jagdhunden heran. Bis zu
jenem schrecklichen Tag, als ihr Vater von einem Jagdausflug mit Freunden in
den Karparten nicht mehr zurückkehrte. Den "bedauerlichen Jagdunfall"
konnte die Witwe, Dianas Mutter, nicht vergessen, sie verließ das Land an der
Seite eines ausländischen Freundes ihres Mannes, der diesen an dem
schrecklichen Tag begleitet hatte, die kleine Tochter, die gerade erst ihren
zwölften Geburtstag gefeiert hatte, nahmen sie mit. Auf Wunsch des Stiefvaters,
mit dem sie sich nie sonderlich gut verstanden hatte, wuchs Diana in einem
Internat auf, welches zwar zu den besten des Landes gehörte, ihr aber wie ein
Gefängnis vorkam. Später, nach Abschluß der Schule, fand sie Arbeit als
Übersetzerin, ein Beruf, der ihr genügend Freizeit ließ, ihren Hobbys zu
frönen. Sie kaufte mit ihrem väterlichen Erbe und einem geringen Zuschuß ihrer
Mutter einen kleinen Bauernhof, weit entfernt von der Stadt wo sich die Mutter
mit ihrem zweiten Mann niedergelassen hatte und umgab sich dort mit ihren
Tieren. Edle Pferde, Jagdhunde, Frettchen und Beizfalken lebten hier
miteinander, aneinander gewöhnt durch die liebevollen Bemühungen der jungen
Frau.
Seit einiger Zeit nun
begleitete sie auf ihren Unternehmungen ein junger Mann, Roger Dupont, ein
ebenso passionierter Jäger wie Diana, der sich mit der Zeit mehr erhoffte, als
nur ihre Freundschaft. Diana jedoch schien seine Avancen zu ignorieren, lebte
sie doch teilweise mehr in einer Traumwelt, die sie um sich herum aufgebaut
hatte, als in der Wirklichkeit.
"Komm, ich helfe dir,
den Bock zum Wagen zu bringen," meinte Roger und wollte das Wild
hochnehmen, doch Diana ließ ihn mit einer anmutigen Bewegung innehalten.
"Vielen Dank, Roger,
aber das ist mein erstes Stück Hochwild, ich möchte meinen Triumph voll
auskosten, werde es also selbst zum Wagen bringen."
"Wie du meinst,"
schüttelte der junge Mann achselzuckend den Kopf. "Er wird dir aber
ziemlich schwer werden, denn die Kutsche steht in einiger Entfernung."
"Keine Bange, das
schaffe ich schon, ich bin ziemlich austrainiert, weißt du." wies ihn
Diana zurecht. Sie band nun die Füße des Tieres zusammen und hängte sich die
Beute über die Schulter. Daß sie dabei ihre schöne, lederne Jagdweste beschmutzte,
schien ihr nichts auszumachen, ebensowenig, daß ihre Hände, obwohl sie sie an
einigen großen Blättern und im feuchten Gras notdürftig gereinigt hatte, mit
Blut bedeckt waren und auch nicht gerade nach Lavendelwasser rochen. Roger
konnte es immer noch nicht ganz verstehen, warum diese zierliche junge Frau mit
den dunklen, fast schwarzen Haaren, die ihr normalerweise in langen Locken über
die Schulter bis weit auf den Rücken hinab fielen, heute jedoch zu einem Knoten
im Nacken geschlungen waren und nur einzelne kleine Strähnen unter dem grünen
Hut mit weiter Krempe hervorlugten, so anders war, als die jungen Frauen, die
er bisher kennengelernt hatte. Gewiß, Dianas Schönheit bestand nicht nur in
ihren Haaren, sie besaß einen perfekten Körperbau, schmal, aber doch muskulös,
ihr ausdrucksvolles Gesicht wurde beherrscht von einem Paar dunkler Augen unter
dichten, schön geschwungenen Brauen, die je nach Lichteinfall manchmal sogar
lila schimmerten und ebenso sanft blicken, wie auch vor Wut Funken werfen konnten.
Die kleine Nase hatte fast etwas aristokratisches an sich, ebenso die
schöngeformten Ohren. Ihr Mund war breit mit vollen, roten Lippen, die gerne
lachten, sich aber auch zu einem schmalen Strich zusammenziehen konnten, wenn
Diana ärgerlich war. Ihre Haut war von einem matten Braun, was ihr zu Zeiten
einen zigeunerhaften Anstrich gab, wer weiß, vielleicht hatte ja vor
Generationen eine Bohèmienne den Kopf eines ihrer Vorfahren verdreht.
Roger Dupont schritt
eiligen Fußes der jungen Frau nach, die scheinbar mühelos das schwere Stück
Wild über den unebenen Boden den langen Weg bis zur Kutsche trug.
"Ich mag keine Autos
hier im Wald!" hatte sie immer wieder gesagt und deshalb ihre beiden
Reitpferde Orestes und Apollo auch zu Kutschpferden ausgebildet. Brav warteten
die beiden Rappen nun vor dem leichten Gefährt, bis ihre Führerin wieder
erschien. Diana sah sich mehr als Kamerad, denn als Herrin ihrer Tiere, was
diese ihr mit unverbrüchlicher Treue und tiefem Vertrauen dankten. Am Wagen
angelangt, warf sie den Körper des Bockes mit einem gekonnten Schwung ihrer
Schulter auf den dafür am hinteren Teil der Kutsche angebrachten Rost und
wartete auf Roger, der soeben unter den Bäumen hervorkam.
"Du hast es ja ganz
schön eilig, mit deiner Beute nach Hause zu kommen," rief er schmunzelnd,
als er sah, daß seine Gefährtin schon auf dem Kutschbock Platz genommen hatte.
"Steig lieber auf,
deine Reden kannst du auch von hier aus schwingen," lächelte Diana und gab
den beiden Pferden das Zeichen zur Abfahrt. Roger schwang sich geschmeidig auf
den Sitz neben der jungen Frau, dann ging es im munteren Trab zum Hof.
"Ich habe mit Monsieur
Maurice gesprochen," meine Roger während sie über den holperigen Waldweg
rollten, "er will dich einladen, an seinem mittelalterlichen Fest mit
deinem Pferd und den Falken teilzunehmen, auch deinen Hund könntest du
mitbringen, wenn du willst, hat er gemeint." Diana schaute ihren Gefährten
an.
"Und warum will er
mich jetzt so unverhofft einladen? Als ich ihm letztes Jahr geschrieben habe,
daß mich sein Fest interessiert, hat er mich keiner Antwort gewürdigt, dein
Monsieur Maurice!" Sie war noch immer verärgert über die Haltung des
Organisators der mittelalterlichen Festspiele, war sie doch eine begeisterte
Anhängerin jedweden Kostümfestes und stand sie jederzeit bereit, mit ihren
Tieren daran teilzunehmen. Daß gerade der Verantwortliche eines der größten
Feste dieser Art in ihrer Region sie mit Nichtachtung strafte, war ihr ein Dorn
im Auge.
"Ich glaube, er hat
dich auf dem Karnevalsumzug gesehen und seine Mitarbeiter haben von dem
lebenden Bild geschwärmt, welches du auf dem Tag des Pferdes letztes Jahr zur
Schau gestellt hast. Das muß ihn überzeugt haben." Diana wollte schon
schmollend abweisen, doch bot ihr die Aussicht auf Teilnahme an einem der größten
Ritterfestspiele der Gegend Aussicht auf die Verwirklichung eines ihrer Träume
und so verzog sie nur mißbilligend das Gesicht.
"Nun gut, ich werde
kommen, will aber noch eine persönliche Einladung von diesem Monsieur Maurice
erhalten, sonst werde ich trotz allem nicht mitmachen!" schloß sie ihre
Überlegungen ab. Der junge Mann an ihrer Seite nickte nur zufrieden.
"Du wirst deine
persönliche Einladung erhalten, Diana. Und glaube mir, auch ich bin gespannt,
was du dir zu diesem Thema als Kostüm und Schaubild einfallen lassen
wirst."
"Da kannst du lange
warten, Roger! Mein Geheimnis wird wie immer erst am Tag des Festes
gelüftet!" meinte die junge Frau, dann versanken sie in nachdenkliches
Schweigen. Die Rappen zogen die leichte Kutsche sicher über die breiten
Waldwege, die hohen Bäume, die den Weg säumten, bildeten ein lichtes
Blätterdach über ihren Köpfen, durch welches von Zeit zu Zeit die Sonne nun
einen schmalen Lichtstreif schickte. Der Morgen machte dem warmen Vormittag
Platz und später würde es sogar richtige sommerliche Hitze geben.
Nach einiger Zeit gelangten
sie zu dem kleinen Hof, den Diana ihr Eigen nannte. Sie bog zu den Ställen ein,
nachdem sie den Rehbock vor dem Eingang des Wohnhauses abgelegt hatte. Dort
schirrte sie die beiden Pferde aus, brachte sie in den Auslauf und
vergewisserte sich, daß sie genügend Wasser in der Tränke hatten. Mit Rogers
Hilfe brachte sie dann die Kutsche in die Remise, bevor sie sich dem Wild
widmete. Als die Arbeit des Abdeckens und Zerkleinerns der Beute vollbracht
war, säuberte sie den Vorplatz von den Spuren ihres Tuns und zog sich ins Haus
zurück, um nun auch selbst den Komfort einer heißen Dusche zu genießen. Den
jungen Mann hatte sie vorher freundlich verabschiedet und dieser war nach Hause
zurückgekehrt.
Am Nachmittag saß Diana im
Schatten einer kleinen, lauschigen Gartenlaube mit Blick auf die großen Koppeln
und überlegte sich, welches lebende Bild sie wohl zu dem großen Fest zeigen
sollte. Sie hatte mehrere Kostüme zur Auswahl, scheute sich aber nicht davor,
auch ein neues zu diesem Anlaß anzufertigen. Am besten gefiel ihr noch immer
die Verkleidung als Beduine, die sie schon vor einiger Zeit geschneidert hatte.
Dazu passend besaß sie original arabisches Sattel- und Zaumzeug und eine
Bekannte würde ihr zwei arabische Windhunde, Salukis, zur Verfügung stellen, um
das Bild zu vervollständigen. Schließlich entschloß sie sich jedoch nach
einigem Zögern, einem Traum Gestalt zu verleihen, der sie schon öfter im Schlaf
begleitet hatte. War sie schon im Wachen von romantischem Gemüt, so konnte sie
sich in ihren Träumen erst richtig ausleben. Seit einiger Zeit hatte sie nun
einen Traum, der sich jedes Mal fast identisch wiederholte. In einem
wunderbaren Land, wo Frieden und Freiheit herrschten, stand ein schönes Schloß,
dessen junger Herr Diana in Liebe zugetan war und sie erwiderte diese
Zuneigung. An Einzelheiten konnte sie sich beim Erwachen nie erinnern, doch die
Gestalt des Prinzen war vor ihrem inneren Auge lebendig: ein junger Mann von
hohem und edlem Wuchs, sein Gesicht von dunklen Locken umrahmt, mit einem
kleinen, wohlgepflegten Bärtchen über der Oberlippe, besaß er dunkle Augen
unter schöngeschwungenen, dichten Brauen und eine edle Nase. Diana sehnte sich
nach diesem Traummann, suchte ihn bei jeder Begegnung in ihrem Gegenüber zu
entdecken und mußte enttäuscht feststellen, daß er wohl doch nur in ihren
Träumen und Wünschen existierte.
Sie entwarf mit wenigen,
aber gekonnten Strichen die Skizze eines Kostüms, welches ganz dem glich,
welches ihr Traummann trug, denn sie zog es seit langem vor, männliche
Verkleidungen anzulegen. Schnell waren auch Schabracken und Zügelbehänge für
ihr Pferd ausgedacht, all das schien aus einem Gemälde zu entspringen, welches
Szenen am Hofe Ludwig XII. zeigte. Der König war bekanntermaßen ein großer
Jäger, der die Falknerei der Parforcejagd vorzog. Und Beschreibungen seiner
glänzenden Feste hatten schon immer einen großen Eindruck auf Diana gemacht. An
einem der nächsten Tage fuhr sie mit ihrem kleinen Auto, das während langer Jahre
ihrem Stiefvater als Fortbewegungsmittel gedient hatte, und welches dieser ihr
großzügig überlassen hatte, als er sich einen neuen Wagen kaufte, in die Stadt,
um sich Stoffe auszusuchen. Was sich als sehr schwierig erwies, denn ihren
Vorstellungen entsprach keiner der angebotenen, modernen Stoffe. Erst in der
Abteilung für Polsterei und Vorhänge fand sie die schweren Samte und Brokate,
die für ihr Vorhaben erforderlich waren. Schwerbeladen machte sie sich auf den
Heimweg.
Der große Tag war gekommen!
Sorgfältig prüfte Diana noch einmal alle Einzelheiten ihrer Verkleidung. Dann
sattelte sie ihren Rappen und nahm ihren Falken auf die Faust. So legte sie die
wenigen Kilometer bis zum Ort des Festes zurück. Dort waren schon viele andere
Teilnehmer versammelt, bunte Kostüme leuchteten in allen Farben, Musikkapellen
spielten und Pferde wieherten aufgeregt. Auch Apollo spitzte die Ohren, schritt
aber ruhig weiter, ohne sich um die vielen Zuschauer und den Lärm zu kümmern.
Auf dem Festplatz angelangt, stellten sich die einzelnen Gruppen der Jury,
bevor sie sich zum großen Umzug formierten. Dianas Verkleidung und Darstellung
einer Szene aus der Beizjagd zur Zeit Ludwig XIII. erregte allgemeine
Bewunderung. Der Rappe war mit einer wunderschönen Brokatdecke über dem Sattel
geschmückt, in die Szenen der Jagd zu Pferd gewebt waren. Auch das Kopfstück
und die Zügel waren mit dem gleichen Stoff überzogen. Diana war mit einer
weißen Bluse bekleidet, deren Kragen und Ärmel mit breiten Rüschen verziert
waren, dazu eine lange Jacke aus grünem Samt, mit goldenen Litzen geschmückt
und einem breiten Kragen. Auf ihren Locken saß ein schwarzer Dreispitz, von dem
lange Reiherfedern wehten. Ihre schlanken Beine steckten in braunen, eng
anliegenden Hosen und braunen Lederstiefeln mit bis über die Knie reichenden
Stulpen. Die linke Hand war von einem wunderschön verzierten Falknerhandschuh
aus weiß gegerbtem Hirschleder mit grünem Besatz geschmückt. Darauf saß ihr
Falke, den Kopf unter einer fein gearbeiteten, dunkelroten Lederhaube verborgen,
die von einem kleinen Strauß heller Federn gekrönt wurde. Stolzen Schrittes
paradierte das Pferd unter seiner Reiterin vor den Juroren. Aber der Höhepunkt
sollte noch kommen: Mit einer geschickten Bewegung nahm Diana die Haube vom
Kopf des Vogels und gab die Fesseln frei, die sie bis jetzt in der Hand
gehalten hatte. Der Falke schüttelte sich kurz, dann schwang er sich mit einer
eleganten Bewegung in die Lüfte. Ein AH! der Bewunderung ging durch die
Zuschauer, als der Vogel schnell an Höhe gewann und sich dann mit leichtem
Schwingenschlag genau über der Reiterin zentrierte. Diana ließ ihm ein wenig
Zeit, sich zu orientieren, dann holte sie das Federspiel aus der Falknertasche,
die an ihrer Seite hing und schwang es in weitem Bogen an der Seite des Pferdes.
Der Falke gewahrte das ihm bekannte Stück ausgestopften Leders, dessen Seiten
mit Fasanenfedern besetzt waren, um noch mehr den Eindruck einer echten Beute
zu erwecken, und kam in schnellem Flug herab. Kurz bevor er jedoch am Ziel war,
zog Diana mit einer geschickten Bewegung das Federspiel vor seinen Fängen zur
Seite, der Greif steilte schwungvoll auf und das Spiel begann von Neuem. Nach
einer Weile wartete Diana auf einen passenden Moment, dann schleuderte sie das
Federspiel hoch hinaus, um dem Falken Gelegenheit zu geben, es im Flug zu
ergreifen, was dieser auch mit großem Geschick tat. Mit seiner Beute kam er
dann auf den Boden, wo die junge Frau ihn schon erwartete, die Zügel ihres
Pferdes vertrauensvoll freigebend, und sich zu ihm herabbeugte, um ihn mit
einem Stück Fleisch zu belohnen und wieder auf den Handschuh zu nehmen. Lauter
Applaus belohnte ihre Vorführung und die Fotoapparate der Journalisten knackten
wie Gewehrfeuer, als sie nun wieder zu Pferde stieg und sich in den Festzug
einreihte.
Am nächsten Morgen sah sie
dann ihr Foto in der Zeitung und mußte zugeben, daß sie selbst so, in
schwarzweiß, keinen schlechten Eindruck machte. Doch die Freude sollte nicht
lange anhalten, denn schon bald klingelte das Telefon und als sie den Hörer
abhob herrschte sie eine unbekannte Stimme an.
"Sind Sie Diana Erdei?
Und haben Sie am Sonntag die Ritterspiele mit ihrem Beizvogel besucht und dort
eine Vorführung abgehalten?" Diana schwieg einen Augenblick verblüfft, wer
konnte wohl der unhöfliche Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung sein,
der es sogar unterließ, sich vorzustellen?
"Guten Tag, ja, ich
bin Diana Erdei - und wer sind sie?" fragte sie mit ihrer wohlklingenden
Stimme den Unbekannten.
"Antworten sie auf
meine Fragen, bevor sie selbst welche stellen!" wies sie die Stimme barsch
zurecht. Einen Moment lang war Diana versucht, den Hörer einfach aufzulegen,
doch dann beherrschte sie sich.
"Sie haben mich ja
wohl selbst dort gesehen, sonst wüßten sie nicht, wer ich bin!" antwortete
sie knapp.
"Sie irren sich, ich
habe nur die Zeitung gelesen, die sie namentlich als Preisträgerin erwähnt,
mitsamt dem Falken auf dem Foto." meinte der Mann streng. "Der Grund
meines Anrufes ist aber folgender: Ich bin von der Behörde, die ihnen die
Halterbewilligung für den Falken ausgestellt hat - und die gilt nur für die
Beizjagd!" Bei seinen letzten Worten erschrak die junge Frau, hatte sie
doch nie angenommen, daß eine Teilnahme an einem Kostümfest für ihren Beizvogel
reglementiert sein könnte. Doch der Mann ließ sie nicht zu Wort kommen sondern
bellte nur noch lauter in den Hörer.
"Sie wissen wohl, daß
sie sich damit eines Vergehens gegen die gesetzlichen Bestimmungen schuldig
gemacht haben, welches von meiner Behörde streng geahndet werden wird! Wo
kommen wir denn hin, wenn jeder das mit seinen Falken macht, worauf er gerade
Lust verspürt! Und solche Veranstaltungen sind meiner Behörde schon lange ein
Dorn im Auge - wenn sie verstehen, was ich meine!" Diana jedoch verstand
seinen Zorn nicht und wagte dies auch in Worte zu fassen.
"Ich kann mich in ihre
Gedanken nicht hineinversetzten," meinte sie. "Ich habe weder in
einer Zeit außerhalb der Jagdsaison mit meinem Falken gejagt, noch eine
öffentliche Vorführung gegen Entgelt veranstaltet - ich habe lediglich auf Einladung
hin an den Festspielen teilgenommen mit einem sogenannten "lebenden
Bild" - wo ist da meine Verfehlung?" wollte sie wissen. Doch der
starrköpfige Beamte weigerte sich, genaue Auskunft zu geben.
"Sie haben gegen das
Gesetz gehandelt und können von Glück sagen, daß dies ihre erste Verfehlung
dieser Art ist, die nur mit einer Geldbuße belegt wird - im Wiederholungsfalle
jedoch sehen wir uns gezwungen, den Vogel zu konfiszieren und ihnen die
Ausübung der Beizjagd zu verbieten!" herrschte er sie an. "Ich werde
ihnen einen Bußgeldbescheid zusenden, den sie innerhalb von acht Tagen zu
bezahlen haben, andernfalls ich die genannten Schritte gegen sie einleiten
werde!" - Knack! er hatte abgehängt, noch ehe Diana ein weiteres Wort
sagen konnte. Mit zitternden Händen legte sie den Hörer auf, ihr Herz schlug
wie wild. Das waren ja schöne Aussichten! Glücklicherweise wußte der Mann
scheinbar nichts von ihren anderen, weit zurückliegenden oder in einem anderen
Departement stattgefundenen Teilnahmen an solchen Veranstaltungen mit ihren
Vögeln. Aber der Schreck saß tief! Niemand hatte sie je aufgeklärt, als sie die
Jagd- und Haltererlaubnis beantragt hatte, daß diese nur und ausschließlich für
die Beizjagd Gültigkeit habe! Sie beschloß, das Bußgeld anstandslos zu zahlen und
sich dann zu erkundigen, wie sie eine Erlaubnis für die Teilnahme ihrer Vögel
an Festen erhalten könne. Als am nächsten Tag der Postbote den Brief mit dem
Stempel der Behörde brachte, öffnete Diana ihn mit zitterigen Fingern. Das
Schreiben bestand nur aus wenigen Zeilen, die den Tatbestand erläuterten, dann
folgte die Summe des Bußgeldes, bei der Diana ein Schrei der Entrüstung
entfuhr. Die Strafe betrug mehr als ein halbes Monatsgehalt der jungen Frau!
Zum Glück hatte sie im Frühsommer die Nachzucht ihres Falkenpaares gut
verkaufen können, von diesem Geld war ihr noch ein Rest verblieben, der etwas
weniger war, als die zu zahlende Strafe. Schweren Herzens stellte Diana einen
Scheck in der Höhe der geforderten Summe aus und adressierte den Umschlag an
die Behörde, nicht ohne auf einem weiteren Blatt anzufragen, wie sie denn in
Zukunft an Festspielen und Umzügen mit ihrem Falken teilnehmen könne. Nach
einigen Wochen erhielt sie die Antwort. Man teilte ihr mit, daß sie mit
Beizvögeln nur an der Beizjagd teilnehmen dürfe, es stünde ihr aber frei, sich
einen weiteren Falken zuzulegen und für diesen eine Erlaubnis für
"vereinzelte Vorführung vor Publikum - zu präzisieren, ob immer am selben
Ort oder an verschiedenen Plätzen" zu erwirken. Dieses Tier dürfe jedoch dann
ausschließlich zu diesem Zweck benutzt werden und nicht etwa auch als Jagdvogel
geflogen werden. Diana zerknüllte das Schreiben und warf es wutentbrannt in
eine Ecke ihres Zimmers. Wie sollte sie einen Falken vorführen, der nie
jagdlich abgerichtet werden durfte, folglich also auch keinerlei Neigung
verspüren würde, zu seiner Falknerin zurückzukehren. Oder dachten die Behörden
gar an einen Vogel, der nie von der Faust gelassen werden durfte? Armes Tier!
Dann lieber schweren Herzens auf alle weiteren Teilnahmen an solchen
Veranstaltungen verzichten! Ihr blieben zwar immer noch Feste, wo sie Pferde
und Hunde präsentieren konnte, doch irgend etwas würde immer fehlen, eine Leere
hinterlassen, die nur der Falke ausfüllen konnte. So zog sie sich noch mehr in
sich selbst zurück, lebte fast nur noch in ihrer Traumwelt. Selbst an ihrem
Arbeitsplatz in dem kleinen Büro für Übersetzungen bemerkte man ihre Wandlung.
Juliette, ihre Kollegin, die für die spanische und portugiesische Sprache
zuständig war und genau gegenüber von Diana saß, sprach es eines Tages auch
aus, als die beiden Frauen sich in der Mittagspause bei einem schnellen Imbiß
trafen.
"Diana, ich kenne dich
nun schon einige Jahre, aber so verschlossen habe ich dich noch nie erlebt. Ist
etwas geschehen, was dich bedrückt?" fragte die kleine Blonde und ließ
ihre Augen fragend auf Diana ruhen. Diese schüttelte den Kopf.
"Danke der Nachfrage,
Juliette, aber mir geht es gut und es ist auch nichts passiert. Ich führe nun
einmal ein etwas anderes Leben, als ihr hier und manchmal fällt es mir schwer,
mich wenigstens ein wenig anzupassen."
"Ich weiß schon, was
du damit ausdrücken willst," meinte die Kollegin, "aber in den
letzten Wochen hast du dir so etwas wie einen Panzer um dich herum aufgebaut
und scheinst auch sehr oft während der Bürostunden geistig abwesend zu
sein." Diana fuhr auf.
"Hat sich der Chef
etwa über meine Arbeit beschwert?" fragte sie ängstlich. Juliette winkte
schnell ab.
"Nein, nein! Deine
Arbeit ist wie immer korrekt und ordentlich. Mir ist lediglich aufgefallen, daß
du noch weniger als sonst mit den Kolleginnen sprichst und an keiner unserer
Aktivitäten mehr teilnimmst, sondern immer sofort nach Büroschluß wegfährst.
Deshalb meine Frage, ob du etwa Probleme hast, ich würde dir gerne helfen, sie zu
lösen."
"Vielen Dank,
Juliette. Aber es gibt wirklich keinen Anlaß zur Sorge! Ich habe nur zur Zeit
sehr viel Arbeit auf dem Hof und mit meinen Tieren. Da weiß ich kaum, wo mir
der Kopf steht und bin wahrscheinlich auch manchmal ein wenig müde, aber das
wird sich schon wieder geben." meinte Diana ausweichend. Die wahren Gründe
ihrer derzeitigen Gemütsverfassung konnte und wollte sie mit keinem anderen
Menschen teilen, schon gar nicht mit der ewig plappernden Juliette. Natürlich
war sie in gewisser Hinsicht ein Außenseiter. Welche junge Frau fand schon
daran Gefallen, allein mit ihren Tieren auf einem abgelegenen Hof zu leben, zu
jagen und Falken abzurichten? In ihrem Alter waren die meisten jungen Frauen
schon verheiratet und mit einer Menge Kinder umgeben, doch vorläufig verspürte
Diana nicht den Wunsch, ihrem Leben eine andere Richtung zu geben. Nein, ihre
Verschlossenheit hatte andere Gründe. Sie konnte einfach nicht so
drauflosreden, wie die meisten ihrer Kolleginnen, die stundenlang über
nichtssagende Themen heiß diskutieren konnten, die sich wöchentlich zweimal
beim Friseur trafen oder gemeinsame Kochabende veranstalteten. Auch die
sonntäglichen Ausflüge in ein Café oder der Besuch einer Tanzveranstaltung
sagten der jungen Frau nichts, die lieber die frische Luft der Natur atmete als
den verqualmten Dunst der geschlossenen Räume und der es leichter fiel, sich
mit ihren Tieren zu verständigen, als mit Gleichaltrigen in Kontakt zu kommen.
"Na schön,"
seufzte die blonde Kollegin. "Hoffentlich hast du bald weniger Arbeit und
mehr Zeit fürs Vergnügen."
"Ja, das hoffe ich
auch!" bekräftigte Diana, die bei Vergnügen an ganz andere Dinge dachte,
als ihre Kollegin ahnen konnte. So verging die Zeit und jedes Mal, wenn Diana
von dem jungen Mann geträumt hatte, besserte sich ihre Laune für einige Zeit
und eine große innere Ruhe erfüllte sie. Dann gab sie auch manchmal dem Drängen
ihrer Kolleginnen nach und nahm an einem Kaffeekränzchen teil. Doch selbst dann
entschuldigte sie sich schon nach kurzer Zeit mit dem – zum Teil wahren -
Vorwand, ihre Tiere müßten versorgt werden und überließ die schwafelnden
Kolleginnen sich selbst. An einem Montagmorgen saß Diana gerade über einer
schwierigen technischen Übersetzung, als der Chef ins Zimmer trat.
"Guten Morgen,
Fräulein Erdei. Wie ich sehe, sind Sie gerade sehr beschäftigt, trotzdem möchte
ich Sie bitten, in zehn Minuten in mein Büro zu kommen." Die junge Frau
blickte erstaunt auf, denn es kam nur sehr selten vor, daß der Chef eine von
ihnen in sein Büro bat. Was er zu sagen hatte, sagte er normalerweise in
Gegenwart aller. Trotzdem nickte sie sofort.
"Ich werde pünktlich
dort sein, Chef!"
"Danke, Fräulein
Erdei!" sagte der Mann kurz angebunden, bevor er die Tür wieder hinter
sich schloß.
"Was kann er nur von
dir wollen?" wunderte sich Juliette laut und auch die anderen Frauen
schauten neugierig auf Diana.
"Ich habe nicht die
geringste Ahnung!" meinte Diana achselzuckend. "Aber in ein paar
Minuten werde ich es ja wohl erfahren." Damit wendete sie sich wieder
ihrer Arbeit zu. Doch die Übersetzung wollte ihr nicht mehr so leicht von der
Hand gehen, denn ihre Gedanken jagten sich. Was hatte das zu bedeuten? Sollte
ihr gekündigt werden? Und was dann? Wie sollte sie genug Geld auftreiben, um
ihr Leben so wie bisher fortsetzen zu können? Wo schnell einen anderen
Arbeitsplatz finden? Oder was sonst konnte der Chef ihr vertraulich sagen
wollen? Doch ihre Überlegungen führten selbstverständlich zu keinem Ergebnis
und so erhob sie sich endlich von ihrem Platz und begab sich in das Büro des
Chefs. Nachdem sie angeklopft hatte und das "Herein" von drinnen
erklungen war, öffnete sie die schwere Holztür und trat ein. Der Chef saß
hinter einem großen, modernen Schreibtisch und hatte mehrere dicke Ordner vor
sich liegen.
"Nehmen Sie Platz, Fräulein
Erdei!" bat er sie und Diana setzte sich auf den einzigen Stuhl, welcher
vor dem Schreibtisch stand. Fragend schaute sie ihr Gegenüber an, einen Mann
von einigen vierzig Jahren, dessen braune Haare an den Schläfen schon anfingen
zu ergrauen und dessen Gesichtsausdruck zwar immer streng aussah, mit leicht
gerunzelter Stirn, schmalen Augen und eng zusammengekniffenen Lippen, der
jedoch immer völlig korrekt gegenüber seinen Angestellten agierte.
"Sie werden sich
vielleicht wundern, daß ich Sie zu mir gebeten habe, aber ich ziehe es vor,
dieses Gespräch unter vier Augen zu führen." Dianas Verwunderung wuchs von
Minute zu Minute. Wozu diese Einführung? Oder wollte der Mann etwa persönlich
werden? Diana wußte zwar aus Gesprächen mit ihren Kolleginnen, daß der Chef
verheiratet war, aber auch nicht mehr. Ihre Hände wurden langsam feucht, ein
Phänomen, welches ihr selbst in den aufregendsten Augenblicken der Jagd nicht
passierte! So nickte sie nur kurz.
"Ich muß zugeben, ich
war etwas verwundert, als Sie mich vorhin zu sich baten."
"Das kann ich mir
vorstellen." bekräftigte ihr Gegenüber. "Doch lassen Sie es mich
Ihnen erklären." Er räusperte sich leicht und öffnete einen der Ordner,
der vor ihm lag.
"Ich möchte voran
schicken, daß ich mit Ihrer Arbeit vollständig zufrieden bin und glücklich,
eine Übersetzerin für die ungarische Sprache zur Verfügung zu haben, auch wenn
es nicht immer ausreichend Arbeit für Sie gibt. Außerdem ist es ein großer
Vorteil, daß Sie ja auch englisch sprechen und so ihrer manchmal überlasteten
Kollegin helfen können." Diana nickte leicht und bereitete sich auf die
Fortsetzung der Rede ihres Chefs vor. Diese ließ auch nicht lange auf sich
warten.
"Trotzdem muß ich Sie
vor eine Wahl stellen, voran schicken möchte ich jedoch, daß Sie nicht die
einzige Betroffene sein werden: Entweder Sie arbeiten fortan als selbständige
Mitarbeiterin, bezahlt pro erledigtem Auftrag, von zuhause aus oder wir müssen
Ihnen leider kündigen." Diana steckte den Schlag ein, ohne mit der Wimper
zu zucken.
"Das heißt, ich werde
meine Beiträge regelmäßig selbst entrichten müssen aber unregelmäßige,
unkalkulierbare Einkünfte haben?"
"Ja, so ist das. Oder
aber Sie akzeptieren die Kündigung, genießen eine Zeitlang das Recht auf
Arbeitslosengeld und suchen sich zwischenzeitlich einen neuen
Arbeitsplatz." nickte der Chef. Diana überlegte kurz.
"Welche Chancen werde
ich haben, einen neuen Arbeitsplatz zu finden?" Der Mann ihr gegenüber
zuckte mit den Schultern.
"Die meisten
Übersetzungsbüros arbeiten heute mit unabhängigen Mitarbeitern, also so, wie
ich es Ihnen hier anbiete. Die Lage auf dem übrigen Arbeitsmarkt kennen Sie so
gut, wie ich." Das stimmte und Diana wußte sehr genau, daß es sehr schwer
sein würde, in angemessener Zeit eine neue Stelle zu finden. Die Region hatte einen
sehr hohen Arbeitslosenanteil mit wenig angemessenen freien Stellen, die
hauptsächlich an Auszubildende und Langzeitarbeitslose vergeben wurden und die
junge Frau war nicht gewillt, Haus und Hof aufzugeben und in eine andere Gegend
zu ziehen und dort ihr Glück zu versuchen. Aber zuerst mußte sie alles ganz
genau ausrechnen.
"Wann müssen Sie meine
Antwort haben?" wollte sie von ihrem Chef wissen.
"Bis Ende der
Woche" war die knappe Antwort. Diana nickte mit einer kleinen Grimasse.
"Sie werden meine Antwort
Freitag früh erhalten."
"Danke, Fräulein
Erdei." Damit war sie entlassen. Im Gang mußte sie sich einen Augenblick
gegen die Wand lehnen, denn ihr wurde plötzlich schwindlig. Zu schnell war die
Hiobsbotschaft über sie gekommen! Sie machte einen Umweg über die Toilette, wo
sie sich das Gesicht mit kaltem Wasser bespritzte und in die Wangen kniff, um
ein wenig Farbe zu bekommen. Dann nahm sie ihre Willenskraft zusammen und ging
in ihr Zimmer zurück. Auf die fragenden Blicke ihrer Kolleginnen zuckte sie nur
die Achseln.
"Das Gespräch ist
vertraulich!" war ihr ganzer Kommentar. Wenn der Chef die Wahrheit
gesprochen hatte, würden die Kolleginnen - wenigstens einige von ihnen – das
gleiche Gespräch zu überstehen haben und das gleiche Schicksal erleiden, wie
sie. Aber es entsprach nicht ihrem Charakter, sich der Verzweiflung hinzugeben.
Sie suchte nach Lösungen und fand auch bald eine, die ihr zusagte, in Form
einer Anstellung als berittene Waldhüterin. So konnte sie ihre Liebe zur Natur
und der Jagd auch beruflich nutzen. Noch vor einigen Jahren wäre dies für eine
junge Frau unmöglich erschienen, aber die Zeiten hatten sich etwas geändert und
da Mangel an erfahrenen Kräften in diesem Beruf herrschte, war man auch bereit,
Frauen dies Aufgabe zu übertragen. Natürlich hatte sie einige Probleme seitens
der männlichen Kollegen zu überwinden, doch wurden schließlich auch von den
größten Zauderern ihre Erfahrung und ihr freundliches Wesen anerkannt. Diana
kam ihren Aufgaben mit großem Eifer nach und trug viel dazu bei, daß sich in
einem großen Teil der Bevölkerung ein Sinneswandel vollzog, zum Nutzen der
Natur.
Eines Morgens klingelte es
zu fast noch nachtschlafender Zeit an der Haustür. Zwar war Diana schon seit
längerer Zeit wach, doch konnte sie sich nicht vorstellen, wer sie zu so früher
Stunde besuchen kam. Vorsichtig spähte sie aus dem Küchenfenster und sah einen
ihr bekannten Landwirt auf der Schwelle stehen, der irgend etwas in seinen
Armen hielt. Eilig öffnete sie die Tür.
"Guten Morgen,
Monsieur Jean, was bringen Sie mir denn da?" wollte sie mit einem Blick
auf das Bündel in seinen Armen wissen.
"N'Morgen,"
grüßte der Mann zurück. "Das hab' ich grad vor'm Mähdrescher g'habt.
Vielleicht bringen's durch." Damit öffnete er die Decke und gab den Blick
frei auf ein kleines Rehkitz, auf dessen Flanke sich dunkelrote Striemen
abzeichneten.
"Oh Gott!"
entfuhr es der jungen Frau. "Das hätten Sie zuerst zu einem Tierarzt
bringen sollen."
"Der kostet mir aber
zu viel." murmelte der Mann etwas geniert. "Für so was hab' ich kein
Geld übrig. Ich hab' halt gedacht, Sie würden's richten."
"Na schön, dann lassen
Sie mich einmal sehen." meinte Diana und nahm ihm das Tier ab. Sie wollte
gerade im Haus verschwinden, als die Stimme des Bauern sie zurückhielt.
"Die Decke könnten's
mir aber gleich zurückgeben." Diana nickte.
"Ich lege es nur bei
mir drinnen ab, dann bringe ich Ihnen die Decke zurück."
"Aber b'eilen's sich,
ich hab' nicht so viel Zeit, wissen's." rief ihr der Mann noch nach. Die
junge Frau legte das kleine Tier sanft auf den weichen Teppich, brachte dem
Mann seine Decke zurück und sah ihn mit Erleichterung wieder zu seinem Wagen
gehen. Natürlich hätte er erst den Tierarzt aufsuchen müssen, aber so wie die
Dinge standen, war das kleine Tier bei ihr vielleicht doch besser aufgehoben,
zumal die Verletzungen nicht allzu schwer aussahen. Diana holte ihre
Hausapotheke hervor, die ihr auch schon des öfteren bei leichten Wehwehchen
ihrer diversen Tiere geholfen hatte, und machte sich ans Werk. Das Kitz schien
noch vollständig unter Schock zu stehen, es rührte sich auch dann nicht, als
Diana mit zarten Händen die Wunden desinfizierte und verband. Danach holte sie
ein Fläschchen mit Schnuller und bereitete etwas warme Milch vor. Als sie sich
auf den Boden setzte und den kleinen Kopf des Tieres in ihren Schoß legte,
spürte sie eine erste Reaktion des Kitzes. Doch sanft zwang sie den Schnuller
in das Mäulchen und sah mit Genugtuung, daß, obwohl auch einiges danebenfloß,
das kleine Wesen doch etwas von der Milch zu sich nahm.
"Es wird schon wieder
werden!" flüsterte die junge Frau dem Tier zu und streichelte es sanft.
"Hier wirst du gut gepflegt und bist in bester Gesellschaft."
Roger Dupont kam an einem
der nächsten Tage vorbei, um Diana einen Besuch abzustatten. Als er das Rehkitz
sah, welches auf staksigen Beinen im Wohnzimmer herumlief wunderte er sich doch
sehr.
"Wo hast du denn das
aufgegabelt, Diana?" fragte er die junge Frau, die mit einer dampfenden
Kaffeekanne aus der Küche kam. Diana erzählte ihm die Geschichte, wie der
Landwirt ihr das Kitz gebracht hatte und welche Fortschritte das Tier in seiner
Genesung machte. Der junge Mann schüttelte nur staunend den Kopf.
"Aber Diana, das ist
ja alles schön und gut, ich verstehe nur eines nicht: warum pflegst du das Tier
gesund, um es dann eines Tages zu schießen?" Dianas Augen wurden zu
schmalen Strichen, als sie dem jungen Mann antwortete.
"Es tut mir leid,
Roger, aber du scheinst immer noch nicht verstanden zu haben, was die Jagd für
mich bedeutet, obwohl du dich ja ebenfalls einen Jäger nennst. Schau," sie
schenkte ihm den Kaffee ein und nahm sich selbst auch eine Tasse voll,
"ich bin Jägerin, aber verstehe die Jagd auch als Hege und Pflege des
Wildes. Du weißt ganz genau, wie sehr ich diese <Sonntagsjäger> hasse,
die nie selbst ins Revier gehen, sondern das alles ihren Wildhütern überlassen
und dann lediglich in der Jagdsaison ein Wochenende damit zubringen, das
Abschußsoll zu erfüllen. Und genauso sind mir die Jäger ein Greuel, die einfach
nur so drauflos ballern. Die Töten um des Tötens willen, egal was, wo und in
welcher Menge. Die weder das Wild noch dessen Lebensgewohnheiten richtig
kennen, noch ihm eine korrekte Jagd und danach die letzte Ehre erweisen!"
Der junge Mann schwieg betroffen, nach den anklagenden Worten der jungen Frau
mußte auch er sich in die Kategorie <Sonntagsjäger> einreihen lassen.
"Trotzdem ist es doch
widersinnig, ein Tier gesundzupflegen und es dann in einigen Jahren
abzuschießen." wagte er einzuwerfen. Diana schüttelte heftig den Kopf, daß
die dichten Locken nur so durcheinander gewirbelt wurden.
"Roger, du vergißt,
daß das Kitz hier ein Lebewesen ist, welches Hilfe benötigt. Ich kann und will
sie ihm geben, bis es in der Lage ist, sich selbst zu ernähren und im Wald
zurechtzufinden. Sollte es in einiger Zeit krank werden, so ist der Hegeschuß
angebracht, um es von seinen Leiden zu erlösen. Andernfalls kommt es auf seine
Entwicklung an, was einmal aus ihm wird. Zumal es eine Ricke ist, die nur in
den seltensten Fällen zum Abschuß gelangt. Aber selbst bei einem Rehbock ist
das Ende nicht immer der Schuß des Jägers. Und genau deshalb helfe ich jeder
Kreatur in Not. Jagd ist nicht nur der Schuß, sondern Beobachten, Hegen,
Kennenlernen, Pflegen, Helfen und sich Auskennen. Jagd ist Liebe zur Natur,
Respekt vor der Schöpfung und eine Form des Lebens, die viele Menschen nicht
verstehen können. Jagd mit Tieren, wie die Falknerei oder die Baujagd mit Hund
und Frettchen verlangen außerdem viel Verantwortungsgefühl und Zeit vom Jäger.
Ein Gewehr kann man, gut gepflegt, versteht sich, außerhalb der Jagdsaison in
den Schrank stellen, die lebenden vierbeinigen und geflügelten Helfer aber
müssen jeden Tag des Jahres versorgt werden. Dazu gehört jemand, der sich auch
in ihre Verhaltensweisen hineindenken kann, der nicht nur Dresseur, sondern
Freund und Vertrauter der Tiere ist, so werden sie es ihm mit Treue und
Leistungsbereitschaft danken." Der junge Mann war nachdenklich geworden,
mußte er doch die Worte der jungen Frau erst in sich aufnehmen, verarbeiten und
seine Schlüsse daraus ziehen. So hatte er die Jagd und all das Drumherum noch
nie gesehen, mußte sich aber in die Seele der jungen Frau hineindenken und ihre
Lebensweise akzeptieren, wollte er eine engere Beziehung zu ihr erreichen.
Diana jedoch hatte keine Lust, sich an den jungen Mann zu binden. Er war zwar
ein netter Kumpel, aber sie erwartete mehr von ihrem Partner, als er ihr je
würde bieten können. So blieben ihr ihre Träume, die Natur und ihre Tiere, die
ihr Leben ausfüllten.
Der Morgen versprach einen schönen, sonnigen und
warmen Herbsttag. Diana stand schon sehr früh im Stall und brachte das seidig
schimmernde Fell von Orestes auf Hochglanz. Neben ihr saß auf seinem Block ihr
Sakerfalkenterzel Sharif, erster Nachwuchs ihres Zuchtpaares. Sie hatte ihm den
größten Teil ihrer Freizeit der letzten Wochen gewidmet, um ihn zartfühlend an
den Falknerhandschuh und sich selbst zu gewöhnen. Abends hatte er auf ihrer
Faust gesessen, wenn sie selbst sich ein wenig Ruhe vor dem Fernseher gönnte,
hatte ihn mit kleinen Stückchen Fleisch locke gemacht und auch an ihre Pferde
und Hunde gewöhnt. Jetzt trug er außer den Lederfesseln an jedem Bein links
noch eine kleine Schelle und rechts ein Lederband, an welchem eine kleine
Plakette mit Name und Adresse seiner Falknerin befestigt war. Diana hatte ihren
Falken schon einige Male an einer langen Leine auf das Federspiel geflogen,
doch heute sollte der Falke zum ersten Mal frei fliegen. Als sie den Rappen
gesattelt hatte, nahm sie den Falken auf den Handschuh, stieg in den Sattel und
ritt das kurze Stück am Waldrand entlang, bis sie zu einer großen Wiese kam,
die von einem schmalen Bach durchflossen wurde. Sie befestigte den leichten
Sender in der Halterung auf einer der Schwanzfedern des Vogels, dann nahm sie
ihm die Haube ab, die er während des Rittes getragen hatte, um nicht abgelenkt
zu werden und ließ ihn frei. Mit schnellem Schwingenschlag erhob sich der Falke
rasch in eine große Höhe, dabei nützte er spielerisch die sich über der Wiese
befindlichen Thermiken aus. Nach einiger Zeit zentrierte er sich über der
Reiterin, die ihn noch etwas arbeiten ließ, dann aber auf das Federspiel
zurückrufen wollte. Doch der Falke hatte Lust am Fliegen gefunden und ließ sich
vom Wind immer weiter abtreiben. Nach wenigen Augenblicken war er nur noch ein
winziger Punkt im Blau des Himmels, dann war auch dieser Punkt verschwunden.
Diana ließ ihr Pferd anhalten und entnahm der Satteltasche einen Empfänger, der
ihr mit einem Piepsen die Richtung des entflogenen Vogels andeutete. Da er sich
nicht allzuschnell zu entfernen schien, ritt sie zurück, ließ ihr Pferd auf der
Koppel frei und fuhr mit ihrem Auto in die Richtung, die ihr das Signal
anzeigte. Doch oh Schreck! Plötzlich hörte das Signal abrupt auf. Diana hatte
Angst, daß der Falke sich auf eine Hochspannungsleitung gesetzt haben mochte
und einen Elektroschock erhalten haben könnte, oder die Antenne war abgefallen
und lag nun auf dem Boden, oder sie hatte Wasser abbekommen, oder.... Doch nach
einiger Zeit erhielt sie wieder ein schwaches Signal. Eilig fuhr sie dem Signal
nach, doch plötzlich brach es wieder ab. Der Empfänger war scheinbar defekt -
die denkbar schlechteste Konstellation, um einen Vogel, der sich noch dazu
nicht in der Gegend auskannte, wiederzufinden!
Wie durch ein Wunder hörte
Diana plötzlich die kleine Schelle am Fuß des Falken! Sie hatte also gut daran
getan, sich in die Lage des Vogels zu versetzen und so nach im zu suchen. Er
mußte langsam wieder hungrig sein, was ihre Chancen erhöhte, ihn noch vor
Einbruch der Dunkelheit wieder aufs Federspiel zu locken. Und richtig, kaum
hatte sie die Lederattrappe mit dem Fleischstück auf den Boden geworfen, da
schwang sich der Falke von seinem Baum und vollführte einige Attacken auf das
Federspiel. "Er hat noch keinen richtigen Hunger" dachte Diana und beschloß,
abzuwarten. Nach einiger Zeit setzte sich der Falke auf einen niedrigen Ast und
schaute immer wieder auf das verlockende Fleischstück herunter. Er schien sich
entschieden zu haben, nun endlich doch zu essen. Kaum hatte er sich von seinem
Ast losgeschwungen und Ziel auf das Federspiel genommen, als eine Bande
Spaziergänger mit lautem Geschrei aus dem Wald hervorbrach. An ihrer Spitze
lief ein kleiner Hund mit großem Gekläffe direkt auf den Vogel zu. "Oh
nein, das hat mir gerade noch gefehlt!" stöhnte Diana, die tatenlos mit
zusehen mußte, wie der Falke erschreckt davonflog. Natürlich kein einziges
Signal aus dem Empfänger! Und wahrscheinlich auch keine Chance mehr, den
Gedankengang des in Panik geratenen Tieres noch einmal zu erraten. Der
traurigste Augenblick im Leben eines Falkners! Diana packte resigniert ihre
Sachen ein und beschloß, ihr Glück am nächsten Tag noch einmal zu versuchen.
Doch es sollte vergeblich sein. Mit Trauer im Herzen brach sie die Suche ab.
Eine Woche später, es war
an einem Montag, erhielt sie einen Anruf, der sie aufs Höchste entzückte und
empörte.
"Suchen Sie einen
Falken?" fragte eine Männerstimme am anderen Ende der Leitung.
"Aber ja, natürlich,
ich hatte ja alle Forstämter und so weiter im Umkreis informiert," meinte
Diana. "Haben Sie meinen Falken gefunden? - Lebt er noch?"
"Ja, ja, er lebt noch,
ist aber sehr schwach." War die, zumindest teilweise befriedigende
Antwort. Dianas Herz begann schneller zu schlagen.
"Wo sind Sie und wann
kann ich meinen Falken bei Ihnen abholen?"
"Nur mit der
Ruhe!" meinte die Stimme am anderen Ende. "Können Sie beweisen, daß
der Falke Ihnen gehört - haben Sie alle Urkunden und Bescheinigungen?"
Diana war erstaunt - würde sie denn ihren Namen und Adresse an einen Vogel
hängen, der außerhalb der Gesetze in ihrem Besitz wäre?
"Natürlich kann ich
das!" war ihre Antwort, die trotz der Erleichterung, daß der Falke noch am
Leben war, ziemlich schroff ausfiel.
"Na, dann bringen Sie
mal alle Papiere mit, ich sage Ihnen wo ich wohne und wie Sie mich finden
können. Wann haben Sie denn Zeit?" wollte der Mensch wissen. Diana fand
das eine dumme Frage, wünschte sie sich doch nichts sehnlichster, als ihren
Vogel so schnell wie möglich wieder bei sich zu haben.
"Wenn es Ihnen nichts
ausmacht, komme ich sofort." rief sie und sprang auch schon in ihr Auto,
um die fast einhundert Kilometer lange Fahrt anzutreten. Der Falke hatte die
eine Woche genutzt, um sich so weit wie möglich auf einer Zugroute
fortzubewegen.
Als Diana spät in der Nacht
bei dem Mann ankam, fand sie ein Haus in einer Siedlung und einen vehementen
"Vogelschützer" als Finder vor. Der arme Falke lag schwach in einem
Karton auf dem kalten Betonboden einer Garage in seinem eigenen Kot, der
"Vogelschützer" hatte noch nicht einmal ein wenig Gras oder Stroh
unter das Tier gelegt. Mit Tränen in den Augen nahm Diana ihren Falken in
Empfang - nachdem sie sich ausweisen und die Halter und Ursprungszeugnisse des
Tieres vorlegen mußte. Sharif war sehr schwach, schien aber doch mit Freude auf
dem Handschuh Platz zu nehmen.
"Wann und wo haben Sie
ihn denn gefunden?" fragte Diana den Mann. Dieser zuckte die Achseln.
"Samstag früh ist er
gegen das Fenster einer Schule geflogen, einer der Lehrer dort hat ihn zu einem
Vogelkundler gebracht, der dann mich angerufen hat. Samstag Abend war er bei
mir." Diana war immer blasser geworden, je weiter der Mann in seiner Rede
gekommen war.
"Warum haben Sie mich
nicht Samstag benachrichtigt?" wollte sie wissen. "In solchen Fällen
können Stunden über Leben und Tod eines Falken entscheiden!" Die barsche
Antwort sagte ihr genug, wes Geistes Kind der Mann vor ihr sei.
"Ich mußte erst
prüfen, ob Sie den Vogel auch zu recht besitzen, die Ämter sind natürlich über
das Wochenende geschlossen, deshalb habe ich Sie erst heute benachrichtigen
können, nachdem man mir gesagt hat, der Vogel sei OK." Diana war einer
Ohnmacht nahe - ihr Falke mußte leiden, weil jemand sich für einen verhinderten
Gesetzeshüter hielt? Warum hatte der Mensch nicht ihre Adresse notiert, ihr am
Samstag den Vogel zurückgegeben und am Montag dann bei den Behörden
nachgefragt?
"Wieviel schulde ich
Ihnen für den Tierarzt?" wollte sie wissen, es als gegeben annehmend, daß
bei Kenntnis der Tatsachen man davon ausgehen konnte, der Vogel habe eine
Gehirnerschütterung erlitten.
"Für uns Vogelschützer
ist der Tierarzt umsonst." meinte der Mann "aber ich habe ihn gar
nicht dem Arzt gezeigt, warum auch?"
"Sie können also nicht
ausschließen, daß das Tier seit Samstag früh eine Gehirnerschütterung hat - und
haben nichts unternommen?"
"Ich bin ein Gegner
jeder Art von Tierhaltung, das sollte Ihnen eine Lehre sein, mit der Falknerei
aufzuhören - was haben Sie eigentlich davon?" Diana zitterte fast vor Wut
über die Einstellung dieses Menschen. Für eine Amsel mit gebrochenem Flügel
wurde der Tierarzt bemüht, aber nicht für einen Falken - teuer geldlich und
ihrem Herzen nahe - weil dieser "Vogelschützer" gegen jede
Tierhaltung war? Unbegreiflich!
"Ich finde auch, daß
man diese Flugvorführungen und so weiter verbieten sollte - die Jugend kommt
dadurch nur auf dumme Ideen, Falken auszuhorsten. Und Zoos sind ja noch
schlimmer!" der Mann redete sich in Rage. Diana schüttelte den Kopf.
"Ich habe schon als
Kind für Pferde geschwärmt, doch kein eigenes besessen. Wenn ich auf
Reitturnieren zugesehen habe, habe ich trotzdem nicht danach das nächste Pferd
von seiner Koppel stehlen wollen! Sie werfen der Jugend Ihre eigenen abartigen
Ideen vor, die völlig unbegründet sind! Außerdem sind die Eltern dazu da, ihren
Kindern die Sachverhalte zu erklären!" Abrupt wendet sie sich ab und nahm
ohne ein weiteres Wort ihren Falken ins Auto und fuhr, innerlich noch immer
aufgewühlt über die Rede des Mannes nach Hause. Dort brachte sie dem Vogel ein
wenig Atzung und Wasser, was er auch zu sich nahm. Dann ließ sie ihn in der
Wärme der Wohnung bis zum nächsten Morgen.
Kaum war sie aufgestanden,
schaute sie nach Sharif, doch oh Schreck, der Falke sah viel schlechter aus,
als am Vortage. Vergeblich gab sie ihm Antibiotika und Kreislaufmittel, im
Laufe des Vormittags wurde er immer schwächer und tat seine letzten Atemzüge
gegen Mittag in den Armen seiner um ihn heiße Tränen weinenden Falknerin.
Als der erste Schmerz
gewichen war, bereitete Diana ihm eine würdige Ruhestätte in seiner Voliere und
beschloß, diesem "Vogelschützer" eine Lektion zu erteilen. Die für
die Haltung und Zucht von Raubvögeln verantwortlichen Behörden, über den
genauen Hergang der Dinge informiert, sagten ihr dann auch zu, sich einmal um
diesen Menschen zu kümmern, der erstens jegliche Sorge um die ihm anvertrauten
Tiere vermissen ließ, nur weil er die Falkner haßt, und der sich außerdem
Kompetenzen anmaßte, die ihm gar nicht zustünden. Die Frage, ob der Vogel legal
sei, ginge ihn nichts an, er könne lediglich die zuständigen Behörden
informieren, habe aber kein Recht, den Vogel "zurückzubehalten, bis die
Rechtslage geklärt sei", so wie er es getan hatte. Zwar nahm Diana Abstand
von einer Klage, doch erfreute es sie zu hören, daß dem Menschen seine
Verantwortung innerhalb seiner Vereinigung entzogen worden war. Wenigstens war
ihr Sharif nicht umsonst gestorben, waren nun die Verhältnisse zwischen den
"Vogelschützern" und den Behörden geklärt.
Einige Tage später erhielt
sie eine Einladung von einem Bekannten, der sie fragte, ob sie nicht Lust habe,
mit ihm eine zweiwöchige Jagdreise in die Mongolei zu unternehmen und dabei
auch die Beizjagd mit dem Adler anzuschauen. Das kam gerade zur rechten Zeit,
um sie von ihren traurigen Gedanken abzulenken! Noch am selben Abend rief sie
den Mann an, um mehr Informationen zu erhalten. Als die sympathische Stimme
sich am anderen Ende der Leitung meldete, erzählte Diana zuerst nach Austausch
einiger höflicher Formeln von ihrem Falken, dann kam sie zur Sache.
"Jules, wenn das nicht
nur ein schlechter Scherz von dir war, mich in die Mongolei einzuladen, dann
erläutere mir doch bitte ein wenig genauer deinen Plan."
Ihr Gesprächspartner versicherte, daß es ihm mit der
Einladung sehr ernst sei und fügte schließlich noch hinzu:
"Du mußt dich aber
schnell entschließen, denn ich muß die Reservierung bis Ende nächster Woche
vornehmen. Aber laß dir ein wenig den Ablauf der zwei Wochen erläutern: Wir
fliegen über Moskau nach Ulan Bator, von dort aus geht es per Jeep in die
weiten Steppen, wo wir bei Nomaden in einer Jurte wohnen werden. Diese werden
uns auch auf ihren Ponys mit zur Jagd nehmen. Die Adler werden außer auf Hasen
auch auf Füchse und eventuell sogar auf Wölfe geflogen, außerdem geht es auf
mongolische Steinböcke. Du mußt warme
Sachen mitnehmen, denn es wird um diese Zeit schon sehr kalt sein." Die
junge Frau zögerte keinen Moment mit ihrer Antwort.
"In Ordnung, Jules,
wenn mir sogar, wie du mir geschrieben hast, keinerlei Kosten entstehen, dann
komme ich mit. So ein Erlebnis bietet sich einem Menschen wie mir sicherlich nicht
noch einmal."
"Na, dann ist ja alles
geklärt" meinte ihr Telefonpartner. "Abflug ist in zehn Tagen, ich
hole dich morgens bei dir ab, dann erreichen wir gemütlich die Maschine nach
Moskau." Damit war das Gespräch beendet und Diana beeilte sich, alle Vorbereitungen
zu treffen, die für solch eine weite Reise notwendig waren. Zuerst versicherte
sie sich wieder der Hilfe Rogers, der versprach, sich während ihrer Abwesenheit
wie gewöhnlich um ihre Tiere zu kümmern, dann suchte sie ihre dicksten
Wintersachen aus den Koffern auf dem Boden und verständigte ihr Büro, daß sie
bald für zwei Wochen abwesend sein würde. Am Morgen des Reisetages war Diana
schon sehr früh auf den Beinen und versorgte ihre Tiere. Für jedes hatte sie
noch ein paar Leckerbissen mitgebracht und verteilte diese nun an die Pferde,
Hunde und Frettchen. Auch die Falken erhielten noch ein paar Fleischstücke
extra. Wenig später erschien Roger und Diana übergab ihm die Schlüssel zu ihrem
Haus und den Nebengebäuden. Der Morgen graute gerade, als ein grüner Landrover
in den Hof einbog. Diana verabschiedete sich von Roger, holte ihren Koffer und
eine kleine Tasche von den Stufen ihres Hauses und begrüßte den Fahrer des
Geländewagens. Dieser, ein schmaler Mann schon etwas vorgeschrittenen Alters
mit sympathischen Zügen, half ihr beim Verstauen ihres Gepäcks und ließ sie
dann einsteigen. Jules Moiré war ein alter Freund der Familie Erdei, der in
Ungarn oft mit Dianas Vater zusammen gejagt hatte, den aber seine vielfältigen
Geschäfte weit in der Welt herum brachten und der sich deshalb nur in sehr
großen Abständen bei der Tochter seines alten Freundes meldete. Diana sah in
ihm so etwas wie einen entfernten Verwandten, der ihrer Familie auch dann treu
geblieben war, als der Vater starb. Während der Fahrt wurde nur wenig
gesprochen, jeder bereitete sich innerlich auf den langen, anstrengenden Flug
und die Ankunft in dem fernen Land vor. Glücklicherweise war das Wetter schön
und keine Turbulenzen störten den gleichmäßigen Flug des großen Jets.
Schließlich kamen die Kuppeln des Kreml in Sichtweite und der große Stahlvogel
senkte sich langsam auf die Piste herab. Nach einigen Umständen beim Zoll
gelangten die beiden Reisenden endlich zu einem Taxi, welches sie in wenigen
Augenblicken zu ihrem Hotel brachte, in welchem sie die Nacht verbringen
wollten, bevor sie am nächsten Vormittag ihre Reise fortsetzten. Die Zimmer
waren zwar klein, aber gemütlich und auch das Essen mundete ihnen. Diana
bevorzugte die Speisen des jeweiligen Landes, in welchem sie sich befand und
schaute mit ein wenig Verachtung auf die Touristen, die sich egal, an welchem
Punkt der Erde sie sich befanden, panierte Schnitzel oder Pommes bestellten -
oder versuchten zu bestellen. Denn es war sicher, daß ihnen in der Jurte ihrer
Gastgeber keine dieser westlichen Genüsse geboten werden würden. Als sie am
nächsten Vormittag nach einem opulenten Frühstück wieder auf dem Flughafen
ankamen und Diana die Maschine sah, die für ihren Weiterflug vorgesehen war,
entfuhr ihr ein leiser Aufschrei.
"Was, mit diesem
Seelenverkäufer sollen wir bis ans Ende der Welt fliegen, über vollkommen
unbewohntes Gebiet, wo mit keiner Hilfe zu rechnen ist?" Der Mann an ihrer
Seite versuchte sie zu beruhigen.
"Ich bin schon mit
schlimmeren Blechbüchsen im Urwald geflogen oder in den Anden. Oft sind sie
besser als ihr Aussehen und besitzen einen zuverlässigen Motor und erfahrenen
Piloten." Aber so ganz geheuer war es ihm auch nicht, als er die kleine
Propellermaschine sah, die sie und noch einige weitere Passagiere, zumeist
einheimische Kaufleute, in die ferne Mongolei bringen sollte. Das Innere des
Flugzeugs war mehr als spartanisch eingerichtet. Einige Holzstühle waren auf
den Boden geschraubt, die Fenster waren zum Teil schmutzig, zum anderen Teil
blind und mit feinen Rissen durchzogen. Das Gepäck wurde in einem kleinen
Holzverschlag verstaut und die "Küche" bestand aus einer
Kaffeemaschine, die aussah, als ob sie schon zu Zarenzeiten existiert hätte und
mit der die einzige Stewardeß versuchte, ein wenigstens einigermaßen trinkbares
Gebräu herzustellen. Zu den Mahlzeiten gab es nur einige belegte Brote, die mit
fortschreitender Flugdauer immer mehr eintrockneten. Diana schien dies alles
nichts auszumachen, sie versuchte immer wieder einen Blick aus den schmutzigen
Scheiben auf die herrliche, wilde Landschaft zu werfen, die sich unter ihnen
ausbreitete. Nach vielen Stunden, die auf den ungemütlichen Sitzen zu einer
wahren Tortur ausarteten, landeten sie sicher auf dem Flugplatz von Ulan Bator.
Dort erwartete sie der einheimische Führer mit seinem uralten Lastwagen. Zu
ihrem Erstaunen sprach er außer der Landessprache auch gebrochen Französisch.
Auf eine diesbezügliche Frage Dianas antwortete er nur lakonisch:
"Ich leben fünf Jahr
Franzosenland, riesige Stadt, immer große Heimweh nach weite Steppe - voilá ich
wieder nach Hause!" Diana konnte sich ein leichtes Lächeln nicht
verkneifen, aber im Grunde ihrer Seele mußte sie dem Mann zustimmen, war doch
auch sie ein Naturkind und fiel es ihr schon immer schwer, nur zum Einkaufen in
die Stadt zu fahren und sich dort im Menschengetümmel zu bewegen. Hier bestand
solche Gefahr nicht! Als sie die alte und geschichtsträchtige Stadt hinter sich
gelassen hatten, empfing sie die unendliche Weite der Steppe. Ein eisiger Wind
peitschte die wenigen Sträucher und wirbelte kleine Staubfahnen vor sich her.
In der Ferne sah man manchmal Herden von Schafen, von Hirten auf ihren kleinen,
zottigen Ponys bewacht. Der Fahrer brachte den klapperigen Lastwagen auf den
unmöglichsten Pfaden sicher zu ihrem Ziel, einem kleinen Dorf, oder besser
gesagt, eine Ansammlung ärmlicher Hütten und Jurten, weitab von jeglicher
Zivilisation. Der Dorfälteste, zumindest hielt ihn Diana dafür, begrüßte sie
mit einem unverständlichen Wortschwall und reichte ihnen zum Zeichen des Willkommens
Brot und Salz. Danach führte er sie zu einem sauberen Jurte am Ende des Dorfes.
Als sie die bunt bemalte Holztür öffneten, erschien eine junge Frau aus dem
Innern der Jurte und erklärte ihnen mit weit ausladenden Gesten, daß dies nun
ihr Zuhause sei. Diffuses Licht fiel durch die Öffnung im Dach, die zugleich
auch als Rauchabzug diente und tauchte das Innere in ein fast magisches Licht.
Decken und Teppiche bedeckten Wände und Boden, zwei Lagerstätten aus Holz mit
Wolfsfellen bedeckt dienten zum Schlafen und eine geschnitzte Holztruhe nahm
ihre Reiseutensilien auf. Schon bei ihrer Ankunft im Dorf hatte Diana drei
riesige Steinadler vor den Hütten auf Holzrecks sitzen sehen, daneben mehrere
Sakerfalken auf ihren Blöcken. Kaum hatten sie sich ein wenig erfrischt, so kam
ihr Führer um ihnen mitzuteilen, daß der Dorfälteste sie zum Abendessen bei
sich eingeladen habe. Am nächsten Morgen sollte es dann mit Ponys und Adlern
auf die Jagd gehen. Das Abendessen in der erstaunlich sauberen und ordentlichen
Hütte des alten Mannes und seiner Familie war zwar ungewohnt, aber die Stimmung
war gelöst und die beiden Reisenden hatten nicht das Gefühl, als Fremde
angesehen zu werden. Früh verabschiedeten sie sich, um ein wenig Schlaf zu
finden, denn der Abritt war auf die Zeit des Morgengrauens festgesetzt worden.
Diana schlief traumlos und entspannt bis ein leises Klopfen an der Tür der
Jurte sie aufweckte.
"Schon Zeit?"
fragte sie verschlafen und die Stimme ihres Führers antwortete durch die Tür.
"Frühstück zehn Minuten,
dann Abritt!" Schnell weckte sie als ihren Begleiter, dessen Alter ihn
doch die Strapazen der Zeitumstellung, des unbequemen Fluges und der kurzen
Nachtruhe spüren ließ und pünktlich erschienen sie zu einem frugalen Frühstück
mit Pferdemilch und Brot, dazu gab es Dörrfleisch. Mißtrauisch beäugte Diana
die Farbe des Fleisches doch ihr Führer beruhigte sie, es war Lamm und nicht,
wie sie angenommen hatte, Pferdefleisch. Wenig später erhielten sie zwei
trittsichere Ponys, mausgrau das eine und falbfarben das andere. Beide, ebenso
wie die anderen Reittiere hatten schon ein ziemlich dickes Winterfell, Zeichen
dafür, daß die Kälte und der Schnee nicht mehr lange auf sich warten lassen
würden. Diana wählte für sich die Falbstute aus, Jules nahm den grauen Hengst.
Außer ihnen brachen noch drei Mongolen mit ihren Adlern auf, dazu mehrere
Helfer, die Packpferde neben ihren Reittieren führten und ihr Dolmetscher. Der
kleine Troß bewegte sich im flinken Trab auf eine entfernte Hügelkette zu, dort
sollte es Hasen geben und auch Füchse waren dort wahrscheinlich zu finden. Die
Jäger trugen ihre schweren Adler auf der Faust, hatten aber ein Holzgestell,
welches auf dem Sattel ruhte und es ihnen ermöglichte, den Arm ausruhen zu
können. Der jüngste der Jäger mochte etwa zehn Jahre zählen, der älteste war
ihr Gastgeber vom Vorabend. Als einmal kurz Rast gemacht wurde, um die Pferde
zu tränken, bat Diana den Führer, ihre Fragen dem Jungen zu übersetzen.
"Ich möchte wissen,
wie alt er ist, ob er den Adler selbst abgerichtet hat und welche Beute er
schon gefangen hat." Der Führer unterhielt sich längere Zeit mit dem
Jungen, dann erklärte er:
"Ali ist elf Jahre alt
und er hat den Adler seit zwei Jahren. Er hat ihn selbst gefangen, gezähmt und
abgerichtet. Er hat schon Hase, Fuchs und Wolf damit gefangen!"
"Kaum zu
glauben!" entfuhr es der jungen Frau, die wohl wußte, wie gefährlich die
Jagd auf den Wolf für Jäger und Adler war. Sie hatte schon Bilder von Adlern
gesehen, denen ein Fuß fehlte, weil der Falkner nicht schnell genug zur Stelle
war und der Wolf mit seinen mächtigen Kiefern das Glied des Greifes abgebissen
hatte und wußte auch, daß mancher unerfahrene oder unvorsichtige Adler das
Duell nicht überlebte. Und auch der Jäger konnte schwere Verletzungen
davontragen, wenn er nicht genügend aufpaßte. Aber dieser Junge hier, der wohl
auch Reiten zur gleichen Zeit wie Gehen gelernt hatte, schien nichts dabei zu
finden, sich diesen Gefahren auszusetzen. Mit beeindruckender, natürlicher
Selbstverständlichkeit begleitete er die älteren Jäger und schien die Erfahrung
tausender Jahre Geschichte in sich zu vereinigen. Stolz trug er den mächtigen
Adler, der ruhig unter seiner Lederhaube auf der Faust des Jungen saß und
zeigte kein Anzeichen von Ermüdung. Der Wind frischte nun auf und strich kalt
über das Hochplateau, welches sie in stetiger Richtung auf die vor ihnen
liegenden Höhenzüge überquerten. Da es zu anstrengend war, gegen den Wind zu
sprechen, begnügte sich Diana damit, die herrliche Landschaft zu bewundern und
jeden neuen Eindruck tief in ihrem Innern festzuhalten. Majestätisch ragten die
schneebedeckten Gipfel vor ihnen auf und die Luft war spürbar dünner geworden.
Endlich langten sie an den Vorbergen an und ließen ihre Blicke suchend über das
Gelände schweifen. Lange Zeit geschah nichts, doch plötzlich hielt einer der
Jäger ruckartig sein Pony an und deutete nach vorn.
"Ein Fuchs!"
übersetzte der Dolmetscher leise, um das hellhörige Tier nicht zu
verschrecken. Auch die anderen hatten
ihre Reittiere zum Stehen gebracht und schauten nun aufmerksam in die
angegebene Richtung. Reineke befand sich wohl auf Futtersuche, denn er strich
ruhelos durch die trockenen Gräser. Auf einen Wink des ältesten Jägers hin,
nahm Ali seinem Adler die Haube ab und gab die Fesseln frei. Der Greif schaute aufmerksam
in die Runde, schüttelte sein herrliches Gefieder und schwang sich mit einem
kräftigen Schlag seiner breiten Schwingen in die klare Luft hinaus. Auch er
hatte natürlich mit seinen scharfen Augen, deren Blick nicht die kleinste
Bewegung in der weiten Runde entging, den Fuchs ausgemacht und steuerte auf
seine Beute zu. Als der Fuchs den Schatten, der sich ihm von hinten näherte,
über sich bemerkte, war es für ihn schon zu spät. Zwar wirbelte er noch
blitzschnell herum und richtete sich keifend und mit gefletschten Zähnen gegen
den Angreifer auf, doch war der Adler erfahren in seiner Jagdtechnik und griff
den Fuchs sofort mit beiden Fängen am Kopf. Auf dem Boden wirbelten Raubvogel
und Beute noch einige Male herum und überschlugen sich, aber der Greif hatte
seine Beute fest gepackt und ließ sich nicht abschütteln. Bald schon erlahmte
der Widerstand des Fuchses, dann war es zu Ende. Inzwischen war auch der junge
Falkner auf seinem Pony herangekommen und stand mit gezücktem Jagdmesser
bereit, seinem Adler eventuell beizustehen, doch war diese Vorsichtsmaßnahme
heute unnötig, der Fuchs war verendet. Diana gratulierte dem stolzen Jungen als
erste, dann kamen auch die anderen an die Reihe. Alis rundes Jungengesicht
strahlte vor Freude, als die junge Frau ihm ein kleines Geschenk überreichte.
Mit Hilfe des Dolmetschers dankte sie ihm für das wunderbare Jagderlebnis und
beglückwünschte ihn zu seinem so gut abgerichteten und mutigen Adler. Der Junge
bedankte sich für das Geschenk und fragte, ob sie auch einen Adler besitze.
"Nein, Ali, ich habe
zuhause nur Falken und jage hauptsächlich auf Fasanen, Enten und Krähen mit
ihnen. Ich muß zugeben, ein Adler ist mir zu groß, auch habe ich keine
Möglichkeit, ihn bei mir korrekt abzurichten. Und dann haben viele Menschen
Angst – ich muß zugeben, nicht ganz zu Unrecht – wenn sie einem frei fliegenden
Steinadler begegnen. Aber hier, in dieser grandiosen Natur war es ein
wunderbares Erlebnis, deine Jagd verfolgen zu dürfen." Der Junge nickte
freundlich, als der Dolmetscher ihm die Worte der jungen Frau übersetzt hatte.
"Vielleicht haben wir
Glück und du kannst eine noch ganz andere Jagd erleben!" meinte er dann
zuversichtlich. "Man hat uns gemeldet, daß ein paar Wölfe hier
herumziehen, wenn wir sie zu Gesicht bekommen, dann wirst du eine Jagd erleben,
wie noch nie zuvor!" Dann wendete er sich ab, um seinen Adler, der
inzwischen genug von seiner Beute gekröpft hatte, wieder auf die Faust zu
nehmen. Den Fuchs hängte er sich über den Sattel, dann verhaubte er seinen
Jagdgefährten wieder und stieg auf. Die kleine Karawane setzte sich wieder in
Bewegung und sie begannen in die Vorberge einzudringen. Dort lag an einigen
geschützten Stellen Schnee und die Reiter mußten aufpassen, daß ihre Ponys
nicht auf einem der zugeeisten Rinnsale ausglitten, die allenthalben zu
überqueren waren. Doch erwiesen sich die hier geborenen Pferdchen als
ausgesprochen trittsicher und vorsichtig. An einer windgeschützten Stelle wurde
eine kurze Rast eingelegt und das mitgeführte Essen verzehrt. Dazu gab es
heißen Tee und auch Schnaps zum aufwärmen. Später überquerten die Jäger dann
vorsichtig ein weites Schneefeld, wobei die kleinen Pferde manchmal bis zum
Bauch im Schnee steckten, dann gelangten sie in ein weiteres Tal, welches sich
tief eingeschnitten zwischen hohen Felswänden hinzog. Auf der
gegenüberliegenden Seite des Tales bemerkten die scharfen Augen ihres Führers
dann mehrere graue Schatten, die gemächlich in Richtung Ausgang des Tales
zogen.
"Die Wölfe!"
meinte der Führer und Diana ergriff plötzlich ein undefinierbares Gefühl. das
war kein Jagdfieber, denn sie selbst jagte ja heute nicht, das war auch keine
Angst, weder für sich selbst, noch für die anderen, aber eben doch eine gewisse
Unruhe, die ihre Hände in den dicken, gefütterten Lederhandschuhen zittern ließ
und ihre Schauer über den Rücken jagte. Was nun kam, würde sie ihr Leben lang
nicht mehr vergessen. Der eine Jäger ließ sein riesiges Steinadlerweib frei und
feuerte es mit heiseren Ausrufen an. Der mächtige Greif schwang sich hoch in
die Lüfte und nahm Richtung auf das von ihm ausgewählte Tier, einen riesigen
Wolf, der etwas abseits von den anderen einhertrottete. Schon als der Adler
Richtung auf die Wölfe nahm, hatten die einheimischen Jäger ihre Ponys in Trab
gesetzt und waren dabei, die Talsohle zu überqueren, als der Adler seine Beute
erreichte. Der Wolf wurde zwar ebenso überrascht, wie vorher der Fuchs, doch
erwies sich seine Gegenwehr von einem anderen Kaliber, als die des kleinen
Roten. Der Adler hielt mit seinen kräftigen Klauen Kopf und Schnauze des Wolfes
fest, konnte ihm aber keine tödliche Verletzung zufügen. Wie von Sinnen rannte
der Wolf mit seinem Angreifer umher und versuchte ihn abzuschütteln. Der Adler
hatte seine liebe Not, den Griff zu behalten und schlug mit seinen mächtigen
Schwingen im Versuch, immer über seiner Beute zu sein. Nun hatten auch die
anderen Wölfe gemerkt, was sich hinter ihrem Rücken abspielte und nahmen
Richtung auf die Kämpfenden. Der erste Jäger ließ sein Pony angaloppieren, um
seinem Adler so schnell wie möglich beistehen zu können, während die anderen
Reiter sich zwischen ihn und die Wölfe schoben. Diese, als sie nun die Menschen
gewahrten, blieben verdutzt stehen und ließen sich von den Reitern in Richtung
Talausgang abdrängen. Inzwischen war der Besitzer des Adlers bei seinem Tier
angelangt. Er sprang, schon mit gezogenem Jagdmesser, von seinem Pony, rief
seinem Adler einige beruhigende Worte zu und versuchte dann, bei dem noch immer
sich wie wild wehrenden Wolf den tödlichen Stich anzubringen. Beim zweiten Male
gelang ihm dies auch, obgleich er einige Kratzer abbekam. Diana und ihr
Begleiter hatten mit angehaltenem Atem auf Anraten ihres vorsichtigen
Dolmetschers auf der gegenüberliegenden Talseite das Ende der Jagd abgewartet.
Nun kamen sie zu den Jägern geritten, die inzwischen die anderen Wölfe
vertrieben hatten. Erst als sie aus dem Sattel stieg, merkte sie, wie sehr ihr
dieses Erlebnis zugesetzt hatte. Ihre Knie zitterten und sie mußte sich
unauffällig am Sattel festhalten und einige Sekunden verstreichen lassen, bevor
sie dem Jäger gratulieren konnte. Nun sah sie auch, wie riesig der Wolf war,
der nun ausgestreckt vor ihr lag, während der Besitzer des Adlers sein Tier mit
von ihm mitgebrachtem Fleisch atzte. Als Diana fragend auf die Wunden an seinem
Arm deutete, meinte er nur stolz lächelnd:
"Kampfspuren sind
ehrenvoll!"
"Aber will er sie denn
nicht wenigstens desinfizieren?" fragte Diana erstaunt. Daraufhin erklärte
ihr der Dolmetscher, daß die hiesigen Menschen ihre eigenen Methoden zur
Wundversorgung hätten, denn weder hätten sie die Gelegenheit, an die hier sehr
teuren Medikamente zu kommen, noch würden sie ihre uralten, von Familie zu
Familie übermittelten Naturheilrezepte verleugnen. Die Wirksamkeit dieser
Methoden mußte auch Diana zugeben, denn die Menschen hier wurden zum Teil
steinalt. Natürlich hatten sie hier auch keine Ahnung von Streß und anderen
Begleiterscheinungen der modernen Zivilisation. Sie lebten ihr Leben im
Einklang mit der Natur, denn nur selten verirrten sich Fremde hierher. Die
Reiter bestiegen wieder ihre Ponys, dann ging es auf den beschwerlichen
Heimweg. Noch nie war Diana eine Jurte ohne jeglichen westlichen Komfort so
gemütlich erschienen, als sie am späten Abend von ihrem braven Reittier glitt
und sich so, wie sie war, ungewaschen und in ihren staubigen Kleidern, auf die
Felle ihrer Bettstatt warf. Innerhalb von Sekunden war sie in einen tiefen,
erholsamen Schlaf gefallen und ihrem Begleiter ging es nicht anders. Nach
einiger Zeit weckte ihr Führer sie und meinte, daß Abendessen sei angerichtet
und sie mögen doch bitte kommen, da die Leute ohne ihre Gäste nicht mit dem
Mahl beginnen wollten.
"In ein paar Minuten
kommen wir" murmelte schlaftrunken die junge Frau, dann bürstete sie sich
ihre roten Locken, klopfte sich ein wenig den Staub aus der Kleidung und wusch
sich mit dem kalten Wasser, welches in einer Schüssel auf dem Boden stand,
Hände und Gesicht.
"Wir wollen unsere
Gastgeber nicht noch länger warten lassen." meinte sie dann zu ihrem
Begleiter, der sich auch sporadisch säuberte. Sie gingen dann die wenigen
Schritte zu der anderen großen Jurte. Dort empfing sie die versammelte
Jägerschar. In einem Kessel dampfte die wohlriechende Abendmahlzeit und die
Schnapsflasche ging von Mund zu Mund. Da nun auch die Gäste angekommen waren,
wurde schnell das Essen verzehrt, bevor der gemütliche Teil des Abends begann.
Plötzlich fühlte sich auch Diana wieder munter, denn es wurden Geschichten
erzählt von Jägern und Jagden, aber auch Legenden ihres Volkes kamen nicht zu
kurz. Die etwas holperigen Übersetzungen des Dolmetschers nahmen den
Geschichten zwar viel von ihrem ursprünglichen Charme, dennoch genoß Diana jede
Minute des Abends. Kurz bevor sie für diesen Tag endgültig zu Bett gehen
wollten, kam Ali zu ihr und überreichte ihr eine kunstvoll gearbeitete
Lederhaube für einen Adler.
"Ich weiß, daß du
keinen Adler hast," ließ er sie wissen, "aber diese Haube habe ich
selbst gefertigt, sie soll dir ein Andenken an deinen Aufenthalt hier sein und
ein Ausdruck meines Dankes für dein schönes Geschenk an mich!" Damit
verbeugte er sich tief vor der jungen Frau und verschwand aus der Jurte. Diana
war gerührt von dem Geschenk und beschloß, dem Jungen noch eine Freude zu
machen. Sie wußte, daß ein Geldgeschenk weder akzeptiert worden wäre, noch
hätte der Junge damit viel anfangen können, so beschloß sie, sich zu
erkundigen, was denn sein größter Herzenswunsch sei.
"Ali hat keine großen
Wünsche und Träume!" wurde sie vom Dolmetscher beschieden. "Er
besitzt alles, was er braucht, ein Pony mit Sattel und Zaum, seinen Adler,
genügend zu Essen und eine Familie, die ihn liebt. Was willst du mehr?"
Diana wußte darauf nichts zu antworten, denn sie fühlte, das war die Wahrheit,
der Junge war wunschlos glücklich. Plötzlich fiel ihr doch noch etwas ein:
"Wenn ich die Fotos
habe, die wir gemacht haben, werde ich ihm ein Album kaufen und es ihm mit den
Fotos schicken. Zum Andenken an diese Jagd!" rief sie aus. "Nur, wie
kann ich sicher sein, daß er das Album auch erhält?" Doch da wußte ihr Begleiter
Rat.
"Diana, schau, ich
komme weit herum und kenne viele zuverlässige Menschen. Wenn du das Album hast,
kannst du es mir nach Hause schicken, ich nehme es dann auf meiner nächsten
Reise mit gebe es einem Vertrauten zu treuen Händen, der es dem Jungen
persönlich geben wird. Und damit du ganz sicher sein kannst, daß Ali es auch
erhält, soll er dem Überbringer etwas für dich mitgeben, was mit dem heutigen
Tag in Zusammenhang steht, etwa die Lunte eines Fuchses."
"Danke, Jules, ich
nehme gerne deine Hilfe an und hoffe, daß das Album so in die Hände des Jungen
gelangen wird." meinte Diana zufrieden.
"Da kannst du ganz
sicher sein." beruhigte sie ihr Begleiter. Dann gingen sie zurück zu ihrer
Jurte und legten sich schlafen. Am nächsten Morgen ging es dann mit dem Gewehr
auf die eigentliche Jagd. Oft mußten die Jäger wie Gemsen klettern, um auf der
Pirsch an die Tiere heranzukommen. Jules zeigte sich trotz seines Alters in
ausgezeichneter Form und Diana mußte zugeben, daß sie sich etwas überschätzt
hatte. Was waren all ihre bisherigen Klettertouren an diesen hier gemessen?!
Die Luft war dünn, es wehte ein eisiger Wind und sie mußten wahre alpinistische
Künste vollbringen, bis sie endlich zum Schuß auf die Steinböcke kamen. Doch
die Jagdausbeute war zufriedenstellend und so kehrten sie glücklich nach einem
bewegenden Abschied von ihren freundlichen Gastgebern in die Heimat zurück.
Nach einiger Zeit gelangten dann auch das Album mit den Fotos zu Ali, der sich
mit einigen Zeilen in seiner Sprache und dem ausgemachten Erkennungszeichen bei
der jungen Frau bedankte. Diese hatte sich wieder mit ihrem alltäglichen Trott
abgefunden und so verging die Zeit.
Es war ein wunderschöner
Herbstmorgen, als Diana wie üblich ihr Pferd sattelte und sich auf einen
kleinen Spazierritt vorbereitete. Der Wald erstrahlte in seinen schönsten
Farben, die Blätter spielten in allen Farben von hellgelb bis dunkelbraun. Eine
leichte Brise wehte durch die Wipfel und ließ die schon losen Blätter tanzend
zu Boden gleiten. In flinkem Trab lief das Pferd über den weichen Waldboden und
Dianas Augen glühten vor Freude, als sie einen massigen Hirsch überraschte, der
sich, scheinbar vom Brunfttrieb angespornt, verspätet hatte. Langsam und
majestätisch verschwand er im dichten Unterholz. Der Weg wurde nun steiler und
auch schmaler und führte an einer kleinen Schlucht vorbei, die sich zu ihrer
Linken in felsigen Kaskaden, nur hier und da von einer sich im bloßen Gestein
festkrallenden Kiefer unterbrochen, bis zur Talsohle erstreckte. Von hier aus
hatte man einen herrlichen Panoramablick auf die umliegenden Berge und Täler,
die sich im Sonnenschein in ihrem Festtagskleid dem Auge des Betrachters
präsentierten. Auch Diana war vom Anblick der gewaltigen Natur tief beeindruckt
und obwohl sie hier oben schon oft gewesen war, bot sich ihrem Auge doch immer
wieder ein anderes Bild und es wurde ihr nie langweilig, die Aussicht zu
genießen. Verträumt überließ sie ihrem Pferd vertrauensvoll die Zügel, wohl
wissend, daß es nicht vom Wege abweichen würde.
Wie aus dem Nichts erklang
plötzlich eine böse Stimme zur Rechten Dianas.
"Scher dich weg mit
deinem Mistvieh, du blöde Kuh! Du verscheuchst mir ja das ganze Wild!"
Erschrocken war die junge Frau zusammengezuckt und auch ihr Pferd spitzte
verwundert die Ohren. Sie versuchte, den Sprecher ausfindig zu machen, doch
verwehrten ihr die Büsche den Blick auf den wütenden Jäger. So drehte sie nur
ihren schönen Kopf in Richtung auf den Mann und legte in einer sanften Gebärde
den Zeigefinger auf ihre Lippen, zum Zeichen, daß der Mann schweigen möge. Wie
oft hatte sie sich zu Pferd dem Wild bis auf wenige Meter nähern können, ohne
daß dieses von ihrem Anblick erschreckt davongestoben war! Aber mit seinem
Gebrüll hatte sich der Jäger selbst jeder Chance beraubt, an diesem Tag noch
Wild zu Gesicht zu bekommen. Langsamen Schrittes entfernte sich Diana auf dem
Weg.
Plötzlich durchbrach der
scharfe Klang eines Schusses die Stille! Er schien von rechts oben zu kommen,
wo das dichte Gesträuch jegliche Sicht verwehrte. Das Pferd erhielt einen
Streifschuß an der Kruppe, der es erschrecken und sich aufbäumen ließ. Diana
wurde brüsk aus dem Sattel geschleudert und stieß einen schrillen Angstschrei
aus, als sie sah, daß sie über den Rand des Weges fallen würde. Ihr Pferd wurde
durch diesen Laut noch mehr verunsichert, es machte einen großen Satz nach
vorne und trabte dann eilig auf dem ihm bekannten Weg nach Hause. Dumpf
trommelten die Hufe noch eine Zeit lang den Takt auf dem weichen Boden, dann
verklangen sie in der Ferne.
Noch im Fallen versuchte
Diana verzweifelt, sich an einigen vorstehenden Wurzeln zu halten, doch war ihr
Schwung zu groß und sie konnte keinen sicheren Griff anbringen. Entsetzt
krümmte sie sich im Vorgefühl des unvermeidbaren Sturzes in die Tiefe zusammen
und dachte an ihre Tiere, die sie wohl nie wieder sehen würde. Der Fall war
relativ kurz, was sie vor dem tödlichen Ausgang der Sache bewahrte, denn schon
nach wenigen Metern wurde die junge Frau durch einen kleinen Felsvorsprung
gebremst. Doch auch dies hatte schon genügt, da sie zwischenzeitlich mehrmals
auf spitze Steine aufgeschlagen war, ihr das Bewußtsein zu rauben. So lag sie
mit verdrehten Gliedern auf dem schmalen Grat, als der Jäger, der dies alles
verursacht hatte, sich über die Kante herunterbeugte, um zu sehen, ob es noch
etwas zu helfen gab. Da sie auf seine Rufe nicht reagierte, suchte er eiligen
Schrittes sein Auto auf, wo er sein Telefon gelassen hatte. In wenigen Worten
schilderte er den Unglücksort, vermied es jedoch, seine Rolle bei dem Vorfall
genauer zu beschreiben. So wurde der Sturz in den Büchern des Krankenhauses, in
welches die Verletzte nach viel zu langer Wartezeit auf einen Krankenwagen,
dessen Fahrer sich auf den Waldwegen mehrmals verirrte, bevor er endlich die
Unfallstelle erreichte, gebracht wurde, als einfacher Reitunfall deklariert.
Kurz bevor Diana das
Bewußtsein verlor, sah sie, wie Sharif sich auf leichten Schwingen aus dem
strahlend blauen Himmel zu ihr herab schwang und auf einem kleinen Felsbrocken
nicht weit von ihr entfernt aufblockte.
"Wie kann ER denn
hiersein?" wunderte sich Diana noch, "er ist doch in meinen Armen
gestorben und ich habe ihn eigenhändig beerdigt!" Dann schwanden ihr
endgültig die Sinne. Und doch hörte sie jetzt die Stimme ihres Falken ganz nah.
"Diana, du mußt leben,
damit du uns Tiere weiterhin beschützen und pflegen kannst!" Verblüfft
schaute Diana auf ihren Beizvogel, der mit ganz natürlicher, menschlicher
Stimme zu ihr sprach. Oder verstand SIE jetzt etwa die Sprache der Tiere? Sie
gab es auf, sich darüber zu wundern und fragte ihren Falken mit zarter Stimme:
"Bin ich denn so
wichtig für euch Tiere? Es gibt doch auch noch andere Menschen, denen das Wohl
der Tiere am Herzen liegt?"
"Ja, aber weder genug,
noch von der richtigen Sorte!" bekräftigte der Falke und schüttelte seine
Schwingen. "Aber komm, ich werde dich zuerst auf eine weite Reise
mitnehmen, damit du wieder Freude am Leben gewinnst!" Er stieß einen
schrillen Schrei aus und zwei dunkle Schatten stießen aus dem Himmel herab, die
sich als zwei gewaltige Adler entpuppten. Sie nahmen Diana bei den Schultern
und den Beinen und obwohl ihre Klauen nadelspitz waren, spürte Diana nicht den
leisesten Schmerz. Die beiden Vögel trugen sie in die Lüfte hinauf und Sharif
bewachte ihren Flug. Höher und höher ging es hinauf, bis die Sonne so gleißend
vom Firmament schien, daß Diana die Augen schließen mußte und so über Richtung
und Ziel ihrer Reise im Unklaren war.
Nach einer schier endlosen
Zeit spürte sie, wie sich die beiden Greife langsam senkten und sie wurde
vorsichtig auf einer weichen Unterlage abgesetzt. Als sie die Augen öffnete,
sah sie eine sich fast endlos hinziehende, blumenbedeckte Wiese, durch die ein
kleiner Bach seinen verschnörkelten Lauf zog. In der Ferne, fast unsichtbar im
blauen Dunstschleier, befand sich ein wunderschönes Schloß, dessen Türme und
Türmchen glänzend weiß in den Himmel ragten. Diana rieb sich verwundert die
Augen. Träumte sie? War es Wirklichkeit? Oder gar etwas zwischen diesen beiden
Dingen? Die beiden Adler jedenfalls waren wie durch Zauberhand verschwunden.
Nur ihr treuer Falke saß neben ihr. Seine dunklen Augen ruhten wissend auf
ihrem Gesicht, in welchem sich deutlich alle diese Fragen widerspiegelten.
"Herrin, du darfst
dich über nichts wundern, was du hier siehst oder erlebst! Du bist in einer
Welt, die nur für dich existiert. Sie ist aus deinen Träumen und Wünschen
gewebt und ich werde darin dein Führer sein!"
Diana schaute an sich
herunter und sah, daß sie noch immer ihre Reitkleidung anhatte, mit der sie auf
den verhängnisvollen Ritt gegangen war. Ihre Bluse war zerrissen und blutig,
ebenso die hellen Hosen. Nur ihre Stiefel hatten den Sturz scheinbar
unbeschadet überstanden. Dennoch fühlte sie keinen Schmerz und als sie sich nun
aufrichtete wunderte sie sich über die Leichtigkeit ihrer Bewegungen. Sie
streckte ihren Arm aus und der Falke ließ sich darauf nieder. Und obwohl ihre
zarte Haut durch keinen Lederhandschuh geschützt war, verletzten die scharfen
Krallen des Vogels sie nicht.
"Wenn du mein Führer
bist," begann sie, noch immer höchst verwundert über die Dinge, die hier
geschahen, "so sage mir auch, wohin der Weg führt, den ich hier
sehe." Denn tatsächlich fand sie wenige Meter von ihrem Lagerplatz
entfernt einen staubigen Feldweg, der sich am Bach entlangschlängelte und in
der Unendlichkeit der Ferne verlor. Der Falke erhob sich in die Lüfte und zog
mit kräftigem Flügelschlag davon. Nach einer kleinen Weile kehrte er zurück und
berichtete:
"Der Weg führt
geradewegs zum Schloß, Herrin! Ich glaube, wir sollten ihm folgen." Diana
war schon einmal aufgefallen, daß der Greif sie mit "Herrin" anredete
und so wollte sie genauere Auskunft haben.
"Sharif, warum
titulierst du mich mit "Herrin"? Du weißt genau, daß unser Verhältnis
zueinander ein viel Näheres war. Ich liebe es nicht, über Tiere zu "herrschen"
vielmehr sollen sie gleichwertige Partner und Freunde sein. Ich hoffe, du hast
unser Verhältnis damals, in jener anderen Zeit so verstanden?" Der Falke
nickte kurz mit seinem edlen Kopf.
"Natürlich, Diana! Und
alle Tiere sind dir sehr dankbar für deine Einstellung! Aber hier bist du die
Herrin, ich dein Führer und Berater. So wollen es die hiesigen Gesetze!"
Kopfschüttelnd fand sich
Diana mit dieser Antwort ab. Der staubige Pfad schien kein Ende zu haben, denn
schon lange hätten sie das Schloß erreichen müssen und doch lag es noch immer
in weiter Ferne. Die Sonne brannte heiß hernieder und nur der kleine Bach
brachte etwas Kühlung. Von Zeit zu Zeit ließ sich die junge Frau an seinem Rand
nieder und trank einige Schlucke seines erfrischenden Wassers. Der Sakerfalke
hatte keine Flüssigkeit nötig, war er es als Wüstenvogel doch gewöhnt, seinen
Flüssigkeitsbedarf aus dem Blut seiner Beutetiere zu decken. So schritten sie
stundenlang dahin, der Falke nun wieder auf der Faust der jungen Frau, ohne
jedoch ihrem Ziel je näherzukommen. Plötzlich dachte Diana, wie gut es doch
sei, das Schloß noch vor Sonnenuntergang zu erreichen, damit sie ihrem Falken
noch einen angemessenen und sicheren Ruheplatz bereiten könne. Plötzlich schien
das Schloß wie auf unsichtbaren Rädern zu rollen und in wenigen Augenblicken
türmte sich die hohe Steinmauer mit dem schmiedeeisernen Portal vor ihnen auf.
"Können meine Wünsche
das bewirkt haben?" fragte sich Diana, doch blieb ihr zum weiteren Staunen
keine Zeit, denn ein in farbenprächtige Gewänder gekleideter Herold öffnete
ihnen das Tor.
"Tretet ein, Herrin,
der Herr erwartet euch schon!" erklärte er der verwunderten Frau. Wie
betäubt folgte sie ihm durch einen sorgfältig angelegten Park, in welchem sich
Blumenbeete mit weiten Rasenflächen abwechselten, Wasserspiele Kühle brachten
und Marmorstatuen an den Wegrändern auf sie herniederblickten, bis zu einer
riesigen Freitreppe aus schneeweißem Marmor. Nur aus den Augenwinkeln gewahrte
sie, daß sich der Park hinter dem gewaltigen Gebäude noch endlos fortzusetzen
schien, aufgelockert mit statuengeschmückten Fontänen und kleinen
Marmortempeln. Ihr ganzes Augenmerk galt jedoch dem Mann, der sie unter dem
mächtigen Vordach auf der obersten Treppenstufe erwartete. Der Herold
begleitete sie bis dorthin, nahm ihr den Falken von der Faust, verneigte sich
dann fast bis zum Boden und zog sich mit den Worten:
"Hier ist sie, Euer
Hoheit!" zurück.
"Seid willkommen in
meinem Heim!" sprach der Mann mit einer tiefen, wohlklingenden Stimme zu
der verwunderten Diana und ergriff ihre nicht gerade sehr saubere rechte Hand,
um sie an seine Lippen zu führen. Seine Geste und noch mehr sein Aussehen
verschlugen Diana die Sprache. Der Mann war noch jung und von hoher, edler
Gestalt. Sein männliches Gesicht umrahmte eine Fülle dunkler Locken und ein
gepflegter Bart zierte seine Oberlippe. Unter dichten Brauen schauten große,
ausdrucksvolle, dunkle Augen warmherzig in die Welt und eine edel geformte Nase
verlieh dem Gesicht einen harmonischen Gesamteindruck. Wo hatte Diana diesen
Mann schon einmal gesehen? Woher kannte er sie und warum begrüßte er sie mit
der unverhohlenen Freude einer lange erwarteten Besucherin? Plötzlich fiel es
ihr wie Schuppen von den Augen: Das war der Mann ihrer Träume! Der Mann, den
sie in ihren Nächten sah, nach dem sie sich schon immer gesehnt hatte, der ihr
aber nie hatte begegnen wollen! Und jetzt stand sie vor ihm, schmutzig und in
zerrissenen Kleidern! Und er schien hoher Herr, wenn nicht ein Prinz zu sein!
Zuerst wollte so etwas wie Scham die junge Frau befallen, doch war die
Begrüßung durch den jungen Man so herzlich, daß sie ihren Aufzug vergaß und
sich ganz dem Glücksgefühl hingab, welches sie erfüllte, seit sie erkannt
hatte, wer ihr Gastgeber war. Da sie schon in ihren Träumen mit ihm gesprochen
hatte, fiel es ihr leicht, sich seiner Sprache anzupassen.
"Seid gegrüßt Euer
Hoheit!" lächelte ihn Diana sanft an und versank in einem tiefen
Hofknicks, wie sie ihn vielleicht in einem alten Kostümfilm gesehen hatte. Doch
der junge Mann zog sie sofort wieder hoch.
"Nicht doch!"
protestierte er. "Ihr seid mir gleichgestellt. Doch kommt, tretet
ein." Damit ergriff er zart die Hand der jungen Frau und zog sie in die
riesige Empfangshalle. Dort war alles aus Marmor und edlem Holz. Erstaunt
schaute sich Diana um. Überall standen Diener in goldbetreßter Livree und
tausende von Kerzen warfen ihr warmes Licht in den Raum und ließen Schatten an
den mit Meisterwerken der Webkunst behangenen Wänden tanzen. Der junge Mann
führte sie wortlos durch die Halle zu einer riesigen Tür aus geschnitztem
Eichenholz. Auf seinen Wink hin öffneten zwei Diener die hohen Flügel der Tür
und gaben den Blick frei auf einen wunderschön eingerichteten Salon.
"Kommt, setzt Euch,
Diana, ich glaube, ich bin euch eine Erklärung schuldig." meinte der junge
Mann und leitete die junge Frau zu einem herrlichen Sessel auf dessen
Brokatbezug Jagdszenen eingewebt waren. Diana wunderte sich immer mehr: woher
kannte der Mann ihren Namen - und warum begrüßte er sie wie einen langersehnten
Gast? Aber sie nahm Platz und der junge Mann setzte sich in einen Sessel neben
sie. Auf einen leisen Wink von ihm brachte ein Diener eine Karaffe mit einem
golden glänzenden Wein und schenkte in zwei fein ziselierte Kristallgläser
etwas von dem königlichen Getränk ein. Dann zog er sich diskret zurück und
verschloß die große Tür lautlos hinter sich. Der junge Mann reichte Diana eines
der Gläser, nahm sich selbst das zweite und hob es zu einem Toast.
"Diana, ich trinke auf
unsere noch so junge und doch schon so lange andauernde Bekanntschaft und
hoffe, daß es Euch bei mir gefällt." Diana lächelte ihn freundlich an.
"Ich bin tief geehrt,
daß Euer Hoheit mich bei sich empfangen, auch wenn mir einige Dinge noch
unverständlich sind."
"Das ist mir klar und
darum werde ich Euch Aufklärung geben. Doch bitte, nennt mich nicht immer
>Euer Hoheit<."
"Leider kenne ich
Euren Namen nicht." warf Diana zaghaft ein. "Niemand hat ihn mir je
genannt." Da schüttelte der junge Mann den Kopf.
"Oh, doch, Ihr kennt
meinen Namen aus Euren Träumen. Erinnert Ihr Euch denn nicht mehr an den
Prinzen Eurer einsamen Nächte?"
"Inzwischen habe ich
Euch schon erkannt, doch Euer Name ist mir entfallen," schlug Diana scheu
die Augen nieder und versuchte sich an den Namen ihres Traummannes zu erinnern.
Plötzlich leuchteten ihre Züge auf.
"Ich hab's!" rief
sie froh aus. "Ihr seid Prinz
Philippe! Einer der wenigen Edelmänner vergangener Zeiten, die es sich zur
Aufgabe gemacht haben, das Edle der Jagd zu unterstreichen und gleichzeitig Respekt
vor der Kreation haben!" Der Prinz nickte lächelnd und trank seinem Gast
zu.
"Ich bin froh, daß Ihr
Euch an meinen Namen erinnert habt, denn ich hätte ihn Euch nicht selbst nennen
dürfen. So jedoch erlaube ich Euch, mich einfach Philippe zu nennen. Und jetzt
hört, was ich Euch zu erzählen habe." Er setzte das Glas wieder auf den
kleinen Tisch vor ihm ab und schaute Diana zärtlich an.
"Ich bin glücklich,
daß Ihr den Weg zu mir gefunden habt, denn nur die Macht Eurer Wünsche und
Träume konnte Euch hierher führen. So weiß ich, daß Ihr die gleichen Wünsche,
Träume und Ziele habt, wie ich. Wir leben in einem Land außer Raum und Zeit,
mit unseren eigenen Gesetzen und doch nicht so frei, wie es vielleicht den
Anschein haben mag."
"Aber wie bin ich denn
hierher gekommen?" wollte Diana wissen.
"Das ist nicht so
einfach zu erklären." meinte Prinz Philippe. "Dazu ist ein
Zusammenspiel vieler verschiedener Fakten nötig. Aber im Endeffekt hat Euch
Euer braver Falke mit Hilfe der beiden Adler in mein Reich gebracht, jedoch war
dazu auch die Hilfe Eurer Wünsche und Träume nötig." Diana schüttelte
fassungslos den Kopf. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie
so etwas geschehen konnte. Was war Realität, was Traum oder gar
Wahnvorstellung? War sie noch am Leben, lag sie in Fieberträumen oder war sie
gar gestorben? Sie konnte sich an nichts mehr erinnern, was vor ihrer Ankunft
in dieses wundersame Land geschehen war. Scheinbar mußten sich ihre Gedanken
auf ihrem Gesicht widerspiegeln, denn der junge Prinz nahm ihre schmalen Hände
in die seinen und hauchte einen zarten Kuß darauf.
"Ihr dürft nicht
darüber grübeln, Diana! Hier und jetzt ist die Wirklichkeit! Alles andere zählt
nicht! Lebt und seid glücklich! Ich will alles tun, was in meiner Macht steht,
um Euch Euren Aufenthalt hier so angenehm wie möglich zu gestalten." Und
als hätten seine Worte alle Zweifel bei Diana zerstreut, fühlte sie plötzlich,
wie sie ein unbeschreiblich schönes Gefühl überkam - hatte sie sich nicht immer
schon danach gesehnt, dem Mann ihrer Träume zu begegnen?
"Philippe, ich danke
Euch herzlich für Eure Güte und verspreche Euch, keine weiteren Fragen mehr zu
stellen. Ihr habt recht, ich werde das Jetzt und Heute genießen und bin froh,
daß Ihr mir Eure Gesellschaft anbietet."
"Dann kommt mit, ich
werde Euch Eure Gemächer zeigen und die Zofe, welche ich zu Euren Diensten
abgestellt habe." Diana konnte es noch immer nicht ganz fassen: Das war
wirklich ein königlicher Haushalt, in einem prächtigen Schloß inmitten einer
zauberhaften Landschaft - aber mitten im siebzehnten Jahrhundert! Doch hatte
sie versprochen, sich mit dem Schein abzufinden und so folgte sie dem Prinzen
wortlos, als er sich nun erhob und ihr seinen Arm bot. Er geleitete sie durch
prächtige Korridore, deren Böden mit herrlich weißem Marmor ausgelegt waren und
an deren Wänden hunderte Meisterwerke hingen, deren größter Teil Szenen aus der
Beizjagd oder Parforcejagd darstellte, viele aber auch Ahnenporträts waren. Der
Prinz hielt schließlich vor einer hohen Eichentür inne, die mit zierlichen Schnitzereien
geschmückt war und stieß sie auf.
"Oh, wie
herrlich!" entfuhr es der jungen Frau, als sie einen Blick in ihr Zimmer
werfen konnte.
"Ich freue mich, daß
es Euch gefällt." meinte Prinz Philipp. "Es war das Zimmer meiner
Mutter und wurde seit Ihrem Fortgang nicht mehr verändert." Diana fragte
sich, was er wohl mit <Fortgang> meinte. War seine Mutter verstorben -
starb man in dieser Welt überhaupt? - oder war sie nur an einen anderen Ort
gezogen? Statt dessen blickte sie nur auf den jungen Mann an ihrer Seite und
meinte:
"Ich fühle mich geehrt
und danke Euch sehr, daß Ihr mir das Zimmer Eurer Mutter zur Verfügung stellen
wollt. Ich werde mich sehr wohl darin fühlen." Und wirklich: das Zimmer
entsprach ganz ihren Vorstellungen. Die hohen Wände waren mit hellen
Seidentapeten bespannt, deren dezente Blumenmuster dem Zimmer einen
freundlichen Ton verliehen. Die hölzerne Decke war vom Alter gedunkelt und wohl
auch vom Rauch des hohen Kamins, der einen großen Teil der einen Längswand
einnahm, daneben gab es nur einen fein gearbeiteten Sekretär und einen
Betstuhl. An der anderen befanden sich ein wunderschönes Himmelbett mit einem
Baldachin aus feinster Seide und eine kleine Kommode. In der Mitte des Raumes
standen ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen und ein Sessel. Der Ausblick aus den
beiden hohen Fenstern, die sich in der Schmalseite des Raumes befanden, war
atemberaubend. Der junge Prinz stieß einen der Flügel auf und ließ die laue
Luft in den Raum fluten.
"Von hier aus könnt
Ihr über den Park hinweg bis in die Unendlichkeit schauen." sagte er zu
Diana, die staunend neben ihm stand und ihren Blick in die Ferne schweifen
ließ.
"Morgen früh reiten
wir zusammen aus, dann zeige ich Euch mein Reich aus der Nähe und später können
wir dann jagen, wenn es Euch Spaß macht."
"Selbstverständlich
macht es mir Spaß!" betonte Diana. "Ich bin gespannt auf Euren
Marstall und auch auf das Wild in Euren Wäldern. - Aber...."
"Was heißt -
Aber?" fragte der Prinz erstaunt. "Gibt es etwas, was Euch hindert,
meine Einladungen anzunehmen?" Die junge Frau schlug die Augen nieder.
"Meine Kleidung!"
stieß sie schließlich fast unhörbar heraus. "Ich besitze doch nur diese
zerrissenen Kleidungsstücke." Da nahm sie Philipp in seine Arme und
hauchte einen zarten Kuß auf ihre seidigen Haare.
"Aber das ist doch
kein Grund, Trübsal zu blasen, Diana! Schaut her, in dieser Truhe findet Ihr
alles, was Ihr benötigt - und sollte dennoch etwas fehlen, so braucht Ihr es
nur Eurer Zofe zu sagen, sie wird Euch dann den Rest besorgen!" Damit nahm
er eine kleine Glocke vom Tisch und schüttelte sie heftig. Auf den silberhellen
Klang kam fast sofort eine ältere Frau in Dienstbotenkleidung durch eine kleine
Seitentür in den Raum. Sie verbeugte sich ehrfürchtig vor dem Prinzen und
schaute erstaunt auf die junge Frau in den ihr unbekannten und dazu noch
zerrissenen Kleidern an seiner Seite.
"Ihr habt geläutet,
Euer Hoheit?"
"Ja, Marie. Ich stelle
dir hier Diana, deine neue Herrin vor. Vom heutigen Tage an wirst du ihr so
dienen, wie du einst meiner Mutter gedient hast. In Treue und Ehrfurcht!"
"Zu Diensten, Euer
Hoheit." knickste die Frau. "Wie soll ich die junge Dame
anreden?" Der Prinz wollte eben zu einer Antwort anheben, als ihm Diana
mit einer schnellen Geste Einhalt gebot.
"Nenne mich
Mademoiselle Diana." bat sie die Frau und diese knickste wieder.
"Zu Diensten
Mademoiselle Diana!" Dann zog sie sich auf einen Wink des Prinzen hin
diskret zurück.
"Aber das wäre doch
nicht nötig gewesen!" meinte Diana scheu zu dem Prinzen aufblickend.
"Ich kann mich sehr gut alleine versorgen!" Der junge Mann schüttelte
den Kopf.
"In meinem Reich
werdet Ihr mit den Euch zustehenden Annehmlichkeiten verwöhnt werden, Diana.
Ich weiß, daß Ihr eine sehr unabhängige und auf Selbständigkeit bedachte junge
Frau seid, doch hier ist das alles unwichtig. Ich biete Euch ein Leben in
Sicherheit und Geborgenheit, dazu gehört aber auch, daß Ihr Euch von mir
verwöhnen laßt. Wenn Ihr einen Wunsch habt, so braucht Ihr nur zu klingeln,
dann kommt Eure Zofe und steht Euch mit Rat und Tat zur Seite. Doch
jetzt..." er sah die junge Frau mit einem unbeschreiblichen Blick seiner
dunklen Augen an, "...doch jetzt ist es Zeit, Euch zur Ruhe zu begeben.
Der Tag war lang und mit vielen Aufregungen versehen, erholt Euch gut, dann
werden wir morgen früh auf Besichtigung meines Besitzes reiten." Damit
beugte er sich über die Hand der jungen Frau und hauchte einen leichten Kuß auf
die zarte Haut.
"Gute Nacht, mein
Glücksstern!"
"Gute Nacht, mein
Prinz!" hauchte Diana, bevor sich die Tür leise hinter dem jungen Mann
schloß. Dann fuhr sie sich mit ihrer kleinen Hand über die Augen. Was war nur
mit ihr los? Wie hatte das alles geschehen können? Doch eine kleine Stimme in
ihr meldete sich leise zu Wort und sagte ihr, daß sie nicht grübeln, sondern
alles einfach hinnehmen solle. Im Grunde genommen war dies auch die einzige
Möglichkeit, um sich bei klarem Verstand zu halten. Diana schlug also die Decke
von ihrem Bett zurück und gewahrte darunter ein Nachthemd aus feister Seide, so
leicht und duftig, wie von Feenhänden gewebt. Eine hübsche Blumenstickerei
verzierte den Halsausschnitt, die Bündchen an den Ärmeln und den Saum des
herrlichen Stückes. Sie nahm es auf den Arm und betrat das Waschkabinett, wo
schon ein Zuber mit heißem Wasser und die Zofe auf sie warteten.
"Mademoiselle Diana,
Euer Bad!" meinte die Frau und nahm Diana das Nachthemd ab. Als diese dann
in den Zuber stieg, brachte die Frau duftendes Badeöl und goß es in das Wasser,
welchem sogleich ein besonderer Wohlgeruch entstieg. Diana begann sich zu entspannen
und als die Zofe sie danach in ein großes, warmes Badetuch hüllte, spürte sie,
wie müde sie eigentlich war. Kaum hatte sie die flauschigen Kissen berührt, da
war sie auch schon eingeschlafen! Am nächsten Morgen betrat die Zofe leise das
Zimmer der jungen Frau und zog die schweren Vorhänge von den Fenstern zurück.
Helles Sonnenlicht durchflutete den Raum und ein vorwitziger Sonnenstrahl
kitzelte das Gesicht der Schläferin. Diana reckte und streckte sich, bevor sie
die Augen aufschlug und verwundert um sich schaute: Wo war sie? Was war das für
ein Raum und wer war die fremde Frau, die dort am Fenster stand?
"Guten Morgen,
Mademoiselle Diana, habt Ihr wohl geruht?" fragte die Frau und die
Erinnerung kam der jungen Frau zurück.
"Oh, Marie! Ja, vielen
Dank, ich habe sehr gut geschlafen!"
"Dann kommt, ich habe
schon alles vorbereitet für Euch! Hoheit erwarten Euch in einer halben Stunde
zum Frühstück!" Schnell war die junge Frau angekleidet. Als sie sich in
einem Spiegel sah, erkannte sie sich fast selbst nicht wieder, so veränderten
die Kleider ihr Aussehen! Sie trug einen weiten Reitrock aus flaschengrünem
Samt, eine weiße Bluse aus feinstem Leinen mit Rüschen an Halsausschnitt und
Ärmeln und darüber eine enganliegende Jacke aus dem gleichen Material, aus
welchem auch der Rock gefertigt war. Die Kleidung vervollständigten ein grüner
Hut mit Schleier und weiße Handschuhe. Diana wunderte sich ein wenig darüber,
wie gut ihr die Kleider paßten und auch die Farben waren geschmackvoll zu ihren
roten Haaren gewählt. Die Zofe hatte diese gebürstet, bis die Funken stoben und
dann in enge Korkenzieherlocken gelegt.
"Ich komme mir vor,
wie eine echte Prinzessin!" lachte die junge Frau und die Zofe nickte
zustimmend.
"Das seid Ihr doch
auch!" Zuerst wollte ihr Diana antworten, daß sie dies auf keinen Fall
sei, doch dann überlegte sie es sich anders. Wozu die gute Frau enttäuschen?
Vielleicht hatte sie der Prinz ja auch als edle Dame vorgestellt? Wie dem auch
sei, Diana schwieg und ließ sich von einem vor der Tür wartenden Diener in das
Frühstückszimmer führen, wo Prinz Philippe schon mit einem fürstlich gedeckten
Tisch auf sie wartete.
"Guten Morgen, Diana,
habt Ihr eine gute Nacht verbracht?" erkundigte sich der junge Mann, als
er auf Diana zukam und ihr wieder sanft die Hand küßte.
"Ja, ich habe sogar
ganz ausgezeichnet geschlafen!" nickte die junge Frau.
"Wie schön Ihr
ausschaut in diesen Kleidern!" bemerkte der Prinz, als er sie mit einem
schnellen Blick von oben bis unten musterte und Diana errötete bei diesem Blick
bis unter ihre roten Haare.
"Ich danke Euch für
das Kompliment. Da zeigt sich wieder die Wahrheit der Behauptung: Kleider
machen Leute!" lächelte sie verschämt, doch der Prinz schüttelte den Kopf.
"Ihr seid immer schön,
selbst in den zerrissenen Sachen, in welchen Ihr gestern hier angekommen
seid." flüsterte er leise und die junge Frau schlug die Augen nieder.
"Kommt, laßt und
frühstücken, die Pferde warten bereits ungeduldig auf unser Erscheinen!"
rief der Prinz dann fröhlich und führte seinen Gast an die Tafel. Nach einem
ausgiebigen Mahl, bei dem zwei Diener sie lautlos bedienten, geleitete der
Prinz Diana über die Freitreppe auf das Rondell, wo zwei Knechte schon mit den
Pferden warteten.
"Wie herrlich!"
entfuhr es Diana, als sie die beiden Hengste sah, die sichtlich aus edelster
arabischer Zucht stammten. Der eine war von einem tiefen Rostrot mit wallender
Mähne und Schweif in einem tiefen Goldton. Auf der Stirn trug er einen kleinen,
weißen Stern und auch die beiden Vorderfüße waren weiß. Der andere Hengst war von
einem glänzenden Schwarz, ohne jegliches weißes Abzeichen. Der Rappe trug einen
herrlichen schwarzen Sattel mit silbernen Beschlägen und auch am Zaumzeug
glänzte es silbern, die Satteldecke war aus weißem Brokat. Der Fuchshengst trug
einen aus Hirschleder hell gegerbten Damensattel auf einer grünen Brokatdecke,
die hervorragend zu Dianas Kleidern paßte.
"Ich habe für Euch
Harun al Raschid ausgewählt!" lächelte der Prinz und zeigte auf den
Fuchshengst. "Ich hoffe, er gefällt Euch?"
"Er ist
wunderbar!" rief Diana entzückt aus. "Ich hatte mir nicht träumen
lassen, daß Ihr so herrliche Tiere besitzt!" Der junge Mann schmunzelte
ein wenig.
"Immerhin kann ich es
mir leisten!" meinte er dann leise.
"Und wie heißt Euer
Hengst?" fragte die junge Frau neugierig.
"Sheitan - der
Teufel!"
"Ich hoffe, er wird
seinem Namen nicht gerecht - oder?"
fragte Diana den Prinzen, doch dieser lächelte.
"Nein, nein! Er heißt
nur so, weil er schwarz ist, wie die Hölle, wie die ewige Finsternis. Sein
Charakter aber ist genau das Gegenteil seines Namens." Damit ging er auf
Diana zu und hob sie mit einer leichten Bewegung in den Damensattel, bevor er
selbst auf dem Rappen Platz nahm. Die Knechte gaben die beiden Pferde frei und
die Reiter lenkten ihre Tiere auf einen Weg, welcher sich durch den Park
schlängelte. Seite an Seite ritten die beiden im gemütlichen Schritt einher,
was Diana Gelegenheit dazu gab, sich alles genau anzusehen. Der Prinz führte
sie so stundenlang auf seiner Domäne herum und zeigte ihr die schönsten Plätze.
Gegen Mittag lenkte er sein Pferd plötzlich in ein kleines Waldstück, welches
sie noch nicht durchquert hatten.
"Ich habe Euch eine
Überraschung vorbereitet!" sagte er zu Diana, als sie in das schattige
Halbdunkel einritten.
"Eine Überraschung?
Was ist es denn?" wollte Diana wissen, doch der Prinz schüttelte den Kopf.
"Ihr müßt schon noch
etwas Geduld haben, Diana! Gleich haben wir die Stelle erreicht, die ich Euch
zeigen möchte!" Diana folgte ihm also auf einem Pfad, der sich eng und
schmal durch dichtes Unterholz zog. Plötzlich erweiterte sich der Weg und die
Bäume traten zurück und gaben eine Lichtung frei, in deren Mitte sich ein
kleiner See befand, in dessen stillen Wassern sich ein winziger Tempel aus
weißem Marmor spiegelte, der an dem mit Blumen übersäten Ufer stand.
"Mein Gott, wie
herrlich!" rief Diana aus, als sie das wundervolle Bild gewahrte.
"Die Überraschung ist
Euch wirklich gelungen! Ich bin ja so glücklich, daß Ihr mich hierher geführt
habt!" rief sie überschwenglich aus.
"Es macht mich
glücklich, daß es Euch hier so gut gefällt!" meinte der Prinz leise.
"Um die Wahrheit zu gestehen, ich hatte Angst, Ihr könntet meinen
Lieblingsplatz nicht so lieben, wie ich es tue."
"Aber das ist doch
Unsinn!" rief Diana aus. "Wer könnte von diesem herrlichen Platz hier
nicht begeistert sein!"
"Es gab einige, die es
nicht waren!" dachte der Prinz, sprach dies aber nicht aus. Statt dessen
sprang er mit einem eleganten Satz von seinem Pferd und half Diana aus dem
Sattel. Dann verknotete er die Zügel über den Hälsen der Pferde, damit sie
nicht hineintreten konnten und ließ die beiden Hengste frei.
"Werden sie nicht
zurück ins Schloß laufen oder sich bekämpfen?" fragte Diana leise, doch
der Prinz schüttelte den Kopf.
"Keine Angst, sie
werden hier auf uns warten und sich auch nicht schlagen." Da war Diana
beruhigt und reichte dem Prinzen ihren Arm, als er sie darum bat.
"Tretet ein in mein
kleines Refugium!" sprach der Prinz feierlich und geleitete die junge Frau
über zwei Stufen in den kleinen Tempel. Dort befanden sich zwei Bänke aus
rosarotem Marmor sowie ein kleiner Tisch aus dem gleichen Material. Auf den
Bänken lagen Brokatkissen und über den Tisch war eine Decke aus feinstem Leinen
gebreitet. Die Öffnungen konnten mit schweren Brokatvorhängen, die kein Licht
von außen hindurchdringen ließen, geschlossen werden.
"Nehmt Platz!"
bat der Prinz Diana und als sich die junge Frau auf eine der Bänke gesetzt
hatte, ließ er sich neben ihr nieder.
"Warum habt Ihr mich
hierher gebracht?" flüsterte Diana, fast benommen von der Schönheit, die
sie umgab.
"Ich wollte sehen, ob
Ihr dasselbe fühlt, wie ich, wenn ich an diesen geheimnisvollen und wunderbaren
Ort komme." flüsterte der Prinz. "Und Ihr habt mich nicht
enttäuscht!" fügte er fast unhörbar hinzu. Dann näherte er sein Gesicht dem
der jungen Frau und ihre Lippen fanden sich zu einem ersten, liebevollen Kuß.
Diana war zuerst etwas überrascht, doch dann gab sie sich ganz der Süße ihres
ersten Liebeskusses hin. Wie oft hatte sie davon geträumt, daß der Prinz sie in
seine Arme nehmen und sie mit Zärtlichkeiten überschütten würde. Und jetzt
waren ihre Träume? endlich wahr? geworden. Als der Prinz sie aus seiner
Umarmung freiließ, war sie ganz atemlos und noch immer durchrannen süße Schauer
ihren Körper.
"Liebste! Meine
einzigartige, auserwählte Diana!" flüsterte der Prinz heiser. "Ist es
wirklich wahr? Liebst du mich so, wie ich dich liebe?"
"Noch viel mehr! Mein
geliebter Philippe!" hauchte die junge Frau und gab sich erneut dem
Glücksgefühl eines langen Kusses hin. Mit zarten Fingern streichelte der Prinz
die weiche Haut Dianas, fuhr ihr mit einem glückseligen Lächeln durch die Masse
ihrer schweren, roten Locken und küßte immer wieder ihre schönen Augen, die
kleine Nase und natürlich die sich ihm willig öffnenden roten Lippen.
"Mein Gott, was hast
du nur aus mir gemacht!" stöhnte er, übermannt vom Glück, welches ihm hier
widerfuhr.
"Ich könnte dich das
Gleiche fragen!" hauchte Diana ihm ins Ohr. "Ist das die wahre Liebe,
mein Liebster?"
"Ja, meine Geliebte,
das ist die wahre Liebe, die durch nichts erschüttert werden kann!"
flüsterte der Prinz. So saßen sie noch lange in Liebe verbunden in dem kleinen
Tempel, bis der eine der Hengst laut aufwieherte und sie daran erinnerte, daß
sie noch einen langen Heimweg vor sich hatten.
"Morgen organisiere
ich eine Parforcejagd zu deinen Ehren!" rief Prinz Philippe übermütig aus,
als die beiden auf dem Rücken ihrer Pferde nun in wildem Galopp auf das Schloß
zustrebten.
"Ich habe zwar schon
davon gehört und gelesen," rief Diana gegen den Wind zurück, "aber
ich habe noch nie an einer solchen Jagd teilgenommen!"
"Dann laß dich
überraschen!" rief ihr der Prinz zu und trieb seinen Hengst an, damit er
wieder auf gleiche Höhe mit der jungen Frau kam. Kurz vor dem eigentlichen
Schloßpark ließen sie ihre Pferde in Schritt fallen, damit diese ein wenig
verschnaufen konnten, bevor sie wieder in die Stallungen kamen. Vor der
Freitreppe warteten schon die beiden Knechte auf die Reiter und führten die
Hengste, nachdem der Prinz abgestiegen war und Diana aus dem Sattel geholfen
hatte, wieder in ihre Boxen zurück.
"Du hast sicherlich
Hunger, nach dem langen Ritt?" stellte der Prinz fest und Diana nickte.
"Vorher war es mir gar
nicht aufgefallen," lachte sie, "aber jetzt, wo du es erwähnst, spüre
ich wirklich, daß ich etwas zu Essen vertragen könnte!"
"Dann kleide dich
schnell auf deinem Zimmer um, ich sage in der Küche Bescheid, daß wir in einer
halben Stunde zu speisen wünschen." meinte Prinz Philippe und hauchte ihr
einen Kuß auf die Wange. Diana lief schnell auf ihr Zimmer und klingelte nach
der Zofe.
"Maria, bitte bringe
mir ein hübsches Kleid, in einer halben Stunde möchte der Prinz zu Tisch
gehen!"
"Ich lasse sofort
heißes Wasser für ein Bad kommen und werde alles zu Eurer Zufriedenheit
vorbereiten." meinte die Zofe und verschwand eilig aus dem Zimmer. Als
Diana nach einem entspannenden Bad in den Speisesaal trat, traf sie ein
bewundernder und liebevoller Blick des jungen Mannes.
"Du siehst herrlich
aus!" rief er, als Diana in einem dunkelblauen Kleid, welches sich mit der
Korsage eng an ihren herrlichen Körper schmiegte und im Rock weit und leicht um
ihre Beine schwang, auf ihn zu schritt.
"Du aber auch, mein
geliebter Prinz!" flüsterte die junge Frau und schaute ihn verliebt an.
Auch der Prinz trug Blau. Zwar waren seine eng anliegenden Hosen naturfarben,
die Jacke jedoch mit den weiten Ärmeln, aus denen feine Rüschen hervorlugten,
war mitternachtblau mit dunkelroten Besätzen. Galant geleitete der Prinz die
junge Frau an ihren Platz und setzte sich dann neben sie. Diener trugen wieder
lautlos die verschiedenen Gänge auf. Zuerst servierten sie eine feine Suppe mit
Kräutern, danach gebratenes Wild, Fasan, Ente und kleine Wachteln mit den
dazugehörigen Beilagen. Später folgten verschiedene Käsesorten mit frischgebackenem
Brot der verschiedensten Sorten, zum Dessert gab es eine Vanillecreme mit
frischen Himbeeren. Von dem zu jedem Gang servierten Wein nippte die junge Frau
nur und auch der Prinz leerte seine Gläser nicht. Endlich erhob sich der junge
Mann und schaute Diana tief in die Augen.
"Möchtest du auf mein
Zimmer kommen?" fragte er sie fast unhörbar und in seiner Stimme schwang
die Angst vor einer Absage mit. Doch dann leuchteten seine Augen strahlend, als
Diana wie selbstverständlich nickte.
"Ich gehöre dir, seit aller
Zeit und in alle Ewigkeit!" hauchte sie leise. Und wirklich: sie hatte
keine Angst vor diesem Moment, noch Bedenken, wie das alles enden würde. Was
zählte, war das Jetzt und Heute, alles andere war nebensächlich. Auf diese
Liebe hatte sie ihr Leben lang gewartet, jetzt war sie da! Glücklich geleitete
der Prinz die junge Frau zu seinem Zimmer. In dem riesigen Raum, dessen Wände
mit feinstem Leder bespannt waren, herrschte eine gelöste Atmosphäre. Durch die
Fenster fiel hell die Sonne und spiegelte sich auf den feingeschnitzten, zum
Teil mit schönen Intarsienarbeiten versehenen und auf Hochglanz polierten
Möbeln. Da gab es einen Sekretär, zwei hohe Schränke, mehrere Sessel, deren
Sitze und Lehnen mit gestickten Szenen aus dem höfischen Leben verziert waren
und ein riesiges Himmelbett, dessen Vorderseite geschnitzte Jagdszenen aufwies.
Als der Prinz eine kleine Glocke ergreifen wollte, die sich auf einem kleinen
Nachttisch neben dem Bett befand, legte Diana ihre zarte Hand auf seinen Arm
und schüttelte den Kopf.
"Ich brauche keine
Zofe!" flüsterte sie verschämt. Da riß sie der junge Mann an sich,
bedeckte ihr Gesicht mit heißen Küssen und begann vorsichtig, mit vor Aufregung
zitternden Fingern, die Bänder und Haken ihres Kleides zu lösen. Später, viel,
viel später, kuschelte sich die junge Frau eng an den warmen Körper des
geliebten Mannes, dessen zarte Berührungen ihr noch immer Wonneschauer durch
die Adern jagten und versuchte, ein wenig Schlaf zu finden. Denn der Prinz
hatte ihr gesagt, daß sie sehr früh am nächsten Morgen zur Parforcejagd
aufbrechen würden. In ihren Träumen erlebte sie noch einmal diese, ihre erste
Liebesnacht und wußte, daß sie dem Prinzen für immer angehören würde. Am
nächsten Morgen küßte sie der Prinz zart wach. er war schon vollständig
angezogen und sah hervorragend aus in seiner Lederkleidung.
"Liebste, du mußt
aufstehen, wenn du vor dem langen und anstrengenden Jagdtag noch etwas zu dir
nehmen willst!" flüsterte er ihr ins Ohr und Diana kam langsam zu sich.
"Liebling, du bist ja
schon angezogen!" rief sie verschlafen aus.
"Es ist schon
spät!" lächelte der junge Mann. "Und du hast so friedlich geschlafen,
wie ein Baby, da wollte ich dich nicht vorzeitig wecken! Doch jetzt mußt du
aufstehen, willst du nicht die zu deinen Ehren veranstaltete Jagd
verpassen!" Da schlüpfte die junge Frau geschwind aus den warmen Decken
und warf sich ihre Kleider über.
"Keine Angst, mein
Zimmer hat einen geheimen Durchgang zu dem deinen!" lächelte Prinz
Philippe und zeigte auf eine versteckte Tür in der Wand. "Du kannst so
ungesehen auf dein Zimmer gelangen, wo Maria schon alles für dich vorbereitet
hat."
"Vielen Dank,
Geliebter!" flüsterte Diana, bevor sie nach einem schnellen Kuß in den
schmalen Durchgang schlüpfte. Auf ihrem Zimmer fand sie ein neues Jagdgewand,
diesmal Männerkleider und war glücklich über die zartfühlende Vorsicht des
Prinzen, der wohl – zu Recht – annahm, daß für sie eine wilde Jagd im
Damensattel zu ungewohnt und anstrengend sei. Sie nahm schnell ein
erfrischendes Bad und lief dann den ihr nun schon bekannten Weg ins
Frühstückszimmer, ohne auf den Diener zu warten, der sie dorthin führen sollte.
Gerade wollte sie auch selbst die Tür öffnen, als sie viele Stimmen aus dem
Innern des Zimmers hörte.
"Fast hätte ich es
vergessen!" flüsterte sie sich selbst zu. "Der Prinz hat natürlich
Gäste eingeladen!" Also wartete sie darauf, daß der Diener an der Tür sie
einließ und mit Stentorstimme verkündete:
"Ihre Hoheit,
Prinzessin Diana!" Die junge Frau lächelte noch über den neuen Titel, doch
dann strahlten ihre Augen, als der Prinz auf sie zukam und sich vor ihr
verneigte.
"Seid gegrüßt, mein
lieber Gast!" sagte er laut, doch als er sich zum höflichen Handkuß über
ihre schmalen Finger beugte, hauchte er:
"Meine geliebte Diana!
Sei mir nicht böse, doch bevor ich dich offiziell vorgestellt habe, muß ich so
förmlich sein!" Die junge Frau nickte leicht.
"Habt vielen Dank,
Euer Hoheit, für den herzlichen Empfang!" sagte sie laut und hauchte,
während sie in einen Hofknicks versank:
"Ich werde dich nicht
enttäuschen, Geliebter!" Danach stellte sie der Prinz seinen erlauchten
Gästen vor, die alle ein wenig erstaunt auf die junge Frau in Männerkleidern
blickten, aber keine Bemerkung darüber machten, zumindest nicht im Beisein des
Prinzen und Dianas. Nach einem ausgiebigen Frühstück begaben sich die Gäste in
den Hof zu ihren Pferden und Equipagen. Der Prinz hatte für Diana wieder Harun
al Raschid satteln lassen, doch diesmal trug der Hengst einen normalen Sattel.
Es war ein buntes Bild, welches die Jäger empfing. Die Meute stand schon
winselnd und bellend bereit, die gescheckten Bracken warteten nur noch auf den
Befehl ihres Masters, um die Jagd aufzunehmen. Bald waren alle Gäste beritten,
die Begleiter hatten ihre Kutschen bestiegen und es konnte losgehen. Der Prinz
gab das Zeichen zum Abritt, die Hörner wurden geblasen und alle folgten ihm.
Diana ritt an seiner Seite und konnte sich ungehört mit ihm unterhalten, da
ihnen die anderen in respektvollem Abstand folgten.
"Heute wirst du eine
ganz besondere Form der Jagd erleben, geliebtes Herz." begann der Prinz
seine Erklärungen. "Schon in aller Frühe haben meine Leute einen Hirsch
ausfindig gemacht, auf dessen Spur werden die Hunde gesetzt. Was dann kommt,
müssen wir dem Zufall überlassen. Es ist gar nicht so selten, daß das Wild
entkommt oder die Hunde die Spur verlieren.
"Ich habe schon
einiges über diese Art der Jagd gelesen," meinte Diana, "es war mir
aber nie vergönnt, an einer solchen Parforcejagd teilzunehmen. Im übrigen ist
es mir egal, ob ein Wild zur Strecke gebracht wird oder nicht, die Hauptsache
ist doch das Reiten mit der Meute."
"Das darfst du aber
nicht meinem Oberjäger erzählen!" lächelte der Prinz. "Er fühlt sich
in seiner Ehre und seinem Können verletzt, wenn die Jagd erfolglos
verläuft."
"Von mir wird er es
auch nicht erfahren." schmunzelte Diana, dann aber konzentrierte sie sich
ganz auf den Ritt, denn nun hatte der Führer der Meute seine Hunde auf die
Fährte gesetzt und diese folgten ihr in schnellem Lauf. Dahinter der Prinz mit
seiner Begleiterin, danach das übrige Jagdfeld. In schnellem Galopp ging es auf
breiten Schneisen durch die lichten Wälder. Diana fühlte, wie sie die Erregung
der Jagd ergriff, als die Hörner das Zeichen gaben: Hirsch voraus! Nach einem
wilden Jagen durch Dick und Dünn konnte die Meute den starken Hirsch endlich am
Rande einer Lichtung stellen. Dieser wehrte sich mit seinem gewaltigen Geweih
und hielt die Hunde auf Abstand. Da war der Prinz auch schon heran, sprang mit
einem geschmeidigen Satz von seinem Pferd, ließ sich von seinem Oberjäger die
Lanze reichen und näherte sich vorsichtig dem edlen Wild. Mit Schaum bedeckt
und sich noch immer die wütende Meute vom Leibe haltend, bemerkte der Hirsch
den Jäger kaum. Dieser wartete auf den richtigen Moment, in welchem er die Lanze
mit einem geübten Stoß in den Körper des Tieres trieb. Der Hirsch war tödlich
getroffen. Noch einmal hob er sein gewaltiges Haupt, dann brach der Blick in
seinen Augen und er stürzte nieder. Nun wollten sich die Hunde über seinen
leblosen Körper hermachen, sie wurden aber vom Führer der Meute
zurückgetrieben. Der Oberjäger überreichte dem Prinzen den Bruch und die
inzwischen herangekommenen Begleiter gratulierten ihm zu dem gelungenen
Jagdausgang. Diana stand ein wenig abseits, ihre schönen Augen schimmerten
feucht, so glücklich war sie über den Erfolg des geliebten Mannes. Dieser
wendete sich nun von dem erlegten Wild ab und kam langsamen und gemessenen
Schrittes auf sie zu. Die übrigen Jagdteilnehmer schauten erstaunt auf die nun
folgende Szene, denn der Prinz beugte sein Haupt vor der jungen Frau und
überreichte ihr den Bruch mit den Worten:
"Prinzessin Diana,
diesen Hirsch habe ich Euch zu Ehren erlegt, so nehmt denn auch den Bruch aus
meiner Hand zum Zeichen meiner Ergebenheit."
"Ich danke Euch, edler
Herr," flüsterte Diana gerührt, da der Prinz sie vor so vielen Leuten
ausgezeichnet hatte. "Ich werde diesen Bruch in Ehren halten, zum Andenken
an diesen Tag und im Gedenken an Euch. Aber nun müßte ich Euch auch eine Gabe
überreichen," fügte sie zögernd hinzu, doch der Prinz wehrte schnell ab.
"Die schönste Gabe,
welche Ihr mir geben könnt, ist Eure Anwesenheit, Prinzessin. Nun laßt uns aber
ins Schloß zurückkehren," wendete er sich an die Jagdgesellschaft,
"der Ritt war lang und anstrengend und ich möchte erholte Gäste auf meinem
Ball heute Abend sehen!" Er dankte den Jägern, welche sich um die
Versorgung des Wildes bemühten, für die gelungene Jagd und begab sich wieder zu
seinem Pferd. Mit einem Sprung war er im Sattel, dann ritt er mit Diana an seiner
Seite und den übrigen Reitern im Gefolge zum Schloß zurück. Als sie die Pferde
vor den Stallungen halten ließen, flüsterte der Prinz seiner Begleiterin
schnell zu:
"Geh in deine
Gemächer, ich werde später nachkommen."
Diana nickte leicht und
lief frohen Schrittes ins Schloß. Dort hatte die Zofe schon ein warmes Bad mit
duftenden Ölen vorbereitet und Diana streckte sich wohlig in der Wanne aus.
Später zog sie ein Hausgewand aus flaschengrüner Seide an, welches ihr
vortrefflich stand und wartete, nachdem die Zofe das Zimmer verlassen hatte,
auf den geliebten Mann. Dieser kündigte sich auch bald darauf mit einem leisen
Klopfen an der verborgenen Tapetentür an. Auf Dianas leisen Ruf trat er in ihr
Zimmer und schaute bewundernd auf die junge Frau.
"Geliebte, du bist die
schönste Frau, die ich je gesehen habe! Aber obwohl dir dieses Gewand bestens
zu Gesichte steht, möchte ich dich doch in deiner vollen, dir eigenen Schönheit
sehen!" flüsterte er und begann, ihr das Gewand von den Schultern zu
streifen. Diana erschauerte vor Wonne bei der sanften Berührung seiner Hände
und ließ sich, als die Seide mit einem leisen Seufzer zu Boden fiel, von ihm
zum Bett tragen. Seine Küsse erweckten ein Feuer in ihr, welches sie nie
geglaubt hatte, einmal verspüren zu können und seine warmen, sanften Hände
ließen wohlige Schauer durch ihren Körper rinnen.
"Mein Leben, meine
Liebe!" seufzte der Prinz leise, "Du bist die Sonne meines Daseins,
welche Wärme und Leben spendet, gehst du aber fort, so wird alles kalt und zu
Eis!"
"Sprich nicht so,
Geliebter! Du machst mich verlegen!" hauchte Diana, während sie
leidenschaftlich seine Küsse erwiderte. Nach langer, langer Zeit strich ihr der
Prinz zärtlich eine Strähne ihres wunderbaren Haares aus der Stirn und erhob
sich.
"Meine Geliebte! Ich
muß dich jetzt für kurze Zeit verlassen, denn die Stunde des Balles rückt näher
und ich habe noch einige Vorbereitungen zu treffen. Ich werde dir durch deine
Zofe dein Ballgewand schicken und erwarte dich in einer Stunde in der
Empfangshalle." Damit verließ er das Zimmer wieder durch die Tapetentür
und schon ein paar Augenblicke später klopfte die Zofe an die Zimmertür. Diana
hatte sich inzwischen wieder das Hausgewand übergestreift und erwartete die
Zofe vor ihrem Ankleidetisch sitzend.
"Dieses Ballkleid
sendet Euch der hohe Herr und bat mich gleichzeitig, Euch das Haar zu
richten." verbeugte sich die Zofe tief vor Diana.
"Bitte beginnt, ich
möchte den Prinzen nicht warten lassen." meinte Diana und überließ sich
den erfahrenen und flinken Händen der Zofe. Als sie sich dann im Spiegel
begutachtete, entfuhr ihr ein kleiner Laut der Bewunderung.
"Ihr habt mich ja in
eine wahre Prinzessin verwandelt!" Und so war es auch. Das Kleid aus grün
und golden schimmerndem Brokat paßte ihr wie angegossen. Das eng anliegende Oberteil
mit der schmalen Taille und den langen, sich vom Ellenbogen aus öffnenden
Ärmeln betonte ihren schönen Körper und der weite Rock mit der kurzen Schleppe
gab ihr etwas Hoheitliches. Das Haar war in Korkenzieherlocken gelegt, einige
kleine Strähnchen umspielten die Stirn. Auf dem Haupte trug Diana eine mit
Edelsteinen besetzte Tiara, den schlanken Hals schmückte ein ebensolches
Kollier und an den Fingern trug sie funkelnde Ringe. Sie erkannte sich fast
selbst nicht wieder.
"Ihr seht aus, wie
einem Traum entstiegen!" meinte voller Bewunderung die Zofe. "Doch
nun kommt, der Herr wird Euch sicher schon erwarten." Diana folgte der
Zofe durch die Gänge, bis sie endlich in der Empfangshalle ankamen. Dort
erschien auch soeben von der anderen Seite her Prinz Philippe in seinem
Staatsgewand.
"Prinzessin, ich danke
Euch, daß Ihr mich nicht warten laßt." Damit beugte er sich über die Hand,
welche ihm Diana zum offiziellen Gruße reichte und hauchte einen zärtlichen Kuß
darauf, während seine Finger zart ihr Handgelenk streichelten. Diana erbebte
unter dieser Berührung, die wie ein Versprechen ihrer Liebe war. An der Seite
des Prinzen empfing sie die geladenen Gäste, mancher verwunderte Blick wurde
ihr zuteil, doch seine Nähe gab ihr Kraft und sie bewältigte ihre Aufgabe zu
aller Zufriedenheit. Nach dem Empfang bat der Prinz seine Gäste in den
Schloßpark, wo Kapellen an verschiedenen Stellen aufspielten und andere
Darbietungen die Gäste erfreuten. Langsam näherte sich das rauschende Fest
seinem Höhepunkt. Die Alleen waren mit bunten Masken und Verkleidungen aller
Art bevölkert, die sich langsam auf den Ballsaal zu bewegten, in welchem nach
dem ausgiebigen Abendmahl noch bis lange in den Morgen hinein getanzt werden
würde. Die Lampions im Park begannen langsam einer nach dem anderen zu
verlöschen. Noch einige Wortfetzen, leises Gelächter, dann breitete sich tiefe
Stille über der schlafenden Natur aus, als auch die letzte der großen
Flügeltüren zum Ballsaal geschlossen wurde und nur noch ein warmer Lichtschein
aus den Fenstern auf die Freitreppe und das Rondell davor fiel. Mit einem Male
schien Leben in die hier und dort zur Zierde des Parks aufgestellten
Marmorstatuen zu gelangen. Als erste bewegte Diana, schlanke Göttin der Jagd,
ihre Pfeil und Bogen haltenden Marmorhände und sprang mit einem geschmeidigen
Satz vom Sockel über dem Brunnen auf den Weg. Sie legte ihre Waffen am Rande
des Beckens nieder und schritt mit leichten Bewegungen über den Kies. Bei jeder
weiteren Statue angelangt, strich sie mit ihren Händen über den kalten Stein.
In wenigen Augenblicken waren alle Statuen zum Leben erweckt. Götter oder
Profane, Menschen, Tiere oder Fabelwesen, sie alle bevölkerten den jetzt
menschenleeren Park, in welchem soeben das Fest zu Ende gegangen war. Leise
Stimmen durchklangen die stille Nacht, fast nur wie ein Windhauch und doch
verstanden sich alle. Im Schimmer des silbernen Mondlichts näherte sich der
Hubertushirsch der Jägerin, das Kreuz blinkte hell zwischen den Stangen seines
wunderbaren Geweihs. Vertrauensvoll legte er seine weiche Nase auf den Arm der
Göttin, wohl wissend, daß heute alle Waffen schweigen und Friede und Eintracht
herrschen würden.
"Habt ihr sie gesehen?
Die junge Herrin? Ob sie wohl bleiben wird?" So wurde allenthalben
gefragt, doch niemand wußte eine Antwort zu geben.
"Wenn sie bleibt, dann
ist unser Warten zu Ende!" meinte eine Alabastereule. "Dann ist
unsere Mission erfüllt und ewiger Frieden wird herrschen zwischen Menschen und
Tieren!"
"Aber was geschieht
denn dann mit der Jagd?" rief die Schutzgöttin der Jäger verunsichert aus.
"Soll ich umsonst geschaffen worden sein?"
"Aber nein,"
beruhigte sie ein Wasserspeier aus Granit. "Wir wollen ja nur, daß die
Menschen Respekt lernen vor der Schöpfung. Sie sollen ja auch weiterhin Fleisch
essen dürfen - nur eben die Haltungsbedingungen und Transport oder Schlachtung
sollen besser reglementiert werden!"
"Wie kann es aber ein
junges Mädchen fertigbringen, eine so schwierige und langwierige Aufgabe zu
lösen?" wollte der Hubertushirsch wissen.
"Wenn sie den Herrn
heiratet und hier unter uns bleibt, dann ist es vollbracht!" sprach die
weise Eule. "Ihr Leben steht für das aller anderen, ihr Vorbild hier wird
zum Leitmotiv aller Menschen werden!" Damit flog sie davon, um sich im
Schutz der Dunkelheit dem Schloß zu nähern. Sie wollte durch ein Fenster
schauen und vielleicht den ganz entscheidenden Augenblick miterleben, wenn die
junge Frau dem Herrn ihr Jawort geben würde. Inzwischen näherte sich ein
schneeweißer Marmorschimmel auf tanzenden Hufen einem kleinen, versteckten
Tempel, der mitten im Wald auf einer Lichtung stand und zu vertraulichen
Begegnungen geradezu einlud. Dort wartete eine zierliche, feingeschnitzte
Holzstute aus dem Karussell auf ihn.
"Hast du die neue
Herrin schon gesehen?" wollte sie von dem Marmorhengst wissen. Dieser
schüttelte sein Haupt, daß seine silbrige Mähne nur so flog.
"Nein, Liebste! Ich
stehe ja auf meinem Sockel ziemlich abseits von den Hauptwegen und konnte sie
so noch nicht zu Gesicht bekommen."
"Wie schade!"
rief die kleine Stute aus. "Ich hätte so gerne gewußt, wie sie
aussieht!"
"Sie ist sehr schön,
habe ich mir sagen lassen." meinte der Hengst nachdenklich. "Sie hat
ein gutes Herz und ist gerecht in ihren Handlungen. Sie ist die Auserwählte!
Wenn sie unserem Herrn das Jawort gibt, dann bricht ein neues Zeitalter für uns
an!"
"Oh, laß es doch
geschehen!" seufzte leise die zarte Stute. "Wie lange warten wir nun
schon auf diesen Augenblick!" Der Hengst stieg auf die Hinterhufe und hob
sein stolzes Haupt hoch in den Nachthimmel, an dessen Firmament der helle
Vollmond neben unzählbaren Sternen leuchtete.
"Wie schön wäre es,
wenn wir in jeder Vollmondnacht zu neuem Leben erweckt würden und nicht nur
jeweils dann, wenn eine neue Auserwählte erscheint!" rief er laut aus.
"Oh, laß es geschehen, daß sie bleibt und uns neue Kraft gibt! Für jede
neue Vollmondnacht!" dann warf er sich auf den Hinterhufen herum und
galoppierte mit weiten Sätzen um die Lichtung herum. In angemessenem Abstand
folgte ihm die kleine Stute. Das ging so eine ganze Zeit lang, bis der
Marmorhengst endlich innehielt und sich der Stute zuwendete.
"Komm, wir wollen die
Gelegenheit nützen!" flüsterte er vieldeutig und beschnoberte die weichen
Nüstern der Stute. Da diese einverstanden schien, begann er das Liebesspiel der
Pferde, Flucht und Nachsetzen, Abtasten und sich einander hingeben.
In der Zwischenzeit hatte Diana an der langen,
festlich gedeckten Tafel an der Seite Prinz Philippes Platz genommen. Eine
Kapelle spielte leise im Hintergrund zärtliche und verträumte Melodien. Nachdem
auch die übrigen Gäste ihre Plätze eingenommen hatten, erhob der Prinz seinen
goldenen Kelch.
"Trinken wir auf die
junge, edle Dame an meiner Seite, Diana, meinen lieben Ehrengast, der zuliebe
heute dieser festliche Ball stattfindet." Bei diesen Worten schaute er der
jungen Frau tief in die Augen und sah darin einen wunderschönen Glanz, der ihm
verheißungsvoll erschien. Als alle ihre Kelche geleert hatten, dankte Diana dem
Prinzen mit sanfter Stimme.
"Euer Hoheit, Prinz
Philippe, ich danke Euch für die Ehre, die mir heute und auch schon seit
geraumer Zeit bei Euch zuteil wird. Ich bin überwältigt von Eurer Güte und es
ist schwierig mit Worten auszudrücken, was ich für Euch und Eure
Gastfreundschaft empfinde! Ich danke Euch von ganzem Herzen für all das Gute
und Schöne an dem Ihr mich teilhaben ließet!" Alle Augen waren bei diesen
Worten auf die junge Frau gerichtet, die keiner kannte, von welcher niemand
etwas Genaues wußte und die doch so vom Prinzen ausgezeichnet wurde. Doch der
Prinz ließ sich zu keinen Erklärungen hinreißen, sondern eröffnete das Bankett,
bei dem es sich alle gut schmecken ließen. Erst nach geraumer Zeit kündigte ein
Trompetenstoß den Beginn des Tanzes an. Der Prinz bot seiner Begleiterin den
Arm und führte sie gemessenen Schrittes auf die Mitte des Tanzparkettes. Zu den
Klängen einer zärtlichen Melodie eröffnete das Paar den Tanz. Die Stunden
vergingen und Diana schien es so, als ob sie dem Himmel entgegen schweben
würden, nur sie und der junge Prinz, obwohl die Tanzfläche gefüllt war mit sich
im Takte der Musik bewegenden Tänzern. Nur allzu bald schon kündigte ein
erneutes Trompetensignal an, daß der Ball sich seinem Ende zuneigte. Der Prinz
und Diana verabschiedeten die zufriedenen Gäste, dann zog der junge Mann seine
Partnerin zu einem Sofa, welches vor einem der riesigen Kamine stand. Als sie
Platz genommen hatte, ließ er sich vor ihr auf die Knie sinken.
"Diana, meine Liebste,
mein Leben, willst du mir die große Gnade erweisen und mich heiraten?"
fragte der Prinz atemlos die junge Frau. Er nahm ihre zarten Hände in die
seinen und sah sie ernst, hoffnungsvoll und voller Liebe an. Diana schaute
erstaunt zu ihm herab und gewahrte einen warmen, liebevollen Schimmer in seinen
braunen Augen. Erst jetzt wurde sie sich bewußt, daß der Glanz, den sie schon
so oft gesehen hatte, mehr war als nur die Freude, eine gleichgesinnte
Partnerin gefunden zu haben. Er wollte sie behalten! In Windeseile jagten sich
ihre Gedanken. Sicher, es war wunderschön hier, das Leben sagte ihr zu und der
junge Mann wäre bestimmt ein wunderbarer Partner, aber .... Tief in ihr drinnen
meldete sich eine winzige Stimme zu Wort. Zuerst schenkte sie ihr keine
Beachtung, doch dann fiel ihr Blick aus dem Fenster in den Hof. Dort saß Sharif
auf seinem Block, gut geschützt in der Falknerei - und sie erinnerte sich!
"Wenn ich deine Bitte,
mich zur Frau zu nehmen, akzeptiere," hauchte Diana, "verliere ich
dann - alles andere?" Mit klopfendem Herzen und Angst in ihren schönen
Augen wartete sie auf die Antwort des Mannes. Dieser schien einen langen
inneren Kampf mit sich auszutragen, doch am Ende siegte wie immer sein Edelmut.
"Wenn du meinen Antrag
annimmst, Geliebte, bringst du damit den Tieren - allen Tieren - Respekt und
Achtung aller Menschen ein. Aber..." hier stockte seine Stimme ein ganz
klein wenig, "aber du gibst dich selbst damit auf. Du kannst auch als
Auserwählte nicht nach Belieben zwischen den Welten wechseln - wenn du deine
Entscheidung getroffen hast, wird sie endgültig sein." Er sah das
Erschrecken in ihren Augen und wußte, daß er sie verloren hatte. Sie war nicht
bereit, den entscheidenden Schritt zu tun - vielleicht - noch - nicht. Diana
löste sich zart aus seiner Umarmung und schüttelte bedauernd den Kopf.
"Philippe! Ich liebe
dich und das Leben hier. Du hast mir das Glück geschenkt und das Wissen um
Deine Liebe macht mich unendlich froh. Aber ich kann meine Verantwortung meinen
eigenen Tieren gegenüber nicht einfach so ablegen, auch wenn es für das
Wohlergehen aller Tiere sein sollte. Und dann... ich lebe hier in einer Welt,
die mir unerklärlich ist – mein Verstand hat dies alles noch nicht akzeptiert,
ich weiß, ich soll nicht darüber nachdenken, aber ich tue es dennoch und
dann... Oh Gott, Philippe! Ich liebe dich über alles, aber ich – ich kann nicht
hierbleiben....." Ihre Stimme brach und Tränen flossen ihr die Wangen
hinab.
"Liebster, ich muß
dich enttäuschen, bitte sei mir nicht böse, aber ich kann nicht anders!
Vielleicht ist mein Weg vorgezeichnet, vielleicht werde ich meinen heutigen
Entschluß noch bereuen - aber ich fühle, daß ich so handeln muß, wie ich es
jetzt tue!" schluchzte sie. Sie legte ihre Arme um den Hals des jungen
Mannes, drückte ihn fest an sich und hauchte einen Kuß auf seine Lippen. Dann
riß sie sich los, ließ den jungen Mann mit seiner Verzweiflung allein und
rannte in ihr Schlafzimmer, dessen schwere Tür sie eilig hinter sich
verriegelte. Sie wußte: mit dieser Geste hatte sie ihre Liebe ausgeschlossen,
aber sie wußte auch, daß es so hatte kommen müssen. Nur über das Warum konnte
sie sich keine Auskunft geben. Weinend sank sie auf das große, weiche Bett -
und schlief ein.
"Sie kommt wieder zu
sich!" klang eine Stimme wie durch hundert Wattebäusche hindurch an Dianas
Ohren. Langsam hob sie die schweren Augenlider, um sie ebenso schnell wieder zu
schließen, denn das grelle Licht blendete sie.
"Vorhänge zu und Licht
aus!" rief die selbe Stimme wieder und sofort umgab wohliges Halbdunkel
die junge Frau. Noch einmal versuchte sie, die Augen zu öffnen. Sie blickte in
das Gesicht einer älteren Frau, die in Schwesterntracht gekleidet neben dem
Bett stand und auf Diana sah.
"Sie haben uns
vielleicht Sorgen gemacht, junge Frau!" entrüstete die Schwester sich.
"So lange ist hier noch niemand bewußtlos gewesen. Und es war fast so, als
ob sie sich geweigert hätten, wieder ins Leben zurückzukehren!" Diana
kamen langsam Bruchstücke ihrer Erinnerung zurück: Der Ausritt, der wütende
Jäger, dann der Sturz - und das Nichts!
"Wo bin ich und was
ist mit mir geschehen?" flüsterte sie fast lautlos, doch die scharfen
Ohren der Krankenschwester hatten sie dennoch verstanden.
"Sie sind im Stift zur
Guten Frau, das war nach ihrem Sturz in die Schlucht das nächste Krankenhaus,
das die Retter anfahren konnten." klärte sie die Frau auf. "Was ihre
Verletzungen betrifft, so können sie von Glück reden, daß sie überlebt haben,
auch wenn sie für lange Zeit den Gebrauch ihrer Beine vergessen können."
"Bin ich -
gelähmt?" Die Frage wollte kaum über die Lippen der jungen Frau, doch sie
atmete sogleich leichter, als sie das Lächeln der Schwester sah.
"Nein, Kindchen, so
schlimm ist es Gott sei Dank nicht!" beruhigte sie die Frau. "Aber
sie haben beide Beine gebrochen und einige Bänder gerissen, so daß sie eine
geraume Weile im Rollstuhl sitzen müssen, bis alles wieder in Ordnung kommt!"
"Wenn es denn nur
wieder in Ordnung kommt, will ich gerne diese schlimme Zeit überstehen!"
lächelte nun auch Diana befreit auf. "Aber sagen sie mir bitte, wissen
sie, wie es meinen Tieren geht?"
"Der junge Mann, der
bisher jeden Tag hier vorgesprochen hat, um sich nach ihrem Befinden zu
erkundigen, hat mir erklärt, er habe die Pflege ihrer Tiere übernommen, das
sollte ich ihnen gleich sagen, wenn sie aufwachen, damit sie sich keine Sorgen
zu machen brauchen. Es ist alles in bester Ordnung!" Erleichtert sank
Diana wieder in die Kissen zurück. Die lange Zeit der Rekonvaleszenz würde sie
gut nutzen, sich mehr und mehr dem Tierschutz widmen und ihre Finger auf
prekäre Stellen legen. Nur Bruchstückhaft war die Erinnerung an ihren Traum?
Wirklichkeit? Etwas dazwischen? aber sie wollte nicht über unerklärbare Dinge
grübeln, sondern sich der Wirklichkeit? widmen. In ihren langen Stunden des
Wachseins überkam sie manchmal ein unsagbar schönes Gefühl, verbunden mit der
Erinnerung an einen sonderbar gekleideten jungen Mann und ihre Liebe.
Als sie endlich das
Krankenhaus verlassen konnte, holte Roger Dupont sie mit seinem Wagen ab. Er
hatte auf Anraten der Ärzte schon einen Rollstuhl besorgt und im Auto verstaut
und half nun der jungen Frau auf den Beifahrersitz.
"Ich bin ja so froh,
daß ich heute nach Hause komme!" rief Diana aus, als sich der Wagen in
Bewegung setzte. "Du hast mir zwar jedes Mal, wenn du mich besucht hast
von meinen Tieren erzählt, aber sie werden mich sicher schon sehnsüchtig
erwarten!" Roger nickte.
"Ich glaube, sie
wissen, daß du heute kommst, denn sie waren so wild wie noch nie zuvor, als ich
sie heute morgen gefüttert habe." lächelte er. Dann aber wurde er
plötzlich ernst.
"Diana, ich weiß, du
bist eine sehr unabhängige junge Frau, aber deshalb solltest du trotzdem meinen
folgenden Vorschlag überdenken: Ich würde gerne während deiner Rekonvaleszenz
bei dir wohnen. Nein!" rief er aus, als er die Ablehnung auf den Zügen der
jungen Frau sah. "Bitte laß mich ausreden! Ich möchte, daß du meinen Vorschlag
auf rein sachlicher Basis abwägst. Zwar weißt du so gut wie ich, daß ich gerne
mehr für dich wäre als ein platonischer Freund, aber heute geht es um etwas
ganz anderes – und da spielen Gefühle keine Rolle, glaub mir!"
"Ok, Ok, ich glaube
dir, Roger!" seufzte Diana. "Dann sprich ruhig weiter!"
"Also, ich weiß wie
abgelegen du wohnst und daß dein Haus nicht auf einen Rollstuhlfahrer
zugeschnitten ist. Noch viel weniger der Stall und die Volieren. Und ich weiß
auch, daß du weder deine Mutter noch deinen Stiefvater um Hilfe bitten wirst.
So lange du also auf dieses Hilfsmittel angewiesen bist, werde ich bei dir
wohnen und dir beistehen. Auf rein sachlicher Basis selbstverständlich. Wenn du
willst, kann ich ja im Stall schlafen oder auf dem Heuboden. Das macht mir gar
nichts aus! Aber ich lasse dich in einer solchen Situation nicht alleine.
Außerdem mußt du ja beinahe täglich zur Krankengymnastik gefahren werden, ganz
zu schweigen vom Einkaufen, Kochen, Putzen und so weiter." Diana war bei
der Erwähnung von Mutter und Stiefvater unwissentlich zusammengezuckt. Roger
hatte recht: Niemals würde sie diese beiden um Hilfe bitten! Vor ihrem
Stiefvater hatte sie immer eine unterschwellige, unbeschreibbare Furcht
empfunden und ohne die Begleitung dieses Mannes würde ihre Mutter nicht zu ihr
kommen, das war ihr auch klar. Also nickte sie zustimmend, denn sie war sich
letztendlich ihres Zustandes bewußt und mußte wohl oder übel einsehen, daß sie
zumindest vorerst alleine auf ihrem Hof nicht würde leben können. Als sie vor
dem Haus anhielten, überraschten Diana ziemlich unterschiedliche Gefühle: zum
einen das Glück, wieder zu Hause zu sein, zum anderen fast ein wenig Wehmut,
der Traum?welt entflohen zu sein. Roger hob sie sanft aus dem Auto in den
Rollstuhl und half ihr dann, über den unebenen Boden bis zum Eingang zu fahren.
Dort nahm er sie wieder in seine Arme – welch unverhofftes Glücksgefühl rann
nun durch seine Adern, hatte Diana ihm zuvor ja nie erlaubt, sie so zu berühren
– und trug sie ins Wohnzimmer, wo er sie auf das Sofa setzte. Dann holte er
denn Rollstuhl und half der jungen Frau, darin Platz zu nehmen.
"So, das wäre fürs
erste geschafft!" lächelte er. Als er aber ihren mürrischen
Gesichtsausdruck sah, eilte er sich hinzuzufügen:
"Zuerst mache ich
etwas zu Essen, danach bringe ich dich dann zu deinen Tieren." Was Diana
schließlich auch akzeptierte. Nach einem schnellen Imbiß half Roger dann der
jungen Frau auf ihrem Weg zu den Stallungen. Mit Tränen in den Augen begrüßte
sie ihre beiden Pferde, herzte den Jagdhund, streichelte das Frettchen, welches
Roger ihr auf den Schoß setzte und bedankte sich herzlich bei dem jungen Mann,
als sie auch ihre Falken in den Volieren besichtigt hatte.
"Vielen, vielen Dank
für die gute Pflege, die du ihnen hast angedeihen lassen, während ich im
Krankenhaus lag."
"Und die ich ihnen
auch weiter geben werde, so lange du nicht dazu in der Lage sein wirst."
fügte der junge Mann lächelnd hinzu. Dann brachte er Diana wieder ins Haus.
Glücklicherweise konnte sie im Erdgeschoß schlafen, so daß sie auf die Hilfe
Rogers beim Zubettgehen verzichten konnte. Als sie sich an ihrer Tür von ihm
verabschiedete, hatte sie noch nicht daran gedacht, wo er denn die Nacht
verbringen würde.
"Darf ich mir meinen
Platz auf deinem Sofa zurechtmachen?" fragte Roger Dupont leise, als Diana
gerade die Tür schließen wollte. Die junge Frau dachte einen kurzen Augenblick
lang nach, dann nickte sie zögernd.
"Wenn es dir nichts
ausmacht, bitte." Dann schloß sich endgültig die Tür hinter ihr. Roger
Dupont holte sich also ein Kissen und eine Decke aus der Kammer und bereitete
sich ein Lager auf dem Sofa im Wohnzimmer. Noch lange lag er wach, horchte auf
die leisen Geräusche, die von draußen zu ihm drangen und überlegte sich, wie er
es am geschicktesten anstellen könnte, um das Herz der jungen Frau zu erobern.
Natürlich hatte er keine Ahnung von ihren Träumen und Erlebnissen, konnte sich
also auch nicht vorstellen, daß vielleicht ein anderer Mann das Herz der jungen
Frau erobert haben könnte. Und doch war es genau so: Zwar wollte es Diana noch
nicht einmal sich selbst gegenüber eingestehen, aber in ihrem Innersten war sie
überzeugt davon, daß sie nur Prinz Philippe angehören würde, oder keinem Mann!
Und gegen den stattlichen Prinzen, der Träume und Wirklichkeit verband, konnte
wahrhaftig niemand konkurrieren! Aber das ahnte Roger Dupont nicht und so malte
er sich im Geheimen aus, wie er um Diana werben und sie am Ende zu seiner Frau
machen würde. Mit einem kleinen Lächeln schlief er endlich ein.
"Ich kann das ganz gut
alleine machen!" meinte Diana trotzig am nächsten Morgen, als sie in die
Küche kam und dort Roger vorfand, der soeben letzte Hand an ein reichliches
Frühstück legte. Dieser schüttelte bedauernd den Kopf.
"Wie willst du denn an
die Teller und Tassen kommen, die ganz oben im Wandschrank sind?"
erwiderte er gelassen. "Außerdem steht auch die Kaffeemaschine an einem
für dich zur Zeit unerreichbaren Platz, ganz zu schweigen von der Zuckerdose
und anderen Kleinigkeiten!"
"Das ist ja wohl meine
Sache, ob ich Kaffee trinke, oder nicht!" fuhr ihn Diana an. "Du
behandelst mich wie ein Baby, dabei komme ich ganz gut alleine zurecht!"
"Im Moment bist du
genauso hilflos wie ein Baby!" warf der junge Mann ein. "Vorläufig
wirst du also gezwungen sein, meine Hilfe anzunehmen, ob es dir nun paßt oder
nicht!" Diana warf einen bösen Blick in seine Richtung und zuckte dann mit
den Schultern.
"Vielleicht hast du ja
recht," meinte sie mit einem verzweifelten Blick auf ihre bandagierten
Beine. "Aber es ist nun einmal gegen mein Naturell!"
"Dann tue deinem
Naturell jetzt einmal für eine Weile Zwang an, später kannst du ja dann wieder
deine Unabhängigkeit voll ausleben! Doch jetzt komm her und laß uns endlich
frühstücken!" beendete Roger den Zwist. da auch Diana Hunger verspürte, ließ
sie sich auf keine weiteren Diskussionen ein und langte kräftig zu. Nach der
zweiten Tasse Kaffee hatte sie sich damit abgefunden, jetzt eine Zeitlang
bemuttert zu werden, davon wurde auch ihre Laune wieder besser.
"Ich will schon heute
mit der Krankengymnastik anfangen." meinte sie nach dem Frühstück zu
Roger. "Je schneller ich wiederhergestellt werde, um so besser." Sie
fügte nicht hinzu, daß sie den jungen Mann lieber gestern als heute ihr Haus
verlassen sah. Seit ihrem Treffen mit dem Prinzen konnte sie nur noch an diesen
denken. Aber sie hatte gewählt, war in ihre Welt zurückgekehrt und mußte damit
jetzt fertig werden. Alleine.
"Woran denkst
du?" Erschreckt fuhr Diana aus ihren Gedanken auf, als die Stimme des
jungen Mannes an ihr Ohr drang.
"Oh, an alles und
nichts!" wich sie seinem fragenden Blick aus. "Ich glaube, ich rufe
am besten sogleich die Krankengymnastikerin an, vielleicht kann sie den Termin
ja schon auf heute Nachmittag vorverlegen." Damit war sie aus der Küche
und schon am telefonieren. Mit freudiger Miene kam sie dann zurück.
"Heute um drei Uhr!
Ich bin ja so froh! Jeder Tag zählt, den ich früher auf die Beine komme – und
das im wahrsten Sinne des Wortes!" lächelte sie fröhlich. Roger Dupont
spürte den Gang ihrer Gedanken und wollte schon ärgerlich werden, beschloß dann
aber, seinen Ärger nicht zu zeigen, um sich seine Chancen zu wahren. Zwar
wurden die Gymnastikstunden zu einer wahren Tortour für die junge Frau, aber
sie biß fest die Zähne zusammen und nahm alles in Kauf, nur um so schnell wie möglich
wieder gesund zu werden. Nach einiger Zeit stellten sich dann die ersten
Erfolge ein und bald konnte sie den Rollstuhl verlassen und Krücken benutzen.
An jenem Abend saßen sie im Wohnzimmer zusammen und sahen Nachrichten.
Plötzlich schaltete Diana den Fernseher aus und wendete sich an Roger.
"Roger, ich habe
beschlossen, daß du ab heute nicht mehr hier im Haus schlafen wirst." Der
junge Mann zuckte sichtbar zusammen, obwohl er eine solche Reaktion seitens der
jungen Frau fast geahnt hatte.
"Aber Diana, du
brauchst doch immer noch Hilfe! Wie willst du denn die Ställe ausmisten oder
einkaufen fahren?" warf er ein. Doch die junge Frau schüttelte den Kopf.
"Ich habe nicht
gesagt, daß ich deine freundliche Hilfe nicht mehr benötige, ich habe nur
gesagt, daß du ab heute wieder bei dir zuhause schlafen wirst! Ich brauche im
Haus und für mich persönlich keine Unterstützung mehr, lediglich bei den Tieren
und einen Chauffeur." Als sie die verbitterte Miene Rogers sah, fügte sie
noch hinzu:
"Ich werde dir nie genug
für deine Hilfe in dieser schweren Zeit danken können, Roger, aber du mußt mich
bitte auch verstehen, ich muß jetzt einfach meine teilweise wiedererlangte
Selbständigkeit genießen!" Jetzt gab es für Roger Dupont nur noch den
Sprung ins tiefe Wasser. Er nahm all seinen Mut zusammen und schaute ihr tief
in die Augen.
"Diana, ich hatte
sehnlichst gehofft, daß die Zeit, die wir bis jetzt zusammen verbracht haben,
dir gezeigt haben möge, wie sehr ich dich liebe. Als man mich vom Krankenhaus
aus anrief, da mein Name als der im Unglücksfall zu Benachrichtigende bei
deinen Papieren gefunden wurde, um mir mitzuteilen, daß du einen schweren Sturz
hattest und womöglich nicht überleben würdest, da ist mir erst klargeworden,
daß ich mehr als nur tiefe Freundschaft und Kameradschaft für dich empfinde.
Diana, ich hatte solche Angst um dich, als du da so still im Bett lagst und
keine Reaktion zeigtest, daß ich mir geschworen habe, dich nie zu verlassen,
geschehe, was wolle! Diana, ich kann und will ohne dich nicht mehr leben! Bitte
werde meine Frau!" Diana schaute verlegen ob der Aufrichtigkeit seiner
Erklärung zu Boden. Sie mußte dem Freund jetzt etwas zu verstehen geben, was
sie selbst noch nicht ganz genau verstand, mußte ihn mit einer unglaublichen
Geschichte abfinden, die jeder normale Mensch als das Hirngespinst einer
Verrückten empfunden haben würde. Und doch blieb ihr kein anderer Ausweg, als
ihm die Wahrheit? zu sagen, denn nur so konnte er vielleicht verstehen, warum
sie seinen Antrag nicht annahm – nicht annehmen konnte. Sie schaute wieder auf
und sah Angst und auch einen kleinen Funken Hoffnung im Gesicht des jungen
Mannes. Zart ergriff sie seine Hände und schaute ihn mit ihren wundervollen
Augen ernst an.
"Lieber Roger, ich bin
geehrt von deinem Antrag und doch muß ich ihn ablehnen! – Nein, sag jetzt noch
nichts!" rief sie schnell aus, als sie sah, daß der junge Mann zum
Sprechen anhob. "Laß mich dir erst erklären, warum ich nicht deine Frau
werden kann!" Und dann erzählte sie dem zuerst nur aufmerksam Lauschenden,
der später aber mit einem ungläubigen Ausdruck im Gesicht an ihren Lippen hing,
von ihren Träumen, die sie schon seit ihrer frühen Jugend begleiteten bis hin
zu ihrem Treffen? mit dem Prinzen, während sie ohne Bewußtsein im Krankenhaus
lag. Als sie endete, liefen ihr Tränen über die Wangen und auch Roger war tief
berührt. Weniger von der Schilderung selbst, als von der Tatsache, daß Diana so
tief daran glaubte, daß sie der Liebe zu einer Traumgestalt der seinen
gegenüber den Vorzug gab.
"Du kannst mir glauben,
oder auch nicht," meinte die junge Frau schluchzend, "aber es ist die
Wahrheit, so wie ich sie erlebt und empfunden habe. Glaube mir, es war die
schwerste Entscheidung meines Lebens, den Prinzen NICHT zu heiraten! Und ich
spüre es schon jetzt, ich werde diese Entscheidung sicher noch ein paar Mal in
meinem Leben bereuen! Aber damals kam sie mir als einzig richtige Lösung vor.
Auch ich kann vieles nicht verstehen, aber vielleicht hätte ich nur mit meinem
Herzen denken sollen und nicht mit dem Verstand. Auf jeden Fall ist es jetzt zu
spät für Reue, ich habe gewählt und muß mich damit abfinden in meiner Welt zu
leben, aber ich werde meine Liebe zu Prinz Philippe nie verraten – und bleibe
deshalb für immer ledig!"
"Weißt du, was du da
sagst?" fuhr Roger Dupont auf. "Du hast dich da in etwas verrannt,
was nur auf einen Schock und deine lange Bewußtlosigkeit zurückzuführen ist!
Vielleicht solltest du einmal einen Psychiater aufsuchen?" Doch da wurde
Diana ganz böse. Sie funkelte Roger aus ihren
dunklen, nun beinahe lilafarbenen Augen nur so an, als die so lange
zurückgehaltene Wut aus ihr herausbrach:
"So, du denkst also,
ich bin verrückt? Vielleicht hast du ja recht! Aber dann laß mich doch mit
meiner Verrücktheit leben! Ich fühle mich so wohl dabei! Natürlich klingt das
alles unverständlich für einen Außenstehenden, aber ICH habe es erlebt, ICH
habe die Liebe gespürt, ICH mußte mich entscheiden – und habe es getan
zugunsten eines Lebens HIER, aber im Respekt für meine Liebe DORT!" Roger
Dupont konnte nur staunen über so viel Beharrlichkeit, doch plötzlich fiel ihm
wieder ein, was eine der Schwestern im Krankenhaus zu ihm gesagt hatte. Zu
einem gewissen Zeitpunkt nämlich, als er schon eine unsagbar lange Zeit am
Krankenbett von Diana gesessen hatte und sie außer einem leichten Lächeln auf
den Lippen keine weitere Regung zeigte, da war eine ältere Nonne ins Zimmer
gekommen und hatte auf die junge Frau gezeigt.
"Sie ist wohl zur Zeit
in einer wunderschönen Traumwelt – hoffen wir nur, daß sie sich nicht gehenläßt
und dort verbleibt!" Roger hatte das zuerst als rätselhaften Ausspruch
einer Religiösen abgetan, doch jetzt wurde ihm klar, daß die Nonne wohl besser
als er gefühlt oder gewußt hatte, was in der Verunglückten vorgegangen war. Und
als eine Zeit kam, da der Arzt ihm geraten hatte, für seine Freundin zu beten,
da sie scheinbar keinen Willen zum Leben mehr hatte, da wußte er nun, daß dies
der Zeitpunkt gewesen war, als Diana sich entscheiden mußte zwischen dem
Prinzen und der hiesigen Welt. Wie Schuppen fiel es ihm nun von den Augen: Wenn
sie sich – so unglaublich das auch klingen mochte – für den Prinzen entschieden
hätte, so hätte sie wohl ihr Leben in dieser Welt verloren! Oder? Roger dankte
der Fügung, daß sie sich gegen den Prinzen entschieden hatte und beschloß, ihre
Entscheidung, keinen Mann zu ehelichen, zumindest vorerst zu akzeptieren.
"Diana, ich bin
zutiefst erschüttert! Ich brauche Zeit, um das eben Gehörte zu verarbeiten!
Aber ich danke dir für deine Offenheit und werde deine Entscheidung schweren
Herzens akzeptieren. Bitte laß uns aber trotzdem Freunde bleiben, so wie
vorher." Die junge Frau nickte leicht.
"In Ordnung, Roger!
Vergessen wir dieses Gespräch und beginnen wir als Freunde und Kameraden eine
neue Zeit!" Sie beugte sich vor und gab ihm einen leichten Kuß auf die
Wange.
"Und nun, Roger
Dupont, mußt du mich verlassen. Aber ich rechne auf dich morgen früh zum Ställe
ausmisten und für die Fahrt zur Krankengymnastik. Der junge Mann erhob sich
langsam vom Sofa, hauchte einen Kuß auf die glänzenden Locken und versprach im
Hinausgehen:
"Du kannst immer auf
mich zählen, Diana Erdei! Gute Nacht, bis morgen früh!" Dann verließ er
leise das Haus. Diana ging früh zu Bett und hoffte, in ihren Träumen den
Prinzen zu sehen, aber nichts geschah.
So verging die Zeit. Die
junge Frau gelangte bald wieder in den Vollbesitz ihrer Kräfte und Roger Dupont
sah sie nur noch zu einigen wenigen Anlässen, dann aber meist im Beisein von
vielen Menschen. In der neuen Jagdsaison bot sich ihm zwar einige Male die
Gelegenheit, mit Diana allein auf der Pirsch zu sein, aber sie gab ihm keine
Gelegenheit mehr, auf persönliche Dinge einzugehen und so war er gezwungen,
sich mit ihrer Kameradschaft zu begnügen. Später lernte er dann bei seiner
Arbeit eine junge Frau kennen, die zwar keine Jägerin war, sich aber prächtig
mit ihm verstand und ihn auch nicht abwies, als er sie nach einiger Zeit um
ihre Hand bat. Als er Diana einmal seinen Entschluß, Marie Belleville zu
heiraten, mitteilte und ihr die junge Frau auch vorstellte, war er erleichtert,
feststellen zu können, daß Diana ihnen von Herzen gratulierte. Nach der
Hochzeit besuchte er Diana nur noch manchmal und dann immer im Beisein seiner
jungen Frau, ein paar Mal kam auch Diana zu ihnen auf ein Abendessen vorbei.
Seiner Frau zuliebe verzichtete Roger nun gänzlich auf die Jagd und als das
junge Paar dann auch noch in den Süden zog, blieben auch bald die wenigen
Briefe oder Telefonate aus. Diana fand eine junge Frau aus dem Dorf, die ihr
manchmal zur Hand ging oder die Tiere versorgte, wenn Diana abwesend war,
ansonsten lief alles seinen alten Trott. Bis auf jenen denkwürdigen Tag, als in
Diana der Gedanke reifte, das Land zu verlassen und in die wahre Heimat
zurückzukehren. Schon lange hatte sie bemerkt, daß in ihrer Gegend der Druck
der Jagdgegner beständig zugenommen hatte, woran auch ständige
Aufklärungsarbeit der Jäger in der Öffentlichkeit nichts ändern konnte.
Natürlich gab es wie überall auch in den Reihen der Jäger, Falkner und Reiter
schwarze Schafe, doch dachte Diana, daß dort die betroffenen Verbände selbst
die Entdeckung und Bestrafung in die Hand nehmen müßten und nicht gleich die
Gruppe als Ganzes verdammt werden sollte. An jenem denkwürdigen Tag ereignete
es sich also, daß Diana gerade auf einen Hochsitz im Revier eines befreundeten
Jägers steigen wollte, um ihm zu helfen, eine Wildzählung durchzuführen, als
sie ein lautes Knacken unter ihren Füßen vernahm. Sie konnte sich gerade noch
rechtzeitig und weit genug vom Hochsitz abstoßen, bevor dieser zusammenbrach.
Zitternd vor Angst und Schreck betrachtete die junge Frau danach die
Stützpfosten und mußte betroffen feststellen, daß diese weit unten, vom Gras
verdeckt, geschickt angesägt worden waren! Sie alarmierte die zuständige
Polizei von dem Anschlag, der um so gemeiner war, als es auch das Kind eines
zufällig vorbeigehenden Spaziergängers, welches, unerlaubt zwar, aber dennoch,
auf den Hochsitz klettern wollte, hätte treffen können. Der Beamte nahm zwar
die Tatsachen auf, beschied die junge Frau dann aber, daß sie besser daran tue,
das Weidwerk sein zu lassen, denn erstens könne ihr so etwas jeden Tag wieder
zustoßen und zweitens sei er sowieso dagegen, daß eine Frau jage. Kalt bedankte
sich Diana für den so männlichen Ratschlag und verließ wütend und unzufrieden
die Polizeistation. Als sie nach Hause kam, sah sie mit Entsetzen, daß die
Türen des Stalles sperrangelweit offenstanden! Von den Pferden keine Spur!
"Oh mein Gott!"
rief sie laut aus, als sie den Wagen zum Stehen brachte und auf den Stall zu
rannte.
"Meine Pferde! Was ist
mit meinen Pferden geschehen?" Verzweifelt suchte sie nach Spuren, die ihr
gezeigt hätten, wohin die beiden Rappen verschwunden waren. Doch auf dem
steinigen Hof war nichts zu sehen. Von einer bösen Vorahnung gepackt
untersuchte Diana die Riegel der Doppeltüren. Diese waren so angebracht und
konzipiert, daß die Pferde selbst bei geöffneter oberer Türhälfte keine Chance
hatten, die Riegel zu öffnen, außerdem waren Vorhängeschlösser zur zusätzlichen
Sicherung vorhanden, welche Diana immer zuschloß, bevor sie den Hof verließ, da
die Pferde ja auf jeden Fall einen immer offenstehenden Ausgang aus der Box auf
die Weide hatten. Und plötzlich weiteten sich ihre Augen entsetzt: Die
Vorhängeschlösser waren mit einem schweren Werkzeug aufgebrochen worden und die
Riegel und Türen vorsätzlich geöffnet worden!
"Wer kann das nur
getan haben?" fragte sich die junge Frau laut. "Und warum?"
Zumindest auf die letzte Frage erhielt sie ziemlich schnell eine Antwort. Als
sie nämlich auf der Suche nach ihren Pferden um das Haus herum ging, fand sie
auch die Tür des Hundezwingers aufgebrochen vor, von ihrem Jagdhund keine Spur!
Aber ein schmutziger Papierfetzen hing an dem Draht. Diana riß ihn ab und
schaute wie blind auf die wenigen Zeilen, die in einer schlampigen Handschrift
dort geschrieben standen. Zwar sah sie die Worte, doch konnte oder wollte ihr
überreiztes Gehirn sie den Sinn der Botschaft nicht verstehen lassen. Der kurze
Text lautete folgendermaßen:
DAS NUR ZUR WARNUNG! WIR HASSEN ALLE
JÄGER UND FALKNER, TOD UND VERDERBEN DEN TIERMÖRDERN UND TIERQUÄLERN!
Diana schluchzte laut auf,
zerknüllte den Zettel und wollte ihn schon wegwerfen, als sie sich eines
Besseren besann und ihn einsteckte. Laut nach ihren Tieren rufend, rannte sie
dann in Richtung Wald los, wohl wissend, daß ihr Hund wohl diese Richtung
genommen haben würde und ihn brauchte sie, um eventuell die beiden Pferde
wiederfinden zu können. Die Täter hatten diese und den Hund wohl extra
erschreckt und weggescheucht, denn sonst wären die Tiere schon längst wieder
heimgekehrt oder hätten sich zumindest in der nächsten Umgebung des Hofes
aufgehalten. Nach stundenlanger, ermüdender Suche hörte Diana plötzlich auf
ihre Rufe hin ein leises Winseln aus einer Dickung. Vorsichtig bahnte sie sich
ihren Weg und rief mit leiser Stimme immer wieder ihren Hund. Dieser antwortete
nun mit einem Jaulen der Freude, denn er hatte seine Herrin wohl schon
wahrgenommen, bevor diese ihn fand. Aber selbst als die junge Frau in
Sichtweite des Hundes war, kam dieser nicht auf sie zu.
"Da stimmt doch etwas
nicht!" flüsterte sie angstvoll. "Warum kommt Felix nicht zu mir
her?" Schnell wurde sie über den Grund aufgeklärt. Als sie endlich das
arme Tier erreichte, sah sie, daß eine dünne, feste Schnur an seinem Halsband
befestigt worden war, deren anderes Ende um einem Baumstamm geschlungen und
festgeknotet worden war.
"Diese
Dreckskerle!" rief Diana empört aus. "Mich titulieren sie als
Mörderin und was ist das hier? Etwa Tierschutz?" Schnell befreite sie den
Hund von seinem Strick und streichelte ihn liebevoll. Das arme Tier war ganz
erschöpft und konnte seiner Herrin nur sanft das Gesicht lecken und schwach mit
der Rute wedeln. Diana nahm ihn auf die Arme und trug ihn vorsichtig nach
Hause, wohl wissend, daß er heute und wohl auch am nächsten Tag wohl kaum in
der Lage sein würde, nach den Pferden zu suchen. Doch welch frohe Überraschung!
Als die junge Frau gerade in den Hof einbog, hörte sie in der Ferne das eilige
Trappeln von Pferdehufen. Verwundert schaute sie auf den Weg, der vom Dorf her
hier heraus führte und auf welchem nun die beiden Rappen Seite an Seite
angetrabt kamen.
"Apollo! Orestes! Wo
kommt ihr denn her?" Schnell setzte sie den Hund ab und öffnete das
Koppeltor damit die beiden Pferde wieder
in sicheres Gewahrsam kamen. Als die Rappen nun eilig zu ihren Futterkrippen
stürmten, wußte sie auch, warum sie ihre Pferde so schnell wieder sah: Der
Hunger auf die allabendliche Körnerration hatte die beiden wieder nach Hause
geführt, denn Gras hatten sie auch anderswo gefunden. Überglücklich brachte
ihnen die junge Frau nun ihr Futter und streichelte ihnen über die schlanken
Hälse. Dann brachte sie den Hund ins Haus, versorgte ihn mit Futter und Wasser
und setzte dann ihren Rundgang fort. Glücklicherweise waren die Falken alle in
ihren Volieren, doch die Außenseiten der Holzwände waren mit Parolen in roter
Farbe beschmiert.
Tod allen Tiermördern, Verbot der Jagd,
Schluß mit der Zucht von Raubvögeln für die Falknerei
stand dort zu lesen. Diana
schüttelte den Kopf und zog eine angewiderte Grimasse. Womit hatte sie den Zorn
dieser Menschen auf sich gezogen? Wußten sie denn nicht oder wollten sie es
nicht akzeptieren, daß zum Beispiel die Wiedereinbürgerung der Wanderfalken in
großem Maße eben jenen Falknern zu verdanken war, die sich darum bemüht hatten,
in die Geheimnisse der Zucht dieser edlen Vögel zu gelangen und die so
gewonnenen Erkenntnisse auch dem Tierschutz dienten. Wußten sie denn nicht, daß
Jagd nicht nur Abschießen, sondern auch Hege und Pflege bei genauer Kenntnis
der Lebensgewohnheiten der Waldbewohner bedeutete. Wer steckte hinter all
diesen Schandtaten? Sie wußte es nicht zu sagen. Aber da auch der Polizist ihr
seine deutliche Abneigung gegenüber Frauen, die jagen, gezeigt hatte, mußte sie
die Tatsache hinnehmen, daß sich die Welt um sie herum geändert hatte. Aus dem
friedlichen Paradies war eine feindliche Umgebung geworden. Zumindest für eine
alleinstehende Frau, die zu allem Überfluß auch noch aktive Jägerin und
Falknerin war. Nur zu gut war sie sich der Gefahr bewußt, die sie lief, wenn
sie weiterhin so täte, als ob nichts geschehen wäre. Nach dem heutigen Tag war
alles anders! Nie wieder würde sie ruhig für eine auch noch so kurze Zeit aus
dem Haus gehen und ihre Tiere in aller Ruhe zurücklassen. Nie wieder würde sie
auf einen Hochsitz steigen, ohne daß der heutige Moment des Schreckens und der
Todesangst ihr immer wieder ins Gedächtnis zurückkehren würde. Nie wieder würde
sie sich unbedenklich unter Menschen bewegen, die dies alles hier vielleicht
auf dem Gewissen hatten. In dieser Nacht konnte sie fast kein Auge zutun. Sie
lag wach, ihre Gedanken jagten sich. Bei jedem Geräusch fuhr sie hoch,
vergewisserte sich ein ums andere Mal, daß die Haustür verschlossen und
verriegelt war, beschloß, am nächsten Tag sofort weitere Sicherungsketten und
Ähnliches zu besorgen, sowie eine Alarmanlage für das Haus und die Nebengebäude
anzuschaffen. Als sie endlich gegen Morgen erschöpft in einen leichten Schlaf
fiel, schreckte sie bald darauf wieder schweißgebadet hoch, denn sie hatte geträumt,
daß ihr Stiefvater an der Spitze einer Horde wild entschlossener Jagdgegner
ihren Hof gestürmt und alle Tiere vor ihren Augen erschossen habe. Noch während
sie sich mit zitternden Fingern die Schweißtropfen von der Stirn wischte wurde
ihr jedoch bewußt, daß sich Traum und Wirklichkeit vermischt haben mußten, denn
noch immer war draußen der Klang von Schüssen oder etwas Ähnlichem zu
vernehmen! Sie stürzte aus dem Bett, warf sich schnell einen Mantel über und
öffnete dann vorsichtig die hintere Tür, aus deren Richtung die Laute kamen.
Vor ihren Augen vollzog sich ein bizarres Schauspiel: Mehrere ganz in schwarz
gekleidete Gestalten, die zu allem Überfluß auch noch schwarze Masken trugen,
die lediglich kleine Schlitze für Augen, Mund und Nase freiließen, liefen auf
dem Grundstück hin und her und machten mit allen möglichen Gegenständen einen
Höllenlärm, in welchen sich inzwischen auch das aufgeregte Wiehern der Pferde,
das Bellen des Hundes und die warnenden Schreie der Falken in den Volieren
mischte. Diana war zwar eine mutige Frau, doch gegen eine solche wilde Rotte in
Überzahl konnte sie alleine nichts ausrichten. Sie wählte also mit zitternden
Fingern die Nummer der Polizei und meldete dann das Eindringen der vermummten
Fremden auf ihren Besitz. Zwar versprach ihr der Beamte, sogleich einen
Einsatzwagen zu schicken, doch dauerte es dann doch noch eine geraume Zeit, bis
dieser schließlich mit heulender Sirene bei ihr eintraf. Inzwischen hatten sich
die Störer im Wald verborgen und waren wohl auch wieder dorthin zurückgekehrt,
wo sie hergekommen waren. Die Beamten schauten die junge Frau fragend an, als
sie aus dem Wagen stiegen.
"Wo sind sie denn, die
vermummten Gestalten?" fragte der eine hämisch. "Sie haben wohl
schlecht geschlafen, junge Frau und sich Gott weiß was eingebildet!" Doch
Diana ließ sich nicht aus der Fassung bringen.
"Natürlich sind die
Eindringlinge abgehauen, bevor Sie hier eintrafen. Sie hatten sie ja vorher
lange genug gewarnt, mit ihrer Sirene und dem Blaulicht!"
"Gute Frau, im Einsatz
fahren wir immer mit Sirene und Blaulicht!" wies sie der andere Beamte
zurecht.
"Dann entkommen die
Übeltäter wohl öfter!" entfuhr es leise der jungen Frau. Laut jedoch
meinte sie:
"Na schön, daran ist
wohl jetzt nichts mehr zu ändern. Aber vielleicht suchen Sie einmal im Wald
nach, vielleicht ergreifen Sie den einen
oder anderen der Vermummten noch, er könnte dann Aufschluß darüber geben, warum
die Leute hier bei mir eingedrungen sind, mir meine Tiere und mich zu Tode
erschreckt haben und wer der Verantwortliche dafür ist." Dann fiel ihr
noch etwas ein. "Ach ja, das hier habe ich heute Nachmittag an meinem
Hundezwinger gefunden, nachdem man mir meinen Hund im Wald an einen Baum
angebunden hatte, meine Pferde freigelassen hatte und meine Volieren beschmiert
hatte." Damit suchte sie den Zettel hervor, den sie in ihre Tasche
gesteckt hatte. Der eine der Beamten überflog die wenigen Zeilen und schüttelte
dann den Kopf.
"Warum haben Sie das
nicht vorher gemeldet?" wollte er wissen. Diana zuckte mit den Schultern.
"Sie kenne ich nicht,
aber der Beamte im Dorf hat mir heute, nachdem ich am frühen Morgen fast von
einem vorsätzlich angesägten Hochsitz zu Tode gestürzt war und dies bei ihm
meldete zu verstehen gegeben, daß er von alleinstehenden, jagenden Frauen nicht
viel halte, ich solle lieber an meinen Herd zurückkehren anstatt mich mit
solchen männlichen Dingen abzugeben. Daraufhin war mir die Lust vergangen, mich
in dieser Sache wieder an ihn zu wenden." Damit wies sie auf den Zettel in
den Händen des Beamten. Dessen Kollege meinte nur leise:
"Naja, ganz so Unrecht
hat der Kollege ja nicht!" Doch dann verzog er sich schnell aus dem
Bereich der jungen Frau, die ihn wütend anblitzte.
"Männer sind doch alle
gleich!" rief sie empört aus. "Machen Sie lieber Ihre Arbeit, ich
gehe der meinen nach und mische mich ja auch nicht in Ihre Angelegenheiten
ein!" Der Beamte schmunzelte ob der Heftigkeit des Ausbruchs, doch dann
wendete er sich wieder der jungen Frau zu.
"Fräulein Erdei, ich
muß Ihnen sagen, daß sich dieser bedauerliche Vorfall immer wieder wiederholen
kann. Wir können Sie nicht vor diesen Jagdgegnern schützen, noch diejenigen
ausfindig machen, die sich an solchen Dingen beteiligen. Nachdem Sie nun schon
einige Male Ziel dieser Angriffe waren, kann ich Ihnen nur den einen Rat geben:
Ziehen Sie weg von hier! Oder heiraten Sie, oder hören Sie mit der Jagd und
Falknerei auf! Sonst kann es Ihnen vielleicht eines Tages noch ans Leben
gehen!" Diana schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
"Das meinen Sie doch
nicht im Ernst?" flüsterte sie heiser. "Wieso soll ICH hier wegziehen
oder meinen Passionen entsagen, ganz zu schweigen von meinem Privatleben,
welches Sie darüber hinaus überhaupt nichts angeht! Schließlich bin ICH hier in
meinem Recht, lebe auf meinem Grund und Boden und übe meine Passionen
rechtmäßig aus! Meine Tiere werden artgerecht und liebevoll gehalten und ich
besitze alle nötigen Prüfungen und Erlaubnisse zur Ausübung der Jagd, der
Falknerei und der Zucht! Ihre Aufgabe ist es doch, mich vor solchen gesetzlosen
Verbrechern zu schützen, die das Leben und die Gesundheit meiner Tiere
gefährden, von meinem Leben und meiner Gesundheit ganz zu schweigen!" Der
Beamte zog eine Grimasse.
"So leicht ist das
nicht, gute Frau! Ich will und kann das Ihnen jetzt nicht weiter ausführen,
aber ich sage Ihnen, Sie tun im Interesse aller Beteiligten besser daran, einen
meiner Vorschläge anzunehmen." Damit machte er auf dem Absatz kehrt, legte
im Vorbeigehen den Zettel mit der anonymen Drohung auf das kleine Regal unter
der Garderobe und war auch schon verschwunden. Diana hörte noch, wie die Türen
des Polizeiautos zuschlugen und das Geräusch des Motors langsam in der Ferne
verschwand. Mit einem versteinerten Gesichtsausdruck ließ die junge Frau noch
einmal die Worte des Beamten Revue passieren.
"Der also auch!"
seufzte sie schließlich auf. "Keinen Schutz für eine alleinstehende Frau,
die auch noch Jägerin ist! Da haben wir es wieder einmal! Frau, das heißt bei
ihnen: verheiratet oder mit Partner, Kinder, Haushalt und eventuell auch noch
Beruf, aber sonst nichts. Wer - als Frau wohlgemerkt - aus dem Klischee fällt,
ist für den Ärger, den das nach sich zieht, selbst verantwortlich! Na, vielen
Dank!" Doch als sie sich in der Küche einen Kaffee zubereitete, mußte sie
den Dingen ins Gesicht sehen: So wie zuvor konnte sie nicht weiterleben. Aber
was tun? Welchen Entschluß fällen? Lange grübelte sie über einer Lösung ihres
Problems. Hatte sie noch am Abend gedacht, mehr Sicherheitsvorkehrungen würden
eventuell ausreichen, hatte ihr der Beamte die Augen geöffnet. Sicher war sie
und waren ihre Tiere hier nie wieder, egal wie gut sie sich auch schützen
mochte. Und selbst wenn sie jetzt mit der Ausübung von Jagd und Falknerei
aufhören würde, wonach ihr jedoch keineswegs der Sinn stand, so war sie doch
auf der schwarzen Liste und hatte keine Hoffnung, daß man sie von dort
streichen würde. Und ein Ehemann – der sie ja auch nicht viel besser schützen
konnte – kam für sie aus den gegebenen Gründen nicht in Frage. In keiner
Sekunde hatte sie je daran gedacht, ihre Liebe einer ungewissen Sicherheit
wegen zu verraten. Blieb nur noch ein Ausweg: umziehen! So schwer es ihr auch
fallen würde, ihren Tieren zuliebe würde sie dieses Opfer auf sich nehmen!
Fragte sich nur: wohin umziehen? Da schoß ihr plötzlich eine Idee durch den
Kopf! Warum nicht zurück in ihre Heimat? Warum nicht nach Ungarn?
"Warum habe ich nicht
schon viel früher daran gedacht?" fragte sich die junge Frau laut.
"Ich bin erwachsen, unabhängig und frei, meine Entscheidungen selbst zu
treffen! Ja! Ich werde in mein Heimatland zurückkehren! Schließlich habe ich es
ja nur verlassen müssen, weil meine Mutter mit meinem Stiefvater hierher
gezogen ist. Als kleines Kind mußte ich ihnen folgen. Dann kam das Internat und
danach hatte ich keinen Grund, wegzuziehen. Heute aber kann ich selbst
bestimmen, wo ich leben möchte – und ich glaube, ich weiß jetzt, wo das sein
wird!" Nach diesem Entschluß fühlte sie sich gleich viel besser, der
Gedanke an den Umzug in ihr Heimatland gab Diana Gelegenheit, nicht dauernd an
die eventuell auf sie lauernde Gefahr denken zu müssen. Sie hatte viel zu
planen und vorzubereiten, mußte sich um den Verkauf ihres Hofes kümmern und
dabei weiterhin ihrer Arbeit nachgehen. Glücklicherweise hatte sich die
Nachricht auch bei den Jagdgegnern herumgesprochen, daß die junge Frau ihren
Hof verlassen wollte, so blieb sie von weiteren Anschlägen verschont. Schnell
hatte sich ein Käufer für das Anwesen gefunden und schon bald nach
Unterzeichnung des Vorvertrages reiste Diana in die Puszta, um sich nach einer
geeigneten Bleibe für sie und ihre Tiere umzusehen. Die war bald gefunden und
frohen Herzens konnten nun die eigentlichen Vorbereitungen für den Umzug
beginnen.
Endlich war der große Tag
gekommen! Diana war schon sehr früh aufgestanden und hatte ihre Tiere für den
langen Weg vorbereitet. Die Falken saßen in ihren Reisekisten, die Pferde
trugen Decken und Beinschoner, Hund und Frettchen waren ebenfalls in ihren
Reisekisten untergebracht. Da der Spediteur am vergangenen Abend schon alles an
Mobiliar aus dem Haus mitgenommen hatte, hatte sich Diana mit einem Schlafsack
begnügen müssen, den sie nun im Auto verstaute. Es gab nur ein kaltes Frühstück
aus der Provianttasche, denn Strom, Wasser und Gas waren schon abgestellt.
Endlich fuhr der neue Besitzer des Anwesens vor und Diana übergab ihm die
Schlüssel. Dann stieg sie in ihren neuen, gebrauchten Geländewagen, an den der
Pferdeanhänger angekoppelt war und fuhr los. Noch einen letzten Blick zurück
auf das Haus, das ihr so lange als Bleibe gedient hatte, dann konzentrierte sie
sich ganz auf die lange Fahrt. Es gab keine Zwischenfälle und so erreichte sie
ihr neues Domizil in angemessener Zeit. Der alte Bauernhof inmitten der Weite
der Puszta benötigte zwar noch einiges an Arbeit, bis er vollständig bewohnbar
sein würde, aber davor scheute die junge Frau nicht zurück.
"Endlich
zuhause!" rief sie aus, als sie aus dem Wagen ausstieg und ihre Füße
wieder ungarischen Boden berührten. Es würde gewiß nicht leicht werden,
zumindest nicht leichter, als in Frankreich, aber sie wollte diese
Herausforderung gerne annehmen. Hieß es doch auch, daß sie endlich zu ihren
Wurzeln, in ihre Heimat zurückgekehrt war. Mit schier unendlicher Ausdauer und
der Hilfe der freundlichen Nachbarn gelang es der jungen Frau, innerhalb
weniger Monate sich ein gemütliches Zuhause einzurichten. Selten erhielt sie
Nachrichten von ihrer Mutter, eine kurze Karte mit nichtssagendem Inhalt zu
ihrem Geburtstag oder Weihnachten, aber das war sie ja so gewöhnt, denn selbst
als sie in Frankreich lebte hatten sie kaum Kontakt mehr zueinander. Diana
hatte in ihrem Herzen der Mutter nie verziehen, daß diese nach dem tragischen
Tod ihres ersten Mannes wieder geheiratet hatte, zumal einen Menschen, der sie
und die kleine Tochter gezwungen hatte, ihm in ein fremdes Land zu folgen und
sich dann auf sehr elegante Weise des kleinen Mädchens, welches seine Beziehung
zu der Mutter nur stören konnte, da Diana ihren Vater nicht vergessen konnte
und wollte, zu entledigen, indem er sie auf ein Internat schickte. Um so mehr
überraschte es Diana, als sie einige Zeit nach ihrem Umzug in die Puszta einen
langen Brief ihrer Mutter zugestellt bekam.
Meine liebe Tochter
las Diana, nachdem sie den dicken Umschlag
geöffnet und es sich in einem Sessel bequem gemacht hatte.
Ich weiß, daß du es mir nie verziehen hast,
daß ich deinen Stiefvater geheiratet habe und ihm nach Frankreich gefolgt bin.
Nach so vielen Jahren bin ich jetzt auch zu der Meinung gelangt, daß es ein
Fehler gewesen ist. Dein Stiefvater hat sich in letzter Zeit sehr zum
Schlechten verändert, als er hörte, daß du wieder nach Ungarn gezogen bist,
hatte er einen richtigen Wutanfall, der sich gegen mich richtete, weil ich es
nicht verstanden hätte, dich an Frankreich zu binden. Auch vorher schon hatten
mich einige Kleinigkeiten in seinem Verhalten mir gegenüber und im allgemeinen
dazu veranlaßt mein Leben zu überdenken. Ich bin nun zu dem Schluß gelangt, daß
es wohl besser sei, mich von deinem Stiefvater zu trennen. Könntest du wohl
erwägen, mir zu helfen, mich nach meiner Scheidung wieder in Ungarn
anzusiedeln? Verstehe mich wohl – ich will mich beileibe nicht bei dir
einquartieren, erbitte nur deine Hilfe bei der Wohnungssuche. Noch ist
allerdings nichts entschieden, ich möchte aber gerne wissen, ob ich eventuell
auf deine Hilfe rechnen darf.
Vergib mir bitte meine vielen Fehler, ich habe eingesehen, daß
niemand deinen Vater ersetzen kann und daß ich sehr selbstsüchtig an dir
gehandelt habe.
Deine Mutter
Diana war gerührt von den Zeilen ihrer Mutter,
welche es nie verstanden hatte, Gefühle nach außen hin zu zeigen, diese wenigen
Worte jedoch waren mehr, als die junge Frau je erhofft hatte, von ihrer Mutter
zu hören. Schnell schrieb sie eine Antwort, verfaßte diese jedoch so
diplomatisch, daß ihr Stiefvater, falls sie ihm in die Hände fallen sollte,
nichts über die Absichten seiner Ehefrau daraus entnehmen konnte.
Diana warf sich im Schlaf unruhig hin und her.
Zum Teil war dies wohl auf die Wirkung des Vollmondes zurückzuführen, der immer
eine gewisse Unrast bei ihr auslöste, so wie sie auch sehr auf die jeweilige
Wetterlage reagierte. Aber es mußte auch noch einen anderen Grund für ihre
Nervosität geben....
Und wirklich, in ihrem
Alptraum sah Diana, wie ihr Stiefvater sich im Park von Prinz Philippe befand,
schleichend und im Schutz der Nacht sich dem kleinen Marmortempel näherte, in
welchem Diana und der Prinz so zärtliche Momente verbracht hatten. Auch jetzt
saß der Prinz in Gedanken versunken auf der schneeweißen Bank und gewahrte
nicht die drohende Gefahr, die sich ihm mit unhörbaren Schritten näherte. Als
die Gestalt des Stiefvaters sich kurz vor dem Prinzen aufrichtete und einen
Dolch auf sein Herz richtete, schrie Diana auf.
"Philippe! Paß
auf!" Der Prinz reagierte sofort. Mit einem geschmeidigen Schwung warf er
sich von der Bank, so daß der Dolch ihn um Millimeter verfehlte!
Schweißgebadet wachte die junge Frau auf.
"Gott sei Dank, es war
nur ein Traum!" seufzte sie laut und dennoch hatte sie so ihre Zweifel.
Wußte sie doch, daß sie den Prinz persönlich getroffen hatte, in jener
sonderbaren Welt. Aber was hatte ihr Stiefvater dort zu suchen? Wollte er
wirklich den Prinzen ermorden, von dessen Existenz er doch keine Ahnung haben
konnte? Und war es ihr gelungen, den jungen Mann wirklich zu retten? Fragen über
Fragen, die jedoch ohne Antwort bleiben mußten, da ihr der Zugang zu jener
fernen Welt versperrt war. Diana wurde von einer tiefen Sorge um das Wohl des
geliebten Mannes gepackt und fühlte um so mehr ihre Ohnmacht, nichts über sein
Los erfahren zu können. Den Tag verbrachte sie mit Grübeln, ging wie mechanisch
ihrer Arbeit nach und legte sich für ihre Verhältnisse sehr früh Schlafen.
"Diana, Liebste, ich
danke dir für deine Hilfe, ohne dich wäre ich nicht mehr da!" flüsterte
Prinz Philippe.
"Dann war es also kein
Traum?" fragte Diana leise, als ihr der junge Mann erschien. Dieser
lächelte rätselhaft.
"Traum oder
Wirklichkeit, was spielt das für uns eine Rolle? Sind wir nicht verbunden durch
die Liebe unserer Herzen? Hier oder dort, heute, gestern oder in der Ewigkeit
sind unbedeutende Ausdrücke menschlicher Erfindung. Einzig zählt der
Gleichklang unserer Herzen, die Einheit unserer Gedanken! Daran mußt du immer
denken, Geliebte! Dann werden viele Fragen beantwortet und Zweifel ausgeräumt!
Vertraue nur zuversichtlich deinem Herzen, dann wird alles gut!" Die junge
Frau nickte leicht mit dem Kopf.
"Wenn ich auch nicht
alles verstehe, so will ich doch deinem Rat folgen und nicht mehr zweifeln oder
eine Ratio suchen in den Dingen, die mit uns geschehen. Ich bin froh, daß es
mir gelungen ist, dich vor einem schrecklichen Schicksal zu bewahren - doch
sage mir nur eines: was hat mein Stiefvater in deinem Reich zu suchen?"
"Das, geliebte Diana,
kann ich dir auch nicht beantworten. Aber es muß einen Zusammenhang geben, der
uns nur noch verborgen ist. Hüte dich aber ebenso vor ihm, wie ich mich jetzt
vor ihm hüten werde, denn er führt Böses im Sinn! Und das kann sich ebenso
gegen dich wenden, Liebste! Hab also Acht, auf alles, was mit diesem
gefährlichen Mann im Zusammenhang steht!"
"Ich werde deinen Rat
beherzigen, Liebster!" versprach Diana dem Prinzen.
"Dann lebe wohl,
Geliebte!" sprach zärtlich der junge Mann, bevor er im Nichts verschwand.
Diana wachte am nächsten Morgen innerlich beruhigt auf, erinnerte sie sich doch
daran, daß sie mit Prinz Philippe in Verbindung treten konnte, wenn sie es sich
sehr wünschte. Aber das Bewußtsein, daß von ihrem Stiefvater eine unbekannte
Gefahr ausging, ließ sie wachsam sein.
Es wurde wieder einmal Herbst und in Diana
erwachte erneut dieses undefinierbare Gefühl, dieser Jagdtrieb, dieses Erbe
ihrer Vorväter, die um diese Jahreszeit ausgingen, um Fleischvorräte für den
langen Winter anzulegen. Ruhelos pilgerte sie zwischen Waffenschrank und
Schreibtisch hin und her, hoffend, daß sie jemand aus ihrer Bekanntschaft zur
Jagd einladen würde. Ihre wenigen Mittel ließen es zwar zu, sich ein paar
Jagdausflüge zu leisten, nicht aber organisierte Reisen zu fernen Zielen. Und
sie wurde nicht enttäuscht. Eines Morgens brachte der Postbote einen dicken
Briefumschlag mit rumänischer Marke. Diana riß schnell den Umschlag auf und
entnahm ihm mit zitternden Fingern einen aus einem Schulheft stammenden Zettel
und einige Formulare. Sie vertiefte sich in die Lektüre der beiden
engbeschriebenen Seiten.
<Liebe Diana! Ich hoffe, meine Zeilen treffen
dich bei guter Gesundheit an! Wie lange ist es her, daß wir uns das letzte Mal
gesehen haben! Damals warst du noch ein kleines Kind! Und seither konnten wir
nur Briefe wechseln! Aber wir alle sind sehr froh, daß du nun wieder in deiner
Heimat lebst! Wir haben auch dieses Jahr den Hegeabschuß für die Region
erhalten, in welcher dein Vater einst gejagt hat. Sollte es dich interessieren,
so kannst du mit Pfeil und Bogen oder aber mit der Flinte den mir zufallenden Teil
der Abschüsse erhalten, da mich eine schwere Krankheit daran hindert, dies
selbst zu tun. Natürlich stehe ich dir mit meinem Rat zur Seite, wie ich auch
schon deinem Vater als Jagdbegleiter geholfen habe. Meine beiden Söhne können
dich im Revier begleiten, sie selbst haben ihren Anteil schon geschossen,
können dir also ihre ganze Zeit widmen. Die kleine Jagdhütte am Berg, du
erinnerst dich sicher noch an sie von den Fotos deines Vaters, die, auf der
Wildblumenlichtung am Eisbach, steht dir für die Dauer von zwei Wochen ganz zur
Verfügung. Wenn du es einrichten kannst, komme in den ersten beiden
Oktoberwochen zu uns, das ist die beste Zeit zur Jagd. In der Hoffnung, daß du
unsere Einladung annimmst, habe ich mir erlaubt, dir schon die
Einfuhrgenehmigungen für deine Waffen mitzuschicken. Ich hoffe sehr, du beehrst
uns mit deiner Gegenwart, wir alle sind sehr gespannt, was aus dem kleinen
Mädchen geworden ist, das in die Fußstapfen seines Vaters, den wir alle sehr
geliebt haben, getreten ist. Diana Erdei, du machst deinem Namen alle Ehre!
Bitte benachrichtige uns schnell, wir alle erwarten dich!
Dein "Onkel" Gábor, "Tante"
Juliska, Péter und Pál
Diana legte den Brief
beiseite und wischte sich mit einer nachlässigen Handbewegung die beiden Tränen
aus den Augen, die sich dorthin geschlichen hatten, als sie die Erinnerung an
ihren Vater übermannt hatte. Das waren wahre Freunde! Über all die Jahre und
vielen Kilometer hinweg hatten sie ihr die Treue gehalten, sich regelmäßig nach
ihrem Befinden erkundigt und teilgenommen an ihrem Lebensweg. Diana hatte die
freundlichen Leute von allen großen und kleinen Ereignissen in ihrem Leben
benachrichtigt und erfuhr ihrerseits alles über das Leben dieser ungarischen
Familie in den unwirtlichen Karpaten. So brauchte sie nicht lange zu überlegen,
schnell füllte sie die Formulare aus und schickte sie ab, ebenso einen kurzen
Brief, in welchem sie der Familie Szabó mitteilte, wann sie ankommen würde. Die
Nachbarn versprachen, sich um ihre Tiere zu kümmern, so war alles geregelt.
Als der Tag der Abreise
gekommen war, packte Diana ihre Siebensachen in den nun schon ziemlich in die
Jahre gekommenen Geländewagen, dann fuhr sie frohen Mutes los. Waren die
ungarischen Landstraßen schon nicht in allerbestem Zustand, so wurde es nach
der rumänischen Grenze ganz schlimm. Diana hatte die Kontrollen schnell hinter
sich gebracht, waren doch alle Papiere in Ordnung und hatte sie jedem der drei
Zollbeamten ein kleines Päckchen mit Kaffee, Zigaretten und Fleischkonserven
zugesteckt. Aber danach wurde die Fahrt zur Rallye. Schlaglöcher so tief, daß
ein normales Auto sie gar nicht passieren konnte, Schlamm und Steine auf der
Fahrbahn und nur sehr sporadisch Hinweisschilder, wo man sich denn gerade
befand. Zwar hatte Diana eine gute Karte, dennoch mußte sie des öfteren
anhalten, um nach dem Weg zu fragen. Glücklicherweise waren es fast immer
Menschen ungarischer Abstammung, die ihr freundlich Auskunft gaben, die Rumänen
hielten noch an ihrer eingewurzelten Furcht vor Kontakt mit Ausländern fest,
immer in Angst vor der Geheimpolizei. So gelangte die junge Frau schließlich in
die Nähe ihres Zielortes. Vor ihr erhoben sich die unheimlichen Berge der
Karpaten in den Abendhimmel. Es wurde langsam dunkel und sie mußte sich
vorsichtig ihren Weg über die kaum noch Straße zu nennende Bahn suchen.
Plötzlich trat sie hart auf die Bremse, der schwere Wagen kam zum Stehen. Vor
ihr tat sich ein dunkler Schlund auf: Die Straße war wohl bei einem der
herbstlichen Unwetter unterspült worden und abgesackt. Aber kein Achtungsschild
wies die in vollem Vertrauen auf die Befahrbarkeit der Straße dort ihres Weges
kommenden Menschen auf die Gefahr hin! Diana stieg mit zitternden Knien aus und
wagte sich vorsichtig bis an die Kante des Bruches vor. Oh Schreck! Die
Fahrbahn war so abgerutscht, daß ein mehrere Meter tiefes Loch vor ihren Füßen
gähnte! Wer dort hineinfuhr, dessen Leben war keinen Pfennig mehr wert! Der
direkten Gefahr entronnen, machte sich Diana jetzt Gedanken über ihr
Weiterkommen. Die Nacht senkte sich jetzt mit großer Geschwindigkeit auf sie
herab, ihre Gastgeber erwarteten sie sicherlich schon - und es gab keinen
anderen Weg, als diesen hier, der sich als unbenutzbar erwies. Diana grübelte
noch darüber nach, wie ihre Gastgeber denn in die nächste kleine Stadt kommen
konnten, um ihre Einkäufe zu tätigen, als sie das leise Klingen einer Glocke
hörte. Erstaunt drehte sie sich nach dem Klang um, als sie eine kleine
Ziegenherde den Berghang herabklettern sah. Dahinter erschien die schmale
Gestalt eines jungen Mädchens, nur in einige Lumpen gehüllt, aber
erstaunlicherweise sauber. Diana näherte sich der Hirtin und bat sie mit einer
zarten Geste, anzuhalten.
"Kannst du mich
verstehen?" fragte sie das Kind in ungarisch und war sehr erfreut, als
dieses nickte. "Bitte sage mir doch, wie ich zur Familie Szabó ins
Forsthaus kommen kann, denn die Straße hier ist ja unbefahrbar." Das Kind
dachte eine Weile nach, dann leuchtete sein Gesichtchen auf.
"Ich weiß einen
kleinen Waldweg von hier aus etwa hundert Meter weiter unten rechts, der ist
nicht sehr breit und es fahren hauptsächlich Pferdegespanne darauf, aber du
wirst mit deinem schönen, großen Auto schon darauf fahren können." meinte
das Mädchen.
"Bist du ganz
sicher?" fragte Diana mit Nachdruck, denn sie hatte keine Lust, in der Nacht
auf unbekannten Waldwegen steckenzubleiben ohne die geringste Aussicht auf
Hilfe in dieser gottverlassenen Gegend. Das Kind nickte.
"Der Oberförster ist
auch schon mit seinem Auto da gefahren, um ins Forsthaus zu kommen."
bekräftigte es seinen Standpunkt. Das beruhigte Diana ein wenig.
"Kannst du mir dann
beschreiben, wie ich fahren muß?"
"Das ist
kinderleicht!" rief das Mädchen aus. "Es gibt nur diesen Weg zum
Forsthaus, der breit genug ist, um darauf fahren zu können. Wenn du also immer
den Radspuren folgst, kommst du sicher zum Forsthaus."
"Na dann, vielen
Dank!" meinte Diana und gab dem Kind ein paar Päckchen Kaugummi sowie
etwas Schokolade, beides große Seltenheiten in diesem armen Land.
"Vielen, vielen Dank,
liebe Fee!" rief ihr das Kind glücklich nach, als Diana wieder in ihr Auto
stieg, mit Mühe und Not auf der engen Straße wendete und etwa hundert Meter
unterhalb der Bruchstelle auf den Waldweg einbog.
"Liebe Fee?"
dachte sie an die Worte des Kindes.
"Glauben die Menschen
hier noch an so etwas? Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Heutzutage ist doch
jede Romantik verpönt, werden Märchen und Legenden als Großmutterkram abgetan.
Und doch hat jeder Mensch geheime Sehnsüchte, Träume und Wünsche. Und gibt es
Dinge, die sich selbst mit unserer hypermodernen Wissenschaft nicht erklären
lassen..." Sie versank in eine ganz undefinierbare Stimmung, wurde aber
sehr unsanft aus ihren Träumen gerissen, als der Wagen in ein tiefes Schlagloch
fuhr und sie heftig durchrüttelte.
"Ich täte besser
daran, mich auf meinen Weg zu konzentrieren, denn zu träumen." rief sie
sich selbst zur Ordnung und konzentrierte sich von nun an nur noch auf den
selbst im starken Scheinwerferlicht ihres Wagens schwer erkennbaren Weg. Der
schmale Pfad wand sich in engen Kehren den Berg hinauf, bis nach einiger Zeit
das Gelände abflachte: sie war auf einem breiten Hochtal angekommen. Nur noch
ein paar Minuten, dann war sie endlich am Ziel! Plötzlich tauchten im Licht der
Scheinwerfer die Umrisse eines hohen Holzzaunes aus der Dunkelheit auf,
dahinter ließ sich die Silhouette des Forsthauses ausmachen. Wie durch
Zauberhand öffnete sich das hohe Holztor und gab Diana den Weg frei zu einem
Nebengebäude, welches als Remise für die Kutsche und den Jagdwagen sowie als
Garage diente. Die junge Frau brachte ihr Auto dort unter. Als sie ausstieg,
stand dort schon der Mann, den sie - wenn auch um einiges jünger - von Fotos
her kannte, auf welchen er neben ihrem Vater vor der erlegten Beute abgebildet
war.
"Gábor bácsi!"
"Mein Gott, Diana! Was
für eine schöne Frau ist aus dem kleinen Mädchen geworden!" staunte der
Mann, dann fielen sie sich in die Arme. Beiden standen Tränen der Freude aber
auch der Trauer in Erinnerung um das schlimme Schicksal von Dianas Vater in den
Augen. Als sie sich endlich wieder losließen, betrachtete die junge Frau
aufmerksam ihr Gegenüber. Sie sah einen schmalen Mann, der auf die sechzig
zuging, dessen Haltung und Aussehen aber ein weitaus geringeres Alter vermuten
ließen. Ganz in Grün gekleidet mit einem alten Jägerhut auf dem grauen Haupt,
sah er ganz genauso aus, wie das Urbild eines Jägers aus den Bergen. Sein
Gesicht war fast noch ohne Runzeln und Falten, nur um die von dichten Brauen
beschatteten dunkelbraunen Augen hatten sich kleine Fältchen gebildet. Die
Adlernase saß über einem breiten Mund, den sowohl ein Schnurrbart als auch ein
langer Vollbart schmückten, in deren dunkles Braun sich jetzt silberne Fäden
mischten.
"Gábor bácsi dagegen
hat sich überhaupt nicht verändert!" stellte sie fest. "Ich glaube,
hier in den Bergen gehen die Jahre spurlos an ihren Bewohnern vorüber!"
"Na, wenn auch nicht
spurlos, aber doch kaum wahrnehmbar!" lachte der Förster. "Aber
bitte, wenn es dir nichts ausmacht, dann nenn mich einfach Gábor und
<DU>, so wie es dein Vater auch immer getan hat."
"Mit Freuden!"
antwortete ihm Diana. "Aber bitte, du sollst dich doch sicher nicht
anstrengen, nachdem du mir geschrieben hast, daß du eine schwere Krankheit
hast." Der Mann schüttelte leicht den grauen Kopf.
"Liebe Diana, mach dir
nicht immer Gedanken um die anderen. Mir geht es nicht gut, das stimmt und mein
schwaches Herz verbietet mir die weiten Wege und die Kletterei auf der Pirsch
bergauf, bergab, es verbietet mir aber nicht, meine Zeit mit einem lieben Gast
zu verbringen, sofern ich nicht allzuweit von zuhause weggehe."
"Dann ist es wohl
besser, wenn wir jetzt ins Haus gehen, die anderen werden sicher schon auf uns
warten."
"Du hast recht, mein
Kind. Komm, ich nehme deine Waffen, die sind im Haus sicherer aufgehoben."
Damit ergriff er das Futteral im Wagen und eine kleine Tasche mit dem Zubehör.
Diana nahm ihren großen Koffer und die Handtasche, so gingen sie die wenigen
Schritte unter dem Vordach bis zum Eingang in das Forsthaus. Dort empfing sie
eine mütterliche Frau, die ungefähr das gleiche Alter hatte, wie ihr Mann:
"Tante" oder "Néni" Juliska. Wo ihr Mann, der Förster,
schlank war, war sie die Beleibtheit selbst. Aber sie war die Güte in Person
und unterstützte ihren Mann, wo es nur ging. Ihr freundliches Mondgesicht strahlte
über alle Backen, als sie die junge herzlich Frau begrüßte.
"Liebe Diana! Herzlich
willkommen in unserem armen Heim! Ich bin so froh, daß wir uns nach so vielen
Jahren wiedersehen! Es ist halt nicht dasselbe, wenn man sich schreibt, oder
wenn man sich persönlich sieht! Doch komm, ich zeige dir gleich dein Zimmer, da
kannst du deine Sachen in Ruhe auspacken und auch ein Bad nehmen, wenn du
willst, inzwischen bereite ich das Abendessen vor."
"Vielen, vielen Dank
für den herzlichen Empfang, Juliska néni!" rief Diana und drückte der Frau
zwei dicke Küsse auf die nicht weniger dicken Wangen. "Ich würde sehr
gerne ein Bad nehmen und dann etwas essen, denn ich bin hungrig wie ein Wolf!
Die Fahrt war lang und ich mußte über den Waldweg fahren, weil die Straße
abgesackt ist."
"Oh Gott! Das kann nur
vorgestern nach dem großen Unwetter geschehen sein!" rief die Frau aus.
"Denn am Tag davor haben wir die Straße noch benutzt! Aber niemand hat uns
davon in Kenntnis gesetzt."
"Ich muß sagen, auch
ich war überrascht, um es gelinde auszudrücken, als sich plötzlich vor mir ein
dunkles Loch auftat!" meinte Diana schaudernd. "Nur eine winzige
Sekunde der Unaufmerksamkeit und ich wäre nie hier angekommen."
"Ja stand denn kein
Warnschild dort?" wollte der Förster wissen. Diana schüttelte den Kopf.
"Nein, Gábor bácsi! Es
gab vorher keinen einzigen Hinweis auf die drohende Gefahr. Ich muß meinem
Schutzengel danken, daß ich jetzt nicht zerschmettert auf dem Grund der
Steilwand liege!"
"Ich werde mich morgen
in aller Frühe auf den Weg machen und eine Hinweistafel anbringen!" meinte
der Förster. "Unsere Behörden sind ja scheinbar nicht dazu in der
Lage!"
"Ich werde dich
dorthin fahren." kam ihm Diana zur Hilfe. "Erstens geht das schneller
und dann möchte ich mir auch einmal bei Tage die Stelle ansehen, wo ich beinahe
mein Leben verloren hätte."
"Vielen Dank, Diana!
Ich werde gleich ein Schild herstellen." sagte der Mann und verschwand im
Keller. Diana brachte ihre Sachen auf das Zimmer, welches schon ihrem Vater als
Unterkunft gedient hatte und dachte wehmütig daran, wie schön es wäre, könnte
er jetzt bei ihr sein und sie auf der Pirsch begleiten. Das Gästezimmer war
ganz im Stil der Jagdhütten eingerichtet. Das helle Holz der Wände, an denen
die verschiedensten Trophäen hingen, vom kapitalen Hirschgeweih bis zum
ausgestopften Auerhahn, gab ihm ein jagdlich-heimeliges Aussehen. Von der Decke
hing eine Lampe aus drei Geweihstangen und die Wandleuchte über dem Bett war
aus dem Gehörn eines Rehbockes gefertigt. Außer dem bequemen Bett mit den
warmen Daunendecken gab es noch einen mit Jagdmotiven geschnitzten Holzschrank
und einen kleinen, runden Tisch mit zwei Stühlen, deren Lehnen ebenfalls
geschnitzte Jagdszenen aufwiesen. An den kleinen Fenstern hingen blau karierte
Gardinen, die aus dem gleichen Stoff waren, wie die Zierdecke auf dem Tisch.
Eine niedrige Holztür führte in das kleine Bad, das zum Gästezimmer gehörte.
Als Diana ihre Sachen verstaut hatte, begab sie sich wieder ins Erdgeschoß, wo
sie im Wohnzimmer der Familie schon das dampfende Abendessen erwartete.
"Ich habe geschmorten
Hasen mit Klößen vorbereitet." bemerkte Juliska néni. "Das war auch
die Lieblingsspeise deines Vaters. - Ich hoffe, du bist mir nicht böse
darüber." setzte sie schnell hinzu, als sie die Träne gewahrte, die sich in
den Augenwinkeln Dianas bildete und zu Boden tropfte. Die junge Frau schüttelte
leicht den Kopf und lächelte.
"Natürlich bin ich
nicht böse, Juliska néni, nur übermannen mich manchmal die Erinnerungen und ich
kann es einfach nicht glauben, daß mein Vater uns so früh verlassen
mußte."
"Ja, es war ein
schrecklicher Schicksalsschlag!" bekräftigte die Frau. "Natürlich in
erster Linie für dich und deine Mutter, aber auch für uns, die wir direkt am
Ort des Geschehens waren und uns zudem seine Freunde nennen durften." Sie
umarmte tröstend Diana und führte sie zum gedeckten Tisch. "Setz dich,
Gábor kommt auch gleich, er will nur noch das Schild fertigstellen, dann können
wir beginnen." Diana setzte sich gehorsam auf den ihr von der Förstersfrau
angewiesenen Platz, der, auch wenn es ihr niemand sagte, sicher der angestammte
Platz ihres Vaters gewesen war. Nach fünf Minuten erschien auch der Förster
wieder und sie begannen schweigsam nach einem kurzen Gebet das Abendessen.
Diana langte trotz allem kräftig zu, hatte die Fahrt ihr doch sehr zugesetzt.
Als die Frau den Nachtisch aus Kastanienpüree servierte, wagte Diana endlich
die Frage, die ihr schon lange auf der Zunge lag.
"Eure Söhne, die mich
morgen begleiten sollen, wo sind sie denn heute?"
"Du wirst sie morgen
schon zu Gesicht bekommen." meinte Gábor bácsi. "Ich habe sie zur
Jagdhütte vorausgeschickt, damit alles vorbereitet ist, wenn du morgen dort
ankommst."
"Vielen Dank Gábor
bácsi. Ich sehe, du organisierst alles zum Besten deiner Gäste!"
"Das ist doch nur
selbstverständlich!" lachte der Förster. "Zumal du für uns viel mehr
bist, als nur ein gewöhnlicher Jagdgast." Der Abend verging in Harmonie
und alle legten sich früh schlafen, um am nächsten Morgen zur rechten Zeit wach
zu sein. Als der Wecker klingelte, fuhr Diana aus dem Schlaf auf, die Nacht
schien ihr nach all den Anstrengungen und Aufregungen des Vortages doch sehr
kurz gewesen zu sein. Nichtsdestotrotz nahm sie eine schnelle Dusche und zog
ihre bequeme Jagdkleidung an. In der Küche warteten schon ein ausgiebiges Frühstück
und der Förster auf sie.
"Guten Morgen, Gábor
bácsi." grüßte Diana den Mann, der ihr sogleich aus einer alten, schön
emaillierten Kanne heißen Kaffee einschenkte.
"Guten Morgen Diana,
gut geschlafen?" erkundigte er sich bei der jungen Frau, die bejahend
nickte.
"Gut, ja, aber viel zu
wenig!" Der Förster lachte laut auf.
"Das will ich gerne
glauben, aber so ist die Jagdsaison nun einmal."
"Zumal wir zuerst das
Schild an die Straße stellen müssen." bemerkte Diana nachdenklich. Sie
aßen schnell ihr Frühstück aus Rührei mit Pilzen auf und packten dann alle
Jagdutensilien samt dem Holzschild in den Geländewagen der jungen Frau. Als sie
an der Bruchstelle der Straße anlangten, wurde es gerade Tag. Gábor bácsi
stellte das Warnschild weit genug vor der Gefahrenstelle auf, dann ging er zu
Fuß mit Diana an die gefährliche Stelle. Als sie das tiefe Loch begutachteten,
fiel ihr Blick unwillkürlich auf den Steilhang zu ihren Füßen. Mit Schaudern
wurden sie sich bewußt, daß es im Falle eines Unfalles keine Hilfe für den
Betroffenen geben würde. Der Berg fiel hier mehrere hundert Meter steil ab,
außer steinernen Klippen gab es nicht den geringsten Pflanzenwuchs, der einen
Fall eventuell gebremst hätte. Tief unten im Tal sah man einen reißenden
Bergfluß, ansonsten unbegehbare Wildnis. Noch einmal sprach Diana ein stilles
Dankgebet dafür, daß ihr ein schreckliches Los erspart geblieben war. Dann
kehrten sie zum Wagen zurück und machten sich auf den Weg zur Jagdhütte. Diese
befand sich in einem Teil des Bergwaldes, welcher noch mit dem Auto zu
erreichen war, bildete aber nur das Basislager. Die nächsten Hütten waren nur
nach stundenlangen, anstrengenden Fußmärschen durch unwegsames Gelände zu
erreichen. Als das Auto auf die kleine Lichtung einbog, in deren Mitte die
Hütte stand, warteten schon zwei große, starke Gestalten unter dem Vordach auf
die Ankömmlinge. Péter und Pál waren Zwillinge, die sich glichen, wie ein Ei
dem anderen. Von hohem, breitem Wuchs, etwa in Dianas Alter, zeugten ihre
wettergegerbten Gesichter vom ständigen Aufenthalt in der freien Natur. Dunkle
Locken umspielten die hohe Stirn, fast schwarze Augen schauten unter dichten
Brauen durchdringend in die Weite, die Gesichter waren markant und doch nicht
ohne Charme. Als Diana aus dem Wagen stieg, begrüßten sie die beiden jungen
Männer herzlich, danach hatte auch der Vater ein Recht auf eine warme
Begrüßung. Schnell waren die Jagdutensilien ausgeladen und man setzte sich in
der gemütlichen Stube zur Lagebesprechung zusammen. In dem aus riesigen
Baumstämmen gefertigten Blockhaus herrschte durch einen Kachelofen angenehme
Wärme, alle Einrichtungsgegenstände waren grob aus Holz gefertigt, der lange
Tisch ebenso wie die Stühle, die Bettkästen und die beiden Truhen, die als
Aufbewahrungsort aller übrigen Utensilien dienten. Ein alter Eisenherd mit
Holzfeuerung diente zusammen mit einem Büfett aus Uromazeiten als Küche, ein
Eisengestell mit Emailleschüssel als Waschgelegenheit. Wasser kam aus dem nahen
Bach und als Toilette diente das <Häusl> hinter der Hütte. Und obwohl
Diana an heimischen Komfort gewöhnt war, akzeptierte sie sofort die hiesigen
Gegebenheiten. Jagd - noch dazu umsonst - nur das war es, was zählte! Und hatte
nicht auch ihr Vater hier seine schönsten Jagderlebnisse gehabt? Sie kamen
überein, daß die Jagd am nächsten Tag von der zweiten Hütte aus beginnen
sollte. Gábor bácsi würde mit dem Auto zum Forsthaus zurückkehren, sie würden
es vorerst nicht benötigen. Nach ein paar Tagen würde er wieder ins Basislager
zurückkommen, um zu sehen, wie die bisherige Jagd abgelaufen war. Dann wollten
sie einen anderen Teil des Reviers bejagen. Diana entschloß sich, den ersten
Teil der Pirsch mit dem Gewehr zu bestreiten, danach wollte sie es auch einmal
mit Pfeil und Bogen versuchen. In aller Frühe wanderten die drei Jäger los. Sie
hatten genügend Proviant für zwei Tage mitgenommen, denn in der hiesigen Gegend
konnte man Unvorhergesehenes nie ganz ausschließen. In ihren schweren
Rucksäcken hatten sie Kleidung zum Wechseln, Schlafsäcke und all das andere
unentbehrliche Zubehör, welches bei der Jagd benötigt wird. Die Luft war kalt
und es wehte ein scharfer Wind, der die Kronen der hohen Bäume heftig
schüttelte. Doch in der Tiefe des Waldes spürte man die Gewalt des Sturmes
weniger und sie konnten forsch ausschreiten. Die wunderbare Stille wurde nur
hin und wieder vom Schrei eines Vogels oder dem leisen Knacken eines trockenen
Zweiges unter den schweren Wanderschuhen der Jäger unterbrochen. Schweigend
setzten sie ihren Weg in immer höhere Regionen der Berge fort. Mittags machten
sie Rast auf einer von hohen Felsen geschützten Lichtung und verzehrten ihr
kaltes Mahl. Dann ging es weiter, immer höher und höher. Sie kamen an der
nächsten Hütte vorbei, wo die beiden jungen Männer rasch nachsahen, daß auch
hier alles gerichtet war. Danach setzten sie ihren Weg fort. Es wurde immer
kälter und oft, wenn sie weite Hochalmen überquerten, schützte sie auch nicht
mehr der dichte Wald vor dem Ansturm des Windes. Später ging es wieder etwas
bergab, denn Diana sollte die Gelegenheit haben, auf einen Abschußhirsch zum
Schuß zu kommen. Lange mußten sie suchen, bis sie einen geeigneten Platz
fanden, dann aber verschwanden die beiden jungen Jäger und überließen Diana
ihren Gedanken, während sie auf den Hirsch wartete. In der unwirklichen Stille
der riesigen Wälder hatte sie genügend Zeit, über ihr Leben nachzudenken.
Sollte sie nicht doch dem Werben des einen oder anderen Bewerbers um ihre Hand
nachgeben und eine "normale" Ehe führen? Konnte sie das aber
überhaupt? Noch keiner der jungen Männer ihrer näheren Bekanntschaft hatte sich
wohlwollend über ihre Hobbys geäußert, einige verlangten geradezu, daß sie
diese aufgeben sollte, um als "normale" Ehefrau und Mutter zu leben.
Das aber widersprach jeder Faser ihres Körpers. Nie würde sie eines Mannes wegen
ihr Leben ändern - und nie würde sie das Philippe gegebene Versprechen brechen!
Über Nacht hatte es heftig geschneit. Als Diana
im ersten Licht des neuen Morgens aus dem kleinen Fenster schaute, bot sich ihr
ein wunderbarer Anblick. Die dunklen Tannen trugen weiße Häubchen auf ihren
dichten Zweigen und im Schnee auf der Lichtung war ein Gewirr von Spuren zu
sehen, welche die Tiere hinterlassen hatten, die im Schutze der Nacht dort
übergewechselt waren. Jetzt war es an der Zeit, mit Pfeil und Bogen auf die
Jagd zu gehen! Diana hatte zu diesem Zweck extra ein weißes Übergewand
mitgebracht, zur besseren Tarnung im Schnee. Die Wildschweine konnten nun
anhand ihrer Fährten ausfindig gemacht werden. In aller Eile weckte sie ihre
Begleiter, die sich ebenso freuten, wie sie, daß es geschneit hatte. Als sie in
die Kälte hinaustraten gefror ihnen der Atem, so kalt war es. Trotzdem
gelangten sie bald zu der als Ansitz auserkorenen Stelle. Diana nahm nach
einigen Vorsichtsmaßnahmen ihren Platz ein, die beiden Begleiter entfernten
sich ein wenig, hatten aber von ihrem Standplatz aus einen freien Blick zu der
jungen Jägerin. Lange, lange Zeit geschah nicht das Geringste, bis dann
plötzlich ein paar Überläufer aus dem Dickicht hervorkamen. Vorsichtig schauten
sie sich auf der kleinen Lichtung um, sicherten in alle Richtungen, konnten
aber nichts Gefährliches entdecken. Diana wartete mit gespanntem Bogen und
angehaltenem Atem auf eine gute Gelegenheit zum Schuß. Noch waren die
Schwarzkittel zu weit entfernt, um einen sicheren Schuß abgeben zu können, denn
die beste Distanz liegt bei knappen 10-15 Metern. Endlich aber kam einer der
Überläufer in seiner Neugierde auf Schußweite heran. Diana ließ den Pfeil
fliegen, ein dumpfer Schlag zeigte ihr den Treffer an, welcher das Tier an
einer empfindlichen Stelle getroffen haben mußte, denn nach nur wenigen
Sprüngen brach es zusammen. Die anderen Wildschweine hatten das leise Zischen
des Pfeiles nicht als Gefahr wahrgenommen, erst als der Überläufer
zusammenbrach, gingen sie in stiller Flucht ab. Diana wartete noch einige Zeit,
dann begab sie sich mit den inzwischen hinzugekommenen Brüdern zu ihrer Beute.
"Weidmannsheil,
Diana!" beglückwünschten sie die beiden Jäger und
"Weidmannsdank!"
dankte ihnen Diana, während sie sich zu dem erlegten Tier niederbeugte. Pál
suchte einen kleinen Zweig, welchen er in den roten Schweiß des Überläufers
tauchte und diesen Bruch dann Diana überreichte, die ihn sich dankend an den
Hut steckte.
"Das war ein schöner,
weidgerechter Schuß!" freute sich Pál mit der Schützin. "Ich war noch
nie auf einer Jagd mit Pfeil und Bogen dabei, ich muß sagen, das Ganze hat mich
sehr beeindruckt!" Diana wehrte lächelnd dieses Lob ab.
"Das war heute keine
so schwere Aufgabe! Aber du mußt einmal dabeisein, wenn es auf Hirsche oder
Rehböcke geht! Da ist Tarnung das A und O der ganzen Sache und natürlich das
gekonnte Anpirschen. Ich habe schon einmal für ein paar Meter, die mich in
Schußweite brachten, mehrere Stunden gebraucht! Auf dem Bauch im Gras liegend
und immer versuchend, so geräuschlos wie möglich und so unauffällig wie nötig
mit dem Bogen mich dem Bock zu nähern! DAS ist wahre Jagd!" Der junge Mann
schüttelte zweifelnd den Kopf und schaute der hübschen jungen Frau in ihr vor
Freude strahlendes Gesicht.
"Willst du damit
sagen, daß du dich auch so anmalst, wie man es in manchen Kriegsfilmen
sieht?"
"Natürlich! Je weniger
das Tier mich als menschliches Wesen erkennen kann, desto besser stehen meine
Chancen. Ich habe immer einen Kasten mit Farben bei mir, wenn ich mit dem Bogen
auf die Jagd gehe. Heute war es aber nicht nötig, denn der weiße Umhang mit der
Kapuze, die ich mir über mein Gesicht ziehen konnte, gaben mir genug Tarnung in
der schneeweißen Landschaft."
"Macht es dir denn
nichts aus, dich so zu "verunstalten"? Ich meine, Frauen schminken
sich zwar, aber doch nur, um noch hübscher als sonst auszusehen!" grinste
der junge Mann. Diana aber schüttelte den Kopf, daß ihre Locken stoben.
"Du wirfst hier zwei
ganz und gar verschiedene Sachen in einen Topf. Natürlich schminke ich mich ein
wenig, wenn ich einmal ausgehe oder an einer Veranstaltung teilnehme, denn auch
in mir lebt die weibliche Eitelkeit, wenn auch nicht so ausgeprägt, wie bei
manchen anderen Frauen. Die Jagd ist aber eine ganz andere Sache! Da werde ich
wieder zu einem Mensch in seiner ursprünglichsten Form, welcher versucht, sich
seinem Beutetier so unauffällig wie möglich zu nähern und dem jede Möglichkeit
zur Tarnung recht sein muß. Deshalb bevorzuge ich auch seit einiger Zeit die
Bogenjagd, sie bietet dem Wild eine größere Chance und ist eine weitaus höhere
Anforderung an den Jäger. Er muß weit mehr, als bei der Jagd mit dem Gewehr,
die Lebens- und Verhaltensweisen des Wildes kennen, sich den Gegebenheiten des
Geländes anpassen können, Geduld und Erfahrung in sich vereinen. Mit dem Gewehr
sind wir den Wild überlegen, mit Pfeil und Bogen hat es alle Vorteile auf
seiner Seite." Nach dieser langen Rede machte sich die erfolgreiche
Jägerin daran, das Wild mit Hilfe der beiden Brüder fachgerecht zu versorgen.
Als sie die Arbeit beendet hatten, begaben sie sich auf den Rückweg zur Hütte.
In der Ferne heulten Wölfe, es war Vollmond und
die Meute hatte sicherlich auch Hunger. In dieser Gegend kam es nicht selten
vor, daß Wölfe in die Hürden der Schafe eindrangen und ein Stück nach dem
anderen rissen, bis sie ihren Hunger gestillt hatten. Und auch von Bären wußten
die Menschen hier oben zu berichten, die nicht nur Schafe oder Rinder, sondern
auch deren Hirten getötet hatten, um an frische Nahrung zu gelangen. Zwar war
Meister Petz ansonsten mehr ein Aas- oder Pflanzenfresser, doch wenn der Hunger
ihn trieb, dann konnte er sich zum gefährlichen Beutereißer entwickeln. Diana
hatte oft den Erzählungen ihres Vaters gelauscht, wenn dieser von seinen Jagden
auf den Braunbär der Karpaten berichtete. Oft war das kluge und vorsichtige
Tier seinen Nachstellungen entgangen, aber wenn Hungerzeiten herrschten, dann
konnte der Bär oft, aber trotzdem nicht leicht, am Kadaver von Pferden oder
Rindern geschossen werden. Und dann gab es Geschichten von Bärenangriffen, die
einem die Haare zu Berge stehen ließen. Dianas Vater hatte einige Jäger und
Hirten gekannt, die ihr Leben oder ihre Gesundheit im Kampf mit diesen
mächtigen Raubtieren verloren hatten. Und selbst Gábor bácsi trug die Spuren
eines solchen Kampfes an seinem Körper. War er doch einst, als junger Bursche,
so unvorsichtig gewesen, ungewollt Meister Petz in seiner Winterruhe im Schutze
eines umgestürzten Baumes zu stören. Der Bär war keineswegs schon im Tiefschlaf
und attackierte mit erstaunlicher Geschwindigkeit den jungen Förster. Dieser,
zu überrascht von der Gegenwart des Tieres an einem solchen Platz, hatte keine
Zeit mehr, um zu reagieren. Das wütende Raubtier griff ihn mit weit
aufgerissenem Rachen an, er wurde von der Gewalt des kräftigen Tatzenschlages
zu Boden geworfen und blieb dort, zu seinem Glück, reglos liegen. Das Tier
versetzte ihm noch ein paar Prankenhiebe, trotte dann aber davon. Aus tiefen
Wunden blutend und noch immer benommen, kroch der junge Mann auf allen vieren
bis zu einer Wegkreuzung, die, wie er wußte, häufig um diese Zeit von
Holzfällern benutzt wurde. Und zu seiner großen Erleichterung hörte er bald
darauf die Glocken der Pferdekutsche. Die Holzfäller brachten den Verletzten
bis zum nächsten Dorf, wo der Arzt ihn zu seinem Glück fachgerecht behandelte.
Von dem Abenteuer blieben dem Mann als sichtbare Spuren nur die tiefen Narben
der von den Klauen gerissenen Wunden zurück und eine Furcht in seinem Innern,
die ihn jedoch nicht davor zurückschrecken ließ, weiterhin den Bären zu jagen,
sondern ihn nur um vieles vorsichtiger und umschauender sein ließ, als er es
vorher je gewesen war.
Am nächsten Tag kreuzten sie plötzlich
unverhofft eine menschliche Fährte im tiefen Schnee.
"Was hat das denn zu
bedeuten?" wollte Diana von ihren Begleitern wissen. "Wer läuft hier
oben ganz alleine in der Gegend umher?"
"Wir haben nicht die
geringste Ahnung, wer das sein könnte." meinte Pál und sein Bruder nickte
zustimmend. "Hier kommt kein Holzfäller hin und schon gar nicht alleine.
Und selbstverständlich auch kein Jäger, da dieses Revier ausschließlich unter
unserer Aufsicht steht.
"Und ein
Wilderer?" warf Diana ein, sich furchtsam umblickend, denn sie kannte nur
zu gut den alten Grundsatz der Wildschützen: Schieß zuerst und ziele gut, sonst
bist du tot! Doch ihre Begleiter konnten sie beruhigen.
"Hier oben ist kein
guter Platz für Wilderer, sie sind zu sehr der Entdeckung ausgesetzt und
außerdem gibt es nur wenig Wild hier, welches sie interessieren könnte. Nein,
die Wilderer bevorzugen die dichten Wälder, wo sie sich gut verstecken können
und es um so mehr jagdbares Wild gibt."
"Na schön, ich will
euch gerne glauben, schließlich seid ihr hier zuhause." warf Diana ein.
"Aber dann sagt mir doch bitte auch, was für eine rätselhafte Person dies
sein könnte, die hier ihre Spuren im Schnee hinterlassen hat." Doch darauf
wußten die beiden Jäger auch keine Antwort. Man kam überein, der Spur nicht zu
folgen, sondern weiter auf der vorher festgelegten Route zu pirschen. Nach einiger
Zeit hatte Diana die rätselhaften Eindrücke fast vergessen, als sie die Fährte
eines starken Gamsbockes sahen.
"Den darfst du aber
nicht schießen." wies sie Péter an.
"Das macht
nichts," meinte die junge Frau. "Ich
möchte ihn aber gerne einmal sehen!"
"OK, dann komm mit,
ich glaube, ich weiß, wie wir ihn unter dem Wind angehen können."
flüsterte Pál und schritt vorsichtig voran. Auf dem verschneiten Gelände mußten
sie jeden Handbreit Boden erst genau prüfen, ehe sie ihren Fuß dort aufsetzten.
Oft kam es vor, daß der Schnee plötzlich nachgab und eine Spalte sich vor ihnen
öffnete. Zum Glück kannten die beiden heimischen Jäger das Gelände genau und
konnten so die gefährlichsten Stellen vermeiden. Im Eifer des Gefechtes wären
sie fast an der menschlichen Spur vorbeigegangen, die sich vor ihnen in den
Hang hineinzog. Doch den scharfen Augen Péters entging so leicht nichts.
"Na da soll doch
gleich....!" rief er leise aus. "Der Kerl ist jetzt genau vor uns.
Hinter der nächsten Felskante haben entweder wir ihn im Visier oder er uns. Ich
glaube, es ist besser, ihr bleibt hier zurück, bis ich mir die Sache einmal
genauer angeschaut habe." wies er seinen Bruder und Diana an. Diese
blieben auch sofort stehen und sahen, wie der junge Mann sich vorsichtig, Schritt
für Schritt der Felsnase nährte. Mit angehaltenem Atem folgten sie mit den
Augen jeder seiner vorsichtigen Bewegungen, bis er aus ihrem Blickfeld
entschwand. Immer in Erwartung eines Schusses wagten sie nicht, sich zu
bewegen. Nach einer schier endlos erscheinenden Zeitspanne hörten sie die leise
Stimme Péters.
"Alles in Ordnung, ihr
könnt kommen!" Als sie um die Ecke bogen, sahen sie den Jäger mit dem
Fernglas vor den Augen eine Gestalt beobachten, die sich Richtung Tal
entfernte.
"Da läuft der Kerl -
und die Gams hat er uns auch verschreckt!" rief Pál, als er das typische
Pfeifen hörte, gefolgt vom Klang den Steilhang hinunter rollender Steine.
"Wer ist das und
weshalb steigt er hier herum?" fragte Diana noch einmal. "Ist das
überhaupt ein Einheimischer?" Irgend etwas in den Bewegungen des
Unbekannten schien ihr familiär zu sein. Während sie noch darüber nachgrübelte,
wo sie den Mann schon einmal gesehen haben könnte, machte dieser eine kleine
Geste mit der Hand zu seinem Hut - und da wußte sie es: Der Mann dort unten,
der hier so allein in der Wildnis umherlief war - ihr Stiefvater!
"Mein Gott!"
entfuhr es ihr. "Das ist mein Stiefvater!" Eine unbestimmte Vorahnung
von einer unbekannten, großen Gefahr beschlich sie, denn sie erinnerte sich
plötzlich an ihren Traum, die Rettung des geliebten Mannes vor ihrem Stiefvater
und die Warnung des Prinzen an sie, daß auch sie ihn Gefahr schwebe. Zwar
konnte sie sich nicht vorstellen, warum der Stiefvater ihr Unheil zufügen
wolle, doch verließ sie sich hierbei ganz auf ihr Gefühl und das Vertrauen in
Prinz Philipp, der seine Warnung sicher nicht ohne Grund ausgesprochen hatte.
"Laßt uns
umkehren!" bat sie ihre Begleiter. "Ich weiß nicht, was mein
Stiefvater hier zu suchen hat, aber ich habe so eine Ahnung, daß es nichts Gutes
ist. Bitte bringt mich zur Hütte zurück. Heute ist sowieso der letzte Jagdtag,
morgen früh holt mich euer Vater mit dem Wagen ab, da halte ich es für besser
und sicherer, den Rest des Tages in der Hütte zu verbringen und morgens früh
ins Basislager zurückzukehren." Die beiden jungen Männer zuckten die
Achseln.
"Wenn du meinst, daß
es notwendig ist, dann machen wir uns an den Abstieg!"
"Es tut mir leid, wenn
ich euch den Tag verderbe, aber ich glaube, daß es so besser ist."
"Du bist der Jagdgast
und verdirbst uns keineswegs den Tag!" bekräftigte Pál. "Da die Gams
sowieso für heute verloren ist, können wir sowieso nichts Besseres tun, als
zurückzukehren."
"Danke euch!"
rief die junge Frau, dann machten sie sich an den schwierigen Abstieg.
In der Nacht heulten wieder
die Wölfe in der Ferne und ein starker Sturm strich um die Blockhütte. Armdicke
Äste wurden von den sich bedrohlich biegenden Bäumen abgerissen und einer
landete sogar mit einem großen Krach auf dem Dach der Hütte. Dort schlief Diana
trotz dem Toben der Gewalten draußen den Schlaf der Gerechten. Dem seligen
Lächeln nach, welches sich auf ihrem friedlichen Gesicht abzeichnete, war sie
in ihren Träumen weit weg von dieser unwirtlichen und gefährlichen Welt. Am
nächsten Morgen standen sie alle früh auf, um den Abstieg zum Basislager in
Angriff zu nehmen. Nach einem kalten Frühstück und mit am Vorabend zubereitetem
Kaffee aus der Thermoskanne, um den Herd nicht noch einmal anheizen zu müssen,
verschloß Pál die Hütte. Diana warf noch einen letzten Blick auf die sich hoch
über ihren Köpfen auftürmenden Berge, dann konzentrierte sie sich ganz darauf,
ihren Führern auf dem beschwerlichen Pfad zu folgen. Ihre Gedanken kreisten
jedoch bald um die Erlebnisse der letzten Tage und das unvorhergesehene Auftauchen
ihres Stiefvaters. Hatte sein Erscheinen gerade jetzt und hier etwas mit ihr zu
tun? War sie in Gefahr, so wie es Prinz Philippe gewesen war? Und wenn ja, was
war der Grund für ihren Stiefvater, ihnen Böses zufügen zu wollen? Die junge
Frau konnte das Rätsel jedoch nicht lösen. So erreichten sie am späten
Nachmittag die große Hütte. Hier unten war der Schnee nicht liegengeblieben.
"Uff, geschafft!"
seufzte Diana unter der Last ihres Rucksackes. "Noch eine Nacht hier
draußen, dann endlich komme ich wieder in den Genuß der Zivilisation."
"Wie zum Beispiel ein
warmes Bad!" lachte Péter. "Ja, das wünsche ich mir auch sehnlichst
herbei."
"Aber jetzt gibt es
erst einmal ein tolles Abendessen!" versprach Pál. Sie legten ihre Sachen
in einer Ecke des Blockhauses ab, dann begannen die beiden jungen Männer mit
den Vorbereitungen. Schnell war ein großes Feuer im Ofen angefacht und schon
bald brutzelte der hausgemachte Speck in der großen, gußeisernen Pfanne.
"Ich hatte gar nicht
gewußt, wie hungrig ich bin." meinte Diana von ihrer Bettstatt aus, wo sie
sich gemütlich ausgestreckt hatte. "Und Specknudeln waren schon immer
eines meiner Lieblingsgerichte!"
"Daß du uns aber nicht
alles alleine aufißt!" scherzte Pál. "Wir haben auch einen
Riesenhunger!" Bald stand die Pfanne mit ihrem dampfenden Inhalt auf dem
großen Holztisch und die drei Jäger bedienten sich reichlich. Dazu gab es
heißen Hagebuttentee und für die Männer ein Glas Pflaumenschnaps. Danach
begaben sich alle schlafen. Die Nacht verging ohne Störungen und Diana konnte
sich endlich einmal ausschlafen, da die Ankunft des Försters erst für den
späten Vormittag geplant war. Nach einem schnellen Frühstück machten sich die
beiden Männer daran, die Trophäen für den Transport vorzubereiten und Diana
räumte die Unterkunft auf. Danach verabschiedeten sich Péter und Pál von der
jungen Frau.
"Wir gehen zu Fuß ins
nächste Revier, um dort nach dem Rechten zu sehen!" meinte Pál, als er
Diana herzlich an sich drückte. "Mach's gut und laß dich bald wieder
einmal bei uns sehen!"
"Es hat wirklich viel
Freude gemacht, mit dir zu jagen!" bekräftigte auch Péter und drückte der
jungen Frau zwei Küsse auf die Wangen. "Du hast deinem Vater alle Ehre
gemacht!"
"Herzlichen Dank euch
beiden!" schluckte Diana, der Tränen die Kehle zuschnürten. "Ihr wart
sehr angenehme Begleiter und ich werde diese Tage nie in meinem Leben
vergessen! Sicherlich werde ich euch wieder besuchen, doch zuerst ist es an
euch, mir einen Besuch abzustatten. Zwar kann ich euch keine Jagdmöglichkeit
bieten, aber dafür eine schöne und
erlebnisreiche Zeit in der Puszta."
"Wir werden von deinem
Angebot sicher Gebrauch machen!" meinte Pál. "Auch wenn es für uns
nicht so leicht ist, nach Ungarn zu reisen." Dann umarmten sie noch einmal
die junge Frau, bevor sie, die Gewehre über der Schulter und die schweren
Rucksäcke wie leichte Daunendecken auf dem Rücken, über die Lichtung im dunklen
Wald verschwanden. Bald darauf hörte Diana in der Ferne den Motor des schweren
Geländewagens, der sich langsam den Berg hinaufarbeitete. Kurze Zeit später
tauchte ihr Auto mit dem Förster am Steuer auf der Lichtung auf.
"Gábor bácsi!"
rief Diana aus und begrüßte den Mann stürmisch, als dieser aus dem Wagen stieg.
"Na, wie ist die Jagd
abgelaufen, mein Kind?" wollte dieser wissen.
"Genauso, wie ich es
erwartet und erhofft hatte! Schau nur, hier ist meine Ausbeute." Damit
zeigte die junge Frau auf die Trophäen, die neben ihrem Rucksack an der
Hüttenwand lagen. "Für die Leute hier mag es minderwertige Ausschußware
sein, für mich sind es die schönsten Trophäen meines Lebens."
"Es freut mich, daß du
zufrieden bist!" meinte der Förster. "Komm, laß uns einpacken,
Juliska néni wartet schon mit dem Mittagessen auf uns." Diana nickte und
wollte eben zum Haus zurückgehen, um ihren Rucksack zu holen, als ein Aufschrei
des Försters sie innehalten ließ.
"Diana paß auf!"
Instinktiv drehte sie sich in die Richtung des Mannes und gewahrte so nicht den
Mann, der im Schatten der Bäume, das Gewehr im Anschlag, auf sie zielte.
"Was ist denn, Gábor
bácsi?" fragte sie, als sie mit vor Verwunderung weit aufgerissenen Augen
sah, wie dieser mit einer schier unwahrscheinlichen Geschicklichkeit sein
Gewehr in Schußposition brachte und auf etwas hinter ihrem Rücken zielte.
Blitzschnell warf sie sich zur Seite, um nicht durch seinen Schuß verletzt zu
werden, als mit einem lauten Krach seine Büchse losging, zur selben Zeit war
aber noch eine Detonation zu hören, die aus dem Gewehr des Fremden kam. Fast
gleichzeitig hörte sie zwei Aufschreie und mußte entsetzt und hilflos mit ansehen,
wie der Förster langsam in die Knie sank, seine Hand auf die Brust gepreßt.
Endlich erwachte sie aus ihrer Versteinerung und rannte auf den am Boden
liegenden Förster zu.
"Gábor bácsi! Was ist
geschehen? Bist du getroffen?" schrie sie fast hysterisch, als sie sich zu
dem Mann herabbeugte und in seine vor Schmerz und Unverständnis weit
aufgerissenen Augen blickte. "Gábor bácsi, so antworte mir doch!" bat
sie, nein flehte sie. Doch der Mann reagierte nicht.
"Oh, mein Gott, so
hilf mir doch!" schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel und Gott schien sie
zu erhören, denn sie hörte eilige Schritte in ihrer Nähe und zwei erschreckte
Ausrufe. Als sie aufblickte, standen Péter und Pál außer Atem neben ihr und
schauten fassungslos auf ihren am Boden liegenden Vater.
"Lieber Himmel, was
ist hier geschehen!" rief Pál entsetzt aus. "Wir haben Schüsse gehört
und sind sofort umgekehrt."
"Ich weiß nicht, was
geschehen ist!" schluchzte Diana, am Ende ihrer Selbstbeherrschung.
"Euer Vater rief mir zu, mich in Acht zu nehmen, dann fielen zwei Schüsse.
Ich weiß aber nicht, ob er getroffen wurde, er sank zu Boden, aber ich habe
kein Blut gesehen."
"Und der andere
Schütze?" wollte Pál wissen, bevor er vorsichtig seinen Vater untersuchte.
Doch bevor Diana noch antworten konnte, entfuhr ein Seufzer der Erleichterung
der Kehle des jungen Mannes. "Er lebt! Ist aber ohne Bewußtsein! Wir
müssen ihn sofort ins Krankenhaus bringen!"
"Ich werde
fahren!" bestimmte Péter. "Diana ist dazu viel zu aufgeregt - und du
bleibst hier und suchst nach dem anderen Schützen!" befahl er seinem
Bruder, der verständnisvoll nickte.
"Selbstverständlich!
Beeilt euch, seid aber trotzdem vorsichtig!" Dann trugen sie ihren Vater
zum Auto und legten ihn vorsichtig auf die hintere Bank, Diana nahm auf dem
Beifahrersitz Platz und Péter setzte sich hinters Steuer. Der schwere Wagen
fuhr mit brummendem Motor ab. Pál betete, daß sie den Vater noch rechtzeitig
ins Krankenhaus würden bringen können. Doch dann wandten sich seine Gedanken
dem Schützen zu, der dieses ganze Unglück verursacht hatte. Nach einer kurzen
Untersuchung der Lichtung begann er mit dem Durchforsten des Unterholzes. Schon
ein paar Augenblicke später hatte er die Stelle gefunden, an welcher der Fremde
gestanden hatte. Abgebrochene Äste und eine deutliche Spur zeigten, daß der
Platz sorgfältig vorbereitet worden war, um eine freie Schußbahn auf den Platz
vor dem Blockhaus zu erhalten.
"Der Kerl hat alles
genau geplant!" entfuhr es dem jungen Mann. "Aber warum? Und war es
wirklich mein Vater, den er treffen wollte?" Bei genauer Nachsuche fand
Pál am Boden die Patronenhülse und steckte sie vorsichtig in die Tasche.
"Ein hübsches
Beweisstück, nur müßte man vorher noch die Waffe finden, aus der sie
abgeschossen wurde!" murmelte er vor sich hin. Dann ließ etwas seine Augen
fast freudig aufleuchten. Mit den Fingerspitzen betastete er vorsichtig einen
dunklen Fleck auf einem großen Blatt.
"Blut!" staunte
er. "Der Kerl ist also auch getroffen!" Mit neuer Hoffnung
verdoppelte er den Eifer seiner Suche. Auf einer aufgeweichten Stelle im Boden
sah er die Eindrücke der schweren Bergschuhe des Unbekannten und erkannte ohne
Schwierigkeit darin die Abdrücke, die sie einige Zeit vorher auf der Gamspirsch
angetroffen hatten.
"Oh du lieber Himmel!
Der Stiefvater Dianas!" Ein schrecklicher Verdacht keimte in ihm auf:
Sollte das auserkorene Opfer etwa die junge Frau gewesen sein? Aber warum? Aber
hatte ihnen Diana nicht von ihrer Vorahnung berichtet? Ihrem Gefühl, daß etwas
Böses von ihrem Stiefvater ausginge? Er schüttelte ungläubig den Kopf und
suchte nach weiteren Spuren. Vorsichtig näherte er sich einer Dickung, in
welcher die Fußabdrücke verschwanden. Er war sich bewußt, daß ein verletzter
Mörder bei Weitem gefährlicher war, als ein angeschossenes Wildschwein, da die
Reaktion des Tieres weitaus vorhersehbarer war, als die eines in die Enge
getriebenen Verbrechers. Nichtsdestotrotz wagte er sich Schritt für Schritt in
das Gewirr von jungen Bäumen und dichtem Unterbewuchs. Von Zeit zu Zeit hielt
er an und lauschte in die Stille. Seine Ausdauer wurde belohnt, als er nicht
weit von sich entfernt zu seiner Rechten den stoßweisen Atem des Verfolgten und
ein leises Stöhnen wahrnahm. Er verdoppelte nun seine Vorsicht und kroch auf
allen vieren voran. Als er seiner Berechnung nach nicht mehr weit von dem Mann
entfernt sein konnte, schob er die dichten Pflanzen millimeterweise
auseinander, um durch eine vom menschlichen Auge fast nicht mehr wahrnehmbare
kleine Öffnung hindurchzuspähen. Und wirklich: dort lag der Mann zwischen den
Gewächsen auf dem Boden und versuchte, ohne großen Erfolg, die Blutung einer
Wunde an seiner linken Seite zu stillen. Seine Kleidung war schon vom Blut
dunkel gefärbt und er schien große Schmerzen zu haben. Plötzlich zuckte er mit
einem leisen Aufschrei zusammen und verlor das Bewußtsein. Dieses Moment wählte
Pál, um aus seinem Versteck hervorzukommen. Mit einer schnellen Bewegung
brachte er die Waffe des Mannes an sich, die zu dessen Füßen lag, dann band er
ihm mit dem Gewehrriemen die Hände und Füße zusammen bevor er die Wunde
untersuchte. Sein geübtes Auge erkannte sofort, daß es hier keine Hilfe mehr
gab. Der Mann würde innerhalb kürzester Zeit an seinen inneren Blutungen
sterben. Pál entschloß sich, alles zu versuchen, um den Mann noch einmal zu
Bewußtsein zu bringen, vielleicht könnte er noch Aufschlüsse über das
Verbrechen erhalten. Aus seiner Brusttasche holte er die kleine Flasche mit
Pflaumenschnaps hervor und zwängte sie dem Mann zwischen die Lippen. Dieser
schluckte den scharfen Alkohol und begann zu husten. Pál hielt ihm den Kopf und
sah zufrieden, daß der Mann etwas zu sich kam. Mit einem Ausdruck puren
Entsetzens in den Augen schaute der Sterbende auf den jungen Jäger. Dieser
begann sofort seine Fragen zu stellen, wohl wissend, daß ihm nicht mehr viel Zeit
verblieb.
"Warum haben Sie auf
meinen Vater geschossen?" wollte er mit schneidender Stimme wissen. Der
Mann schüttelte leicht den Kopf und verzog sogleich das Gesicht vor Schmerzen.
"Nicht der
Förster," flüsterte er schwach. "Die Jägerin!" Pál lief es kalt
den Rücken hinunter.
"Sie wollten ihre
eigene Stieftochter töten?" entfuhr es ihm. "Warum?" Zuerst
wollte der Mann nicht antworten, doch Pál erklärte ihm kalt:
"Sie sind auf jeden
Fall ein toter Mann, die Verletzung ist tödlich. Erleichtern Sie jedoch ihr Gewissen, bevor es zu spät ist, denn
lebend gehen Sie von hier nicht mehr fort." Der Mann krümmte sich wieder
vor Schmerzen, bevor er mit ersterbender Stimme hauchte:
"Ich habe schon ihren
Vater getötet, um endlich die Frau heiraten zu können, nach der mir schon so
lange der Sinn stand. Zuerst lief auch alles nach Wunsch, doch in letzter Zeit
geriet meine Ehe immer mehr in Schwierigkeiten und auch finanziell lief nicht
alles nach Wunsch. Und um an Geld zu kommen, bevor mich meine Frau eventuell
verlassen würde, mußte sie ihre Tochter beerben......." Pál erschauerte
vor so viel Verderbtheit und Kaltblütigkeit. Dann kam ihm ein Gedanke.
"Aber wenn Ihre Frau
erben würde und sie dann sich scheiden lassen würde, hätten Sie niemals das
Geld erhalten?" Der Mann nickte leicht.
"Für den Fall hatte
ich schon vorgeplant..." hauchte er fast unhörbar. Und Pál verstand: Die
Frau hätte nicht lange genug gelebt, um sich scheiden zu lassen. Und der
untröstliche Witwer hätte sich mit dem Geld in ein fernes Land abgesetzt!
Welche Abgründe menschlichen Seins taten sich hier auf! Und was hatte es mit
dem Tod von Dianas Vater auf sich? Der Mann hier hatte soeben zugegeben, auch
diesen Tod verschuldet zu haben. Pál war damals zu jung gewesen, um sich heute
an alle Einzelheiten zu erinnern, doch war der Tod immer als Jagdunfall
deklariert gewesen. War Dianas Vater nicht während einer Gamspirsch auf den
kahlen Matten ausgerutscht und über die Kante viele Meter in die Tiefe
gestürzt? Sicher, keiner seiner Begleiter war damals in Sichtweite gewesen, sie
hatten nur seinen Angstschrei vernommen und das Geräusch herabfallender Steine.
Als sie am Unglücksort angelangt waren, hatten sie nur den zerschmetterten
Körper von Dianas Vater gefunden, natürlich aber nicht daran gedacht, nach eventuellen
anderen Spuren zu suchen. Heute nun erhielt der ganze Hergang eine andere
Deutung.
"Haben Sie Dianas
Vater in den Abgrund gestoßen?" fragte der junge Mann fast atemlos und
schauderte schon im voraus in Erwartung der Antwort.
"Ja!" nickte der
Mann. "Das war mein bester Coup! Und kein Mensch hat jemals den kleinsten
Zweifel am Hergang des Unglücks gehabt! Ich tröstete die Witwe und nahm sie mit
nach Frankreich, wo sie endlich einwilligte, mich zu ehelichen! Genial,
nicht?" Pál fand auf so viel Verderbtheit keine Antwort, umklammerte nur
mit fast weißen Knöcheln seine Waffe, kämpfte gegen die starke Versuchung an,
diese jeglicher menschlicher Regung baren Kreatur seine Kugel in den Kopf zu
jagen. Nur das Wissen, daß die Minuten dieser Bestie gezählt waren, hielt ihn
davon ab, die Büchse zu benutzen. Der Mann war wieder bewußtlos geworden und
Pál hatte Gelegenheit, über das Gehörte nachzudenken. Sollte sein Vater diesen
Tag nicht überleben, so hatte er wenigstens die Gewißheit, die Menschheit von
diesem Ungeheuer befreit zu haben und sein Leben zur Rettung Dianas gegeben zu
haben. Aber was würde die junge Frau zu diesen Enthüllungen sagen? Sein Blick
fiel wieder auf den Sterbenden, dessen bleiches Gesicht auf ein nahes Ende
schließen ließ. Nach einiger Zeit bäumte sich der Körper des Mannes kurz auf,
bevor er tot zwischen die Pflanzen zurücksank. Pál atmete tief auf, war die
Welt doch von einem gefährlichen Menschen erlöst worden. Er nahm die Waffe des
Toten an sich, eine kurze Untersuchung seiner Kleidung förderte keine weiteren
persönlichen Gegenstände zutage, der Mann war sehr vorsichtig gewesen, dann
machte er sich auf den Weg nach Hause, um die Mutter aufzusuchen, die sicher
schon in größter Sorge um sie alle war. Als der junge Mann jedoch im Forsthaus eintraf,
war dieses zugeschlossen und ein Zettel an der Tür befestigt, auf welchem in
zitteriger Handschrift der Mutter nur so viel stand:
Bin ins Krankenhaus mitgefahren
Pál brachte seine Sachen
ins Haus, duschte sich gründlich, zog neue Sachen an und nahm den Schlüssel für
das kleine, alte Auto seiner Eltern von dem Haken neben der Eingangstür. Zwar
hatte er noch nicht oft einen Wagen selbst gelenkt, doch war die Angst um
seinen Vater stärker als alle Furcht vor dem Auto. Vorsichtig steuerte er auf
dem Waldweg bis zur Straße, dann hatte er sich soweit an das Fahrverhalten
gewöhnt, daß er in etwas schnellerem Tempo Richtung Stadt fahren konnte. Die
Zeit schien trotzdem wie im Schneckentempo zu vergehen, bis er endlich auf den
Parkplatz vor dem Krankenhaus anlangte. Aber die Ansicht des alten und
abweisenden Gebäudes, von dessen Außenwänden zum großen Teil der Putz schon
abgefallen war, rief keine Erleichterung bei dem jungen Mann hervor, wußte er
doch sehr genau, daß das Innere des Krankenhauses dem Äußeren glich. Die Ärzte
hier mußten mit einer Ausstattung behandeln, wie sie in anderen Ländern vor dem
Krieg zu finden gewesen war. Medikamente waren Mangelware, gut ausgebildetes
Personal ebenso, von der Hygiene ganz zu schweigen. Pál erkundigte sich bei
einer Schwester nach seinem Vater, diese zuckte jedoch nur mit den Achseln.
"Da müssen Sie schon
warten, bis der Oberarzt frei ist." wies sie ihn zurecht. "Aber Sie
können ja dort hinten im Besucherzimmer Platz nehmen, da sind auch schon
mehrere andere, die auf Nachricht hoffen." Damit zeigte sie auf eine Tür,
deren ehemals grüne Farbe bis auf wenige Stellen abgeblättert war und
verschwand nicht eben eiligen Schrittes in die andere Richtung. Pál öffnete die
Tür und fand nicht nur seine Mutter, seinen Bruder und Diana auf den
zerschlissenen Kunststoffstühlen sitzen, sondern auch noch andere Personen, zum
Teil verletzt, die hier scheinbar auf ärztliche Hilfe hofften. Als er eintrat,
war seine Mutter aufgesprungen, doch er umarmte sie fest und drückte sie wieder
auf ihren Platz.
"Noch gibt es
Hoffnung!" flüsterte er ihr ins Ohr. Dann wendete er sich an Diana, die
auf dem Stuhl neben seinem saß und hauchte, nur für die feinen Ohren der jungen
Frau hörbar:
"Der Kerl hat mit
seinem Leben für diese Schandtat bezahlt. Mehr sage ich dir später!" Diana
schauderte zusammen, als sie den Blick aus den Augen des jungen Mannes auffing.
Was für schreckliche Dinge mußte sie wohl noch an diesem furchtbaren Tag
erfahren? Sie zog sich in ihre Gedanken zurück und betete, daß Gábor bácsi am
Leben bleiben möge. So vergingen zähflüssig die Stunden des Wartens, Bangens
und Hoffens. Niemand verspürte Hunger, obwohl sie alle seit dem frühen Morgen
nichts mehr gegessen hatten. Jedes Mal, wenn die Tür aufging, hofften sie, den
Arzt mit einer frohen Nachricht zu sehen, doch es war immer nur eine
Krankenschwester, die einen der Verletzten mit sich nahm. Am späten Nachmittag
waren dann nur noch Diana und die Angehörigen des Försters übriggeblieben. Ihre
Hoffnung auf ein Wunder schwand mit jeder weiteren Minute des Wartens und als
am frühen Abend der verantwortliche Chirurg endlich zur Tür hereinkam, konnten
alle an seinem Gesicht ablesen, daß es keine Hoffnung mehr gab. Er nahm die
Försterin, die kaum Herr werden konnte über ein starkes Zittern und deren
Tränen unaufhörlich flossen, bei der Hand und führte sie in ein Zimmer im
ersten Stock des Krankenhauses. Dort lag ihr Mann in einem Bett mit fleckigen
Decken, seine Brust war mit einem blutbefleckten Verband umwunden und er atmete
nur noch ganz flach.
"Oh Gábor, mein lieber
Mann!" schluchzte seine Frau und beim Klang dieser Stimme schlug der
Sterbende noch einmal seine Augenlider auf und schaute mit klarem Blick auf
seine Gattin.
"Ist Diana
wohlauf?" flüsterte er schwach und lächelte leicht, als seine Frau nickte.
"Dann war es nicht
umsonst!" hauchte Gábor bácsi. Seine Hand umfaßte mit schwachem Griff die
seiner Frau.
"Ich liebe dich,
Julika! Sorge gut für Péter und Pál und paß mir auf die Kleine auf, sie ist in
Lebensgefahr!" hauchte er, dann spürte seine Frau, wie der Druck seiner
Hand nachließ, bis sie schließlich leblos auf die Decke fiel.
"Oh mein Gott! Laß ihn
nicht sterben!" schrie die verzweifelte Frau auf, doch der Arzt schüttelte
nur den Kopf und wollte sie von dem Toten wegziehen. Die Försterin wehrte sich
mit all ihren Kräften, warf sich über ihren Mann und küßte ihn ein letztes Mal
auf die bleichen Wangen. Der Arzt hatte inzwischen eine Schwester
herbeigerufen, gemeinsam gelang es ihnen, die Verzweifelte anzuheben und ihr
eine Beruhigungsspritze zu geben. Als sie sich ein wenig abgeregt hatte, führte
der Arzt sie wieder in den Warteraum und übergab sie ihren Söhnen, die mit
ebenso vor Schmerz und Leid verzerrten Gesichtern ihre Mutter in Empfang
nahmen. Diana saß noch immer wie abwesend auf ihrem Stuhl, wußte, daß alle ihre
Gebete nichts genützt hatten und konnte nicht verstehen, warum der arme Mann
sterben mußte. Gewiß, nach dem, was Pál ihr gesagt hatte, war auch sein Mörder
tot, doch blieben ihr die Hintergründe noch verborgen. Sie fühlte sich fehl am
Platze, bei all dem Leid und wußte auch nicht recht, wie sie der trauernden
Familie Beistand leisten konnte. Am liebsten hätte sie sich stillschweigend aus
dem Staube gemacht, bis der erste Schmerz der Angehörigen abgeklungen sein
würde, doch fand sie auch diese Lösung nach einigem Nachdenken als nicht
durchführbar. Plötzlich stand Pál neben ihr und berührte sie leicht am Arm.
"Mutter, Péter, ich
bringe Diana zu uns nach Hause, ihr kommt dann mit unserem Auto nach, wenn alle
Formalitäten geregelt sind. Hier ist der Schlüssel" wies er seine Familie
an und brachte Diana auch schon nach draußen.
"Gib mir deinen
Autoschlüssel!" meinte er zu der jungen Frau, die ihm willenlos bis auf
den Parkplatz gefolgt war.
"Ich kann selbst
fahren!" meinte Diana trotzig.
"Kannst du
nicht!" rief der junge Mann zurück. "Schau nur, wie deine Hände
zittern, so kommst du noch nicht einmal ohne Unfall auf die Hauptstraße!"
Diana blickte auf ihre Hände und mußte dem jungen Mann recht geben. Sie kramte
den Schlüssel aus ihrer Handtasche hervor und setzte sich dann anstandslos auf
den Beifahrersitz. Als sie außerhalb der Stadt waren brach sie zum ersten Mal
das Schweigen, in welches sie sich seit der Abfahrt aus dem Krankenhaus gehüllt
hatte.
"Warum läßt du deine
Mutter mit deinem Bruder allein in ihrer Trauer und bringst mich zu euch nach
Hause?" wollte sie wissen, doch Pál war noch nicht bereit, über gewisse
Dinge zu sprechen.
"Glaube mir, Diana,
ich habe meine guten Gründe dafür, aber laß uns erst einmal ankommen!"
wies er sie zurecht. So schwiegen sie weiter vor sich hin, bis sie endlich am
Forsthaus anlangten. Pál brachte den Wagen in die Garage und half Diana beim
Aussteigen, denn eine ungute Vorahnung ließ ihre Knie weich werden. Im Haus
führte Pál die junge Frau zum Sofa im Wohnzimmer und holte aus der Küche zwei
Gläser, sowie eine Flasche mit Schnaps. Er goß beide Gläser randvoll und
reichte eines davon Diana.
"Trink das, es wird
dir guttun!"
"Nie im Leben!"
wehrte sich Diana. "Fang lieber an, mir zu sagen, was los ist!"
"Trink das aus, oder
ich sage kein Wort!" drohte Pál und drückte ihr das Glas in die Hand.
"Du wirst es bitter nötig haben!" Als sie den Ausdruck in seinem
Gesicht wahrnahm, beschloß Diana, daß er wohlmöglich Recht haben konnte, schloß
die Augen und schüttete den starken Alkohol in sich hinein. Er verbrannte ihr
die Kehle und sie wollte schon ins Bad rennen und ihn ausspucken, als Pál sie
zurückhielt.
"Schluck ihn runter,
dann geht es dir wieder besser." Sie gehorchte ihm und wirklich, der Ekel
verschwand und sie fühlte den Alkohol wie flüssiges Feuer durch ihre Adern
rinnen. Danach umgab sie eine wohlige Wärme und es schien so, als ob auch ihr
verstörter Geist etwas ruhiger geworden wäre.
"Jetzt fang aber schon
an, mit deiner Erzählung!" forderte sie den jungen Mann auf. Dieser leerte
sein Glas ebenfalls in einem Zug und setzte sich dann neben Diana. Als die
junge Frau instinktiv von ihm abrücken wollte, faßte er ihre Hände und
streichelte sie sanft.
"Hab keine Angst, oder
glaubst du, ich wolle DAS von dir, nach alledem, was heute geschehen ist?"
Diana blickte in seine ehrlichen, dunklen Augen und schimpfte sich innerlich
eine blöde Gans. Wie konnte sie auch nur für den Bruchteil einer Sekunde
annehmen, der junge Mann wolle sie am Todestag seines Vaters verführen. Sie
ließ ihm ihre Hände und wappnete sich auf das, was nun kommen sollte.
"Diana, ich muß dir
sehr weh tun, mit dem, was ich dir zu sagen habe und weiß Gott, ich wünschte,
es könnte jemand anderes sein, der dich über diese Dinge aufklären würde, aber
leider gibt es niemanden, der diese schlimme Aufgabe erledigen könnte.
Vielleicht wirst du mich dafür hassen, aber ich muß es tun, auch im Andenken an
meinen Vater." Diana unterbrach ihn sanft.
"Ich werde dir nie
böse sein Pál, egal, was du mir zu sagen hast."
"Danke für dein
Vertrauen, Diana. Nun muß ich aber beginnen, denn die Zeit drängt und diese
Dinge sind nur für deine Ohren bestimmt." meinte der junge Mann und
räusperte sich.
"Ich muß dir zuerst
einmal mitteilen, daß mein Vater für dich gestorben ist, denn die Kugel galt
dir und nicht ihm!"
"Oh mein Gott, das
darf nicht wahr sein!" entfuhr es der jungen Frau, doch Pál nickte nur
kurz.
"Doch, so war es, denn
der Täter hat es mir gegenüber zugegeben. Mein Vater hat ihn auch getroffen,
tödlich, aber doch so, daß der Mann noch fliehen konnte. Ich habe seine Spur
gefunden und bin ihr gefolgt. Als ich ihn fand, war er unrettbar verloren, aber
doch noch bei klarem Verstand."
"Wer war der
Mann?" flüsterte Diana heiser, denn sie glaubte, die schreckliche Antwort
schon im voraus zu kennen.
"Diana, es
war....." hob Pál an, doch dann versagte ihm die Stimme.
"...mein, mein
Stiefvater?!" hauchte die junge Frau mit weit aufgerissenen Augen, bevor
sie, als sie die Bestätigung in den Augen des jungen Mannes las, ohnmächtig
zusammensank. Pál schüttelte sie sanft und versuchte, ihr noch etwas Schnaps
einzuflößen. Als sie ein paar Tropfen geschluckt hatte, begann sie zu husten
und kam wieder zu sich. Pál hielt sie mit einer Hand in sitzender Stellung, mit
der anderen wischte er ihr die Tränen aus den Augen.
"Oh, mein Gott!"
schluchzte Diana, "wie kann ein Mensch nur so schlecht sein!"
"Es kommt noch viel
schlimmer, Diana! Und ich muß es dir heute sagen, weil du ja morgen früh nach
Hause fahren willst."
"Dann komm bitte zum
Ende!" flüsterte sie und schloß die Augen. Pál nahm wieder ihre schmalen
und kalten Finger in seine Hände und fuhr fort in seiner Erzählung.
"Während dein
Stiefvater im Sterben lag, erklärte er mir auch die Gründe für seine Absichten.
Zuerst gestand er, am Tode deines Vaters verantwortlich zu sein. Das sei damals
kein Jagdunfall gewesen, wie es auch scheinen sollte, sondern Mord. Er habe
deinen Vater über die Kante gestoßen, um deine Mutter, die er schon seit seiner
Jugend begehrte, endlich heiraten zu können. Er spielte den guten Freund deines
Vaters, untröstlich über den Verlust und überredete deine Mutter, mit ihm nach
Frankreich zu gehen, wo er sich so unentbehrlich machte, daß sie ihn
schließlich heiratete. Du kamst ins Internat und er arbeitete weiter an seinen
Plänen. Als nächstes standest du auf seiner Liste, da das von deinem Vater auf
dich übergegangene Erbe dann deiner Mutter zufallen würde. Und da deine Mutter
schon einmal von Trennung gesprochen hatte, mußte dies nun schnell geschehen,
damit er auch noch seine Frau beerben konnte, bevor diese die Scheidung
einreichte."
"Nach meinem Vater und
mir wollte er also auch noch meine Mutter umbringen!" Es war mehr eine
Feststellung, denn eine Frage und Pál nickte nur.
"Das hatte er vor, ja.
Aber als mein Vater sich für dich opferte und noch die Geistesgegenwart besaß,
auf den Meuchelmörder zu schießen und diesen glücklicherweise lebensgefährlich
zu verwunden, da wußte dein Stiefvater, daß seine Pläne vereitelt waren. Er hat
mir sozusagen seine Beichte abgelegt, ohne zu wissen, daß ich der Sohn des von
ihm getroffenen Försters war."
"Wie mußt du mich
jetzt hassen!" flüsterte Diana und entzog dem jungen Mann ihre Hände.
"Meinetwegen ist dein Vater gestorben und meinetwegen wart ihr alle in
Lebensgefahr, denn wenn ihn jemand zufällig bei seinem Herumstreichen hier
angehalten hätte, dann hätte mein Stiefvater diese Person sicherlich auf der
Stelle getötet, um seinen verbrecherischen Plan weiterführen zu können. Oh
Gott, vergib mir, Pál, vergebt mir alle! Ich bin eure Freundschaft und euer
Mitgefühl nicht wert! Ich reise sofort ab und werde euch nie wieder mit meiner
Gegenwart belästigen!" rief Diana aus und ging, nein rannte fast zur
Haustür. Doch Pál war schneller und verstellte der jungen Frau den Weg.
"Diana! Komm zu dir!
Du hast dir nicht das Geringste vorzuwerfen! Du kannst dich doch nicht für die
Schandtaten deines Stiefvaters verantwortlich fühlen, zumal ja du selbst eines
seiner Opfer werden solltest!" rief der junge Mann aus. "Und was soll
ich meiner Mutter und dem Bruder erklären, warum du schon weggefahren bist?
Denn ich werde sie nicht in die Dinge einweihen, welche ich dir soeben eröffnet
habe." Diana blieb stehen und sah den jungen Mann an.
"Und warum
nicht?"
"Da dein Stiefvater
tot ist, dachte ich, du wolltest eine polizeiliche Untersuchung vermeiden, die
alle diese schrecklichen Sachen an die Öffentlichkeit zerren würde. Hier gibt
es viele Wilderer, mein Vater ist im Feuergefecht mit einem umgekommen. Der
Leichnam wird nie gefunden und wenn schon, er trägt keine Papiere bei sich, ich
habe nämlich nachgesehen." meinte Pál beruhigend. "Ich halte das für
die beste Lösung, es sei denn, du wünschst ein Verfahren, zu dem dann auch
deine Mutter geladen würde und auch der Tod deines Vaters neu aufgerollt würde."
Diana schüttelte heftig den Kopf.
"Nein, um Himmels
willen! Die Dinge sind geschehen, der schreckliche Mensch ist tot! Du hast
recht, lassen wir die Sache auf sich beruhen, denn gegebenenfalls müßte ja auch
deine Familie vor Gericht erscheinen und diese Prüfung wünsche ich keinem von
uns." gab Diana zu. So wurde Stillschweigen vereinbart und die beiden
jungen Leute bereiteten in der Küche in kleines Abendessen vor, denn wenn auch
niemand richtigen Hunger verspürte, so mußten sie doch nach all den Prüfungen
etwas zu sich nehmen. Spät in der Nacht kamen auch Julika néni und Péter
zurück, doch da war Diana schon auf ihr Zimmer geflüchtet und hatte es Pál
überlassen, die Mutter und den Bruder in ihrem Schmerz zu trösten. Am nächsten
Morgen kam Diana mit verweinten Augen zum Frühstück und auch bei alle anderen
hatten die tragischen Ereignisse ihre Spuren hinterlassen. Diana umarmte
schweigend die Witwe, die ihr ihre Zurückhaltung dankte. Da die Beerdigung
schon auf den nächsten Tag festgesetzt war, ließ sich Diana dazu überreden,
noch einen Tag zu bleiben, um dem Förster und Freund die letzte Ehre zu
erweisen. Da die Beisetzung im engsten Familienkreis stattfand, kamen auch
außer drei Kollegen von Gábor bácsi und einer alten Tante aus dem Nachbarort
keine weiteren Trauergäste zum Mittagessen ins Forsthaus. Diana half der Witwe
so gut sie konnte bei der Zubereitung der Speisen und beim Abwasch, dann mußte
sie sich endgültig verabschieden.
"Ich halte meine
Einladung aufrecht," meinte sie zu Péter und Pál, als sie vor dem
vollgepackten Geländewagen Abschied nahmen. "Wann immer ihr wollt, seid
meine Gäste in der Puszta und bringt auch eure Mutter mit."
"Vielen Dank, Diana,
für die Einladung, wir werden sie sicher einmal honorieren, wenn auch nicht in
allernächster Zukunft." meinte Pál. Dann drückten sie die junge Frau an
sich und Pál riskierte unbemerkt von seinem Bruder einen zarten Kuß auf die
roten Lippen, die Diana erstaunt aufblicken ließen. Doch diesmal verrieten
seine Augen seine Gedanken nicht und sie war noch nicht einmal zornig darüber.
Zuviel war hier in diesen wenigen Tagen geschehen, zuviel, um jetzt schon klar
darüber nachdenken und urteilen zu können. So lächelte Diana nur ein wenig, als
sie den fragenden und um Verzeihung bittenden Blick der dunklen Augen auffing.
"Auf
Wiedersehen!" Das war ein Versprechen seitens der jungen Frau und auch die
beiden jungen Männer faßten dies so auf, vor allem einer.
"Auf Wiedersehen,
Diana!" riefen sie im Chor und die Försterswitwe, von der sich Diana schon
in der Küche verabschiedet hatte, winkte ihr aus dem Fenster einen letzten Gruß
zu. Dann setzte sich die junge Frau hinter das Steuer und begab sich auf die
lange und anstrengende Heimreise. Diese verlief unerwartet ruhig und
störungsfrei und so hatte die junge Frau mehr als genug Muße, sich die
Erlebnisse und Enthüllungen der letzten Tage durch den Kopf gehen zu lassen.
Sie wußte, daß es fast unmöglich sein würde, das Ganze zu vergessen, konnte nur
hoffen, daß die Zeit die Wunden heilen konnte, die das Schicksal geschlagen
hatte. Und trotzdem gab es einen schwachen Hoffnungsschimmer am Ende des
langen, dunklen Tunnels: Die Bedrohung durch ihren Stiefvater war nun endlich
vorbei und sie konnte befreiter atmen. Als Diana endlich zuhause anlangte, war
sie nicht nur erschöpft von der langen Fahrt, sondern auch seelisch völlig
ausgepumpt. Sie schaute gerade noch bei ihren Tieren vorbei, stellte fest, daß
diese während ihrer Abwesenheit gut gepflegt worden waren, schleppte sich unter
die Dusche und fiel danach wie ein Stein ins Bett. Diese erste Nacht nach ihrer
Heimkunft verging ohne Träume und doch wachte Diana am nächsten Morgen wie
gerädert auf. Sie stürzte sich auf die liegengebliebene Arbeit und versuchte,
ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben. Es wurde Winter und mit ihm kamen die
langen, dunklen, einsamen Abende. Zwar fand die junge Frau Trost in ihrer Liebe
zu dem Prinzen, mit welchem sie manchmal in ihren Träumen Kontakt aufnehmen
konnte, ansonsten aber schien alles im Winterschlaf erstarrt zu sein.
"Kommst du heute abend
mit auf den Ball?" fragte eines Tages die junge Nachbarin Diana, als sie
mit der morgendlichen Milchration bei dieser vorbeischaute.
"Ich weiß nicht so
recht," meinte Diana zögernd. "Das ist doch nur was für ganz junge
Leute und ich zähle schon seit einigen Jahren nicht mehr zu eurer
Generation!" fügte sie lächelnd hinzu. Doch Marika ließ sich so schnell
nicht abwimmeln.
"Das ist doch alles
nur Gerede, von wegen junger Generation und so," meinte sie wegwerfend.
"Hier im Dorf gibt es sowieso nicht viel in Sachen Kultur, da ist ein
solcher Tanzabend der ideale Treffpunkt für Jung und Alt!"
"Ich glaube, ich bin
selbst für die letztere Kategorie zu alt!" flüsterte Diana mit einem
Augenzwinkern. "Ich sage nicht zu, aber vielleicht überlege ich es mir noch
bis heute abend und schaue mal bei euch vorbei." setzte sie dann hinzu.
"Du hast mich aber auf eine Idee gebracht, die es zu überlegen gilt,
Marika. Man müßte hier einfach einmal die Dinge in die Hand nehmen und etwas
organisieren." Die Nachbarin nickte zustimmend.
"Ja, und zwar für alle
Interessensgebiete und alle Altersgruppen!"
"Dein Vater ist doch
noch beim Bürgermeister beschäftigt, wenn ich mich nicht irre?" fragte
Diana ihre Nachbarin und diese nickte.
"Ja, Papa ist sein
Sekretär und auch verantwortlich für die Wahlkampagnen und so weiter."
"Na fein, dann werde
ich einmal mit deinem Vater darüber sprechen, wie wir das Dorfleben attraktiver
gestalten können. Marika, frage doch bitte einmal deinen Herrn Papa, wann er
mir eine halbe Stunde widmen kann, damit ich mit ihm über die eben
angesprochenen Themen diskutieren kann."
"Das kann ich gleich
tun, denn er ist noch zuhause," meinte das Mädchen, nachdem es das
Milchgeld von Diana in Empfang genommen hatte. "Morgen früh sage ich dir
dann Bescheid – es sei denn, du kommst doch noch auf den Ball, dann gebe ich
dir schon dort Bescheid." lächelte sie verschmitzt, doch Diana fiel nicht
auf die Falle herein.
"Ich habe dir gesagt,
ich werde es mir überlegen!" meinte sie, fest entschlossen, sich nicht zu
etwas zwingen zu lassen, auf das sie vielleicht keine Lust hatte.
"Na denn, auf
Bald!" grüßte Marika, bevor sie sich wieder auf den Heimweg machte. Diana
arbeitete den ganzen Tag, doch den Abend widmete sie ihren Vorbereitungen auf
das Gespräch mit dem Vater ihrer Nachbarin. So wartete diese vergebens darauf,
daß Diana den Ball doch noch besuchen kam. Am nächsten Morgen jedoch konnte sie
der jungen Frau die Mitteilung machen, daß ihr Vater bereit sei, Diana am
Nachmittag zu empfangen und zwar nicht im Bürgermeisteramt, sondern bei sich
zuhause.
"Ich werde pünktlich
um zwei Uhr bei ihm sein," versprach Diana bevor sie sich von Marika
verabschiedete.
"Guten Tag, Herr
Molnár," begrüßte sie einige Stunden später den Vater ihrer Nachbarin.
"Vielen Dank, daß Sie sich so schnell bereit gefunden haben, meine
Vorschläge anzuhören."
"Alles, was im
Interesse des Dorfes sein kann, ist für mich von größter Wichtigkeit, Frau
Erdei." erwiderte der Sekretär des Bürgermeisters, ein stattlicher Mann
mittleren Alters, der von allen Dorfbewohnern geachtet wurde und bei ihnen
beliebter war, als der Bürgermeister selbst, welcher sich mehr seiner
Gänsezucht widmete, denn den Belangen seiner Gemeinde. "Nehmen Sie also
Platz und lassen Sie mich Ihre Vorschläge hören. – Darf ich Ihnen etwas zu
Trinken anbieten?" fügte er noch höflich hinzu, doch Diana schüttelte den
Kopf, während sie sich in einem gemütlichen Sessel niederließ.
"Nein danke, ich habe
gerade zuhause einen Kaffee getrunken." meinte sie lächelnd, bevor sie
damit begann, ihre Pläne zu erläutern.
"Sehen Sie, Herr
Molnár, gerade als mich Ihre Tochter zum Ball einlud, ist mir klargeworden, wie
wenig hier eigentlich für die Kultur aller Altersgruppen getan wird. Die Jugend
hat natürlich ihre Disko und den Winterball, dazu im Sommer das Fest am See.
Aber ansonsten ist es hier sehr ruhig. Keine Ausstellungen, keine Konzerte,
keine Feste. Das sollte sich ändern."
"Ich verstehe, worauf
Sie hinauswollen," meinte der Sekretär. "Aber das alles verlangt viel
Organisation und noch mehr Geld." gab er zu bedenken. Diana nickte.
Ich weiß natürlich, daß
alle diese Dinge Geld kosten, aber es finden sich sicherlich Mittel und Wege,
um dieses zu beschaffen. Und dann ist die Phantasie der Bewohner gefragt. Ich
stelle mich gerne zur Verfügung, um gewisse Dinge zu organisieren. Hören Sie
meine Vorschläge: Ich habe zuerst daran gedacht, ein Kostümfest zu
organisieren. Die Kostüme können die Frauen selbst entwerfen und schneidern.
Wir suchen einen geeigneten Tag im Sommer, am Besten ein ganzes Wochenende, an
welchem auf dem großen Marktplatz ein Umzug stattfindet oder auch ein
Historienspiel – an Ihnen herauszufinden, ob in der Chronik der Gemeinde ein
Anhaltspunkt gegeben ist. Es gibt Stände mit Essen und Trinken und mit einiger
Reklame kann das Ganze sogar zu einer Touristenattraktion werden, die
zusätzliches Geld einbringt."
"Nicht schlecht
überlegt!" stimmte der Sekretär zu. "Sie scheinen Erfahrung in
solchen Dingen zu besitzen."
"Das stimmt. Ich habe
in Frankreich oft an solchen Veranstaltungen teilgenommen." nickte Diana.
"Doch weiter: Ich
kenne einige begabte Maler, die sicher gerne bereit wären, für einige Zeit ihre
Werke bei uns auszustellen, das wäre Reklame für sie und würde uns nicht viel
kosten. Für die älteren Menschen könnte man in der geschlossenen kleinen
Fabrikhalle einen monatlichen Teesonntag einrichten, jeder Teilnehmer backt
einen kleinen Kuchen und steuert etwas Kaffee oder Tee bei. Man könnte junge
Musiker der Volksmusik oder Schriftsteller einladen, die ihre Werke dort
vortragen und die Senioren hätten einen festen Treffpunkt. Außerdem könnte man
mit wenig Aufwand ein Sportfest organisieren. Freiwillige Helfer findet man
sicher und es könnte für jede Altersklasse eine angemessene Sportart dabei
sein. Laufen ist keine Altersfrage, Radfahren ebensowenig und für die Jüngsten
könnte man Spiele organisieren." Ihr Vorschlag fand Zustimmung und so
stürzte sie sich zusammen mit anderen Freiwilligen Helfern in die
Vorbereitungen. Nach den anfänglichen Anlaufschwierigkeiten wurden die
Veranstaltungen in der ganzen Gegend bekannt und zur Freude aller Beteiligten
strömten die Besucher nur so herbei. Diana war stolz darauf, die Initiatorin
dieser Erfolge gewesen zu sein und ließ es sich nicht nehmen, jedes Jahr mit
neuen Ideen und tatkräftiger Unterstützung bei dem Gelingen der Veranstaltungen
mitzuwirken. Zwar wunderten sich nicht wenige Dorfbewohner, warum die junge
Frau sich noch nicht verheiratet hatte, denn an Bewerbern unter den feurigen
Ungarn fehlte es nicht, erhielten aber keine Antwort auf ihre Fragen. Diana
lebte wie bisher glücklich mit ihren Tieren und bestritt ihren Lebensunterhalt
als Übersetzerin, Dolmetscherin und Fremdenführerin.
Es war wieder einmal
Frühling geworden und die Pußta stand nach der Schneeschmelze und starken
Regengüssen zum größten Teil unter Wasser. Nach dem Tod ihrer alten Pferde
hatte sich Diana einen neuen Rapphengst gekauft, jung und ungestüm, den galt es
jetzt einzureiten. Adonis stand wie ein stolzer Gott in seiner hellen Box, als
die junge Frau in den Stall trat. Liebevoll begrüßte sie das junge Tier und
steckte ihm ein Zuckerstückchen zu. Mit geübten Handgriffen streifte sie ihm
den Zaum über und legte den leichten Sattel auf. Dann führte sie das vor
Übermut und Kraft schäumende Pferd in den Hof und schwang sich mit einer
leichten Bewegung auf seinen Rücken. Mit ruhiger Hand lenkte sie den Hengst auf
den Feldweg, der sich endlos über die weite Ebene zog. Adonis schnaubte vor
Freude auf, als ihm seine Reiterin endlich die Zügel ließ und er in einem
schnellen Galopp über den Boden donnerte. Bald waren er und seine Reiterin
trotz der kühlen Luft schweißgebadet und auf eine leichte Parade seitens der
jungen Frau ließ sich das Tier willig in Trab fallen. So ging es vielleicht
eine halbe Stunde lang, die beide sehr genossen. Später war der Hengst sogar
dazu breit, ein schnelles Schrittempo einzuschlagen. Diana ließ sich von dem
schwingenden Rücken beinahe einlullen, rief sich aber sofort wieder zur
Ordnung, denn, das war ihr nur zu gut bekannt, ein junges Pferd konnte auf die
verschiedensten Dinge plötzlich und heftig reagieren und dann war ein schnelles
Eingreifen seitens der Reiterin gefordert! Trotz ihrer auf das Pferd
gerichteten Aufmerksamkeit sah die junge Frau aber doch den großen Adler,
welcher in geringer Höhe suchend über die Pußta zog und einige Rehe, die vor
einem kleinen Akazienwäldchen ästen. Die Luft war erfüllt von Vogelgesang und
Diana fragte sich, was sie sich denn noch vom Leben wünschen könnte, wo sie
doch alles zu ihrem Glück hier fand. Als die Rehe das Pferd gewahrten, hoben
sie die Köpfe und zogen langsam davon. Der Adler strich nun fast lautlos über
Pferd und Reiterin. Als der junge Hengst den dunklen Schatten über sich sah,
zuckte er plötzlich erschreckt zusammen, riß Diana die Zügel fast aus der Hand und
fiel in einen wilden, waghalsigen Galopp. Vergebens bemühte sich seine
Reiterin, das in Panik geratene Tier zu zügeln, es biß nur noch heftiger auf
seine Trense und streckte sich so sehr, daß die Steigbügel fast den Boden
berührten. Nach der ersten Schrecksekunde hatte sich Diana fest in den Sattel
gesetzt und versuchte nun das Pferd auf immer kleiner werdenden Kreisen zu
verlangsamen. Dabei sprach sie zart und beruhigend auf den jungen Hengst ein
und hatte nach einiger Zeit dann endlich ihr Ziel erreicht: mit schlagenden
Flanken und laut die Luft in seine weit aufgerissenen Nüstern ziehend hielt
Adonis an.
"So ist gut, mein
Braver!" schmeichelte ihm leise seine Reiterin und strich ihm mit
zitternden Fingern über den schweißglänzenden Hals. "Du hast mir aber
einen Schrecken eingejagt! Du brauchst doch vor einem Adler keine Angst zu
haben!" wies sie den Hengst mit leisem Vorwurf in der Stimme zurecht. Und
das edle Tier spitzte die Ohren und schien die Worte seiner Reiterin zu
verstehen. Als er sich einigermaßen beruhigt hatte, setzte ihn Diana in Schritt
und beschloß, einen anderen Heimweg zu wählen, um so dem noch immer in der Nähe
herumziehenden Adler auszuweichen. Zwar würde es so etwas länger dauern, bis
sie wieder zuhause wären, aber sie wollte dem jungen Tier an diesem Tag nicht
noch einmal Aufregung bereiten. So nahm sie ihren Weg über die breite Brücke,
die über den großen Bewässerungskanal führte und dann drang sie in einen aus
uralten Eichen und anderen alten Baumriesen bestehenden Wald ein, durch dessen
ansonsten dichtes Unterholz ein schmaler Pfad führte. Es wurde schon langsam
wieder dämmerig, als sie sich noch immer langsam und vorsichtig ihren Weg
suchend im Wald vorantasteten. Diana ließ dem jungen Tier Zeit, sich an neue
Gerüche und Eindrücke zu gewöhnen und so kamen sie nur zögernd voran. Schon
konnte die junge Frau wieder die weite Ebene durch die letzten Bäume schimmern
sehen, als sich plötzlich direkt neben ihr aus einem Brombeerengebüsch ein
wütendes Schnauben vernehmen ließ. Das Pferd schien unter ihr zu erstarren,
doch dann rannte es erschreckt los, ohne darauf zu achten, daß Wurzeln und
Gesträuch es behinderten oder fast zu Fall brachten und ohne Rücksicht auf
seine Reiterin, die sich – oft vergeblich – bemühte, Äste und Zweige von sich abzuhalten.
Dann gesellte sich zu dem Klang der Hufe auf dem Waldboden auch noch ein
anderes Geräusch: die Schritte des angreifenden Keilers! Diana betete, daß das
Pferd vor dem Wildschwein aus dem Wald kommen würde, ohne sich vorher bei einem
Sturz die Beine oder den Hals zu brechen. Zum Glück war bald freies Gelände
erreicht, doch aus irgend einem unbegreiflichen Grund, folgte ihnen der Keiler
auch hier noch. Der Hengst war inzwischen nicht mehr ansprechbar, der
neuerliche Schock hatte ihn so in Panik versetzt, daß er nun endgültig keiner
Hilfe mehr gehorchte. In lebensgefährlichem Tempo stürmte das Pferd über die
Pußta. Ein kurzer Blick zurück überzeugte Diana nach einiger Zeit, daß ihnen
der Keiler nicht mehr folgte, der Hengst setzte seinen irrsinnigen Lauf jedoch
fort. In dem vorrangigen Bemühen, aus der Reichweite des Wildschweines zu
kommen, hatten weder Pferd noch Reiterin auf die Richtung geachtet, welche die
wilde Flucht genommen hatte. So war es schon zu spät zum Reagieren, als sich
der breite Graben mit den steilen Rändern urplötzlich, wie aus dem Nichts, vor
ihnen öffnete. Mit einem lauten
Aufschrei und unter Verwendung ihrer ganzen Kraft versuchte Diana in letzter
Sekunde den Hengst in eine andere Richtung zu bringen, aber es war zu spät! Als
es das unüberwindbare Hindernis gewahrte, bäumte sich das erschreckte Pferd
plötzlich hoch auf, verlor auf dem glitschigen Boden den Halt unter den Hufen
und überschlug sich. Seine Reiterin wurde unter dem schweren Körper eingeklemmt
und blieb auch dann noch leblos liegen, als sich das Tier wieder aufrichtete,
sich schüttelte und einige Schritte zur Seite machte. Mit seiner weichen Nase
schnoberte es an dem reglosen Körper der jungen Frau, dann machte es sich im
Zockeltrab auf den Heimweg zum Stall. Dort würde sein Erscheinen ohne Reiterin
höchste Aufregung verursachen, doch es würden Stunden vergehen, bis man die
Verunglückte in der unendlichen Weite der großen Tiefebene finden würde.
Als Diana den schweren
Körper des Pferdes auf sich niederfallen spürte, sah sie durch ihren sich
verschleiernden Blick einen Falken aus dem Himmel stoßen.
"Sharif kommt wieder
zu mir!" dachte sie in ihren letzten bewußten Augenblicken. Und wirklich
setzte sich der Falke, als das Pferd verschwunden war, wieder vor sie und
betrachtete sie aus seinen dunklen, klugen Augen, bevor er zu Sprechen anhob.
"Der Herr schickt
mich, Diana. Du hast noch einmal, zum letzten Mal, die Chance erhalten, ihn zu
sehen. Bitte weise ihn dieses Mal nicht ab!" sprach der Greif bittend.
"Bringe mich zu ihm!"
bat Diana leise, nachdem sie einige Augenblicke überlegt hatte. Und wieder
kamen die Adler und brachten sie in das Reich zwischen Träumen und Wahrheit.
Dieses Mal aber näherte sich ihnen das Schloß in Windeseile. Statt des Herolds
stand eine ganze Kompanie Posaunenbläser zu ihrem Empfang bereit. Sie trug noch
immer ihr zerrissenes und mit Schlamm bespritztes Reitzeug, doch würde man ihr
sogleich ein Bad richten und ihr neue Kleider bringen. Mit klopfendem Herzen,
den edlen Falken auf der bloßen Faust, so durchschritt sie das Spalier bis zum
Anfang der Treppe. Auf deren höchstem Absatz stand der junge Herr und schien
noch zu zweifeln. Doch endlich erblickte sein scharfes Auge die schmale Gestalt
Dianas. Er stieß einen lauten Freudenschrei aus.
"Du bist zurückgekommen!
Liebste! Nun ist alles gut!" Er rannte, nein sprang die Treppe herunter,
immer mehrere Stufen auf einmal nehmend und sein weiter Umhang flatterte im
Wind. Er riß Diana in seine Arme und bedeckte ihr schmutziges Gesicht mit
heißen Küssen.
"Liebster, ich bin
dein für alle Ewigkeit - das heißt, wenn du mich noch haben willst!"
seufzte Diana atemlos von seinen Küssen und verbarg ihr schönes Gesicht im
weichen Samt seiner grünen Jacke, damit er die Freudentränen nicht sähe, die
ihr aus den Augen strömten. Doch er hob ihr Gesicht zart mit einer Hand hoch
und schaute ihr tief in die Augen.
"Diana, meine
Geliebte, Göttin meines Herzens! Natürlich möchte ich dich zur Frau nehmen!
Willst du mir noch heute abend angetraut werden? Es ist alles schon bereit!"
Diana öffnete weit ihre schönen Augen und ein überirdisches Lächeln belebte
ihre Lippen.
"Ich will,
Geliebter!" stammelte sie freudetrunken.
"Dann komm, es gibt
noch einiges zu erledigen!" sprach der junge Mann und führte sie über den
roten Teppich in die Eingangshalle des Schlosses. Er überließ die junge Frau
seiner Zofe, die sie in das schon einmal von ihr bewohnte Zimmer geleitete.
Diana stieß einen kleinen Freudenschrei aus, als sie das traumhaft schöne
Hochzeitsgewand sah, welches auf dem Bett ausgebreitet war.
"Es wartet schon so
lange auf Euch!" entfuhr es der Zofe, als sie Dianas fragenden Blick
gewahrte.
"Was soll das
heißen?" wollte diese wissen. "War denn seit meinem Verschwinden
damals keine andere Frau mehr hier?" Die Zofe schüttelte den Kopf.
"Der Herr hat
niemanden mehr hier eintreten lassen, seitdem ihr verschwunden seid. Er war
fest davon überzeugt, daß ihr eines Tages wiederkehren würdet! - Und er hatte
recht!" bemerkte sie mit Genugtuung. Diana schaute sich nun genauer um und
sah, daß die Einrichtung des Zimmers seit ihrem Verschwinden nicht geändert
worden war, selbst die Blumen in der kleinen Vase auf dem Kaminsims und in der
größeren auf dem Tisch waren die Gleichen! Mit einem wohligen Seufzen streckte
sie sich im warmen Wasser der Zimmerbadewanne aus, das mit wohlriechenden Ölen
angereichert worden war, welche die Zofe herbeigebracht hatte und deren Wasser
zwei Diener in großen Kannen heraufgeschafft hatten. Die Zofe half Diana später
beim Anlegen der wunderbaren Robe. Zuerst kamen mehrere seidene Unterkleider,
die über die weite Krinoline gestreift wurden, dazu ein Korsett mit
Spitzenbesatz. Die Robe selbst war aus weißer Seide, bodenlang, mit einer
großen Schleppe, alles mit Spitzen und Edelsteinen in Blütenform besetzt. Das
Oberteil mit den langen Ärmeln schmiegte sich eng an den Körper der jungen Frau
an, sein großer Ausschnitt war mit hunderten kleiner Diamanten gesäumt, die
Blütengirlanden glichen und sich im Muster der Tiara wiederfanden, die den
langen Spitzenschleier auf den dichten Locken der Braut hielten. Ihren schmalen
Hals schmückte ein Kollier, ein Meisterwerk alter Goldschmiedekunst, welches
Diamanten und Saphire zu einer herrlichen Einheit verband. Ohrringe und ein
breites Armband der gleichen Kollektion vervollständigten den Schmuck der
jungen Frau. Ihre schmalen Finger zierten ein feiner Goldreif mit einem schön
geschliffenen Saphir, sowie ein uraltes Familienstück, der Wappenring der
Familie ihres zukünftigen Ehemannes, die sie über die weißen Handschuhe gezogen
hatte.
"Ihr seid eine
wunderschöne Braut!" hauchte die Zofe, als sie ihr Werk betrachtete. Und
auch Diana schaute ungläubig auf die Märchenprinzessin, die ihr aus dem Spiegel
entgegenblickte. Doch viel Zeit zum Wundern blieb ihr nicht, denn schon klopfte
es an die Zimmertür und ein Herold steckte seinen Kopf herein.
"Herrin, kommt, die
Trauungszeremonie beginnt sogleich und der Herr wartet schon ungeduldig auf
seine Braut!"
"Ich komme!" rief
Diana glücklich und folgte dem Mann durch die verschlungenen Gänge des Schlosses
bis zu der schmalen, geschnitzten Holztür, die in die Schloßkapelle führte.
Hier weitete ein tiefer Seufzer ihre Brust. In wenigen Augenblick würde sie dem
Mann angetraut werden, den sie schon immer in ihren Träumen gesehen hatte. Sie
verspürte kein Bedauern, kein Gedanke an ein Zurück berührte sie, keine Trauer
beschlich sie, nur ein Gefühl von unendlichem Glück erfüllte sie, als sie nun
die kleine Pforte aufstieß und in ihr Schicksal
eintrat..........................
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